Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 16.10.2023 – B 8 E 23.840
Titel:

Zulassung zu einer Veranstaltung des Studierendenparlamentes, Einstweilige Anordnung auf Grundlage einer Folgenabwägung

Normenketten:
GG Art. 3
VwGO § 123
Schlagworte:
Zulassung zu einer Veranstaltung des Studierendenparlamentes, Einstweilige Anordnung auf Grundlage einer Folgenabwägung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 42221

Tenor

1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung dazu verpflichtet, vorläufig die Antragstellerin mit einem Stand zu dem am 16.10.2023 um 19 Uhr auf dem Gelände der Antragsgegnerin stattfindenden Campusabend zuzulassen und ihr einen Standplatz zuzuweisen.
Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
3. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt die Verpflichtung der Universität … (im Folgenden Universität), einen Stand bei dem am 16.10.2023 um 19 Uhr auf dem Gelände der Universität stattfindenden Campusabend zuzulassen und ihr einen geeigneten Standplatz zuzuweisen.
2
Die Universität … ist eine staatliche Hochschule, die alljährlich zum Beginn des Wintersemesters eine Veranstaltung durchführt, die sich insbesondere an neu immatrikulierte Studierende richtet. Teil der als Campusabend bezeichneten Veranstaltung ist die Vorstellung der unterschiedlichen studentischen und hochschulnahen Gruppierungen und Initiativen. Diese stellen an Informationsständen ihre Arbeit vor. Dadurch wird ihnen ein schneller und kommunikativer Kontakt zu den Studierenden ermöglicht, bei dem zu eigenen Veranstaltungen eingeladen und für ein Engagement in der jeweiligen Organisation geworben werden kann. Die Stände befinden sich hierbei im Audimax, der Mensa und dem Gebäude der Naturwissenschaftlichen Fakultät I.
3
Die Antragstellerin ist Teil einer als Burschenschaft organisierten pflichtschlagenden Studentenverbindung. Sie hat sich am 10.10.2023 zu dem am 16.10.2023 stattfindenden Campusabend angemeldet. Hierzu hat sie mit Email des Sprechers für Kultur und Initiativen des Studierendenparlamentes der Universität vom 13.10.2023 zunächst eine Einladung und eine Zuweisung eines Standplatzes in der Mensa erhalten. Aus dem mitgesandten Raumbelegungsplan ergibt sich, dass der Standplatz neben der Studentenverbindung K.d.St.V. … im CV liegt. Neben diesen beiden Studentenverbindungen sind noch Stände für das Corps …, die Turnerschaft … und die Sängerschaft … vorgesehen.
4
Mit Email vom 14.10.2023 wurde der Antragstellerin von eben diesem mitgeteilt, bei der Einladung sei ein Fehler unterlaufen und sie könne nicht am Campusabend teilnehmen.
5
Hierauf reagierte die Antragstellerin mit Email vom 14.10.2023 wie folgt:
„[…] hiermit informiere ich Sie darüber, dass der Konvent den Beschluss gefasst hat, im Rahme des Eilrechtsschutzes das Verwaltungsgericht anzurufen, sofern dies nicht noch mit Ablauf dieses Tages auf ziviler Ebene geklärt werden kann. Dürfen wir Sie gegenüber dem Verwaltungsgericht Bayreuth als für die Universität … vertretungsberechtigte Person angeben? [..]“
6
Der Vorsitzende des Studierendenparlamentes antwortete hierauf mit Email vom 15.10.2023:
„ […] gerne prüfen wir nochmals, ob und wie wir Ihnen eine Raumnutzung ermöglichen können. Allerdings müssen wir dies im Laufe des morgigen Tages mit den zuständigen Stellen aufgrund der indispositiven öffentlich-rechtlichen Vorgaben insbesondere mit Blick auf Sicherheitsaspekte noch abklären.
Ich bitte Sie daher noch um etwas Geduld.[…]“
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Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrem am Sonntag 15.10.2023 um 18:24 Uhr eingegangenen Eilantrag. Sie beantragt,
1.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung dazu verpflichtet, vorläufig die Antragstellerin mit einem Stand zu dem am 16.10.2023 um 19 Uhr auf dem Gelände der Antragsgegnerin stattfindenden Campusabend zuzulassen und ihr einen geeigneten Standplatz in der Mensa zuzuweisen.
