Inhalt

VGH München, Beschluss v. 07.03.2023 – 11 CE 22.2487
Titel:

Neuerteilung einer Fahrerlaubnis im Wege der einstweiligen Anordnung

Normenketten:
VwGO § 123
StVG § 3 Abs. 4
FeV § 11 Abs. 1 S. 2, § 13 S. 1 Nr. 2 lit. c, § 20 Abs. 1 S. 1, § 22 Abs. 2
Leitsätze:
1. Auch wenn es wegen der Verwendung eines Atemalkoholmessgeräts, das mangels Konformitätsbewertung bzw. Bauartzulassung sowie Eichung im Ordnungswidrigkeits- und Strafverfahren nicht als „beweissicher“ angesehen wird, an einer „beweissicheren“ Atemalkoholanalyse fehlen sollte, folgt daraus nicht zwingend, dass die Messung keine Beibringungsanordnung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV zu rechtfertigen vermag. (Rn. 21 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Fahrerlaubnisbehörde darf die Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach deren Entziehung im Strafverfahren aufgrund einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 Promille  nicht allein wegen dieser Fahrerlaubnisentziehung von der Beibringung eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig machen. Anders liegt es jedoch dann, wenn zusätzliche Tatsachen die Annahme künftigen Alkoholmissbrauchs begründen. Als eine solche Zusatztatsache kommt etwa das Fehlen alkoholbedingter Ausfallerscheinungen trotz hoher Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille oder mehr in Betracht (vgl. BVerwG BeckRS 2021, 15937 Rn. 24) (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Hohe Wahrscheinlichkeit des Obsiegens im Hauptsachverfahren (verneint), Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, vorangegangene strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Trunkenheitsfahrt, Bindung an den Strafbefehl im Neuerteilungsverfahren (verneint), mit Handmessgerät ermittelter Atemalkoholwert von 0,86 mg/l, Blutalkoholkonzentration von 1, 52 Promille gut eine Stunde nach der Fahrt, Ermittlung eines Tatzeitwerts von mehr als 1,6 Promille durch Rückrechnung, sonstige Tatsachen für die Annahme von Alkoholmissbrauch, nähere Prüfung im Hauptsacheverfahren erforderlich, Fahrerlaubnis, einstweilige Anordnung, medizinisch-psychologisches Gutachten, Trunkenheitsfahrt, Bindungswirkung, Atemalkoholwert, Blutalkoholkonzentration, Messgerät, Zusatztatsache
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 14.11.2022 – AN 10 E 22.1903
Fundstelle:
BeckRS 2023, 4245

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners, ihm die Fahrerlaubnis der Klassen A (mit den Schlüsselzahlen 79.03 und 79.04), A1, AM, B, BE, C1, C1E, CE (mit der Schlüsselzahl 79 [C1E > 12 000 kg, L ≤ 3]), L und T ohne vorherige medizinisch-psychologische Untersuchung vorläufig neu zu erteilen.
2
Nach einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt verurteilte das Amtsgericht Hersbruck den Antragsteller zu einer Geldstrafe, entzog ihm die Fahrerlaubnis und ordnete eine Sperrfrist von sechs Monaten für deren Wiedererteilung an. Nach den Feststellungen des rechtskräftigen Strafbefehls vom 30. Dezember 2021 führte der Antragsteller am 26. September 2021 gegen 13:35 Uhr auf der Staatsstraße 2404 in H. ein Kraftfahrzeug. Infolge Alkoholisierung geriet er mit dem Fahrzeug zu weit nach links, so dass er mit dem linken Außenspiegel gegen den linken Außenspiegel des entgegenkommenden Fahrzeugs stieß, der dabei abgerissen wurde. Die um 15:17 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,52 Promille. Dem Polizeibericht lässt sich entnehmen, ein um 14:10 Uhr freiwillig durchgeführter Atemalkoholtest habe einen Wert von 0,86 mg/l ergeben. Eigene Feststellungen zum Vorliegen oder Fehlen von Ausfallerscheinungen finden sich dort nicht. Der Unfallmitteiler berichtete zu seiner Fahrt hinter dem Antragsteller, dieser sei so langsam abgebogen, dass er gedacht hätte, davor befinde sich ein Fahrrad. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen. In der ersten Rechtskurve sei das Fahrzeug des Antragstellers komplett nach links herausgetragen worden. In der zweiten Rechtskurve, in der sich der Unfall ereignet habe, sei es ebenso gewesen. Ein weiterer Zeuge, der hinter der Geschädigten gefahren war, gab an, das Fahrzeug des Antragstellers habe sich bei dem Unfall mit einem Viertel seiner Breite auf der Gegenfahrbahn befunden. In dem ärztlichen Bericht zur Blutentnahme findet sich folgender Untersuchungsbefund: Gang (geradeaus) schwankend, plötzliche Kehrtwendung, Finger-Finger-Prüfung und Finger-Nasen-Prüfung unsicher, Drehnystagmus feinschlägig (3 Sekunden), Sprache deutlich, Pupillen unauffällig, Pupillenlichtreaktion prompt, Bewusstsein klar, Denkablauf geordnet, Verhalten beherrscht, Stimmung stumpf. In dem Feld dazu, ob und wie äußerlicher Einfluss von Alkohol bemerkbar ist, findet sich keine Eintragung. Der Antragsteller hatte gegenüber der Polizei angegeben, er habe zwischen 18 Uhr am Vortag und 6 Uhr am Tattag sechs bis sieben Bier getrunken.
