Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 06.12.2023 – B 7 S 23.50332
Titel:

Keine Gewähr vorläufigen Rechtsschutzes gegen Dublin-Überstellung nach Italien

Normenketten:
EMRK Art. 3
GRCh Art. 4
AsylG § 29 Abs. 1, § 34a Abs. 1
Dublin III-VO, Art. 3, Art. 17, Art. 22, Art. 29 Abs. 2
Leitsätze:
1. Nach aktuellem Erkenntnisstand ist nicht davon auszugehen, dass für junge, gesunde und arbeitsfähige Dublin-Rückkehrer systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in Italien bestehen (VGH München BeckRS 2022, 40274). (Rn. 17) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Systemische Mängel bei der Unterbringung von Asylsuchenden sind vor dem Hintergrund steigender Asylzahlen in der Italienischen Republik nicht anzunehmen. (Rn. 19) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Dublin-Rückkehrer, die während ihres vorherigen Aufenthalts noch keinen Asylantrag in der Italienischen Republik gestellt haben, können in gleichem Maße wie neu ankommende Asylbewerber einen Asylantrag stellen. Sie haben, wie international Schutzberechtigte, nach einer entsprechenden Registrierung gleichen Zugang zum italienischen Gesundheitssystem wie italienische Staatsangehörige. (Rn. 22) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Allein aus dem Umstand, dass die Italienische Republik sich weigert bzw. geweigert hat, im Rahmen der Überstellung Asylbewerber aufzunehmen, kann nicht geschlossen werden, dass ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh vorliegt. Die Voraussetzungen eines derartigen Verstoßes, der ausschließlich die Situation im zuständigen Mitgliedstaat in den Blick nimmt, sind nicht schon ohne weiteres dadurch erfüllt, dass dieser Mitgliedstaat die Aufnahme der betreffenden Personen von vornherein ablehnt (BVerwG BeckRS 2023, 31987). (Rn. 26) (red. LS Clemens Kurzidem)
5. Eine Abschiebung in die Italienische Republik ist iSv § 34a Abs. 1 S. 1 AsylG tatsächlich möglich und rechtlich zulässig, da weder inlands- noch zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse vorliegen. Aus dem Rundschreiben des Italienischen Innenministeriums vom 5. und 7.12.2022 lässt sich nicht entnehmen, dass die Abschiebung während der gesamten Dauer der Überstellungsfrist von sechs Monaten tatsächlich unmöglich ist (VG München BeckRS 2023, 38404). (Rn. 31) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
Dublin-Verfahren, systemische Mängel im Asylverfahren in der Italienischen, Republik (verneint), Schreiben des italienischen Innenministeriums vom 5. und 7. Dezember 2022, Abschiebungsanordnung, tatsächliche und rechtliche Möglichkeit der Rücküberstellung (bejaht), Überstellungsfrist von sechs Monaten, syrischer Asylbewerber, unzulässiger Asylantrag, Italien, systemische Mängel, Aufnahmebedingungen, fehlende Rückübernahmebereitschaft, temporäre Suspendierung, Unmöglichkeit der Abschiebung, Abschiebungshindernisse, Überstellungsfrist
Fundstelle:
BeckRS 2023, 42224

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich mit seinem Eilantrag gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), mit dem es seinen Asylantrag als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung in die Italienische Republik angeordnet hat.
2
1. Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben syrischer Staatsangehörigkeit, vom Volk der Araber und islamischen Glaubens. Er reiste im Juni 2023 in die Italienische Republik ein. In der Italienischen Republik seien ihm Fingerabdrücke genommen worden, einen Asylantrag habe er nicht gestellt. Sein Zielland sei Deutschland gewesen. Er habe in der Nähe von N... gewohnt, dort habe er eine Unterkunft gehabt. Eine Organisation habe ihn versorgt.
