Inhalt

VGH München, Beschluss v. 14.03.2023 – 22 NE 23.257
Titel:

Öffnungen von Verkaufsstellen an vier Sonntagen

Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1, Abs. 6
LadSchlG § 14 Abs. 1
Leitsatz:
Die Ausstrahlungs- und damit Prägungswirkung einer Veranstaltung kann aufgrund einer Lücke in der Bebauung durch Grün- und insbesondere landwirtschaftliche Flächen enden, die eine deutliche Zäsur bilden. Eine direkte Fußwegverbindung, betrifft allein den Gesichtspunkt der Erreichbarkeit der Verkaufsstätten und damit den Ziel- und Quellverkehr, kann eine Ausstrahlungswirkung nicht begründen. (Rn. 61) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
auf § 14 Abs. 1 LadSchlG gestützte Verordnungen über das Offenhalten von Verkaufsstellen an vier Sonntagen, erfolgreicher Antrag einer Gewerkschaft nach § 47 Abs. 6 VwGO, zumindest teilweise fehlende Prägung der für eine Öffnung zugelassenen Bereiche durch das Veranstaltungsgeschehen, Veranstaltungen, Verkaufsstellen, Öffnung, Sonntag, Verbot, Gewerkschaft, Sonn- und Feiertagsschutz, Prägungswirkung, Ausstrahlungswirkung, Trödelmarkt, Normenkontrolle, einstweilige Anordnung
Fundstellen:
BeckRS 2023, 4229
LSK 2023, 4229
GewA 2023, 346

Tenor

I. § 1 der Verordnung der Antragsgegnerin vom 30. November 2022 über die Öffnung von Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen anlässlich von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen im Stadtteil H* … für den Bereich Altstadt und der Industriestraße für das Jahr 2023 wird insoweit außer Vollzug gesetzt, als damit Öffnungen im Bereich Industriestraße gestattet werden.
II. § 1 der Verordnung der Antragsgegnerin vom 30. November 2022 über die Öffnung von Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen anlässlich von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen im H* … Gewerbegebiet an der A6 für das Jahr 2023 wird insoweit außer Vollzug gesetzt, als damit Öffnungen im Bereich des Grundstücks An der Autobahn 20, H* … (FlNr. …, Gem. H* …*) gestattet werden.
III. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
IV. Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO in Bezug auf zwei auf § 14 Abs. 1 LadSchlG beruhenden Rechtsverordnungen der Antragsgegnerin, mit denen die Öffnungen von Verkaufsstellen an vier Sonntagen im Jahr 2023 freigegeben wurden.
2
Die Antragstellerin ist eine bundesweit tätige Gewerkschaft mit rund 39.000 Mitgliedern im Bezirk Mittelfranken. Zu ihrem satzungsmäßigen Organisationsbereich gehört der Einzelhandel.
3
Am 30. November 2022 erließ die Antragsgegnerin, eine Stadt in Mittelfranken, aufgrund von § 14 Abs. 1 Satz 2 LadSchlG zwei Verordnungen, mit denen die Öffnung von Verkaufsstellen i.S.d. § 1 Abs. 1 LadSchlG an vier Sonntagen im Jahr 2023 freigegeben wurde („Verordnung über die Öffnung von Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen anlässlich von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen in dem Stadtteil H* … für den Bereich Altstadt und der Industriestraße für das Jahr 2023“ [im Folgenden: „Verordnung Altstadt und Industriestraße“]; „Verordnung über die Öffnung von Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen anlässlich von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen im Herrieder Gewerbegebiet an der A6 für das Jahr 2023“ [im Folgenden: „Verordnung Gewerbegebiet an der A6“]).
4
Nach § 1 der „Verordnung Altstadt und Industriestraße“ dürfen abweichend von § 3 Satz 1 Nr. 1 LadSchlG Verkaufsstellen im Sinne des § 1 Abs. 1 LadSchlG in dem Stadtteil H* … für den Bereich Altstadt und Industriestraße aus Anlass
5
1. des Frühjahrsmarktes am 19.03.2023 von 12.00 Uhr bis 17.00 Uhr
6
2. des Altstadtfestes am 16.07.2023 von 12.00 Uhr bis 17.00 Uhr
7
3. des Jahrmarktes-Kirchweih am 17.09.2023 von 12.00 Uhr bis 17.00 Uhr
8
4. des Kathreinmarktes am 26.11.2023 von 12.00 Uhr bis 17.00 Uhr
9
für den geschäftlichen Verkehr mit Kunden geöffnet sein.
10
Nach § 1 der „Verordnung Gewerbegebiet an der A6“ dürfen abweichend von § 3 Satz 1 Nr. 1 LadSchlG Verkaufsstellen im Sinne des § 1 Abs. 1 LadSchlG in dem Herrieder Gewerbegebiet aus Anlass
11
1. des Jahrmarktes am 19.03.2023 von 12.00 Uhr bis 17.00 Uhr
12
2. des Jahrmarktes am 16.07.2023 von 12.00 Uhr bis 17.00 Uhr
13
3. des Jahrmarktes am 17.09.2023 von 12.00 Uhr bis 17.00 Uhr
14
4. des Jahrmarktes am 26.11.2023 von 12.00 Uhr bis 17.00 Uhr
15
für den geschäftlichen Verkehr mit Kunden geöffnet sein.
16
Offenhalten dürfen nur Verkaufsstellen, die sich in den Lageplänen, welche zum Bestandteil der jeweiligen Verordnung erklärt wurden, in den rot umrandeten Bereichen befinden.
17
Beide Verordnungen wurden im Amtsblatt der Antragsgegnerin Nr. 25 vom 15. Dezember 2022 bekannt gemacht; sie traten jeweils gemäß ihrem § 3 Abs. 1 am folgenden Tag in Kraft.