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Unter dem 20. Januar 2022 beantragte der Antragsteller beim Landratsamt N. Land (Fahrerlaubnisbehörde) die Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis.
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Mit Schreiben vom 27. Januar 2022 forderte das Landratsamt den Antragsteller gestützt auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV auf, bis zum 9. Juni 2022 ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen. Zu klären sei u.a., ob der Antragsteller das Führen von Kraftfahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum sicher trennen könne. Auf den Einwand des Prozessbevollmächtigten hin, dass hier eine Blutalkoholkonzentration von nur 1,52 Promille festgestellt sei, hielt das Landratsamt an der Anordnung fest. Bei dem Atemalkoholtest, der eine Atemalkoholkonzentration von 0,86 mg/l ergeben habe, sei ein sogenannter AlcoTrueP-Test verwendet worden, der nach Herstellerangaben eine präzise und schnelle Atemalkoholanalyse biete. Zudem verwies es darauf, dass zwischen dem Tatzeitpunkt und der Blutentnahme etwas über eineinhalb Stunden lägen, so dass sich bei einem anzunehmenden stündlichen Alkoholabbau von 0,1 Promille auch ausgehend von der festgestellten Blutalkoholkonzentration von 1,52 Promille eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr zum Tatzeitpunkt ergebe.
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Nachdem der Antragsteller erklären ließ, er halte die Anordnung für rechtswidrig und werde kein Gutachten beibringen, lehnte das Landratsamt den Neuerteilungsantrag mit Bescheid vom 21. Juli 2022 ab. Aus der Nichtvorlage des Gutachtens sei auf mangelnde Fahreignung zu schließen.
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Am 26. August 2022 ließ der Antragsteller Verpflichtungsklage beim Verwaltungsgericht Ansbach erheben, über die noch nicht entschieden ist. Zugleich beantragte er, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aufzugeben, ihm die beantragte Fahrerlaubnis zu erteilen. Die Beibringungsanordnung sei rechtswidrig. Die Fahrerlaubnisbehörde dürfe aufgrund der Bindungswirkung des Strafbefehls nach § 3 Abs. 4 StVG ausschließlich einen Blutalkoholwert von 1,52 Promille berücksichtigen. Zudem sei das Ergebnis der Atemalkoholmessung nicht valide. Diese sei nicht mit dem einzig gerichtsverwertbaren Messgerät der Marke Draeger, sondern mit einem Handmessgerät gewonnen worden. Es sei nicht ersichtlich, dass dieses über eine Bauartzulassung verfüge, geeicht sei und die geltenden Verfahrensbestimmungen eingehalten worden seien.