3
Der Antragsteller reiste am 27.06.2023 über die Schweizerische Eidgenossenschaft in die Bundesrepublik Deutschland ein und äußerte ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt durch behördliche Mitteilung am 30.06.2023 schriftlich Kenntnis erlangte. Der Antragsteller stellte am 28.08.2023 einen förmlichen Asylantrag.
4
Nach den Erkenntnissen des Bundesamts auf der Grundlage des Fingerabdruckdatenabgleichs in der Eurodac-Datenbank lagen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der VO (EU) Nr. 604/2013 vor. Der Zeitpunkt, als die Fingerabdrücke genommen wurden, war der …06.2023 in L. e L.. Am 25.08.2023 richtete die Bundesrepublik Deutschland ein Übernahmeersuchen nach der VO (EU) Nr. 604/2013 an die Italienische Republik, auf die sie nicht antwortete. Am 28.08.2023 fand das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrages statt. Am 13.10.2023 hörte das Bundesamt den Antragsteller zur Zulässigkeit des Asylantrages an.
5
Das Bundesamt hat mit Bescheid vom 14.11.2023 den Asylantrag als unzulässig abgelehnt (Nr. 1), festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und die Abschiebung in die Italienische Republik angeordnet (Nr. 3). Das Gericht nimmt auf den Bescheid sowie seine Begründung Bezug. Zeitpunkt der Zustellung des Bescheids war laut Zustellungsurkunde der 17.11.2023.
6
2. Der Antragsteller hat durch seine Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 21.11.2023 Klage gegen den Bescheid erhoben (Az. B 7 K 23.50333) und einen Eilantrag eingelegt.
7
Sie hat beantragt,
dem Kläger einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren und die aufschiebende Wirkung seiner Klage betreffend Ziffer 3. des angefochtenen Bescheides vom 14.11.2023 anzuordnen.
8
Das Aussetzungsinteresse überwiege das Vollzugsinteresse der Bundesrepublik Deutschland an der Abschiebung des Antragstellers in die Italienische Republik. Die Prozessbevollmächtigte begründete die Klage bzw. den Eilantrag unter Bezugnahme auf verschiedene gerichtliche Entscheidungen, die sie sich zu eigen gemacht hat. Dem Antragsteller drohe bei einer Rückkehr in die Italienische Republik eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK. Die Ausführungen des Bundesamtes zu den im Jahr 2016 in der Italienischen Republik gestellten Asylanträge seien überholt. Im Jahr 2023 werde das italienische Asylsystem voraussichtlich eine ähnlich hohe Zahl an neu ankommenden Flüchtlingen zu bewältigen haben wie im Jahr 2016. Die Unterbringungskapazitäten in der Italienischen Republik würden für die massive Zahl an Neuankömmlingen nicht ausreichen. Vor diesem Hintergrund habe die italienische Regierung auch bereits Mitte April 2023 den Notstand ausgerufen. Im Übrigen bezieht sich die Prozessbevollmächtigte auf die der Antragsschrift beigefügten weiteren Erkenntnismittel.
9
Das Bundesamt hat für die Antragsgegnerin beantragt,
soweit ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO oder § 123 VwGO gestellt ist, diesen abzulehnen.
10
Zur Begründung hat das Bundesamt im Wesentlichen auf den angefochtenen Bescheid verwiesen und ergänzende Ausführungen zum Maßstab für die Annahme einer Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung, zu den Aufnahme- und Lebensbedingungen von Dublin-Rückkehrenden in der Italienischen Republik sowie zur Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung gem. § 34a Abs. 1 AsylG gemacht.
11
Entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO verweist das Gericht wegen der Einzelheiten auf die Gerichtsakte sowie auf die dem Gericht in elektronischer Form vorgelegte Behördenakte.
II.
