Titel:
Keine Baugenehmigung für Bauvorhaben im unbeplanten Innenbereich mangels verkehrsmäßiger Erschließung
Normenketten:
BauGB § 34 Abs. 1
BayBO Art. 4, Art. 63 Abs. 1 S. 1, Art. 68 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die verkehrsmäßige Erschließung muss im unbeplanten Innenbereich dauerhaft zur Verfügung stehen und somit rechtlich gesichert sein. Grenzt ein Grundstück nicht an eine öffentliche Straße, ist hierfür grundsätzlich eine öffentlich-rechtliche Baulast oder eine dinglich-privatrechtliche Absicherung (etwa durch eine Grunddienstbarkeit nach § 1018 BGB) zu fordern; eine rein schuldrechtliche Vereinbarung reicht mangels Dauerhaftigkeit der Sicherung nicht aus. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zwar kann für die bauordnungsrechtlichen Erschließungsanforderungen im Gegensatz zur Rechtslage beim Bauplanungsrecht die Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 S. 1 in Betracht kommen. Voraussetzung hierfür ist eine atypische Situation, da gerade bei dieser Vorschrift der sicherheitsrechtliche Aspekt der Vorschrift – Erreichbarkeit eines bebauten Grundstücks durch Rettungsfahrzeuge – zu berücksichtigen ist (hier verneint). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anforderungen an die bauplanungs- und bauordnungsrechtliche Erschließung, „Angrenzerweg“, Wohnweg begrenzter Länge, Baugenehmigung, Bauvorhaben, unbeplanter Innenbereich, verkehrsmäßige Erschließung, rechtliche Sicherung, öffentliche Straße, Baulast, Dienstbarkeit, Angrenzerweg, tatsächlich öffentlicher Weg
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 22.03.2018 – M 11 K 16.3030
Fundstelle:
BeckRS 2023, 4252
Tenor
I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 22. März 2018 wird die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung zum Einbau einer Dachgaube mit Dachsanierung.
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Sie ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. …, Gemarkung D. …, das mit einem Einfamilienhaus bebaut ist. Das Grundstück liegt an der L. … Straße, die im Jahr 1922 angelegt wurde. Diese Straße verläuft über eine Länge von ca. 550 m parallel zum G. …bach von der Abzweigung M. …straße in D. … Süd bis zur Bundesstraße …, wo sie als Sackgasse an einer Fußgängerunterführung endet. Im nördlichen Bereich verläuft die Straßenfläche ab der Abzweigung von der M..straße bis zum Bereich der Einmündung in die östlich abgehende H. …-B. …-Straße vorwiegend auf dem Flurstück FlNr. … sowie ergänzend auf Teilflächen der angrenzenden Privatgrundstücke. Im Bereich des Grundstücks der Klägerin verläuft die Straßenfläche zum Teil auf ihrem Grundstück, im Übrigen auf dem Flurstück FlNr. … Richtung Süden verläuft die Straßenfläche weiter über das Flurstück … Östlich der L. … Straße befindet sich eine Bebauung mit zahlreichen Wohngebäuden, vorwiegend bestehend aus Einfamilien- und Doppelhäusern. Vereinzelt findet sich westlich der Straße ebenfalls eine Bebauung. Über die Abzweigung zur H. …-B. … Straße wird die weiter östlich gelegene Bebauung erschlossen. Eine Zufahrt zum Anwesen der Klägerin kann ausschließlich über die L. … Straße erfolgen.
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Die Flurstücke FlNr. … und …2 sind im Grundbuch nicht gebucht. Im Liegenschaftskataster werden diese Flurstücke mit der Buchungsart „Anliegerweg“ bezeichnet. Zu den Eigentumsverhältnissen wird dort ausgeführt, dass der Anliegerweg anteilig zu den näher bezeichneten anliegenden Grundstücken gehört. Im Grundbuch ist im Bestandsverzeichnis für die anliegenden Grundstücke jeweils vermerkt „hierzu die zum Weg FlSt. … gezogene Teilfläche“ bzw. „hierzu die zum Weg FlSt … gezogene Teilfläche“.
