Inhalt

VGH München, Beschluss v. 01.03.2023 – 3 ZB 22.2390
Titel:

Verbeamtung zu Recht abgelehnt wegen Verschweigens von Straf- und Ermittlungsverfahren

Normenketten:
BayBG Art. 23 Abs. 1 S. 1
BZRG § 51, § 53
BeamtStG § 9
GG Art. 33 Abs. 2
Leitsatz:
Das Verwertungsverbot des § 51 BZRG und das Verschweigerecht des § 53 BZRG greifen bei eingestellten Verfahren nicht ein, sodass der Dienstherr einen Einstellungsbewerber zulässigerweise nach solchen Verfahren fragen kann und dieser wahrheitsgemäßg darauf zu antworten hat; bei wahrheitswidriger Beantwortung kann zu Recht eine für die Ernennung in das Beamtenverhätltnis erforderliche charakterliche Eignung verneint werden. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe, Altersgrenze, charakterliche Nichteignung, unrichtige Angaben auf Formblatt (eingestelltes) Ermittlungsverfahren, staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren, gerichtliches Strafverfahren, Verbeamtung auf Probe, arglistige Täuschung, eingestelltes Verfahren, Altergrenze
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 13.10.2022 – Au 2 K 21.643
Fundstelle:
BeckRS 2023, 4227

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 26.297,52 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Der Zulassungsantrag der Klägerin bleibt ohne Erfolg.
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Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht hinreichend nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt.
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1. Ernstliche Zweifel, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist hier nicht der Fall.
4
Das Verwaltungsgericht hat die Klage, mit der die Klägerin die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe, hilfsweise die Neubescheidung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts begehrt, zu Recht abgewiesen. Der Hauptantrag könne schon aufgrund der zugrundeliegenden Ermessensentscheidung über die Einstellung eines Bewerbers als Beamter auf Probe nicht zum Erfolg führen. Der Hilfsantrag sei nicht begründet, da die am 6. Oktober 1976 geborene Klägerin die Höchstaltersgrenze nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 BayBG (45. Lebensjahr) zwischenzeitlich überschritten habe. Ergänzend könne sich der Beklagte aber auch auf Zweifel an der fehlenden charakterlichen Eignung der Klägerin berufen (vgl. Bescheid v. 8.8.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides v. 22.5.2019), weil sie den Beklagten arglistig über Tatsachen getäuscht habe. Mit Formblatt der Regierung von Schwaben vom 10. April 2013 habe die Klägerin bestätigt, dass gegen sie kein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren oder gerichtliches Strafverfahren anhängig gewesen sei, obwohl gegen sie in der Vergangenheit zwei Ermittlungsverfahren geführt wurden (wegen Geldwäsche und wegen schweren Raubs).
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1.1 Zunächst geht die Klägerin fehl in der Annahme, es komme hinsichtlich der Höchstaltersgrenze auf den Zeitpunkt der Stellung ihres Antrags auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe (hier 3.8.2018) an. Denn maßgeblich für die Beurteilung eines auf Übernahme in das Beamtenverhältnis oder Neubescheidung des entsprechenden Antrags gerichteten Begehrens ist die Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der gerichtlichen Entscheidung (BVerwG, U.v. 11.10.2016 – 2 C 11.15 – juris Rn. 14; OVG NW, B.v. 31.1.2020 – 6 A 1829/16 – juris Rn. 44). Das Erreichen oder Überschreiten der Höchstaltersgrenze ist auf den maßgeblichen Berufungszeitpunkt bezogen festzustellen (Eck in BeckOK Beamtenrecht Bayern, Brinktrine/Voitl, Stand: 1.1.2023, Art. 23 BayBG Rn. 16).
6
Ob die Klägerin unter Berücksichtigung des Rechtsinstituts der Folgenbeseitigungslast so zu stellen wäre, als ob sie die Altersgrenze nicht überschritten hätte (vgl. KMS v. 7.7.2022, Anlage K 9) kann dahinstehen, da die Ablehnung ihrer Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe unter dem Gesichtspunkt der fehlenden charakterlichen Eignung (Art. 33 Abs. 2 GG, § 9 BeamtStG) rechtmäßig ist.