12
Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
13
Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Entscheidung über die Anordnung bzw. die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung auf Grund der sich ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) darbietenden Sach- und Rechtslage. Das Gericht hat dabei das Aussetzungsinteresse des Antragstellers und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gegeneinander abzuwägen (Eyermann/Hoppe, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 89). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache nach summarischer Prüfung voraussichtlich erfolglos bleiben wird; ergibt eine vorläufige Überprüfung der Klage in der Hauptsache dagegen, dass diese offensichtlich erfolgreich sein wird, so überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Sind die Erfolgsaussichten offen, so ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. Eyermann/Hoppe, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 90 ff.).
14
Diesen Maßstab zugrunde gelegt, fällt die vom Gericht anzustellende Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus. Nach der im vorliegenden Verfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung bestehen an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids keine Zweifel. Bei der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO vorzunehmenden Abwägung überwiegt daher das öffentliche Vollzugsinteresse das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung. Um Wiederholungen zu vermeiden, verweist das Gericht auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheids (§ 77 Abs. 3 AsylG) und führt ergänzend das Folgende aus:
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1. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 i.V.m. Art. 22 Abs. 7 der VO (EU) Nr. 604/2013 ist die Italienische Republik für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig, nachdem sie auf das Übernahmeersuchen der Bundesrepublik Deutschland vom 25.08.2023 nicht geantwortet hat.
16
2. Die Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylverfahrens ist auch nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der VO (EU) Nr. 604/2014 auf die Antragsgegnerin übergegangen. Das Gericht verweist gem. § 77 Abs. 3 AsylG hinsichtlich des anzuwendenden rechtlichen Maßstabs im Hinblick auf einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh auf den Bescheid (vgl. zum rechtlichen Maßstab auch BayVGH, U.v. 15.12.2022 – 24 B 22.50020 – juris) und führt ergänzend Folgendes aus:
17
Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist bei summarischer Prüfung nicht davon auszugehen, dass für junge, gesunde und arbeitsfähige Dublin-Rückkehrende – wie den Antragsteller -systemische Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen in der Italienischen Republik bestehen (vgl. zum Ganzen m.w.N.: VG Ansbach, B.v. 4.7.2023 – AN 14 S 23.50252 – juris Rn. 36 ff.; VG Bayreuth, B.v. 24.5.2023 – B 7 S 23.50126 – juris; VG München, B.v. 19.9.2023 – M 10 S 23.50929 – juris Rn. 19 f.; VG Würzburg, B.v. 7.9.2023 – W 6 S 23.50348 – juris; BayVGH, U.v. 15.12.2022 – 24 B 22.50020 – juris; a.A. VG Hannover, U.v. 2.11.2023 – 15 A 5021/23).
18
Aus den Erkenntnismitteln geht hervor, dass Dublin-Rückkehrende Zugang zu Unterkunft haben, zumindest zu privatem Wohnraum (vgl. AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 153; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, Stand: 27.7.2023, S. 3 und 11). Ende des Jahres 2022 waren 107.677 Asylsuchende und Inhaber eines Schutzstatus in Aufnahmeeinrichtungen in der Italienischen Republik untergebracht, gegenüber 78.001 Ende des Jahres 2021. Hiervon waren 71.882 Personen in Erstaufnahmeeinrichtungen und 33.848 in Zweitaufnahmeeinrichtungen (SAI) untergebracht (vgl. AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 147). Am 15.07.2023 waren 125.922 Migranten in staatlichen Unterkünften untergebracht, davon 2.787 in Hotspots, 88.060 in Unterbringungszentren und 35.075 in SAI. Neben den staatlichen Strukturen existiert ein Netzwerk von privaten Unterkünften, die von Kirchen oder Freiwilligenverbänden betrieben werden. Ihre Zahl ist schwer zu ermitteln. Sie gewinnen vor allem in Notfällen oder als Mittel zur Integration an Bedeutung (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien vom 27.7.2023, S. 10 ff.). Der Fall des Klägers bestätigt, dass dieses karitative Netzwerk funktioniert, da er während seines Aufenthalts in der Italienischen Republik in einer Unterkunft in der Nähe von N... gewohnt habe und von einer Organisation betreut worden sei (Niederschrift der Anhörung zur Zulässigkeit, S. 3).