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Mit Beschluss vom 14. November 2022 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag ab. Der anwaltlich vertretene Antragsteller begehre die uneingeschränkte, endgültige Erteilung einer Fahrerlaubnis. Damit sei der Antrag auf eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet und unzulässig. Im Übrigen wäre der Antrag aber auch unbegründet. Der Antragsteller habe keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Zudem fehle es an einem Anordnungsanspruch. Bei einer summarischen Prüfung habe der Antragsteller keinen Anspruch auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis. Selbst wenn man zu seinen Gunsten annehme, dass der Atemalkoholwert von 0,86 mg/l aufgrund des im Strafbefehl herangezogenen Blutalkoholwerts von 1,52 Promille nach § 3 Abs. 4 StVG nicht berücksichtigt werden dürfe, bestünden dennoch Eignungszweifel, die die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV rechtfertigten. Es lägen zusätzliche Tatsachen vor, die die Annahme künftigen Alkoholmissbrauchs begründeten. Dem ärztlichen Untersuchungsbefund sei zwar zu entnehmen, dass das Verhalten des Antragstellers alkoholbedingt nicht unauffällig gewesen sei (schwankend, Finger-Finger- und Finger-Nasen-Prüfung unsicher). Die weiteren Feststellungen des untersuchenden Arztes, wonach der Drehnystagmus feinschlägig (3 Sekunden), die Sprache deutlich, die Pupillen unauffällig, die Pupillenreaktion prompt, das Bewusstsein klar, der Denkablauf geordnet und das Verhalten beherrscht gewesen sei, deuteten jedoch auf eine hohe Alkoholgewöhnung hin. Hierfür spreche auch, dass der Antragsteller im Stande gewesen sei, sein Fahrzeug über eine längere Strecke zu führen und er an einem frühen Sonntagnachmittag mit einer solch hohen Blutalkoholkonzentration unterwegs gewesen sei. Überdies habe er seinen minderjährigen Sohn als Beifahrer befördert. Das spreche ebenfalls dafür, dass der Antragsteller seine tatsächliche Alkoholisierung sowie die hieraus resultierenden Risiken einer Verkehrsteilnahme als Kraftfahrzeugführer nicht mehr einzuschätzen vermöge.
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Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, mit der dieser die Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts und die Erteilung einer zeitlich bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens befristeten Fahrerlaubnis beantragt. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts fehle es an aussagekräftigen Zusatztatsachen, welche die Annahme von Alkoholmissbrauch begründeten. Dem ärztlichen Bericht lasse sich allenfalls ein widersprüchliches Bild entnehmen. Zudem werde das Formular zum Befund häufig schematisch und ohne die gebotene Untersuchung ausgefüllt. Es liege auch ein Anordnungsgrund vor, da der Antragsteller einen landwirtschaftlichen Nebenerwerb betreibe und mit einer Geldbuße rechnen müsse, wenn er nicht alsbald Borkenkäfer im Wald entferne.
9
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern und die begehrte einstweilige Anordnung zu erlassen wäre.
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1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um u.a. wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzung hierfür ist, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft macht. Eine Vorwegnahme der Hauptsache kommt allerdings nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, wenn das Abwarten der Hauptsacheentscheidung für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte (BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3.13 – NVwZ-RR 2014, 558 Rn. 5 m.w.N.). Die begehrte Regelung muss zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig sein und es muss ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache sprechen (Kopp/Schenke, VwGO, 28. Auflage 2022, § 123 Rn. 14 m.w.N.). Dies gilt im Fahrerlaubnisrecht angesichts der staatlichen Schutzpflicht für das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer in besonderem Maße, da das Führen fahrerlaubnispflichtiger Fahrzeuge im Straßenverkehr mit erheblichen Gefahren für diese Rechtsgüter einhergeht, wenn der Betroffene nicht fahrgeeignet oder zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht befähigt ist (vgl. BayVGH, B.v. 3.7.2018 – 11 CE 18.1170 – juris Rn. 15; B.v. 11.12.2014 – 11 CE 14.2358 – juris Rn. 18; ThürOVG, B.v. 15.1.2021 – 2 O 147/20 – Blutalkohol 58, 111 = juris Rn. 14; s. auch Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 20 FeV Rn. 6).
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2. Davon ausgehend begegnet die Zulässigkeit des Antrags keinen Bedenken. Soweit das Verwaltungsgericht auf das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache verweist, betrifft dieses nicht die Zulässigkeit des Antrags, sondern den Entscheidungsinhalt sowie die materiellen Voraussetzungen der einstweiligen Anordnung und damit die Begründetheit des Antrags (vgl. Dombert in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 109; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 123 Rn. 75). Zudem enthält der in erster Instanz gestellte, seinem Wortlaut nach auf eine endgültige Erteilung der Fahrerlaubnis gerichtete Antrag jedenfalls als Minus einen Antrag auf eine vorläufige Entscheidung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens (vgl. dazu Dombert, a.a.O. Rn. 227). Soweit der Antrag auch von einer Fahrerlaubnis der Klasse „A179“, also mit Schlüsselzahl spricht, geht der Senat davon aus, dass er ein Versehen aus dem Bescheid aufgreift und bei interessegerechter Auslegung auf die zuletzt innegehabte Fahrerlaubnis der Klasse A1 ohne Einschränkungen gerichtet ist.
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3. Das Verwaltungsgericht hat jedoch zu Recht die materiellen Voraussetzungen der einstweiligen Anordnung verneint. Dabei kann dahinstehen, ob der Antragsteller einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat. Es lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass diesem mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis ohne Vorlage eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens zustünde.