18
Die Antragstellerin stellte mit Schriftsatz vom 7. Februar 2023, eingegangen beim Verwaltungsgerichtshof am gleichen Tag, zunächst hinsichtlich der „Verordnung Altstadt und Industriestraße“ einen Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO.
19
Zu dessen Begründung trägt die Antragstellerin im Wesentlichen vor: Sie sei antragsbefugt, da sie mit der Unterschreitung des Schutzniveaus bezüglich der Sonn- und Feiertage in ihren Rechten aus Art. 9 Abs. 1 und 3 GG, konkretisiert durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV, verletzt sei. Sie sei zur Wahrung ihrer Rechte auf die Entscheidung im Eilverfahren angewiesen, weil davon auszugehen sei, dass eine rechtskräftige Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht vor den betreffenden Sonntagen ergehen werde.
20
Zweifel an der Rechtmäßigkeit der „Verordnung Altstadt und Industriestraße“ ergäben sich bereits daraus, dass die Antragsgegnerin für die gleichen Sonntage jeweils Öffnungen in verschiedenen Bereichen des Gemeindesgebiets aufgrund unterschiedlicher Anlassveranstaltungen gestattet habe. Die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Verordnung folge jedenfalls daraus, dass die Voraussetzungen für Sonntagsöffnungen nach § 14 Abs. 1 LadSchlG in dem zugelassenen Umfang nicht gegeben seien. Auch habe die Antragsgegnerin das ihr gemäß § 14 Abs. 1 LadSchlG eingeräumte Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Zwar kämen die vier in der Verordnung genannten Veranstaltungen als Anlässe für Sonntagsöffnungen im Sinne des § 14 Abs. 1 LadSchlG grundsätzlich in Betracht. Allerdings komme den jeweiligen Anlässen nicht in allen von der Verordnung räumlich umfassten Bereichen die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderliche prägende Wirkung zu. Eine prägende Wirkung könne nur dann angenommen werden, wenn ein enger räumlicher Bezug zwischen der Anlassveranstaltung und den geöffneten Geschäften bestehe. Dies sei hier der in sich geschlossene Bereich der Innenstadt der Antragsgegnerin. Im Bereich des Gewerbegebietes um die Industriestraße hingegen fehle es an einer hinreichenden Ausstrahlungswirkung der Anlassveranstaltungen. Besonders deutlich trete der fehlende räumliche Zusammenhang bei der Kirchweih zutage, die ausschließlich auf dem Festplatz südwestlich der Innenstadt durchgeführt werde.
21
Soweit die Antragsgegnerin argumentieren wollte, die Öffnung des Gewerbegebiets um die Industriestraße sei gerechtfertigt, da sich dort Parkplätze befänden, die von den Besuchern der Veranstaltungen genutzt werden, rechtfertigte dies eine Öffnung ebenfalls nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könne der Ziel- und Quellverkehr der genutzten Wege und Parkflächen eine prägende Wirkung der Veranstaltung nicht rechtfertigen.
22
Eine prägende Wirkung setze nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zudem voraus, dass die Veranstaltung ohne die Sonntagsöffnung in den von der Öffnung erfassten Bereichen mehr Besucher anziehe als die alleinige Sonntagsöffnung. Es könne aber nicht angenommen werden, dass allein wegen der Veranstaltungen in der Innenstadt mehr Besucher in das Gewerbegebiet an der Industriestraße kämen als Einkaufsinteressenten. Ferner sprächen auch die Flächenverhältnisse gegen eine prägende Wirkung. Aufgrund der Einbeziehung des Gewerbegebiets an der Industriestraße erhöhe sich die von der Verordnung erfasste Verkaufsfläche um ein Vielfaches. Schließlich müssten sich anlassbezogene Sonntagsöffnungen stets als Annex zur anlassgebenden Veranstaltung darstellen. Sie dürfen nur zugelassen werden, wenn die dem zuständigen Organ bei der Entscheidung über die Sonntagsöffnung vorliegenden Informationen und die ihm sonst bekannten Umstände die schlüssige und nachvollziehbare Prognose erlaubten, die Zahl der von der Veranstaltung selbst angezogenen Besucher werde größer sein als die Zahl derjenigen, die allein wegen einer Ladenöffnung am selben Tag – ohne die Veranstaltung – kämen. Dass die Antragstellerin eine solche Prognose vorgenommen habe, sei nicht erkennbar.
23
Selbst wenn die Erfolgsaussichten vorliegend nicht eindeutig sein sollten, sei der Antrag aufgrund der Interessenabwägung begründet. Hierbei sei zu beachten, dass die anlassgebenden Veranstaltungen, die im Verhältnis zu den Sonntagsöffnungen die Hauptanziehungspunkte darstellen müssten, auch dann ohne Einschränkungen stattfinden könnten, wenn dem Eilantrag stattgegeben würde. Mit der Möglichkeit der Sonntagsöffnung würde lediglich ein nachgeordneter Annex zu den Veranstaltungen entfallen. Darüber hinaus überlagere das verfassungsrechtliche Interesse am Sonntagsschutz das Interesse an zusätzlichen Öffnungen.
24
Mit Schriftsatz vom 2. März 2023, eingegangen beim Verwaltungsgerichtshof am gleichen Tag, stellte die Antragstellerin auch in Bezug auf die „Verordnung Gewerbegebiet an der A6“ einen Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO.