19
Systemische Mängel bei der Unterbringung von Asylsuchenden sind vor dem Hintergrund steigender Asylzahlen in der Italienischen Republik nicht anzunehmen. Im Jahr 2023 gab es bis zum Zeitpunkt der Entscheidung 152.731 Seeanlandungen, was in etwa den Zahlen von 2015 (153.842) entspricht und durchaus in Richtung der Gesamtzahlen von 2016 (181.436) tendiert. Im Vergleich dazu gab es im Jahr 2022 105.131 Seeanlandungen (vgl. https://data2.unhcr.org/en/situations/mediterranean/location/5205). Aus den jüngsten Erkenntnismitteln geht jedoch hervor, dass die Italienische Republik bestrebt ist, Asylsuchende sowohl in verschiedenen Einrichtungen unterzubringen, darunter auch in Einrichtungen für die vorübergehende Aufnahme, in denen unter anderem Verpflegung, Unterkunft, Kleidung und medizinische Versorgung gewährleistet werden (vgl. BFA. Länderinformation der Staatendokumentation, Italien vom 27.7.2023, S. 10 ff.). Berichte darüber, dass Asylsuchende aufgrund der Belegung der Aufnahmeeinrichtungen keinen Zugang zu einer Unterkunft gefunden hätten, gibt es nicht (vgl. AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 153), obwohl das italienische Innenministerium mit Rundschreiben vom 05. und 07.12.2022 an die Dublin-Staaten mitgeteilt hat, dass aufgrund fehlender Aufnahmekapazitäten Dublin-Überstellungen bis auf weiteres aufgeschoben („suspend“) würden (vgl. AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 17 f.). Berichte über Obdachlosigkeit in größerem Umfang unter Asylsuchenden oder anerkannt Schutzberechtigten in der Italienischen Republik sind dem Gericht ebenfalls nicht bekannt.
20
Die Ausrufung des Notstands am 11.04.2023 spricht in diesem Zusammenhang nicht für das Vorliegen systemischer Mängel im italienischen Asylsystem. Die Ausrufung des Notstands diente vor allem dazu, außerordentliche Geldmittel zu lukrieren, Ausschreibungsverfahren für die Einrichtung zusätzlicher Aufnahmezentren zu vereinfachen und zu beschleunigen sowie zusätzliche Transfers von L. nach Sizilien einzurichten, um eine Überlastung des Hotspots und insgesamt der Insel L. zu vermeiden. Diese Maßnahmen sollen zu einer systemischen Entlastung führen und eine bessere Bewältigung des hohen Migrationsdrucks ermöglichen (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien vom 27.7.2023, S. 8). Dieses Vorgehen der Italienischen Republik macht deutlich, dass sie um die Durchführung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens bemüht ist und gerade systemische Mängel in ihrem Asylverfahren vermeiden will.
21
Auch der Umgang mit Bootsflüchtlingen und Ankömmlingen in L. spricht nicht für das Vorliegen systemischer Mängel im italienischen Asylsystem. Dies ergibt sich nicht aus dem von der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vorgelegten Dokument von PRO ASYL (L.: Härte gegen Schutzsuchende statt Humanität vom 20.9.2023). Die aktuelle Situation auf L. ist demnach die Folge der Ankunft einer Vielzahl von Asylsuchenden auf der Insel, wodurch die Aufnahmeeinrichtungen überfüllt sind. Durch die Ausrufung des Notstands sollte genau dieser Situation entgegengewirkt werden (s.o.). Dass aus dem Umgang mit Asylsuchenden auf L. nicht auf systemische Mängel des italienischen Asylsystems geschlossen werden kann, wird auch durch die Aussage des im vorgelegten Artikel zitierten IOM-Sprechers unterstrichen, der von einer Krise für die Insel und nicht für die Italienische Republik spricht.
