Titel:
Rücknahme subsidiären Schutzes für einen afghanischen Staatsangehörigen wegen Handeltreibens mit Cannabis
Normenketten:
AsylG § 4 Abs. 2 Nr. 2, § 73 Abs. 5, § 77 Abs. 1
BtMG § 29a, § 30
Leitsätze:
1. Nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 AsylG ist ein Ausländer von der Zuerkennung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er eine schwere Straftat begangen hat. Zur Beurteilung der Frage, ob eine Straftat als schwere Straftat zu qualifizieren ist, kann in diesem Zusammenhang auf internationale Standards zurückgegriffen werden. Es muss sich um ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat handeln, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird. (Rn. 25 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Beurteilung, ob eine Straftat, derentwegen ein Drittstaatsangehöriger rechtskräftig verurteilt wurde, einen solchen Schweregrad aufweist, sind insbesondere die für diese Straftat angedrohte und die verhängte Strafe, die Art der Straftat, etwaige erschwerende oder mildernde Umstände, die Frage, ob diese Straftat vorsätzlich begangen wurde, Art und Ausmaß der durch diese Straftat verursachten Schäden sowie das Verfahren zur Ahndung der Straftat zu berücksichtigen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dabei ist zu beachten, dass es nicht zulässig ist, ausschließlich anhand des Strafmaßes, das für eine bestimmte Straftat vorgesehen ist, anzunehmen, dass die Person, die einen Antrag auf subsidiären Schutz gestellt hat, eine schwere Straftat iSd Bestimmung begangen hat, derentwegen sie von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen werden kann. Vielmehr hat das für die asylrechtliche Beurteilung zuständige Gericht die Schwere der fraglichen Straftat zu würdigen, wobei eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des Einzelfalls vorzunehmen ist. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Einzelfallprüfung muss unter Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände, die der entscheidenden Behörde bekannt sind, vorgenommen werden, um zu ermitteln, ob schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass die Handlungen des Betreffenden, der im Übrigen die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erfüllt, unter diesen Ausschlusstatbestand fallen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rücknahme des subsidiären Schutzes wegen Straftat, Ausschluss vom subsidiären Schutz wegen Handeltreibens mit Cannabis, Kapitalverbrechen, Schweregrad, Einzelfallprüfung, Betäubungsmittelhandel, Schutz von Minderjährigen, Konsumcannabisgesetz, afghanischer Staatsangehöriger
Fundstelle:
BeckRS 2023, 42235
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger ist nach seinen Angaben … geboren, afghanischer Staatsangehöriger, paschtunischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens. Er wendet sich mit seiner Klage gegen die Rücknahme des subsidiären Schutzes.
2
Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 30.06.2016 wurde ihm der subsidiäre Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG zuerkannt. Grundlage hierfür war seine Schilderung, dass zunächst sein Onkel wegen drohender Rekrutierung durch die Taliban gezwungen gewesen sei zu fliehen und er selbst später ebenfalls 2 Drohbriefe erhalten habe, woraufhin er ebenfalls geflohen sei. Der Kläger hatte angegeben, aus der Provinz Nangarhar zu stammen, in der von einer hohen Bedrohungslage auszugehen sei.
3
Nach Mitteilung des Landratsamts … vom 14.03.2019 wurde mit Verfügung vom 08.04.2020 ein Rücknahmeverfahren eingeleitet. Hintergrund war die Mitteilung, dass der Kläger mit rechtskräftigen Urteil des Landgerichts … vom 11.02.2019 (Aktenzeichen …), wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 3 Fällen, in einem Fall hiervon in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln, und der gewerbsmäßigen vorsätzlichen unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln durch eine Person über 21 Jahre an eine Person unter 18 Jahre in 17 Fällen des vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 2 Fällen, in einem Fall hiervon zugleich mit Überlassung von Betäubungsmitteln zum sofortigen Verbrauch durch eine Person über 21 Jahre an eine Person unter 18 Jahre, und der vorsätzlichen unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln durch eine Person über 21 Jahre an eine Person unter 18 Jahren in 2 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 2 Monaten verurteilt wurde.