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a) Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch die zum Teil zum 1. Juni 2022 in Kraft getretene Verordnung vom 18. März 2022 (BGBl I S. 498), gelten im Verfahren auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Vorschriften über die Ersterteilung. Die Fahrerlaubnisbehörde hat zu ermitteln, ob Bedenken gegen die Eignung des Bewerbers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen (§ 22 Abs. 2 Satz 1 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die solche Bedenken begründen, verfährt die Fahrerlaubnisbehörde nach den §§ 11 bis 14 FeV (§ 22 Abs. 2 Satz 5 FeV). Das Vorliegen der Fahreignung wird von § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310, 919), zuletzt geändert durch das zum 1. Januar 2023 in Kraft getretene Gesetz vom 20. Dezember 2022 (BGBl I S. 2752), positiv als Voraussetzung für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gefordert. Die Nichtfeststellbarkeit der Fahreignung geht daher zu Lasten des Bewerbers. Ein Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis besteht nicht, solange Eignungszweifel vorliegen, welche die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens rechtfertigen (vgl. VGH BW, U.v. 18.6.2012 – 10 S 452/10 – VerkMitt 2012 Nr. 68 = juris Rn. 31; U.v. 7.7.2015 – 10 S 116/15 – DAR 2015, 592 = juris Rn. 19).
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Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV sind die Anforderungen an die körperliche und geistige Fahreignung insbesondere dann nicht erfüllt, wenn ein Mangel oder eine Erkrankung im Sinne von Anlage 4 oder 5 zur FeV vorliegt. Ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist unter anderem, wer – ohne alkoholabhängig zu sein – Alkohol missbräuchlich konsumiert, d.h. das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann (Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV). Bei einem solchen Alkoholmissbrauch kann von einer Eignung erst dann wieder ausgegangen werden, wenn der Missbrauch beendet und die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist (Nr. 8.2 der Anlage 4 zur FeV). Gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen (Buchst. a Alt. 1) oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen (Buchst. a Alt. 2), wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden (Buchst. b), ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde (Buchst. c), die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a bis c genannten Gründen entzogen war (Buchst. d) oder sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht (Buchst. e).
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Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er ein gefordertes Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 Rn. 19). Liegen Eignungszweifel vor, die die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erfordern, ist die Begutachtungsanordnung aber rechtswidrig, hat der Betroffene allein einen Anspruch auf erneute Entscheidung nach ordnungsgemäßer Durchführung des in §§ 11, 13 FeV geregelten Verfahrens (vgl. VGH BW, U.v. 18.6.2012, a.a.O. Rn. 32, 66).
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b) Daran gemessen spricht einiges dafür, dass bereits die vorliegende, auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV gestützte Beibringungsanordnung rechtmäßig war und das Landratsamt zu Recht von der Nichtvorlage des Gutachtens auf mangelnde Fahreignung geschlossen hat.
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(1) Das Landratsamt hat seine Eignungszweifel in tatsächlicher Hinsicht in erster Linie damit begründet, dass der Antragsteller ein Fahrzeug im Straßenverkehr mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt habe, also mit dem Ergebnis des freiwilligen Atemalkoholtests.
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(a) Die Bindungswirkung des Strafbefehls vom 30. Dezember 2021 steht dem, anders als der Antragsteller meint, nicht entgegen. Nach § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG kann die Fahrerlaubnisbehörde, will sie in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, zu dessen Nachteil vom Inhalt des Urteils u.a. insoweit nicht abweichen, als es die Feststellung des Sachverhalts betrifft. Der Strafbefehl steht dabei einem Urteil gleich (§ 3 Abs. 4 Satz 2 StVG).
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Unmittelbar gilt diese Regelung ihrem Wortlaut nach allein für das Entziehungsverfahren. Ferner spricht einiges dafür, dass sie im nachfolgenden (Neu-)Erteilungsverfahren auch nicht entsprechend anwendbar ist (vgl. dazu BVerwG, U.v. 20.12.1963 – VII C 30.63 – BVerwGE 17, 347/348 ff.; U.v. 6.4.2017 – 3 C 13.16 – BVerwGE 158, 335 Rn. 18; OVG NW, U.v. 2.8.2011 – 16 A 1472/10 – juris Rn. 25; VGH BW, U.v. 27.7.2016 – 10 S 77/15 – VerkMitt 2017 Nr. 5 = juris Rn. 33; a.A. für die Bindung an den festgestellten Sachverhalt BayVGH, B.v. 10.6.2014 – 11 C 14.218 – juris Rn. 15). Letztlich kann dies hier jedoch dahinstehen. Denn der Strafbefehl verhält sich bereits nicht zur Atemalkoholkonzentration. Diese ergibt sich auch nicht mittelbar aus dem vom Amtsgericht festgestellten Blutalkoholwert. Eine direkte Konvertierung von Atem- und Blutalkoholwerten ist ausgeschlossen (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, § 316 StGB Rn. 52 und § 24a StVG Rn. 16). Zudem bezieht sich auch die Feststellung zur Blutalkoholkonzentration allein auf einen Zeitpunkt gut eineinhalb Stunden nach der Fahrt.