22
Dublin-Rückkehrende, die während ihres vorherigen Aufenthalts noch keinen Asylantrag in der Italienischen Republik gestellt haben, können in gleichem Maße wie neuankommende Asylsuchende einen Asylantrag stellen (AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 83). Wenn kein vorheriger Asylantrag gestellt wurde, sollen sie in der Provinz des Ankunftsflughafens untergebracht werden (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien vom 27.7.2023, S. 3). Des Weiteren erhalten Dublin-Rückkehrende als Asylsuchende während des Asylverfahrens in der Italienischen Republik Leistungen zur Deckung der Grundbedürfnisse, insbesondere Nahrungsmittel, Hygieneartikel und Kleidung (vgl. VG Ansbach, B.v. 4.7.2023 – AN 14 S 23.50252 – juris Rn. 44 m.w.N.).
23
Nach den italienischen Aufnahmebestimmungen können Asylsuchende sechzig Tage nach der Stellung des Asylgesuchs mit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit beginnen und haben somit noch im Asylverfahren Zugang zum italienischen Arbeitsmarkt (AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 159). In der Praxis kann jedoch das Fehlen einer Aufenthaltsgestattung zu Schwierigkeiten in Bezug auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit führen, ebenso wie Sprachbarrieren, abgelegene Unterkünfte und mangelnde Unterstützungsmöglichkeiten (AIDA, Country Report: Italy, 2021 Update, S. 159). Es ist jedoch davon auszugehen, dass Asylsuchende bei entsprechender Anstrengung – ggf. unter Zuhilfenahme karitativer Netzwerke – in der Lage sein werden, einen Arbeitsplatz zu finden, der es ihnen ermöglicht, ihre Grundbedürfnisse finanziell zu decken.
24
Asylsuchende haben, wie international Schutzberechtigte auch, nach einer entsprechenden Registrierung, in gleichem Maße Zugang zum italienischen Gesundheitssystem wie italienische Staatsangehörige (AIDA, Country Report: Italy, 2022 Update, S. 161). Es kommt in der Praxis zwar immer wieder zu Verzögerungen, wenn die Registrierung des Asylbegehrens noch nicht vollzogen ist, allerdings ist für diese Zeit, die einige Monate dauern kann, eine Notfallversorgung sichergestellt. In manchen Erstaufnahmeeinrichtungen existiert eine ärztliche Betreuung zusätzlich zum allgemeinen Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien vom 27.7.2023, S. 13 ff.).
25
Unter Berücksichtigung dieser Umstände, besteht im Zeitpunkt der Entscheidung keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass Personen, die im Rahmen des Dublin-Verfahrens in die Italienische Republik überstellt werden, wegen dort bestehender systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende generell eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh droht.
26
Soweit die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers einen Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen (OVG NW, B.v. 16.6.2023 – 11 A 1132/22.A – juris) sowie ein Urteil des VG Arnsberg (VG Arnsberg, U.v. 20.4.2023 – 2 K 952/23.A) anführt, vermögen diese Entscheidungen das Gericht nicht davon zu überzeugen, dem Antrag stattzugeben. Allein aus dem Umstand, dass die Italienische Republik sich weigert bzw. sich geweigert hat, zu überstellende Asylsuchende aufzunehmen (vgl. Schreiben des italienischen Innenministeriums vom 05. und 07.12.2022), kann nicht geschlossen werden, dass ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh anzunehmen ist (vgl. VG Augsburg, B.v. 20.1.2023 – Au 8 S 23.50020 – juris). Die Voraussetzungen für den Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh, die (ausschließlich) auf die Situation im zuständigen Mitgliedstaat abstellen, sind nicht schon ohne weiteres dadurch erfüllt, dass dieser Mitgliedstaat die Aufnahme der betreffenden Personen von vorneherein ablehnt (vgl. BVerwG, B.v. 24.10.2023 – 1 B 22/23 – juris Rn. 10). Vor der Bejahung einer Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh ist das Gericht verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden (vgl. BVerwG, B.v. 24.10.2023 – 1 B 22/23 – juris Rn. 14). Wie das Gericht bereits oben ausgeführt hat, vermag es nach derzeitigem Erkenntnisstand systemische Mängel in der Italienischen Republik nicht zu erkennen. Vielmehr ist die fehlende Rücknahmebereitschaft der Italienischen Republik nicht im Rahmen der systemischen Mängel, sondern allenfalls im Rahmen der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung, bei der Frage der Unmöglichkeit der Überstellung, zu prüfen.