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Der Kläger erhielt hierzu mit Schreiben vom 08.04.2020 Gelegenheit, zur Stellungnahme. Diese hat er trotz erfolgter Akteneinsicht durch seine Bevollmächtigte und Fristverlängerung nicht wahrgenommen.
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In der Akte des Bundesamts finden sich unter anderem die Anhörung des Klägers vom 20.05.2016 zu seinen Fluchtgründen, die schließlich zum Bescheid vom 30.06.2016 geführt hat, sowie das Urteil des Landgerichts … vom 11.02.2019 und das Urteil vom Verwaltungsgericht Würzburg vom 27.07.2020 zur ergangenen Ausweisungsentscheidung der Ausländerbehörde. Das Verwaltungsgericht Würzburg wies die Klage gegen die Ausweisungsentscheidung ab. In der Begründung wird ausgeführt, dass aufgrund der rechtskräftig abgeurteilten Straftaten auch trotz der begonnenen Suchttherapie weiter von einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auszugehen sei und daher das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse überwiege. Auf die Dokumente wird Bezug genommen.
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Mit Bescheid vom 02.12.2020 wurde der mit Bescheid vom 30.06.2016 (Aktenzeichen: …) zuerkannte subsidiäre Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG zurückgenommen (Ziffer 1). Der subsidiäre Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG wurde nicht zuerkannt (Ziffer 2). Es wurde festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen (Ziffer 3). Weiterhin wurde die sofortige Vollziehung des Bescheids angeordnet (Ziffer 4).
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In der Begründung wird insbesondere ausgeführt, der Kläger sei aufgrund seiner Straftaten nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG von der Zuerkennung des subsidiären Schutzes ausgeschlossen. Es liege ebenfalls kein Abschiebungsverbot vor. Soweit er in seiner Heimatregion tatsächlich noch eine Gefährdung seitens der Taliban befürchten müsse, so habe er die Möglichkeit in anderen Gebieten Afghanistans, beispielsweise in Kabul, Zuflucht zu suchen. Die sofortige Vollziehung des Bescheides gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO werde angeordnet, da ein besonderes öffentliches Interesse bestehe. Die zuständige Ausländerbehörde habe am 03.09.2019 eine Ausweisungsverfügung erlassen und darin festgestellt, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des Ausländers aufgrund der schweren Straftat, dessen Interesse an einem Verbleib in der Bundesrepublik überwiege. Die hiergegen gerichtete Klage sei mit Urteil des VG Würzburg vom 27.07.2020 abgewiesen (Aktenzeichen B 7 K 19.1356). Die Ausweisungsentscheidung sei laut Ausländerzentralregister seit 02.10.2020 rechtskräftig. Auf die weitere Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
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Laut einem Aktenvermerk wurde der Bescheid am 11.12. 2020 zur Post gegeben.
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Mit Schriftsatz vom 22.12.2020, der am gleichen Tag dort einging, ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigte Klage gegen den Rücknahmebescheid des Bundesamts beim Verwaltungsgericht Würzburg erheben.
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Er beantragt sinngemäß,
I. Der Bescheid der Beklagten vom 02.12.2020 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte wird verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG zuzuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutz zuzuerkennen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreites.
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Eine nähere Begründung hierzu ist trotz Aufforderung durch das Gericht nicht erfolgt.
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Die Beklagte ist der Klage mit Schriftsatz vom 22.12.2020 entgegengetreten und beantragt,
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Zur Begründung wird auf die Ausführungen im Bescheid verwiesen.
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Mit Beschluss vom 11.01.2021 erfolgte eine Verweisung an das Verwaltungsgericht Bayreuth. Das ebenfalls verwiesene Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz (B 8 S 21.3004) blieb erfolglos (Beschluss vom 27.01.2021). Nachdem das Bundesamt hinsichtlich des Klägers ein Abschiebungsverbot festgestellt hatte, und die Beteiligten das Verfahren insoweit für erledigt erklärt hatten, wurde das diesbezügliche Verfahren abgetrennt und eingestellt (Beschluss vom 17.01.2023 – B 8 K 23.30038).
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen, § 77 Abs. 3 AsylG.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz1, Abs. 3 Halbsatz1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
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Die Klage ist teilweise unzulässig. Soweit sie zulässig ist, hat sie inhaltlich keinen Erfolg.