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(b) Mit Blick auf die Genauigkeit der ermittelten Atemalkoholkonzentration dürfte zwar das Vorbringen des Antragstellers zutreffen, dass es sich bei dem hier verwendeten „AlcoTrue P“ um ein Testgerät handelt, das mangels Konformitätsbewertung bzw. Bauartzulassung sowie Eichung im Ordnungswidrigkeits- und Strafverfahren nicht als „beweissicher“ angesehen wird (vgl. dazu König in LK-StGB, 12. Aufl. 2008, § 316 Rn. 47 ff., 51; ders. in Hentschel/König/Dauer, § 316 StGB Rn. 52 und § 24a StVG Rn. 17). Allerdings gibt das Verwaltungsgericht München in einem neueren Beschluss eine Auskunft der Polizei wieder, der zufolge in dem dortigen Fall ein Handmessgerät der Marke „AlcoTrue P“ verwendet worden sei, das über eine Bauartzulassung verfüge und geeicht gewesen sei (VG München, B.v. 21.2.2022 – M 7 S 21.80 – juris Rn. 8, 33).
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Doch auch wenn es hier an einer „beweissicheren“ Atemalkoholanalyse im vorgenannten Sinn fehlen sollte, folgt daraus nicht zwingend, dass die Messung keine Beibringungsanordnung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV zu rechtfertigen vermag. Für den präventiven Bereich des Straßenverkehrsrechts kommt es allein darauf an, ob sich aus dem gemessenen Wert mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf eine Atemalkoholkonzentration von wenigstens 0,8 mg/l schließen lässt (vgl. VGH BW, B.v. 11.7.1996 – 10 S 1332/96 – NZV 1996, 469 = juris Rn. 6 f.; BayVGH, B.v. 23.11.2022 – 11 CS 22.1529 – juris Rn. 21; s. zum Waffenrecht auch OVG Berlin-Bbg, B.v. 9.6.2021 – 6 S 17/21 – juris Rn. 4). Dabei erscheinen gewisse Einschränkungen in der Zuverlässigkeit der ermittelten Werte auch mit Blick darauf hinnehmbar, dass es im Rahmen von § 13 FeV noch nicht um die Entscheidung über die Erteilung oder Verlängerung einer Fahrerlaubnis, sondern um eine vorbereitende Aufklärungsmaßnahme geht, für die sachlich fundierte Zweifel an der Fahreignung genügen (vgl. BVerwG, U.v. 17.3.2021 – 3 C 3.20 – BVerwGE 172, 18 Rn. 23; s. auch VGH BW, a.a.O. Rn. 7). Für das hier verwendete Gerät gibt der Hersteller im Bereich zwischen 0,5 und 1,0 mg/l eine Messgenauigkeit von 4% des Messwerts an (vgl. AlcoTrue® P Prospekt, DE, Rev5-09/2017, abrufbar unter www.bluepoint-medical.com). Legt man diese Ungenauigkeit zu Gunsten des Antragstellers an, ergibt sich immer noch ein Wert von mehr als 0,8 mg/l. Eine falsche Handhabung bzw. Missachtung der für jenes Gerät einschlägigen Bedienungshinweise, z.B. mit Blick auf etwaige Wartezeiten, kann nicht ohne Weiteres unterstellt werden.
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Folglich liegt es nahe, dass die ermittelte Atemalkoholkonzentration von mehr als 0,8 mg/l im Rahmen des § 13 Satz 1 Nr. 2 Bucht. c FeV hinreichend aussagekräftig ist. Sollte es darauf im Hauptsacheverfahren entscheidungserheblich ankommen, dürfte dem weiter nachzugehen und z.B. eine Auskunft der Polizei zu einer etwaigen Bauartzulassung bzw. Konformitätsbewertung und Eichung des Geräts sowie zu den dortigen Erkenntnissen zu dessen Messgenauigkeit einzuholen sein.