27
Es ist schließlich nicht erkennbar, dass ein aktuelles Positionspapier des UNHCR die Staaten ausdrücklich dazu auffordern oder ihnen generell empfehlen würde, von Überstellungen in die Italienische Republik im Dublin-System abzusehen, da vom Vorliegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in der Italienischen Republik auszugehen sei. Die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind aber im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in einem Mitgliedstaat angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die – bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens zu beachtende – Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, besonders relevant (vgl. EuGH, U.v. 30.5.2013 – C-528/11; s.a. EGMR, U.v. 3.7.2014 – 71932/12).
28
3. Auch nach unterstellter Zuerkennung internationalen Schutzes droht Schutzsuchenden in der Italienischen Republik nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh verstoßende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln erwarten einen alleinstehenden und arbeitsfähigen Schutzberechtigten wie den Antragsteller, der mangels gegenteiliger Erkenntnisse nicht als vulnerabel anzusehen ist, bei seiner Rückkehr in die Italienische Republik keine Lebensverhältnisse, die ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren (vgl. BayVGH, B.v. 27.9.2023 – 24 B 22.30953 – juris Orientierungssatz). Das Gericht schließt sich der Rechtsauffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs an und folgt damit nicht der von der Prozessbevollmächtigten vorgelegten Entscheidung des OVG Nordrhein-Westfalen (OVG NW, U.v. 20.7.2021 – 11 A 1674/20.A – juris).
29
4. Individuelle, in der Person des Antragstellers wurzelnde Umstände, die die Antragsgegnerin zwingend zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 der VO (EU) Nr. 604/2013 hätten veranlassen müssen, sind weder vom Antragsteller dargelegt noch für das Gericht ersichtlich.
30
5. Die angeordnete Abschiebung in die Italienische Republik gem. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ist tatsächlich möglich und rechtlich zulässig, da weder inlands- noch zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse bestehen.
31
Aus den Rundschreiben des italienischen Innenministeriums vom 05. und 07.12.2022 lässt sich nicht entnehmen, dass die Abschiebung während der gesamten Dauer der Überstellungsfrist von sechs Monaten tatsächlich unmöglich ist (vgl. umfassend hierzu VG München, B.v. 19.9.2023 – M 10 S 23.50929 – juris Rn. 24 ff. m.w.N.; a.A. VG Stuttgart, B.v. 23.8.2023 – A 4 K 4321/23 – juris). In diesen Schreiben bittet die Italienische Republik die Mitgliedstaaten zwar, wegen plötzlich aufgetretener technischer Probleme in Bezug auf die Unterbringung und diesbezüglicher Engpässe zeitweise von Überstellungen (mit Ausnahme von Familienzusammenführungen von Minderjährigen bzw. von unbegleiteten Minderjährige) abzusehen („Suspension of transfers“); unter Berücksichtigung der hohen Zahl von Neuzugängen und fehlender Aufnahmekapazitäten bestehe die Notwendigkeit, die Aufnahme von Drittstaatsangehörigen neu zu planen („need for a re-scheduling of the reception activities“). Eine fehlende dauerhafte Übernahmebereitschaft der Italienischen Republik kann das Gericht hieraus nicht ableiten, zumal für den Prognosezeitraum der Wiederaufnahmebereitschaft auf die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 der VO (EU) Nr. 604/2013 abzustellen ist. Dieser beginnt mit der Entscheidung