2.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
8
Sie trägt vor, die Email der Antragsgegnerin lasse vermuten, dass diese befürchte, es könne auf dem Campusabend zu Protestaktionen gegen den Stand der Antragstellerin kommen. Da störende Verhaltensweisen Dritter nicht der Antragstellerin zuzurechnen seien, sei sie nicht gewillt, das Ergebnis des sich unter Umständen bis zum Beginn des Campusabends andauernden Entscheidungsfindungsprozesses der Antragsgegnerin abzuwarten. Ein weiteres Zuwarten berge vielmehr die Gefahr, dass gerichtlicher Rechtsschutz nicht mehr vor Beginn des Campusabends zu erlangen sei. Der Antrag sei sowohl zulässig als auch begründet. Die faktische Vorwegnahme der Hauptsache sei ausnahmsweise hinzunehmen, da eine Entscheidung in der Hauptsache vor dem Beginn des Campusabends der Antragsgegnerin zum Start des Wintersemesters 2023/2024 nicht mehr zu erwarten sei. Für die Antragstellerin, die im Wintersemester 2023/2024 neu immatrikulierte Studenten auf dem Campusabend erreichen und für die Arbeit ihrer Studentenverbindung gewinnen wolle, drohe deshalb ein irreversibler Rechtsverlust. Die Aktivitas einer burschenschaftlich organisierten Studentenverbindung sei gemäß § 61 Nr. 2 VwGO beteiligungsfähig, weil es sich bei ihr um einen abgrenzbaren Personenkreis handele, dessen Mitglieder Träger subjektiver Rechte sind (vgl. VG München, Urteil v. 19.04.2018 – M 30 K 16.3007). Antragsgegnerin sei die Universität. Zwar werde der Campusabend durch das Studierendenparlament ausgerichtet. Die Hochschulen im Freistaat Bayern verfügten jedoch über keine verfasste Studierendenschaft, weshalb das Studierendenparlament nicht selbst an dem Verfahren beteiligt werden könne. Als staatliche Einrichtung sei die Antragsgegnerin zur Wahrung der Grundrechte der an ihrer Hochschule Studierenden verpflichtet. Hierzu zähle neben der Vereinigungsfreiheit der Antragstellerin (Art. 9 GG) insbesondere die Wahrung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 GG), wonach niemand ohne sachlichen Grund benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Angesichts der Teilnahme anderer Studentenverbindungen und der Weitläufigkeit der Veranstaltung sei ein zulässiger Sachgrund nicht zu erkennen. Es liege vielmehr auf der Hand, dass die Teilnahme am Campusabend wegen befürchteter Störungen durch Proteste von linken bzw. linksextremistischen Studenten gegen den Stand der Antragstellerin erfolge. Etwaige Maßnahmen der Antragsgegnerin hätten sich jedoch nicht gegen die Antragstellerin zu richten, die nur von ihren Grundrechten Gebrauch mache, sondern ausschließlich gegen mögliche Störer des Campusabends. Anhaltspunkte für einen polizeilichen Notstand lägen offenkundig nicht vor.
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Mit Schriftsatz vom 16.10.2023, der um 13:47 Uhr bei Gericht einging, hat die Antragsgegnerin erwidert und beantragt,
1.
Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
2.
Die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen.
10
Nach der Geschäftsordnung des Studierendenparlamentes seien die Voraussetzungen für eine Zulassung der Antragstellerin zum Campusabend nicht gegeben. Hierauf habe man das Studierendenparlament hingewiesen, sodass die Zulassung korrigiert worden sei. Nachdem Art. 9 GG kein Recht auf Teilnahme an einer Veranstaltung vermittle, komme eine Zulassung allenfalls nach Art. 3 GG in Betracht. Es gebe jedoch einen hinreichenden Differenzierungsgrund für den Ausschluss von der Veranstaltung. § 32 der Geschäftsordnung des Studierendenparlaments der Universität … (im Folgenden Geschäftsordnung StuPa) regle „die Zusammenarbeit mit anderen Gruppierungen“ insbesondere die Teilnahme an Veranstaltungen des Studierendenparlamentes. Dieser laute
„§ 32 Zusammenarbeit mit anderen Gruppierungen (…)
(2) Die Zusammenarbeit bei öffentlichen und hochschulöffentlichen Veranstaltungen mit StuPaexternen Organisationen und Gruppierungen bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Plenums. Satz 1 gilt nicht für andere Institutionen der Universität … und das Studentenwerk … Bei Veranstaltungen, an denen eine Vielzahl von Organisationen und Gruppierungen teilnehmen, kann das Plenum eine generelle Zustimmung für diese Veranstaltungen erteilen. Zusammenarbeit bei Veranstaltungen ist jegliche Art der Kooperation, insbesondere die Bewerbung, die Bereitstellung von Räumen oder Material sowie die Gelegenheit zur öffentlichen Präsentation. Die Absätze 3 bis 5 bleiben unberührt.