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(2) Unabhängig von Vorstehendem spricht viel dafür, dass das Landratsamt seine Beibringungsanordnung zu Recht (auch) darauf gestützt hat, dass sich bei einer Rückrechnung von der gut eineinhalb Stunden nach der Fahrt ermittelten Blutalkoholkonzentration von 1,52 Promille auf die Tatzeit ein Wert von 1,6 Promille oder mehr ergibt.
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(a) Die Bindungswirkung des Strafbefehls nach § 3 Abs. 4 StVG steht auch dem nicht entgegen, wobei die Frage der entsprechenden Anwendbarkeit im Neuerteilungsverfahren ebenfalls offenbleiben kann. Im Strafbefehl findet sich allein die Feststellung, dass die am 26. September 2021 um 15:17 Uhr entnommene Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration von 1,52 Promille ergeben hat. Eine auf den Tatzeitpunkt bzw. Zeitpunkt des Unfalls bezogene Feststellung lässt sich dem weder unmittelbar noch mittelbar entnehmen.
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(b) Im Strafrecht ist anerkannt, dass der Blutalkoholgehalt zur Tatzeit regelmäßig im Wege der Rückrechnung aus dem Blutalkoholwert im Zeitpunkt der Blutentnahme zu ermitteln ist. Mit Blick auf die sog. Resorptionsphase unterbleibt dabei grundsätzlich eine Hochrechnung für den Zeitraum von zwei Stunden nach Trinkende. Für die nachfolgende Zeit ist, wenn wie hier nicht die Schuldfähigkeit, sondern das Maß der Fahrunsicherheit inmitten steht, ein Abbauwert von 0,1 Promille pro Stunde zu Grunde zu legen (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, § 316 StGB Rn. 38 ff.; ders. in LK-StGB, § 316 Rn. 28 ff.; Heger in Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl. 2023, § 315c Rn. 9). Im Fahrerlaubnisrecht als Gefahrenabwehrrecht (vgl. BVerwG, U.v. 11.4.2019 – 3 C 14.17 – BVerwGE 165, 215 Rn. 35) muss eine solche Rück- bzw. Hochrechnung in der sog. Eliminationsphase umso mehr zulässig sein (vgl. dazu auch Koehl in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Aufl. 2021, § 13 FeV Rn. 20; ThürOVG, B.v. 15.1.2021 – 2 EO 147/20 – Blutalkohol 58, 111 = juris Rn. 18; s. auch BVerwG, U.v. 17.3.2021 – 3 C 3.20 – BVerwGE 172, 18 Rn. 18, 39).
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Hier lagen zwischen dem Unfall (gegen 13:35 Uhr) und der Blutentnahme (15:17 Uhr) gut eineinhalb Stunden. Nach eigenen Angaben hatte der Antragsteller zuletzt am Tattag um 6 Uhr Alkohol zu sich genommen, so dass danach ohne Weiteres von einer Überschreitung von 1,6 Promille zur Tatzeit auszugehen ist. Einen Nachtrunk hat die Polizei in dem Protokoll und Antrag zur Feststellung von Alkohol im Blut als ausgeschlossen angesehen.
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c) Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht einen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache zutreffend mit Blick auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV verneint. Dabei hat es zu Recht zu Grunde gelegt, dass die Beibringungsanordnung als Rechtsgrundlage allein § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV nennt und sich in tatsächlicher Hinsicht nicht auf sog. Zusatztatsachen stützt, so dass dieser Gesichtspunkt bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der vorliegenden Anordnung außer Betracht zu bleiben hat. Gleichwohl ist ein Neuerteilungsanspruch ohne positive medizinisch-psychologische Begutachtung nach den vorgenannten Maßstäben ausgeschlossen, wenn deren erneute Anordnung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV rechtmäßig wäre. Davon dürfte auszugehen sein.