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Die Beklagte lehnte den Bauantrag der Klägerin vom 22. Juni 2015 zur Errichtung einer Dachgaube und Dachsanierung (mit Aufdachdämmung) mit Bescheid vom 7. Juni 2016 ab. Die bauplanungs- und bauordnungsrechtliche Erschließung sei nicht gesichert. Der Bereich der äußeren L. … Straße sei im Zusammenhang mit der Gebietsreform von der Gemeinde K. … nach D. … eingemeindet worden. Der gesamte Straßengrund, beginnend von der M. …straße bis zur B …, sei Gemeinschaftsgrund der Anlieger. Die Verkehrsfläche sei nicht öffentlich gewidmet. Die Anlieger würden den öffentlichen Verkehr derzeit auf ihren Flächen dulden. Es handle sich um einen tatsächlich-öffentlichen Weg. Sie bemühe sich seit Jahren, die Erschließung rechtlich sicherzustellen. Die Versuche, das Eigentum an der Straßenfläche zu erwerben, seien aber bis jetzt am Widerstand einzelner Anlieger gescheitert. Auch die Klägerin sei nicht zur Grundabtretung bereit.
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Der daraufhin erhobenen Klage auf Erteilung der Baugenehmigung gab das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 22. März 2018 statt. Das Vorhaben sei genehmigungsfähig, insbesondere sei die Erschließung gesichert. Die äußere L. … Straße stehe als Anliegerweg im Eigentum der Anlieger. Die Wegfläche bilde einen unselbständigen Teil des Buchgrundstücks des jeweiligen Anliegers. Jedem Anlieger gehöre ein Teil der Wegfläche als Alleineigentum. Im Liegenschaftskataster werde dies durch entsprechenden Vermerk bei dem an den Weg grenzenden Grundstück kenntlich. Dies führe dazu, dass das Grundstück des jeweiligen Anliegers nach herrschender Auffassung regelmäßig mit einer Grunddienstbarkeit zugunsten der Grundstücke derjenigen belastet sei, die den Weg nach seiner Zweckbestimmung zu Geh- und Fahrtzwecken nutzen dürften. Derartige Geh- und Fahrtrechte seien bei Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches ohne Eintragung als Grunddienstbarkeit bestehen geblieben, sodass die Erschließung bauplanungsrechtlich gesichert sei. Auch bauordnungsrechtlich sei das Vorhabengrundstück erschlossen, da es sich um einen beschränkt öffentlichen Weg handle.
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Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 26. April 2022 wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zugelassen.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 22. März 2018 aufzuheben.
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Das Bauvorhaben sei nicht genehmigungsfähig, da die Erschließung weder in bauplanungsrechtlicher noch in bauordnungsrechtlicher Hinsicht gesichert sei. Der Weg sei im Jahr 1922 angelegt worden, sodass keine altrechtlichen Dienstbarkeiten beständen. Das Erfordernis für eine gesicherte Erschließung bestehe auch im Fall eines untergeordneten Umbaus eines bereits genehmigten und vorhandenen Bestands. Zudem sei auch die bauordnungsrechtliche Erschließung nicht gesichert. Nach Art. 4 BayBO müsse das Baugrundstück in einer angemessenen Breite an einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche liegen. Dies sei nicht der Fall. Bei der L. … Straße handele es um einen tatsächlich öffentlichen Weg, der nicht den Anforderungen an eine öffentliche Verkehrsfläche genüge. Eine Ausnahme nach Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 BayBO liege nicht vor, da es sich nicht um einen Wohnweg von begrenzter Länge handle.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Das Verwaltungsgericht sei zu Recht von der gesicherten Erschließung ausgegangen. Die Grunddienstbarkeit ergebe sich aus dem Liegenschaftskataster, wonach hier ein Anliegerweg vorliege. Daraus folge eine Grunddienstbarkeit gegenüber den anderen Anliegern. Es komme daher nicht darauf an, wann die L. … Straße angelegt worden sei. Im Übrigen stelle sich die Frage, ob bei einem untergeordneten Vorhaben eines bereits genehmigten und vorhandenen Bestands eine Baugenehmigung im Hinblick auf eine fehlende Erschließung verweigert werden könne, wenn eine Verschlechterung oder Verschärfung der vorhandenen Erschließungssituation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sei.
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Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28. Februar 2023 wird Bezug genommen. Weiter wird ergänzend auf die Gerichtsakten sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung hat Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung nach Art. 68 Abs. 1 BayBO, da die Erschließung für das Vorhaben nicht gesichert ist.
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Das Vorhaben stellt eine Änderung einer baulichen Anlage dar und ist daher genehmigungspflichtig, Art. 55 Abs. 1 BayBO. Eine Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 2 Nr. 4 BayBO liegt nicht vor, da sich das Grundstück nicht im Geltungsbereich einer städtebaulichen Satzung oder einer Satzung nach Art. 81 BayBO befindet.