(3) Das Studierendenparlament schließt eine Zusammenarbeit mit Organisationen und Gruppierungen, die extremistische Ziele verfolgen oder extremistisch beeinflusst sind (vgl. § 3 Absatz 1 BVerfSchG) aus. Eine solche Zielsetzung oder Beeinflussung ist bei solchen Organisationen und Gruppierungen zu vermuten, die
1. in dem „Verzeichnis extremistischer oder extremistisch beeinflusster Organisationen“ des Bayerischen Staatsministerium des Innern, in der Liste der „Extremistische(n) Organisationen und Gruppierungen“ 2. im Anhang des Verfassungsschutzberichtes des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz oder 3. in dem „Registeranhang zum Verfassungsschutzbericht“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz in den jeweils gültigen Fassungen gelistet sind. Eine Abweichung von der Vermutung nach Satz 2 stellt das Plenum mit einer Zweidrittelmehrheit seiner Mitglieder fest. Ist eine Organisation oder Gruppierung nicht nach Satz 2 gelistet, so kann das Plenum mit Zweidrittelmehrheit seiner Mitglieder feststellen, dass die Voraussetzungen des Satz 1 gegeben sind.
(4) Organisationen und Gruppierungen, mit denen zusammengearbeitet werden soll, müssen die Gewähr dafür bieten, dass im Rahmen der Zusammenarbeit keine Diskriminierung und Belästigung von Personen wegen rassistischer Gründe oder ethnisierender Zuschreibungen, aufgrund des Geschlechts oder der Geschlechtsidentität, aufgrund der sexuellen Identität, der Religion oder Weltanschauung, aufgrund von Beeinträchtigungen, die als Behinderung klassifiziert werden oder wegen des Alters zu erwarten ist. Das Plenum kann mit Zweidrittelmehrheit seiner Mitglieder feststellen, dass die Zusammenarbeit mit einer Gruppierung aufgrund von Satz 1 ausgeschlossen ist.
(…)“
11
Die Antragstellerin gehöre keiner der Gruppen an, für die eine generelle Zustimmung nach § 32 Abs. 2 Satz 3 Geschäftsordnung StuPa erfolgt sei. Der erfolgte Beschluss, der die generelle Zustimmung unter den Vorbehalt stellt, dass durch die Zusammenarbeit keine Diskriminierung und Belästigung von Personen wegen rassistischer Gründe oder ethnisierender Zuschreibungen, aufgrund des Geschlechtes […] zu erwarten ist, sei einschlägig. Dies sei bei der Antragstellerin gerade der Fall. Zudem habe das Studierendenparlament einen Beschluss der Hochschulleitung aus 2015 bezogen auf die Antragstellerin verkannt. Unabhängig von § 32 Abs. 1 und 2 Geschäftsordnung StuPa scheide eine Zulassung der Antragstellerin in Hinblick auf § 32 Abs. 4 Geschäftsordnung StuPa ohnehin aus. Gemäß § 32 Abs. 4 Geschäftsordnung StuPa müssten die Organisationen und Gruppierungen dafür Gewähr bieten, dass im Rahmen der Zusammenarbeit unter anderem keine Diskriminierung und Belästigung von Personen wegen rassistischer Gründe oder ethnisierender Zuschreibungen sowie aufgrund des Geschlechts zu erwarten sei. Gemäß § 32 Abs. 2 S. 3 GO sei die Gelegenheit zur öffentlichen Präsentation eine Form der Zusammenarbeit. Diese Gewähr könne die Antragstellerin nicht bieten. Sie stelle an ihre Mitglieder laut der nur noch im Webarchiv auffindbaren Webseite folgende Anforderung:
„Aus dieser burschenschaftlichen Tradition heraus ist es selbstverständlich, daß nur … werden kann, wer deutscher Herkunft ist, egal welchen Paß er trägt. […] … sollen demnach männliche Studenten deutscher Herkunft sein, […]“
12
Darüber hinaus habe sie sich in der Vergangenheit für das „Abstammungsprinzip“ bei der Aufnahme neuer Mitglieder ausgesprochen. Hierzu wird auf Medienberichte und Wikipedia Bezug genommen. Die Antragstellerin knüpfe also in der Auswahl ihrer Mitglieder sowohl an die ethnisierende Zuschreibung („deutsche Herkunft“) als auch an das Geschlecht an. In der konkreten Ausgestaltung der Anforderungen seien darüber hinaus auch rassistische Motive erkennbar. Zudem laufe die Antragstellerin den Zielen des Bayerischen Hochschulinnovationsgesetzes zuwiderläuft: Internationalisierung, Gleichberechtigung, Diskriminierung (vgl. allg. Art. 2, Art. 25 BayHIG).