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1. Soweit der Kläger mit seiner Klage die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des subsidiären Schutzes begehrt, ist diese Klage unzulässig.
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Über die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wurde mit dem Bescheid vom 30.06.2016 rechtskräftig entschieden. Diese Entscheidung kann im hiesigen Verfahren nicht mehr angegriffen und gerichtlich überprüft werden. Ein erneuter Antrag beim Bundesamt, der negativ verbeschieden wurde, ist ebenfalls nicht ersichtlich.
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Soweit der Kläger die Zuerkennung subsidiären Schutzes beantragt hat, kann er dieses Klageziel bereits mit der Aufhebung des Bescheides vom 02.12.2020 erreichen. Im Falle der Aufhebung dieses Bescheides lebt die im Bescheid vom 30.06.2016 ausgesprochene Zuerkennung des subsidiären Schutzes wieder auf.
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2. Die Klage kann sich in zulässiger Weise nur gegen den Bescheid vom 02.12.2020 richten.
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Der Bescheid vom 02.12.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
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Maßgebliche Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 AsylG. Folglich ist das AsylG in seiner aktuellen Fassung anzuwenden. Nach § 73 Abs. 5 AsylG ist die Zuerkennung des internationalen Schutzes zurückzunehmen oder zu widerrufen, wenn der Ausländer von der Erteilung nach § 3 Absatz 2 bis 4 oder nach § 4 Absatz 2 oder 3 hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist.
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Formelle Fehler des Bescheides sind nicht ersichtlich. Insbesondere hatte der Kläger ausreichend Gelegenheit, sich zur beabsichtigten Rücknahme zu äußern.
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Auch materiell ist der Bescheid rechtmäßig. Der Kläger ist nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 AsylG von der Zuerkennung des subsidiären Schutzes ausgeschlossen. Danach ist ein Ausländer von der Zuerkennung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er eine schwere Straftat begangen hat.
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Zur Beurteilung der Frage, ob eine Straftat als schwere Straftat zu qualifizieren ist, kann in diesem Zusammenhang auf internationale Standards zurückgegriffen werden. Es muss sich um ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat handeln, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird (BVerwG U.v. 16.02.2010 – 10 C 7.09, juris, Rn. 47). Es muss sich aber nicht zwingend um ein Kapitalverbrechen handeln. Es reicht aus, dass die Straftat in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird. Bei der Beurteilung, ob eine Straftat, derentwegen ein Drittstaatsangehöriger rechtskräftig verurteilt wurde, einen solchen Schweregrad aufweist, sind insbesondere die für diese Straftat angedrohte und die verhängte Strafe, die Art der Straftat, etwaige erschwerende oder mildernde Umstände, die Frage, ob diese Straftat vorsätzlich begangen wurde, Art und Ausmaß der durch diese Straftat verursachten Schäden sowie das Verfahren zur Ahndung der Straftat zu berücksichtigen (EuGH U.v. 06.07.2023 – V 402/22 – juris, Rn. 48). Dabei ist zu beachten, dass es nicht zulässig ist, ausschließlich anhand des Strafmaßes, das für eine bestimmte Straftat vorgesehen ist, anzunehmen, dass die Person, die einen Antrag auf subsidiären Schutz gestellt hat, eine schwere Straftat im Sinne dieser Bestimmung begangen hat, derentwegen sie von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen werden kann. Vielmehr hat das für die asylrechtliche Beurteilung zuständige Gericht die Schwere der fraglichen Straftat zu würdigen, wobei eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des Einzelfalls vorzunehmen ist. Die Einzelfallprüfung muss unter Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände, die der entscheidenden Behörde bekannt sind, vorgenommen werden, um zu ermitteln, ob schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass die Handlungen des Betreffenden, der im Übrigen die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erfüllt, unter diesen Ausschlusstatbestand fallen (EuGH U.v. 13.09.2018 – C-369/17 – juris Rn. 55).