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Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Die Baugenehmigungsbehörde darf den Bauantrag auch ablehnen, wenn das Bauvorhaben gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 HS 2 BayBO).
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Das Vorhabengrundstück befindet sich im unbeplanten Innenbereich. Auf Grund des Eingriffs in die Bausubstanz stellt das Bauvorhaben eine bauplanungsrechtlich relevante Änderung einer baulichen Anlage dar. Bei der Änderung einer baulichen Anlage ist das Gesamtvorhaben in seiner geänderten Gestalt zu prüfen (vgl. BVerwG, U.v. 17.6.1993 – 4 C 17.91 – NVwZ 1994, 294), sodass hier für das Vorhaben die Sicherung der bauplanungsrechtlichen Erschließung nach § 34 Abs. 1 BauGB erforderlich ist. Die verkehrsmäßige Erschließung muss im unbeplanten Innenbereich dauerhaft zur Verfügung stehen und somit rechtlich gesichert sein. Grenzt ein Grundstück nicht an eine öffentliche Straße, ist hierfür grundsätzlich eine öffentlich-rechtliche Baulast oder eine dinglich-privatrechtliche Absicherung (etwa durch eine Grunddienstbarkeit nach § 1018 BGB) zu fordern; eine rein schuldrechtliche Vereinbarung reicht mangels Dauerhaftigkeit der Sicherung nicht aus (BVerwG, B.v. 27.9.1990 – 4 B 34.90 u.a. – ZfBR 1991, 31; U.v. 3.5.1988 – 4 C 54.85 – NVwZ 1989, 353; BGH, U.v. 21.5.1992 – III ZR 14/91 – BGHZ 118, 263). Ein Notwegerecht nach § 917 BGB genügt ebenfalls nicht (vgl. BGH, U.v. 23.1.2015 – V ZR 318/13 – NJW-RR 2015, 852). Die Straßenflächen, über die das Vorhabengrundstück erreicht werden kann, sind nicht gewidmet. Bei der L. … Straße handelt es sich um einen tatsächlich-öffentlichen Weg. Sog. tatsächlich öffentliche Wege, also private Grundstücksflächen, auf denen vor dem Inkrafttreten des BayStrWG am 1. September 1958 der Eigentümer ausdrücklich oder durch schlüssiges Handeln den Verkehr eröffnete oder duldete, genügen im allgemeinen den rechtlichen Anforderungen an eine öffentliche Verkehrsfläche nicht, da der Eigentümer nicht gehindert ist, sein Grundstück dem öffentlichen Verkehr wieder zu entziehen, sofern er nicht nach den Umständen des Einzelfalls auf das Widerrufsrecht verzichtet hat (vgl. zu den Anforderungen an einen Widerruf: BayVGH, U.v. 15.2.2021 – 8 B 20.2352 – BayVBl 2021, 747; vgl. zur bauordnungsrechtlichen Erschließung: Wolf in Busse/Kraus, BayBO, Stand November 2022, Art. 4 Rn. 109). Für einen solchen Verzicht – der zudem von allen Eigentümern der Wegflächen ausgesprochen werden müsste – ist hier nichts ersichtlich, zumal die Klägerin selbst in ihrem Schreiben vom 27. März 2014 die Freigabe der L. … Straße für den öffentlichen Durchgangsverkehr gegenüber der Beklagten widerrufen hat.