13
Keine der ansonsten zugelassenen Gruppen, Initiativen u.ä. verstoße gegen die o.g. maßgeblichen Gewährleistungen. Im Vorfeld sei „Der Dritte Weg“ von der Veranstaltung ausgeschlossen worden. Dieser gelte als verfassungsfeindlich, sowie rechtsextremistisch und stehe unter Beobachtung von verschiedenen Verfassungsschutzbehörden in Bund und Land.
14
Unter den zum Campusabend zugelassenen Gruppen seien drei im weitesten Sinne mit der nicht zugelassenen Antragstellerin vergleichbar: die K.d.St.V. …, der Gemischte Chor der Sängerschaft … und die Turnerschaft … Die beiden erstgenannten Gruppen seien mit Blick auf die hier relevanten Aspekte unbedenklich; so bekenne sich die … ausdrücklich zum GG (https://www.kdstv- …de/ueber-uns/) und der „Gemischte Chor der Sängerschaft …“ lasse Teilnehmer beiden Geschlechts zu. Die Turnerschaft … weise zwar laut Medienberichten vereinzelt „rechte Tendenzen“ auf, knüpfe laut der dem Unterzeichner vorliegenden Materialien bei der Auswahl seiner Mitglieder jedoch nicht unmittelbar an die problematischen Kriterien an. Es gebe keine unmittelbaren Anhaltspunkte dafür, dass die Turnerschaft vergleichbare Kriterien an die Auswahl seiner Mitglieder anlegt.
15
Dem entgegnete die Antragstellerin, die Universität könne keinen sachlichen Grund für den Ausschluss angeben. Läge in den unterschiedlich ausgestalteten Aufnahmekriterien von Studentenverbindungen eine auf diese Zusammenarbeit mit dem Studierendenparlament durchschlagende Diskriminierung, hätte keine der … Studentenverbindungen zum Campusabend zugelassen werden dürfen. Insbesondere nehme die K.d.St.V. … nur männliche Katholiken auf. Das Abstammungsprinzip sei bis 2000 Grundlage des deutschen Staatsangehörigkeitenrechtes gewesen. Die Bezugnahme auf ein solches Prinzip begründe keinen Rassismus. Darüber hinaus hätten die Aufnahmekriterien keine Auswirkungen auf die Zusammenarbeit mit dem Studierendenparlament während des Campusabends. Dort würden keine Mitglieder aufgenommen. Es handle sich lediglich um eine Vorstellung der Arbeit. Unabhängig von einer etwaigen Aufnahme dürften sich selbstverständlich alle am Stand der Antragstellerin informieren. Zu (Vortrags-)Veranstaltungen, welche die Antragstellerin regelmäßig veranstaltet und in der Vergangenheit auch schon einmal in einem Hörsaal der Antragsgegnerin veranstaltet habe, seien Interessierte aller Konfessionen, Geschlechter, sexuellen Orientierungen oder ethnischen Herkünfte willkommen. Die Universität sei nicht im Stande darzulegen, dass die Antragstellerin bereits in der Vergangenheit einmal andere Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Konfession oder ihrer sexuellen Orientierung belästigt hat. In mehreren Anfragen im Bayerischen Landtag sei zudem unmissverständlich mitgeteilt worden, dass gegen die Antragstellerin keine Tatsachen vorlägen, die eine Beobachtung durch das Landesamt für Verfassungsschutz rechtfertigten.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO wird auf die Gerichtsakte genommen.