25
Zu dessen Begründung führt die Antragstellerin im Wesentlichen aus: Bei den in der Satzung genannten „Jahrmärkten“ handele es sich nach Sitzungsunterlagen der Antragsgegnerin um Trödelmärkte im Bereich des Autohofs an der BAB6. Hierbei handele es sich um bloße Alibiveranstaltungen, die die Sonntagsöffnung nicht rechtfertigen könnten. Die Trödelmärkte fänden ausschließlich im Zusammenhang mit Sonntagsöffnungen statt und zudem immer dann, wenn in der Innenstadt eine Sonntagsöffnung aufgrund einer dortigen Veranstaltung gestattet werde. Dies vermittele den Eindruck, dass die Trödelmärkte im Wesentlichen organisiert und durchgeführt würden, um die Sonntagsöffnungen auch auf das fragliche Gewerbegebiet auszudehnen. Jedenfalls fehle es an der erforderlichen prägenden Wirkung in allen von der Öffnung erfassten Bereichen. Es könne ausgeschlossen werden, dass sich die Trödelmärkte im Autohof ohne die zusätzliche Sonntagsöffnung in einer Art auf das „Outlet Center Lindt“ auswirkten, dass dort von einer prägenden Wirkung gesprochen werden könne. Zudem könne ausgeschlossen werden, dass ohne die Sonntagsöffnung überhaupt Besucher wegen der Trödelmärkte in den Bereich des „Outlet Center Lindt“ kämen. Ferner würden die Verkaufsflächen des Outlet Center die Flächen des Trödelmarktes jeweils um ein Mehrfaches übersteigen. Zudem sei nicht nachvollziehbar, worauf sich die Zahl der von der Antragsgegnerin erwarteten Einkaufsinteressenten stütze, wie diese ermittelt worden sei und welchen Bereich diese betreffe. Auch insoweit müsse eine Interessenabwägung zu einem Überwiegen des Schutzes der Sonntagsruhe führen.
26
Die Antragstellerin beantragt,
27
1. § 1 der Verordnung der Antragsgegnerin über die Öffnung von Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen anlässlich von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen in dem Stadtteil H* … für den Bereich Altstadt und der Industriestraße vom 30. November 2022 bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren insoweit außer Vollzug zu setzen, als damit Öffnungen im Bereich Industriestraße gestattet werden.
28
2. § 1 der Verordnung der Antragsgegnerin über die Öffnung von Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen anlässlich von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen im Herrieder Gewerbegebiet an der A6 für das Jahr 2023 vom 30. November 2022 bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren insoweit außer Vollzug zu setzen, als damit auch Öffnungen im Bereich des Fashion Outlets Lindt gestattet werden.
29
Die Antragsgegnerin beantragt,
30
den Antrag abzulehnen.
31
Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Die Anträge seien unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.
32
Im historischen Altstadtbereich des Stadtzentrums der Antragsgegnerin befänden sich einige kleinere Ladeneinheiten. In einer Entfernung von wenigen hundert Metern liege ein Gewerbegebiet mit überwiegend großflächigen Einzelhandelsmärkten, insbesondere einem Möbelhaus, sowie Lebensmittelmärkten. Dieser Bereich „Industriestraße“ sei von der Altstadt in wenigen Minuten fußläufig zu erreichen. Nördlich des Stadtgebiets, in einer Entfernung von ca. 3 km, unmittelbar an der BAB 6, liege ein Gewerbegebiet mit zwei Fashion Outlets. Die beiden Gebiete seien durch Verkehrswege, insbesondere einen geteerten Fußweg, miteinander verbunden. Die Entfernung zwischen den beiden Outlets betrage ca. 400 m. Innerhalb weniger Minuten könne somit das jeweils andere Outlet fußläufig erreicht werden.
33
Im Kernort der Antragsgegnerin fänden zum Frühlingsbeginn und im November traditionelle Marktveranstaltungen statt. Im historisch geprägten Innenstadtbereich, insbesondere auf dem Marktplatz und in der Vorderen Gasse, würden zu diesen Anlässen Essensstände und Verkaufsbuden von überwiegend regionalen Anbietern aufgestellt. Das ebenfalls traditionelle Altstadtfest, bei dem Ess- und Getränkestände dominierten, werde maßgeblich von den örtlichen Vereinen ausgerichtet. Die Kirchweih finde im September auf dem Festplatz südlich der Altmühlbrücke statt. Parallel hierzu finde am Kirchweihsonntag ein Markt im Altstadtbereich mit Verkaufsständen von überwiegend regionalen Anbietern statt.
34
Auf dem Gelände des Autohofes an der BAB 6 fänden einmal pro Monat (Ausnahme Dezember) Jahrmarktveranstaltungen eines gewerblichen Anbieters statt. Die Anzahl der aufgebauten Stände liege bei 15 bis 30.
35
Im Jahr 2018 habe die Antragsgegnerin während des Kathreinmarktes im Altstadtbereich sowie während des zeitgleich stattfindenden Jahrmarkts im Bereich des Gewerbegebiets an der BAB 6 Erhebungen der Besucherströme durchgeführt. Pandemiebedingt lägen aktuellere Erhebungen nicht vor. Ca. 3.500 Besucher hätten die Altstadt aufgrund des Marktes besucht, ca. 1.000 Besucher hätten auch die am Sonntag geöffneten Ladengeschäfte aufgesucht. Aufgrund der Vergleichbarkeit der Veranstaltungen Kathreinmarkt und Frühjahrsmarkt seien die Zählungen für beide Veranstaltungen entsprechend repräsentativ. Beim jährlichen Altstadtfest sowie beim Kirchweihmarkt sei eine deutlich höhere Anzahl von Besuchern allein aufgrund der Veranstaltungen festzustellen. Den Jahrmarkt auf dem Gelände des Autohofes haben am 25.11.2018 zwischen 1.500 und 2.500 Gäste besucht, ca. 500 Gäste das Piazza Outlet.