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1.2 Mit dem Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass die Regierung von Oberbayern ihre Entscheidung ermessensfehlerhaft zum einen darauf gestützt habe, dass die Klägerin nicht von sich aus auf die Umstände hingewiesen hat, die zur Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf durch die Regierung von Schwaben geführt haben („ein Hinweis hierauf hätte aber ein positiveres Charakterbild gezeichnet“; vgl. Bescheid v. 8.8.2018, S. 6), zum anderen den Gesichtspunkt ermessensfehlerhaft nicht berücksichtigt habe, dass die Klägerin im Oktober 2014 ihre zuständige Seminarrektorin und ihren damaligen Schulleiter auf die gegen sie geführten Ermittlungsverfahren und im Jahr 2012 das Kultusministerium sogar auf ihre zeitweise Untersuchungshaft hingewiesen habe (vgl. Schreiben v. 16.2.2012, Anlage K 4), legt sie keine Ermessensfehler dar.
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Für die charakterliche Eignung ist die prognostische Einschätzung entscheidend, inwieweit der Beamte der von ihm zu fordernden Loyalität, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Fähigkeit zur Zusammenarbeit und Dienstauffassung gerecht wird (vgl. BVerwG, B.v. 4.7.2022 – 2 B 5.22 – juris Rn. 9). Dies erfordert eine wertende Würdigung aller Aspekte des Verhaltens des Beamten, die einen Rückschluss auf die für die charakterliche Eignung relevanten persönlichen Merkmale zulassen (vgl. UA S. 8). Dass es in der Vergangenheit gegenüber dem Schulleiter, dem zuständigen Bildungsreferenten und der Seminarrektorin (notwendigerweise, da die schulische Tätigkeit während der Zeit der Untersuchungshaft bzw. gerichtlicher Zeugenaussage nicht ausgeübt werden konnte) zu einer Offenlegung der Umstände gekommen ist, wurde vom angegriffenen Bescheid (v. 8.8.2018, S. 6) berücksichtigt, jedoch zu Recht hinsichtlich der (wissentlich) falsch abgegebenen Erklärung gegenüber dem Beklagten für unbeachtlich befunden. Ohne Belang für die prognostische Einschätzung der charakterlichen Eignung war auch das Schreiben des damaligen Bevollmächtigten vom 16. Februar 2012, in dem er dem Kultusministerium mitteilte, dass die Klägerin nicht an der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Hauptschulen im Frühjahr 2012 teilnehmen könne, weil sie sich seit 13. Februar 2012 in Untersuchungshaft befinde. Auch dieses Schreiben ändert nichts an der falsch abgegebenen Erklärung. Da das Schreiben zudem in keinem zeitlichen oder inhaltlichen Zusammenhang zum Einstellungsverfahren stand, kann dem Beklagten auch nicht etwa die Kenntnis des bei der Einstellung verschwiegenen Ermittlungsverfahrens vorgeworfen werde. Durch dieses Schreiben erscheint das Verhalten der Klägerin schließlich nicht in einem milderen Licht, weil sie angesichts der bevorstehenden Staatsprüfung zur Offenbarung ihrer Verhinderungsgründe ohnehin gezwungen war.
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1.3 Das Verwaltungsgericht (UA Rn. 32) führte zu Recht aus, dass das Verwertungsverbot des § 51 des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz – BZRG) und das Verschweigerecht des § 53 BZRG bei eingestellten Verfahren nicht eingreifen, so dass der Dienstherr einen Einstellungsbewerber zulässigerweise nach solchen Verfahren fragen kann (HessVGH, B.v. 23.8.2021 – 1 B 924/21 – juris LS). Beide Regelungen setzten nach ihrem eindeutigen Wortlaut eine „Verurteilung“ voraus. Es verbiete sich eine erweiternde Auslegung dieser Vorschriften auf Fälle, in denen eine Verurteilung nicht erfolgt sei (VGH BW, B.v. 27.11.2008 – 4 S 2332/08 – juris Rn. 11). Auch eine Analogie der Vorschriften scheide mangels planwidriger Regelungslücke und vergleichbarer Interessenlage aus (HessVGH, B.v. 23.8.2021 – 1 B 924/21 – juris Rn. 48; VGH BW, B.v. 27.11.2008 – 4 S 2332/08 – juris Rn. 11).