über den Eilantrag (wieder) zu laufen. Damit steht für die Überstellung des Antragstellers derzeit noch ein erheblicher Zeitraum zur Verfügung. Nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens kann die Abschiebung mit großer Wahrscheinlichkeit durchgeführt werden. Eine explizite Ablehnung der Rücküberstellung durch die italienischen Behörden liegt bislang nicht vor (vgl. hierzu VG München, B.v. 19.9.2023 – M 10 S 23.50929 – juris Rn. 25 ff.; VG Ansbach, B.v. 4.7.2023 – AN 14 S 23.50252 – juris Rn. 75 ff.; VG Bayreuth, B.v. 11.4.2023 – B 7 S 23.50063 – juris Rn. 36). Für die große Wahrscheinlichkeit der Rücküberstellung von Asylsuchenden spricht auch, dass die Italienische Republik gegenüber der Schweizerischen Eidgenossenschaft die Wiederaufnahme von Dublin-Rückkehrenden in Aussicht gestellt hat und bis zum 31.10.2023 zwölf Überstellungen aus der Schweizerischen Eidgenossenschaft in die Italienische Republik durchgeführt wurden (vgl. https://www.tagesanzeiger.ch/italien-stellt-wiederaufnahme-der-dublin-uebernahmen-in-aussicht-504274734236; https://www.sem.admin.ch/sem/de/home/pu bliservice/statistik/asylstatistik/archiv/2023/10.html unter „7-50: Dublin: Ersuchen um Übernahme, Erledigungen und Überstellungen – Laufjahr 2023“). Ferner unternimmt die Italienische Republik nach dem o.g. Anstrengungen, um den in den Rundschreiben vom 05. und 07.12.2022 beschriebenen Herausforderungen zu begegnen.
32
An dieser Einschätzung sieht sich das Gericht auch nicht durch die Kammerbeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 02.08.2023 (BVerfG, B.v. 2.8.2023 – 2 BvR 593/23 – juris Rn. 12) und vom 21.04.2016 (BVerfG, B.v. 21.4.2023 – 2 BvR 273/16 – juris Rn. 14) gehindert. Dem vorliegenden Beschluss liegen die Rundschreiben vom 05. und 07.12.2022 zugrunde. Vorliegend geht es auch gerade nicht um eine divergierende Beurteilung der allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage im Zielstaat bei nicht hinreichend klarer Erkenntnismittellage mit unterschiedlicher Beurteilung durch zahlreiche Verwaltungsgerichte. Das im vorliegenden Fall sehr uneinheitliche Bild in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Beurteilung der Durchführbarkeit von Abschiebungen in die Italienische Republik betrifft letztendlich Vollzugsfragen (vgl. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG, § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG), ohne dass unter Berücksichtigung der ganz überwiegenden Rechtsprechung bei einem Vollzug der streitgegenständlichen Abschiebungsanordnung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit einer Verletzung der Rechte des Antragtragstellers aus Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh zu rechnen wäre. Sollte die Italienische Republik wider Erwarten bis zum Ablauf der Überstellungsfrist keine Dublin-Rückkehrenden aufnehmen, trägt im Übrigen der Zuständigkeitsübergang nach Ablauf der Überstellungsfrist den Interessen des Antragstellers ausreichend Rechnung (vgl. VG München, B.v. 19.9.2023 – M 10 S 23.50929 – juris Rn. 25 ff. m.w.N.).
33
Anhaltspunkte für innerstaatliche oder zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, die der Abschiebungsanordnung entgegenstehen würden, sind nicht ersichtlich. Der Antragsteller hat insbesondere nicht substantiiert dargelegt, weshalb er auf die Hilfe seines Onkels angewiesen ist.
34
6. Der Antrag ist nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
35
Dieser Beschluss ist gem. § 80 AsylG unanfechtbar.