36
Der Antrag sei unzulässig. Die Antragstellerin sei nicht antragsbefugt. Eine konkrete Betroffenheit einzelner Mitglieder der Antragstellerin sei nicht erkennbar; es gebe auch keinen Ortsverband für das Gebiet der Antragsgegnerin. Auch fehle der Antragstellerin das Rechtsschutzbedürfnis, da sie sich durch Einlegung der Anträge treuwidrig verhalten habe. Zwischen den Parteien seien mehrfach Gespräche im Hinblick auf die gegenständlichen Sonntagsöffnungen geführt worden. Zur Beilegung der Unstimmigkeiten sei vereinbart worden, im Jahr 2023 eine umfassende Gästebefragung sowie Zählungen der Besucherströme nach gemeinsam abgestimmten Parametern durchzuführen, die sodann den Entscheidungen über weitere Sonntagsöffnungen zugrunde gelegt werden sollten. Einen Beschluss, im Jahr 2023 erneut Erhebungen der Besucherströme durchzuführen, habe die Antragsgegnerin zeitgleich zu den angegriffenen Verordnungen gefasst. Diese Erhebungen seien nicht mehr möglich, wenn dem Antrag stattgegeben würde. Soweit Rechte der Antragstellerin durch Sonntagsöffnungen betroffen sein sollten, habe die Antragsgegnerin zugesagt, diese zu berücksichtigen.
37
Der Antrag sei jedenfalls unbegründet, weil die angegriffenen Verordnungen rechtmäßig seien. Die rechtlichen Voraussetzungen für die Öffnung von Verkaufsstellen an den in den Verordnungen festgesetzten Terminen in den beiden von der Antragsgegnerin abgegrenzten Bereichen lägen vor.
38
Anlässe für die Freigabe der vier verkaufsoffenen Sonntage im Bereich Altstadt und Industriestraße seien drei traditionelle Märkte sowie das Altstadtfest. In der Altstadt befänden sich mehr Verkaufsstände sowie geöffnete Geschäfte als teilnehmende Verkaufsstellen im Bereich Industrie straße. Dies bestätige die prägende Wirkung der Veranstaltungen. Entsprechendes gelte für die Jahrmärkte im Bereich der Outlet Center. Die Häufigkeit der Durchführung der Jahrmärkte bestätige, dass diese auch dann zu einem erheblichen Zustrom von Besuchern führten, wenn die vorhandenen Ladengeschäfte nicht geöffnet seien.
39
Die prägende Wirkung der Veranstaltungen werde auch nicht durch einen fehlenden räumlichen Bezug unterbrochen. Die Veranstaltungen im Innenstadtbereich wirkten sich prägend auch auf das Gewerbegebiet in der Industriestraße aus. Dieses Gewerbegebiet schließe nahezu unmittelbar an den Altstadtring an, seine Ladengeschäfte seien innerhalb weniger Minuten fußläufig erreichbar. Auch für die Öffnung der Outlet Center an der BAB 6 sei ein räumlicher Zusammenhang mit den anlassgebenden vier Jahrmärkten gegeben. Die Verkaufsstellen des Centro Outlet befänden sich unmittelbar auf dem Gelände des Autohofs, auf dem die Jahrmärkte stattfinden. Das Piazza Outlet sei über einen direkten Fußweg in wenigen Minuten fußläufig zu erreichen.
40
Auch lägen verlässliche Prognosen vor, die deutlich überwiegende Besucherzahlen der Veranstaltungen gegenüber denjenigen bei einer reinen Ladenöffnung belegten. Damit seien die Ladenöffnungen lediglich als Annex anzusehen.
41
Die Antragsgegnerin habe auch das ihr obliegende Ermessen im Hinblick auf die Zulassung von Sonntagsöffnung von Ladengeschäften ordnungsgemäß ausgeübt.
42
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten, insbesondere auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, Bezug genommen.
II.
43
Der Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO hat Erfolg. Die Antragstellerin hat die Außervollzugsetzung von § 1 der beiden streitgegenständlichen Verordnungen nicht insgesamt beantragt, sondern nur hinsichtlich der Bereiche, bezüglich derer die Antragstellerin die rechtlichen Anforderungen an eine Prägung durch die anlassgebenden Veranstaltungen nicht als gegeben erachtet. In diesem Umfang ist der Antrag in Bezug auf beide Verordnungen zulässig und begründet.
44
1. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist die Antragstellerin als Gewerkschaft antragsbefugt (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO [analog]; 1.1); ihr fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis (1.2).
45
1.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine Gewerkschaft nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt für einen Normenkontrollantrag gegen eine gemeindliche Rechtsverordnung, die im – hier bezüglich der Antragstellerin betroffenen – Tätigkeitsbereich der Gewerkschaft gestützt auf § 14 LadSchlG eine anlassbezogene Öffnung von Verkaufsstellen an einem Sonn- oder Feiertag zulässt. § 14 LadSchlG konkretisiert den objektivrechtlichen Schutzauftrag, der sich für den Gesetzgeber aus der Sonn- und Feiertagsgarantie der Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV ergibt. Er ist auf die Stärkung derjenigen Grundrechte angelegt, die in besonderem Maße auf Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung angewiesen sind. Dazu zählen auch die Vereinigungs- und die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 GG. Die Ausgestaltung des Sonntagsschutzes nach § 14 LadSchlG dient damit auch dem Schutz des Interesses von Vereinigungen und Gewerkschaften am Erhalt günstiger Rahmenbedingungen für gemeinschaftliches Tun und ist in diesem Sinne drittschützend. Die Antragstellerin kann sich deshalb darauf berufen, die Voraussetzungen des § 14 LadSchlG hätten nicht vorgelegen und die Rechtsverordnungen verstießen dadurch gegen eine auch sie schützende Rechtsnorm (vgl. BVerwG, U.v. 17.5.2017 – 8 CN 1.16 – BVerwGE 159, 27 – juris Rn. 10; U.v. 11.11.2015 – 8 CN 2.14 – BVerwGE 153,183 – LS 1 und juris Rn. 15 ff.). Nicht erforderlich ist hingegen ein Nachweis, dass die Antragstellerin gerade über Mitglieder im Gebiet der Antragsgegnerin verfügt. Ein solches Erfordernis lässt sich der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht entnehmen, zumal das Bundesverwaltungsgericht eine Betroffenheit der Gewerkschaft in ihrem Tätigkeitsbereich auch im Bereich der Mitgliederwerbung angenommen hat, also bezogen auf solche im Dienstleistungsbereich tätigen und in den von der Sonntagsöffnung erfassten Verkaufsstellen beschäftigten Arbeitnehmer, die an der gewerkschaftlichen Tätigkeit der Antragstellerin interessiert sind (BVerwG, U.v. 11.11.2015 – 8 CN 2.14 – BVerwGE 153,183 – juris Rn. 17). Auch deshalb, weil für die erforderliche mehr als nur geringfügige Beeinträchtigung der Interessen der Antragstellerin auf die Gesamtbelastung abzustellen ist, die sich für ihre landesweite Betätigung durch den Erlass einzelner gemeindlicher Verordnungen auf der Grundlage des § 14 LadSchlG ergeben kann (BVerwG, a.a.O., juris Rn. 18), hängt die Antragsbefugnis der Antragstellerin nicht davon ab, dass sie über Mitglieder gerade im Gebiet der Antragsgegnerin verfügt.