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Indem der Zulassungsantrag ohne weitere Begründung unter Verweis auf das zum Teil wörtlich wiedergegebene Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG, U.v. 15.11.2012 – 6 AZR 339.11 – juris, Rn. 24 ff.) die gegenteilige Auffassung vertritt, erfüllt sie bereits nicht die Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Denn damit setzt sie sich nicht ansatzweise mit den Argumenten des Verwaltungsgerichts und der Bezug genommenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung auseinander. Der vom Verwaltungsgericht zitierte Hessische Verwaltungsgerichtshof hat sich in seiner Entscheidung vom 23. August 2021 (1 B 924/21 – juris Rn. 45 ff.) mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eingehend auseinandergesetzt und überzeugend dargelegt, aus welchen Gründen er dessen Sichtweise nicht teilt (vgl. dazu auch VG Berlin, B.v. 1.12. 2016 – 26 L 227.16 – juris Rn. 21). Die nach § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO geforderte Darlegung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung des Erstgerichts hätte es vor diesem Hintergrund erfordert, dass sich der Zulassungsantrag konkret fallbezogen und hinreichend substantiiert mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung und der zitierten verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung auseinandersetzt. Eine Durchdringung und Aufbereitung des Streitstoffs kann der Zulassungsbegründung mithin nicht entnommen werden.
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Aus der von der Klägerin zitierten Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 28.11.2018 – 6 C 18.2347 – juris Rn. 15) lässt sich darüber hinaus nicht der Schluss ziehen, § 53 BZRG sei nur solange nicht anwendbar, solange der Ausgang eines Straf- oder Ermittlungsverfahrens nicht feststehe. Der 6. Senat führt hierzu vielmehr aus, dass eingeschränkte Offenbarungspflichten, die § 53 BZRG vorsieht, nicht eingreifen, da die Ausnahmen von der Offenbarungspflicht nur für Verurteilte gelten. Eine analoge Anwendung von § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG wird lediglich – ohne dies zu entscheiden – für möglich erachtet, wenn es Taten betrifft, die ohne jeden Zweifel als geringfügig einzustufen sind.
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2. Die Berufung ist nicht im Hinblick auf die von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen.
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Die Klägerin hält folgende Rechtsfrage für allgemein klärungsbedürftig:
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Kann § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG – über seinen Wortlaut hinaus – auf bestimmte von der Rechtsprechung entwickelte Fallkonstellationen, insbesondere diejenigen Fallkonstellationen, in denen strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingestellt wurden, angewendet werden, sind also die Analogievoraussetzungen gegeben?
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Soweit die Fragestellung „auf bestimmte von der Rechtsprechung entwickelte Fallkonstellationen“ Bezug nimmt, bleibt bereits offen, welche Fallkonstellationen die Klägerin konkret meint, so dass dieser Teil der Fragestellung einer allgemeinen Beantwortung nicht zugänglich ist. Im Übrigen ist die Frage der analogen Anwendung des § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG nicht im Rahmen eines Berufungsverfahrens klärungsbedürftig, da sie anhand des Wortlauts, der gängigen Auslegungsmethoden und der vorliegenden Rechtsprechung (verneinend) beantwortet werden kann (vgl. HessVGH, B.v. 23.8.2021 – 1 B 924/21 – juris 45 ff.; VG Berlin, B.v. 1.12. 2016 – 26 L 227.16 – juris, Rn. 21).
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 i.V.m § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 und 3 GKG (wie Vorinstanz).
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Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).