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Der hiesige Kläger wurde mit Urteil des Landgerichts … vom 11.02.2019 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 2 Monaten verurteilt. Er ist demnach schuldig des vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 3 Fällen in einem Fall hiervon in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln und der gewerbsmäßigen vorsätzlichen unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln durch eine Person über 21 Jahre an eine Person unter 18 Jahre in 17 Fällen und des vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 2 Fällen in einem Fall hiervon zugleich mit Überlassung von Betäubungsmitteln zum sofortigen Verbrauch durch eine Person über 21 Jahre an eine Person unter 18 Jahre und der vorsätzlichen unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln durch eine Person über 21 Jahre an eine Person unter 18 Jahre in 2 Fällen. Es wurde rechtskräftig festgestellt, dass sich der Kläger nach § 29a Abs. 1 Nr. 1 und 2 BtMG, sowie § 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG strafbar gemacht hat. Von der Begehung der Straftaten ist also auszugehen. Wie die Beklagte zutreffend im streitgegenständlichen Bescheid ausführt, stellen diese Straftaten schwere Straftaten dar. Die Wertungen des Urteils des Landgerichts … vom 11.02.2019 hinsichtlich des Strafrahmens sprechen ebenfalls für ein erhebliches Gewicht der Straftaten. Hierauf und auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid wird ausdrücklich Bezug genommen, § 77 Abs. 3 AsylG, § 117 Abs. 5 VwGO. Darüber hinaus ist ergänzend folgendes auszuführen.
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Beide Straftatbestände sind als Verbrechen mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter einem Jahr (§ 29a BtMG) und nicht unter zwei Jahren (§ 30 BtMG) eingeordnet und in der beispielhaften Aufzählung des § 100a Abs. 2 Nr. 7 lit. b StPO als schwere Straftat aufgeführt, der intensive Eingriffe in Grundrechte rechtfertigt. Sie werden von der Deutschen Rechtsordnung demnach als schwerwiegend eingestuft. Bei der Schwere der Tat ist zudem zu berücksichtigen, dass es sich um mehrere prozessuale Taten handelt, sodass auch unter dem Gesichtspunkt der Wiederholung der Taten besonderes Gewicht zukommt. Darüber hinaus wurden die Betäubungsmittel an Minderjährige verkauft, was ein zusätzliches Kriterium für die Beurteilung der Schwere darstellt. Diese sind aufgrund ihrer beschränkten Einsichtsfähigkeit besonders schützenswert. Zusätzlich handelte der Kläger auch gewerbsmäßig, was ebenfalls Auswirkungen auf die Schwere der Taten hat. Dem Strafurteil lässt sich hinsichtlich des Strafrahmens erschwerend zudem entnehmen, dass der Kläger konspirativ gehandelt und damit eine erhöhte kriminelle Energie eingesetzt hat. Dies führte insbesondere dazu, dass etwaige Milderungen im Strafrahmen ein geringeres Gewicht zugemessen wurden. Auch das gewählte Strafmaß einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 2 Monaten lässt eine gewisse Schwere der Taten erkennen.
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Die „Art der Strafmaßnahme“ spricht hier ebenfalls für die Annahme einer schweren Straftat. Eine Freiheitsstrafe ist die schwerste Form der Sanktion, eine solche wurde verhängt. Soweit der EuGH für die Einordnung als „schwere Straftat“ auf das „zur Verfolgung herangezogene Verfahren“ abstellt, dürfte damit wohl gemeint sein, auf welche Art und Weise die Strafverfolgung und ggf. die Verurteilung erfolgt. Vorliegend ist – nach nationalem Recht – dasjenige Verfahren mit der höchsten Eingriffsintensität angewandt worden. Die Straftat wurde nach Anklageerhebung abgeurteilt, nicht etwa in einem (schriftlichen) Strafbefehlsverfahren, das im Übrigen hier auch aus rechtlichen Gründen gar nicht möglich gewesen wäre. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens befand sich der Kläger zudem über mehrere Monate (eingriffsintensiv) in Untersuchungshaft (VG Freiburg U.v. 23.06.2022 – A 7 K 2897/21 – juris).