46
Unter Anwendung der vorstehenden Maßstäbe ist der Senat gerade auch hinsichtlich der Antragstellerin bereits mehrfach bei Normenkontrollanträgen bzw. Anträgen nach § 47 Abs. 6 VwGO, die gegen kommunale Verordnungen zur Sonntagsöffnungen gerichtet waren, von einer Antragsbefugnis ausgegangen (BayVGH, U.v. 9.8.2018 – 22 N 18.243 – juris Rn. 33; B.v. 21.3.2018 – 22 NE 18.204 – juris Rn. 16 ff.; U.v. 18.5.2016 – 22 N 15.1526 – juris Rn. 31).
47
1.2 Der Antragstellerin fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis bzw. die Antragstellung nach § 47 Abs. 6 VwGO verstößt nicht gegen Treu und Glauben.
48
Der Sache nach macht die Antragsgegnerin geltend, die Antragstellerin habe sich mit den Sonntagsöffnungen, wie sie in den angegriffenen Verordnungen in zeitlicher und räumlicher Hinsicht zugelassen sind, einverstanden erklärt; es sei vereinbart worden, diese Öffnungen für eine weitere Sachaufklärung zu nutzen. Dass die Antragsgegnerin nun gleichwohl gegen die entsprechenden Verordnungen gerichtlich vorgehe, sei rechtsmissbräuchlich.
49
Für eine solche Vereinbarung mit der Antragstellerin hat die Antragsgegnerin jedoch keine schlüssigen Unterlagen vorgelegt. In dem auch im Namen der Antragstellerin ergangenen Schreiben an die Antragsgegnerin vom 16. November 2022 (Anlage AG7) wird die Offenhaltung von Verkaufsstellen an Sonntagen vielmehr abgelehnt und werden insbesondere die vorliegend angegriffenen Öffnungen im Bereich Industriestraße sowie in Bereich des Gewerbegebiets an der BAB 6 für nicht mit den rechtlichen Vorgaben vereinbar gehalten. Dass im Nachgang eine die Einwände der Antragstellerin ausräumende Vereinbarung geschlossen worden ist, lässt sich den von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen über die Stadtratssitzung vom 30. November 2022 (Anlagen AG5 und AG6) nicht entnehmen. Dort wird das vorgenannte Schreiben erwähnt, ohne dass hierauf eingegangen oder sogar festgehalten wird, dass die schriftlich vorgebrachten Einwände nunmehr ausgeräumt seien. Auch sonst fehlen nähere Angaben der Antragsgegnerin dazu, wann Gespräche mit welchen Vertretern der Antragstellerin stattgefunden haben sollen und wann, ggfs. auch mündlich, mit diesen die Vereinbarung mit dem von der Antragsgegnerin vorgebrachten Inhalt getroffen worden sein soll. Im Übrigen betrifft die von der Antragsgegnerin vorgetragene Einigung betreffend eine Erhebung der Besucherzahlen und -ströme lediglich eine der rechtlichen Anforderungen an die Zulässigkeit von Sonntagsöffnungen; bei der vorliegend inmitten stehenden Frage der räumlichen Ausdehnung der Sonntagsöffnung auf die Bereiche „Industriegebiet“ sowie auf eines der Outlet-Center an der BAB 6 handelt es sich um einen anderen bzw. weiteren Gesichtspunkt (vgl. Differenzierung bei BVerwG, U.v. 22.6.2020 – 8 CN 1.19 – BVerwGE 168, 338 – LS 3 und LS 4; U.v. 12.12.2018 – 8 CN 1.17 – BVerwGE 164, 64 – juris Rn. 20 und Rn. 21).
50
2. Der Antrag ist auch begründet.
51
Die Antragstellerin kann in dem von ihr beantragten Umfang verlangen, dass die verfahrensgegenständlichen Verordnungen, die ein Offenhalten von Verkaufsstellen an vier Sonntagen im Jahr 2023 gestatten, außer Vollzug gesetzt werden, da dies im Sinn von § 47 Abs. 6 VwGO „aus anderen wichtigen Gründen“ dringend geboten ist.