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Da keine öffentlich gewidmete Straße und keine Dienstbarkeit zugunsten der Allgemeinheit vorliegen, ist Voraussetzung der Erschließung eine dinglich-privatrechtliche Sicherung an den Zufahrtswegen. Es bestehen erhebliche Zweifel, ob eine ausreichende rechtliche Sicherung eines Geh- und Fahrrechts für die Klägerin an den Verkehrsflächen besteht. Die Eintragung einer Grunddienstbarkeit im Grundbuch ist grundsätzlich Voraussetzung für die Wirksamkeit eines Wegerechts (vgl. BGH, U.v. 24.1.2020 – V ZR 155/18 – NJW 2020, 1360). Grunddienstbarkeiten sind nach den eingeholten Grundbuchauszügen nicht im Grundbuch eingetragen. Bei den Wegeflächen auf den Flurstücken FlNr. … und … handelt es sich um einen sog. Angrenzer- oder Anliegerweg. Solche Wege erhielten bei der Anlegung des Liegenschaftskatasters in Bayern aus steuertechnischen Gründen in der Regel ohne Rücksicht auf die Eigentumsgrenzen eigene Flurstücksnummern. Ein so als Anliegerweg ausgewiesenes Flurstück besteht aus Teilflächen, die jeweils zu den äußerlich angrenzenden Flurstücken zu ziehen sind. Eigentumsrechtlich bilden das angrenzende Flurstück und die zu ihm gezogene Teilfläche des Weges ein Grundstück, d.h. die Wegeteilfläche ist ein unselbständiger Bestandteil dieses Grundstücks. Der jeweilige Anlieger ist Alleineigentümer der zu seinem Grundstück gezogenen Wegeteilfläche. Sein Grundstück ist nach herrschender Auffassung regelmäßig mit einer Grunddienstbarkeit zu Gunsten der Grundstücke derjenigen belastet, die den Weg nach seiner Zweckbestimmung zu Geh- und Fahrtzwecken nutzen dürfen, üblicherweise der anderen Anlieger (vgl. insgesamt hierzu: BayObLG, B.v. 15.12.1997 – 1 Z RR 610/96 – juris Rn. 17). Die Geh- und Fahrtrechte blieben bei Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches ohne Eintragung als Grunddienstbarkeit bestehen (Art. 184 Satz 1, Art. 187 Abs. 1 Satz 1 EGBGB), für die nunmehr die Vorschriften der §§ 1020 bis 1028 des BGB gelten (Art. 184 Satz 2 EGBGB; vgl. BayObLG, B.v. 15.12.1997 a.a.O. – juris Rn. 24). Hier wurde der Weg im Jahr 1922 angelegt und somit nach Abschluss der Anlegung der Grundbücher in Bayern, die seit 16. Januar 1911 beendet ist (vgl. Demharter, GBO, 31. Auflage, § 142 Rn. 5). Für die vom Verwaltungsgericht angenommene altrechtliche Dienstbarkeit, die keine Eintragung im Grundbuch voraussetzt, ist daher kein Raum. Die Frage, ob für die früher katastertechnisch gesondert angelegten Angrenzerwege (vgl. BayObLG, U.v. 10.11.1976 – 2 Z 71/75 – Rpfleger 1977, 103) ausnahmsweise auch ohne explizite Eintragung einer Grunddienstbarkeit eine ausreichende Sicherung vorliegt und es auch im Hinblick auf die tatsächliche Entwicklung – Grundstücksteilungen, verdichtete Bebauung – nicht der Publizitätswirkung von eingetragenen Dienstbarkeiten bedarf, kann letztlich offenbleiben, da es jedenfalls an der bauordnungsrechtlichen Erschließung fehlt.
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Die bauordnungsrechtliche Erschließung nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 BayBO gehört zwar im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO nicht zum Prüfungsumfang (vgl. BayVGH, B.v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris Rn. 16; B.v. 27.2.2002 – 1 ZS 02.71 – juris Rn. 12), allerdings darf die Bauaufsichtsbehörde nach Art. 68 Abs. 1 Halbs. 2 BayBO den Bauantrag auch ablehnen, wenn das Bauvorhaben gegen sonstige öffentliche-rechtliche Vorschriften verstößt. Von dieser Befugnis hat die Beklagte in nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht, indem sie die Versagung der Genehmigung auch auf die fehlende bauordnungsrechtliche Erschließung gestützt hat.