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(1) § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV ist eine Auffangvorschrift, bei deren Vollzug die Wertungen der § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c FeV zu berücksichtigen sind. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung darf die Fahrerlaubnisbehörde deshalb die Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach deren Entziehung im Strafverfahren aufgrund einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 Promille (anders als im Wiederholungsfall, vgl. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV) nicht allein wegen dieser Fahrerlaubnisentziehung von der Beibringung eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig machen. Anders liegt es jedoch dann, wenn zusätzliche Tatsachen die Annahme künftigen Alkoholmissbrauchs begründen (vgl. BVerwG, U.v. 17.3.2021 – 3 C 3.20 – BVerwGE 172, 18 Rn. 17). Als eine solche Zusatztatsache kommt etwa das Fehlen alkoholbedingter Ausfallerscheinungen trotz hoher Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille oder mehr in Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 17.3.2021, a.a.O. Rn. 18, 24). Nach den Erkenntnissen der Alkoholforschung besteht bei Personen, die aufgrund ihres Trinkverhaltens eine hohe Alkoholgewöhnung erreicht haben, das deutlich erhöhte Risiko einer erneuten Trunkenheitsfahrt. Ihre Giftfestigkeit führt unter anderem dazu, dass sie die Auswirkungen ihres Alkoholkonsums auf ihre Fahrsicherheit nicht mehr realistisch einschätzen können. Deshalb liegt in dem Umstand, dass ein Betroffener trotz eines bei seiner Trunkenheitsfahrt festgestellten Blutalkoholpegels von 1,1 Promille oder mehr keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen aufgewiesen hat, eine zusätzliche Tatsache im vorgenannten Sinn (vgl. BVerwG, U.v. 17.3.2021, a.a.O. Rn. 24, 40 ff.). Ebenfalls auf eine hohe Alkoholgewöhnung hindeuten können eine Alkoholfahrt bereits in den Tagesstunden oder über eine längere Fahrstrecke ohne größere Auffälligkeiten (vgl. BayVGH, B.v. 11.3.2019 – 11 ZB 19.448 – juris Rn. 13; BVerwG, U.v. 20.2.1987 – 7 C 87.84 – BVerwGE 77, 40 = juris Rn. 12; s. auch Eignungsrichtlinien i.d.F.v. 30.10.1989 [Vkbl S. 786], Fn. 7 zum Mängelkatalog). Dabei hängt das Gewicht, das die Zusatztatsache aufweisen muss, maßgeblich davon ab, in welchem Maße die bei der Trunkenheitsfahrt festgestellte Blutalkoholkonzentration den in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV genannten Wert von 1,6 Promille unterschreitet, bei dem die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auch ohne das Vorliegen von Zusatztatsachen zu erfolgen hat. Für die Anwendung von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV ist außerdem erforderlich, dass das Vorliegen einer solchen Zusatztatsache im Zusammenhang mit der begangenen Trunkenheitsfahrt aktenkundig festgestellt und dokumentiert wurde (BVerwG, U.v. 17.3.2021, a.a.O. Rn. 46; vgl. zu alldem auch BayVGH, B.v. 3.6.2022 – 11 CE 22.375 – DAR 22, 585 = juris Rn. 14; B.v. 3.6.2022 – 11 CE 22.262 – juris Rn. 15).
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(2) Daran gemessen erscheint zweifelhaft, ob hier von einem Fehlen alkoholbedingter Ausfallerscheinungen im vorgenannten Sinn ausgegangen werden kann.
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Angesichts der Blutalkoholkonzentration von 1,52 Promille zum Zeitpunkt der ärztlichen Untersuchung sind zwar keine hohen Anforderungen an die Zusatztatsachen zu stellen. Auch wenn einzelnen Beobachtungen möglicherweise mit Zurückhaltung zu begegnen ist, bestehen entgegen der Auffassung des Antragstellers auch keine grundsätzlichen Bedenken dagegen, insoweit den klinischen Befund des Blutentnahmearztes als hinreichend belastbar anzusehen (vgl. dazu BayVGH, B.v. 3.6.2022 – 11 CE 22.262 – juris Rn. 18 m.w.N.). Ferner ist das Gesamtbild maßgeblich, wofür ausreichen kann, dass keine signifikanten Ausfallerscheinungen festzustellen sind (vgl. BayVGH, B.v. 3.6.2022 – 11 CE 22.375 – DAR 2022, 585 = juris Rn. 17 m.w.N.).
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Der ärztliche Bericht über die Blutentnahme zeichnet jedoch insgesamt ein unklares Bild. Wenn es unter dem Untersuchungsbefund heißt, die Sprache sei deutlich, die Pupillen unauffällig, die Pupillenlichtreaktion prompt, das Bewusstsein klar, der Denkablauf geordnet und das Verhalten beherrscht, so weist das möglicherweise durchaus auf eine hohe Alkoholgewöhnung hin. Beschrieben werden jedoch auch deutliche Defizite wie insbesondere ein schwankender Gang und eine unsichere plötzliche Kehrtwendung. Hinzu kommen die Aussagen der Zeugen, denen zufolge der Antragsteller sehr langsam gefahren sei und sein Fahrzeug in Kurven nicht sicher in der Spur habe halten können. Tragender Grund dafür, in dem Fehlen signifikanter Ausfallerscheinungen trotz einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille oder mehr eine Zusatztatsache zu sehen, ist aber die Erwägung, dass in diesem Fall die körperliche Befindlichkeit als Warnsignal und Maßstab der aktuellen Alkoholisierung nicht mehr zur Verfügung steht (vgl. VGH BW, U.v. 7.7.2015 – 10 S 116/15 – DAR 2015, 592 = juris Rn. 47; Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, 3. Aufl. 2018, S. 267; Wagner, NZV 2022, 110/112). Davon dürfte unter den hier genannten Voraussetzungen nicht auszugehen sein.