52
Auch unter Berücksichtigung des strengen Maßstabs, der bei Entscheidungen nach § 47 Abs. 6 VwGO anzuwenden ist, ist die Außervollzugsetzung einer Verordnung dann grundsätzlich dringend geboten, wenn die betreffende Regelung offensichtlich keinen Bestand haben kann und sich diese Beurteilung auf eine nicht zweifelhafte und nicht weiter aufklärungsbedürftige Tatsachengrundlage bezieht sowie auf eine eindeutige verfassungsgerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung stützen kann (BayVGH, B.v. 21.3.2018 – 22 NE 18.204 – juris Rn. 20; B.v. 24.5.2017 – 22 NE 17.526 – juris Rn. 14, jeweils m.w.N.; dazu 2.1 und 2.2). Des Weiteren ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (dazu 2.3). Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe war die einstweilige Anordnung zu erlassen.
53
2.1 Hinsichtlich der „Verordnung Altstadt und Industriestraße“ gilt folgendes:
54
Die Antragstellerin macht zu Recht geltend, dass diese Verordnung (jedenfalls) insoweit, als sie eine Öffnung von Verkaufsstellen an vier Sonntagen auch im Bereich Industriestraße zulässt (d.h. in dem im entsprechenden Lageplan rot umrandeten Bereich nordöstlich der Altstadt), gegen die rechtlichen Vorgaben für eine solche Öffnung verstößt.
55
2.1.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts müssen anlassbezogene Sonntagsöffnungen in der Regel auf das räumliche Umfeld der Anlassveranstaltung beschränkt werden. Dieses Umfeld wird durch die Ausstrahlungswirkung der Veranstaltung bestimmt und entspricht dem Gebiet, das durch das Veranstaltungsgeschehen selbst – und nicht allein durch den Ziel- und Quellverkehr oder Werbemaßnahmen für die Veranstaltung – geprägt wird (BVerwG, U.v. 22.6.2020 – 8 CN 1.19 – BVerwGE 168, 338 – LS 4 und juris Rn. 24 f.; U.v. 16.3.2022 – 8 C 6.21 – juris Rn. 12; vgl. bereits U.v. 12.12.2018 – 8 CN 1.17 – BVerwGE 164, 64 – juris Rn. 20; U.v. 11.11.2015 – 8 CN 2.14 – BVerwGE 153, 183 – juris Rn. 25). Die Darlegungs- und Beweislast für die Sonntagsöffnungen trägt nach dem verfassungsrechtlichen Regel-Ausnahme-Verhältnis die Antragsgegnerin, weil sie eine Durchbrechung des Sonntagsschutzes zugelassen hat (vgl. BVerwG, U.v. 22.6.2020 – 8 CN 1.19 – juris Rn. 23).
56
2.1.2 Vorliegend ist nicht ersichtlich, inwieweit das Gebiet an der Industriestraße durch das Geschehen der vier in § 1 der „Verordnung Altstadt und Industrie“ genannten Veranstaltungen in dem vorstehend genannten Sinne geprägt wird. Alle vier Veranstaltungen finden im Bereich der Altstadt der Antragsgegnerin (Frühjahrsmarkt am 19.3.2023; Altstadtfest am 16.7.2023; Kirchweihmarkt am 17.9.2022; Kathreinmarkt am 26.11.2023) bzw. unmittelbar südlich davon (Kirchweih im September 2023, Festplatz südlich der Altmühlbrücke) statt. Im Bereich Industriestraße, der ebenfalls für eine Öffnung von Verkaufsstätten freigegeben ist, ist also keine dieser Veranstaltungen angesiedelt. Dass dieser Bereich gleichwohl von den im Bereich Altstadt – oder unmittelbar an diese (jedoch an einer vom Bereich Industriestraße abgewandten Seite) angrenzend – stattfindenden Veranstaltungen geprägt ist, ist nicht anzunehmen. In einem annähernd die Fläche des Bereichs Industriestraße umfassenden Bereich zwischen den Bereichen Altstadt und Industriestraße ist die Zulässigkeit von Sonntagsöffnungen nicht gestattet; insofern geht also die Antragsgegnerin wohl selbst davon aus, dass bereits dieser Bereich nicht mehr von den anlassgebenden Veranstaltungen geprägt werde. Es erschließt sich aber nicht, weshalb der sich in einer „Insellage“ befindende Bereich Industriestraße von den anlassgebenden Veranstaltungen geprägt werden sollte, wenn ein Bereich, der näher an den Veranstaltungen gelegen ist, aus Sicht der Antragsgegnerin keine solche Prägung aufweist. Dass die Ausklammerung des zwischen Altstadt und Industriestraße gelegenen Bereichs darauf beruht, dass dort keine Verkaufsstellen gelegen wären, deren Öffnung zugelassen werden könnte, ist nicht erkennbar. Daher kann offenbleiben, ob die Ausstrahlungswirkung der in § 1 der Verordnung genannten Veranstaltungen überhaupt über die Altstadt hinausreicht oder ob sie selbst diese vollständig umfasst.
57
2.1.3 Für eine Ausnahme vom Regelerfordernis der räumlichen Begrenzung auf das Umfeld der Veranstaltung ist hier nichts ersichtlich. Es ist auch nicht ansatzweise erkennbar, dass die in der Verordnung „Altstadt und Industriestraße“ genannten Veranstaltungen mit den Veranstaltungen vergleichbar sind, für die das Bundesverwaltungsgericht eine solche Ausnahme in Betracht gezogen hat (mehrtägige Großveranstaltungen von nationalem oder internationalem Rang, wenn deren Besucher im gesamten Gebiet der Kommune untergebracht und versorgt werden, vgl. BVerwG, U.v. 16.3.2022 – 8 C 6.21 – LS 2 und juris Rn. 12; U.v. 22.6.2020 – 8 CN 1.19 – BVerwGE 168, 338 – juris Rn.26).