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Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 BayBO verlangt für die bauordnungsrechtliche Erschließung, dass ein Grundstück in angemessener Breite an einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche liegt. Ein bloß tatsächlich öffentlicher Weg stellt aus den oben genannten Gründen keine öffentliche Verkehrsfläche dar (Wolf in Busse/Kraus, BayBO, Stand November 2022, Art. 4 Rn. 109). Eine Ausnahme nach Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 BayBO liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann im Geltungsbereich eines Bebauungsplans oder innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils bei Wohnwegen von begrenzter Länge auf die straßenrechtliche Widmung verzichtet werden, wenn von dem Wohnweg nur Wohngebäude geringer Höhe erschlossen werden und gegenüber dem Rechtsträger der Bauaufsichtsbehörde rechtlich gesichert ist, dass der Wohnweg sachlich unterhalten wird und allgemein benutzt werden kann. Diese rechtliche Sicherung einer allgemeinen Nutzung bedeutet, dass zumindest eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit zugunsten des Rechtsträgers der Bauaufsichtsbehörde bestellt sein muss bzw. eine dingliche Einbindung des Rechtsträgers der Bauaufsichtsbehörde sichergestellt ist (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2014 – 15 B 13.2028 – juris Rn. 23). Der Ausnahmetatbestand des Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 BayBO greift hier nicht, da es sich bei der L. … Straße nicht um einen Wohnweg begrenzter Länge handelt und zudem keine Sicherung zugunsten des Rechtsträgers der Bauaufsichtsbehörde vorliegt. Ein Wohnweg von begrenzter Länge kann regelmäßig nur bei einer Länge von bis ca. 80 m angenommen (vgl. BayVGH, U.v. 26.09.2001 – 20 N 00.1942 – juris Rn. 42), sodass dieser Ausnahmetatbestand für die L. … Straße, die eine Länge von 550 m aufweist, nicht in Betracht kommt. Zudem fehlt es hier an der rechtlichen Sicherung einer allgemeinen Nutzung gegenüber der Bauaufsichtsbehörde. Eine solche Sicherung ergibt sich insbesondere auch nicht aus einem etwaig bestehenden Notwegerecht der Klägerin. Denn ein Notwegerecht sichert in aller Regel – und so auch hier – gerade nicht eine allgemeine Benutzbarkeit des Wegs für jedermann, da notwegberechtigt nur der Eigentümer des abgeschnittenen Grundstücks ist (BayVGH, B.v. 2.12.2005 – 6 CS 05.1522 – BayVBl 2006, 223).
21
Zwar kann für die bauordnungsrechtlichen Erschließungsanforderungen im Gegensatz zur Rechtslage beim Bauplanungsrecht die Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 in Betracht kommen. Voraussetzung hierfür ist eine atypische Situation, da gerade bei dieser Vorschrift der sicherheitsrechtliche Aspekt der Vorschrift – Erreichbarkeit eines bebauten Grundstücks durch Rettungsfahrzeuge – zu berücksichtigen ist. Eine Abweichung wird im Wesentlichen in den Fällen erteilt werden können, in denen die erschließende Straße zwar keine öffentliche im Sinn des Straßen- und Wegerechts ist, ihr Bestand für die Anlieger aber gleichwohl gesichert ist, weil die Straßenfläche im Eigentum der Gemeinde steht und die Gemeinde durch die Genehmigung von Bauten an der Straße zur Erschließung verpflichtet ist, (vgl. BayVGH, U.v. 11.4.1994 – 2 B 92.3865 – BayVBl 1995, 154). Hier stehen aber die Straßenflächen – mit Ausnahme der Fläche FlNr. … – nicht im Eigentum der Gemeinde. Im Übrigen kann sich die Antragstellerin nach dem auch im Verwaltungsrecht entsprechend § 242 BGB geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. BVerwG, B.v. 1.4.2004 – 4 B 17.04 – juris Rn. 4), der auch das Verbot widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“) umfasst (vgl. BayVGH, U.v. 18.1.2022 – 1 B 19.1616 – juris Rn. 30; B.v. 16.11.2009 – 2 ZB 08.2389 – juris Rn. 11), nicht auf einen – regelmäßig ohnehin nach § 123 Abs. 4 BauGB ausgeschlossenen – Erschließungsanspruch berufen, da sie selbst die Mitwirkung an der Erschließung verweigert hat. Zudem ist die Erschließung eines Vorhabens nur gesichert, wenn – im Rahmen einer am üblicherweise zu erwartenden Gang der Dinge orientierten Prognose – damit gerechnet werden kann, dass sie bis zur Herstellung des Bauwerks (spätestens bis zur Gebrauchsnahme) funktionsfähig angelegt ist und wenn erwartet werden kann, dass sie auf Dauer zur Verfügung stehen wird (vgl. VGH München, U.v. 18.1.2022 a.a.O.). Selbst eine „fällige“ Erschließungspflicht hat nicht aus sich zur Folge, dass die Erschließung gesichert ist (vgl. BVerwG zur Erschließung im Sinn von § 30 Abs. 1 BauGB, B.v. 23.12.1993 – 4 B 212.92 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 8.4.2019 – 1 CS 19.261 – juris Rn. 16). Angesichts des Umfangs der hier ggf. erforderlichen Enteignungen und der Haltung der Eigentümer der Straßenflächen ist nicht damit zu rechnen, dass bis zum Abschluss des zur Genehmigung gestellten Vorhabens die Erschließung rechtlich tatsächlich gesichert ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.