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(3) Aufgrund der genannten Berichte der Zeugen neigt der Senat weiterhin dazu, dass der Antragsteller nicht im Sinn der vorgenannten Rechtsprechung in der Lage war, eine längere Fahrstrecke „ohne größere Auffälligkeiten“ zurückzulegen. Dass der Antragsteller zuvor eine längere Strecke „unfallfrei“ zurücklegen konnte (s. dazu Eignungsrichtlinien i.d.F.v. 30.10.1989 [Vkbl S. 786], Fn. 7 zum Mängelkatalog; BayVGH, B.v. 3.6.2022 – 11 CE 22.262 – juris Rn. 20), ist hier nicht dokumentiert, dürfte angesichts der beobachteten Auffälligkeiten aber auch nicht ins Gewicht fallen.
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(4) Als Zusatztatsache in Betracht kommt jedoch die hohe Alkoholkonzentration bereits zur Mittagszeit. Diese ist den Angaben des Antragstellers nach auf Restalkohol zurückzuführen, was Anhalt für eine vorausgegangene außergewöhnliche Alkoholisierung und ausgeprägte Giftfestigkeit bzw. auf ein sozial unübliches Trinkverhalten wäre (vgl. dazu Schubert/Huetten/Reimann/Graw, a.a.O. S. 257; OVG MV, B.v. 19.3.2019 – 3 M 291/18 – NordÖR 2019, 250 = juris Rn. 24). Der Senat weist allerdings darauf hin, dass die Einlassungen zu Trinkmenge und Trinkende angesichts der festgestellten Blutalkoholkonzentration wenig schlüssig erscheinen (vgl. nur Schubert/Huetten/Reimann/Graw, a.a.O. S. 249, wonach ein Mann mit einem Körpergewicht von 80 kg etwa 2,5 bis 3 l Bier trinken muss, um 1,1 Promille zu erreichen). Sollte sich im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass die Alkoholisierung des Antragstellers (auch) auf einen Konsum am Vormittag oder frühen Nachmittag des Tattags zurückzuführen wäre, läge darin jedoch gleichfalls eine Zusatztatsache (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.1987 – 7 C 87.84 – BVerwGE 77, 40 = juris Rn. 12; Schubert/Huetten/Reimann/Graw, a.a.O. S. 257).
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(5) In diesem Zusammenhang wäre gegebenenfalls auch der Frage nachzugehen, ob, wie das Verwaltungsgericht annimmt, eine Zusatztatsache darin liegt, dass der Antragsteller bei der Alkoholfahrt seinen minderjährigen Sohn als Beifahrer gefährdet hat. Der Senat hat allerdings Zweifel, inwieweit diesem Gesichtspunkt maßgebliches Gewicht beigemessen werden kann. Ein solches Verhalten mag auf ein allgemein gering ausgeprägtes Risikobewusstsein hinweisen, das zugleich Fragen hinsichtlich der Trennungsbereitschaft aufwirft (vgl. Schubert/Huetten/Reimann/Graw, a.a.O. S. 257). Es kann aber auch den Umständen des Einzelfalls oder einer alkoholbedingten Enthemmung geschuldet sein und besagt wenig dazu, ob der Betroffene bereit und im Stande ist, sich die Strafe und Fahrerlaubnisentziehung durch das Strafgericht zur Warnung dienen zu lassen.
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4. Demnach muss eine nähere Prüfung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben und war die Beschwerde mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.2, 46.3, 46.5 und 46.9 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Die begehrte Fahrerlaubnis der Klasse A mit den Schlüsselzahlen 79.03, 79.04 sowie der Klasse CE mit der Schlüsselzahl 79 (C1E > 12 000 kg, L ≤ 3) wirkt sich nicht streitwerterhöhend aus (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2014 – 11 CS 13.2342 – BayVBl 2014, 373 = juris Rn. 22 ff.).
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5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).