58
2.2 Hinsichtlich der Verordnung „Gewerbegebiet an der A6“ gilt folgendes:
59
2.2.1 Der Antrag der Antragstellerin ist unter Berücksichtigung der Erläuterungen in der Antragsbegründung vom 2. März 2023 und den ihr beigefügten Anlagen so auszulegen (§ 88 VwGO analog), dass er sich auf Öffnung der Verkaufsstellen bezieht und beschränkt, die sich auf dem Grundstück an der westlichen Grenze des räumlichen Geltungsbereichs dieser Verordnung befinden. Dieses Grundstück verfügt nach dem BayernAtlas über die Bezeichnung „An der Autobahn 20“ (FlNr. …, Gem. H* …*). Zur Bestimmung der räumlichen Reichweite der einstweiligen Anordnung waren diese Angaben – an Stelle der von der Antragstellerin gewählten Formulierung „Fashion Outlet Lindt“ (Bezeichnung der Antragsgegnerin: „Piazza Outlet“) – in den Beschlusstenor aufzunehmen; in der Sache besteht kein Unterschied.
60
2.2.2 Dahin stehen kann, ob die in § 1 der „Verordnung Gewerbegebiet an der A6“ genannten „Jahrmärkte“ eine i.S.d. § 14 Abs. 1 LadSchlG überhaupt anlassgebende Veranstaltungen für die Sonntagsöffnungen sein können oder ob die diese Märkte als reine Alibiveranstaltungen einzustufen sind, so dass ein evidenter Missbrauch der Befugnisnorm vorliegt (vgl. BVerwG, U.v. 22.6.2020 – 8 CN 1.19 – BVerwGE 168, 338 – juris Rn. 26; BayVGH, U.v. 6.8.2020 – 22 BV 19.530 – juris Rn. 40). Für einen solchen Missbrauch könnte vorliegend zunächst sprechen, dass nach dem von der Antragstellerin vorgelegten Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Stadtrats der Antragsgegnerin vom 30. November 2022 (Anlage A13) die Öffnung von Verkaufsstellen an Sonntagen angesichts aktueller Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in zwei unterschiedlichen Verordnungen festgesetzt werden sollte. Damit liegt nahe, dass die von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an Sonntagsöffnungen dadurch umgangen werden sollten, dass für das Gewerbegebiet an der BAB6 eine eigene Verordnung erlassen und für dieses Gebiet nur „pro forma“ eine eigene anlassgebende Veranstaltung („Jahrmarkt“) angeführt wurde. Für eine solche bloße „pro forma“-Anführung der „Jahrmärkte“ spricht auch, dass – anders als für den Bereich Altstadt und Industriestraße – vier gleichlautende Bezeichnungen gewählt wurden, die hinsichtlich Datum und Öffnungszeiten mit den Veranstaltungen im Bereich der Altstadt der Antragsgegnerin identisch sind. Zudem hat nach der genannten Sitzungsniederschrift der sich wohl hinter dem Begriff „Jahrmarkt“ verbergende „Trödelmarkt“ am Autohof bereits – jedenfalls – 2018 vier Mal zeitgleich zu den in § 1 der „Verordnung Altstadt und Industriestraße“ genannten Veranstaltungen stattgefunden. Insofern liegt nahe, dass es sich bei diesen „Trödelmärkten“ zu den jeweiligen Zeitpunkten allenfalls um unselbstständige Annexe zu den Veranstaltungen im Altstadtbereich der Antragsgegnerin gehandelt hat und dass nunmehr bloß vorgeschoben werden soll, dass diese Trödelmärkte eigenständige für eine Sonntagsöffnung anlassgebende Veranstaltungen darstellen. Selbst wenn maßgeblich auf das Vorbringen der Antragsgegnerin abgestellt wird, wonach diese „Jahrmarktveranstaltungen“ regelmäßig (elf Mal pro Jahr) stattfinden würden, entsteht der Eindruck, dass diese ausschließlich für die Sonntage, in denen auch im Innenstadtbereich der Antragsgegnerin Veranstaltungen stattfinden, als anlassgebende Veranstaltungen vorgeschoben werden sollen. Dies wird insbesondere dadurch deutlich, dass von der Antragstellerin zwei Formulare des Veranstalters für einen Antrag nach § 69 GewO (Marktfestsetzung) vorgelegt wurden, in dem die elf Termine ohne sachlichen Grund derart aufgespalten wurden, dass ein Antrag die Termine mit Veranstaltungen in der Innenstadt umfasst (Anlage AG2), der weitere Antrag (AG3) die sonstigen Termine; im Übrigen sind die Angaben in den Formularen – insbesondere auch hinsichtlich des Datums der Antragstellung – identisch. Dass anlassgebend nicht die „Jahr-“ oder „Trödelmärkte“ sind, entspricht im Übrigen offenbar auch der Auffassung der von der Sonntagsöffnung Begünstigten, denn nach den von der Antragstellerin vorgelegten Inhalten der Internetseite des „A6 Fashion Place“ (Anlage A11) wird dort mit Veranstaltungen an verkaufsoffenen Sonntagen im Jahr 2023 geworben, die denjenigen in § 1 der „Verordnung Altstadt und Industrie straße“ entsprechen; von einem „Jahr-“ oder „Trödelmarkt“ ist hingegen nicht die Rede.