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Das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln wird zudem nicht nur in Deutschland, sondern international als strafwürdig erachtet. Es gibt eigene Übereinkommen zur gemeinsamen Kontrolle des Umgangs mit Suchtstoffen (vgl. https://www.bundesdrogenbeauftragter.de/themen/internationales/drogenpolitik-der-vereinten-nationen/ zuletzt abgerufen 22.11.2023) und mit dem United Nations Office on Drugs and Crime eine eigene Einrichtung der Vereinten Nationen, die sich hiermit befasst. Auch die Europäische Union hat mit einem entsprechenden Aktionsplan des Rates einen Fokus auf das Thema gelegt (vgl. Drogenaktionsplan der EU 2017-2020 (2017/C 215/02), sowie EU-Drogenaktionsplan 2021-2025 (2021/C272/02)). Obwohl der Umgang mit Betäubungsmitteln insbesondere auch mit dem vom Kläger gehandelten Marihuana bzw. Cannabis international unterschiedlich gehandhabt wird (vgl. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/rausch-und-drogen-2020/321822/internationale-drogenpolitik/ zuletzt abgerufen 22.11.2023), besteht in jeden Fall international Einigkeit, dass Handel strengen Regularien unterliegen muss, Minderjährige besonders vor Betäubungsmitteln und insbesondere auch Cannabis zu schützen sind und gegenteiliges Handeln strafwürdig ist. Zudem wird nach der Wertung des Art. 83 Abs. 1 AEUV der illegale Drogenhandel zu den Bereichen der besonders schweren Kriminalität gerechnet (darauf abstellend auch VG Aachen, U.v. 14.08.2020 – 1 K 2872/19.A –, juris Rn. 22; VG Würzburg, GB v. 07.05.2020 – W 9 K 19.31444 –, juris Rn. 26; VG Ansbach, B.v. 17.04.2019 – AN 1 S 19.30405 –, juris Rn. 39; VG Freiburg U.v. 23.06.2022 – A 7 K 2897/21 – juris).
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Der Annahme einer „schweren Straftat“ steht zudem nicht entgegen, dass derzeit die „Legalisierung von Cannabis“ diskutiert wird (vgl. BTDrs 367/23). Zum einen sind zum maßgebenden Zeitpunkt der Entscheidung entsprechende Regelungen noch nicht erlassen, zum anderen wird die vom Kläger begangenen Straftat auch künftig eine Straftat bleiben. Der Gesetzesentwurf geht auch bei einer gewissen Lockerung von einer umfassenden Regulierung des Umgangs mit Cannabis insbesondere zum allgemeinen Gesundheitsschutz und zum Schutz von Minderjährigen aus. In dem Gesetzesentwurf ist insbesondere der Handel mit Cannabis weiterhin ausnahmslos verboten (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 3 des Gesetzesentwurfes zu KCanG, a.a.O.) und strafbewehrt (vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzesentwurfes zu KCanG, a.a.O). Weiterhin ist der Schutz Minderjähriger als Normziel klar erkennbar (vgl. beispielhaft Entwurf und Erwägungen zu § 2 Abs. 4, § 5, § 7, § 16, § 22, § 28 des Gesetzesentwurfes zu KCanG a.a.O.); insbesondere ist geplant die gewerbsmäßige Abgabe von Cannabis an Minderjährige weiterhin als Verbrechen auszugestalten (vgl. Entwurf und Erwägungen zu § 34 des Gesetzesentwurfes zu KCanG a.a.O.). Im Übrigen ist unklar, ob die geplanten Regelungen mit internationalem Recht, insbesondere dem EU-Recht (vgl. bspw. Rahmenbeschluss 2004/757/JI des Rates vom 25.10.2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels, ABI. L 335 vom 11.11.2004, S. 8-11) zu vereinbaren sind (VG Freiburg U.v. 23.06.2022 – A 7 K 2897/21 – juris).
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Nach alledem ist der Kläger von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 AsylG ausgeschlossen. In diesem Fall ist keine weitere Abwägung erforderlich. Nach § 73 Abs. 5 AsylG ist der Beklagten bei der Rücknahme- oder Widerrufsentscheidung auch kein Ermessen mehr eröffnet; die Zuerkennung ist zu zurückzunehmen bzw. zu widerrufen (vgl. auch VG Münster U.v. 15.09.2023 – 3 K 2596/21.A – juris m.w.N.).
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3. Die Entscheidung zu den Kosten richtet sich nach § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.