61
2.2.3 Jedenfalls aber ist nicht erkennbar, dass die Ausstrahlungs- und damit Prägungswirkung eines Trödelmarkts, der am Autohof an der BAB6 stattfindet, noch bis zu den Verkaufsstätten reicht, die sich auf dem genannten Grundstück (vgl. 2.2.1) an der westlichen Grenze des räumlichen Geltungsbereichs der Verordnung befinden. Diese Verkaufsstätten sind von dem Autohof, an dem die Trödelmärkte stattfinden sollen, bereits über 300 m, von der nächstgelegenen Bebauung in diesem Bereich immer noch ca. 250 m entfernt (Messungen nach BayernAtlas); die Antragsgegnerin spricht sogar von einer Entfernung von 400 m. Die beiden Bebauungskomplexe sind durch Grün- und insbesondere landwirtschaftliche Flächen voneinander getrennt, die eine Zäsur bilden. Diese Zäsur wird umso deutlicher, als die Größe der dazwischenliegenden Flächen etwa der des Autohofs, auf dem die Trödelmärkte stattfinden sollen, entspricht. Es ist nicht ersichtlich, wie bei gemäß den Angaben der Antragsgegnerin 15 bis 30 Verkaufsständen die Ausstrahlungswirkung des Marktes über diese Zäsur hinweg reichen könnte. Der von der Antragsgegnerin genannte Gesichtspunkt, es bestehe eine direkte Fußwegverbindung, betrifft allein den Gesichtspunkt der Erreichbarkeit der Verkaufsstätten. Er vermag eine Ausstrahlungswirkung gerade des Trödelmarktes nicht zu begründen; allein der Ziel- und Quellverkehr der Veranstaltung reicht für eine Prägung, wie ausgeführt, nicht aus. Da es auf die Prägung gerade durch die anlassgebende Veranstaltung ankommt, ist auch eine unternehmerisch-inhaltliche Verbindung der zur Öffnung zugelassenen Verkaufsstellen (hier also der Umstand, dass beide Bereiche nach außen unter „A6 Fashion Place“ auftreten) nicht maßgeblich, zumal es anderenfalls zur einer „Kettenprägung“ und damit einer nicht mehr begrenzbaren Ausweitung des für die Sonntagsöffnung vorgesehenen Bereichs kommen könnte.
62
Die von der Antragsgegnerin für das Jahr 2018 für die „Jahrmärkte“ und die Outlets an der BAB6 angegebenen Besucherzahlen vermögen an der vorstehenden Beurteilung nichts zu ändern, da es sich hierbei um ein anderes Kriterium handelt als das der räumlichen Begrenzung (vgl. 1.2).
63
2.2.4 Für eine Ausnahme vom Erfordernis einer räumlichen Begrenzung ist auch in Bezug auf die „Verordnung Gewerbegebiet an der A6“ nichts ersichtlich. Die Ausführungen unter 2.1.3 gelten entsprechend.
64
2.3 Auch die Interessenabwägung ergibt, dass das Außervollzugsetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt. Im Rahmen der Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO sind die Folgen abzuwägen, die einerseits eintreten würden, wenn eine solche gerichtliche Entscheidung unterbliebe und der Normenkontrollantrag Erfolg hätte, und die andererseits bei Erlass der einstweiligen Anordnung dann zu erwarten wären, wenn sich der Normenkontrollantrag als unbegründet erweisen sollte (vgl. BayVGH, B.v. 21.3.2018 – 22 NE 18.204 – juris Rn. 32 m.w.N.). Insoweit ist die offensichtliche Ungültigkeit der jeweils mit § 1 der Verordnungen zugelassenen Sonntagsöffnung mit erheblichem Gewicht zu berücksichtigen. Ferner ist zu beachten, dass die Außervollzugsetzung nur Teile der von der Antragsgegnerin für eine sonntägliche Öffnung zugelassenen Bereiche betrifft, nämlich solche, bei denen der räumliche Bezug zu den anlassgebenden Veranstaltungen ersichtlich nicht mehr gegeben ist; der Bereich der Altstadt der Antragsgegnerin und der im unmittelbaren Umfeld um den Autohof an der BAB6 gelegenen Verkaufsstätten werden von der vorliegenden einstweiligen Anordnung nicht berührt. Andererseits bestehen in den von der Außervollsetzung betroffenen Bereichen nach den von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen Einzelhandelsflächen von erheblichem Umfang. Würde keine einstweilige Anordnung erlassen, würde damit an den in den Verordnungen genannten Tagen die verfassungsrechtlich geschützte Zweckbestimmung des Sonntags als von Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV geschützter Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung (vgl. BVerwG, U.v. 16.3.2022 – 8 C 6.21 – juris Rn. 11) in erheblichem Umfang konkret beeinträchtigt, ohne dass dies durch § 14 LadSchlG gedeckt wäre.
65
2.4 Die einstweilige Anordnung ist auch insoweit i.S.d. § 47 Abs. 6 VwGO dringend geboten, als sie Märkte bzw. Veranstaltungen betrifft, die – gerechnet vom Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung – erst frühestens in einigen Monaten stattfinden sollen (16.7.2023; 17.9.2023, 26.11.2023). Anders als in einem anderen vom Senat entschiedenen Fall (BayVGH, B.v. 21.3.2018 – 22 NE 18.204 – juris Rn. 36) ist derzeit angesichts zahlreicher älterer zur Terminierung anstehenden Verfahren nicht anzunehmen, dass eine Hauptsacheentscheidung vor den jeweiligen Sonntagen ergehen könnte. Zudem bestehen die vorstehend angeführten Gründe für eine Rechtswidrigkeit der Verordnungen unabhängig von der jeweils anlassgebenden Veranstaltung. Es ist daher kein Grund dafür ersichtlich, weshalb eine Außervollzugsetzung erst jeweils relativ kurz vor der jeweiligen Veranstaltung erfolgen sollte.
66
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, Abs. 2 VwGO. Angesichts zweier angegriffener Verordnungen war der im Hauptsacheverfahren anzusetzende Streitwert von 5.000 € (vgl. BayVGH, B.v. 9.8.2018 – 22 N 18.243 – juris Rn. 71) zu verdoppeln. Eine Halbierung des Streitwerts nach Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 war nicht vorzunehmen, da mit der vorliegenden Entscheidung die Hauptsache vorweggenommen wird (vgl. a.a.O., Nr. 1.5 Satz 2).
67
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).