II.
17
Der Antrag ist zulässig und weitgehend begründet. Er hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
18
1. Die Antragstellerin als Aktivitas einer burschenschaftlich organisierten Studentenverbindung macht die Verletzung eigner subjektiver öffentlicher Rechte geltend und ist gemäß § 61 Nr. 2 VwGO beteiligungsfähig, da es sich um einen abgrenzbaren Personenkreis handelt, dessen Mitglieder Träger subjektiver Rechte sind (VG München, U. v. 19.04.2018 – M 30 K 16.3007).
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2. Der zulässige Antrag ist inhaltlich überwiegend erfolgreich.
20
Gemäß § 123 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts der Antragspartei vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Nach Satz 2 des § 123 Abs. 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern die Maßnahme unerlässlich erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Beide Arten einer vorläufigen Anordnung setzen ein besonderes Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) im Interesse der Wahrung des behaupteten streitbefangenen Rechts (Anordnungsanspruch) voraus. Beides ist von der Antragspartei glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO –), wobei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgebend sind. Über den Erfolg des Antrags ist aufgrund einer im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und auch nur möglichen summarischen Prüfung zu entscheiden. Ergibt die überschlägige rechtliche Beurteilung auf der Grundlage der verfügbaren und von der Antragspartei glaubhaft gemachten Tatsachenbasis, dass von überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache auszugehen ist, besteht regelmäßig ein Anordnungsanspruch. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (BVerfG B.v. 25.02.2009 – 1 BvR 120/09, BeckRS 2009, 32112 Rn. 11; BVerfG B.v. 25.07.1996 – 1 BvR 638/96 – NVwZ 1997, 479). Ein Anordnungsgrund setzt voraus, dass es der Antragspartei unter Berücksichtigung ihrer Interessen unzumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
21
a. Der Anordnungsgrund liegt auf der Hand, die Antragstellerin kann nur heute am Campusabend teilnehmen. Die Antragstellerin bedarf nicht zuletzt aufgrund der knappen Entscheidung der Universität einer raschen gerichtlichen Klärung.
22
b. In Anbetracht der knappen Zeit kann eine summarische Prüfung, ob die Universität die Grenzen der pflichtgemäßen Ermessensentscheidung gewahrt hat, nicht in hinreichendem Umfang erfolgen. Die Erfolgsaussichten einer Hauptsache sind nach der derzeitigen Tatsachengrundlage auch bei summarischer Prüfung offen. Der geltend gemachte grundrechtliche Anspruch der Antragstellerin überwiegt bei der Abwägung der Folgen jedoch das Interesse der Antragsgegnerin an der Nichtzulassung.
23
Die Antragstellerin hat aus Art. 3 GG Anspruch auf willkürfreie Gleichbehandlung bei der Zulassung zum Campusabend durch die Universität (BVerwG, U.v. 29.10.1992 – 7 C 34/91 – BVerwGE 91, 135-140, Rn. 15). Sie ist Grundrechtsträgerin. Inwiefern sie mit anderen Gruppen, die zugelassen wurden, vergleichbar ist oder nicht, bzw. ob ein zulässiges Differenzierungsmerkmal für die Nichtzulassung besteht, kann in der Kürze der Zeit und auf Grundlage der vorgetragenen Tatsachen nicht beurteilt werden. Insbesondere stützt die Antragsgegnerin sich hierbei lediglich auf Presseberichte und Aussagen, auf der nicht mehr offen im Internet auffindbaren Homepage der Antragsgegnerin. Diese bieten keine ausreichende Tatsachengrundlage.
24
Bei Abwägung der widerstreitenden Interessen überwiegt das Interesse der Antragstellerin an der Zulassung zu der Veranstaltung Campusabend. Je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden. So kommt der ablehnenden Entscheidung zu Lasten der Klagepartei eine Grundrechtsrelevanz (Art. 3 GG) zu, während der Beklagten entsprechend relevante Rechtsbeeinträchtigungen oder ein Grundrechtsbezug nicht zur Seite stehen. Weder § 32 der Geschäftsordnung des Studierendenparlaments, noch der Beschluss des Studierendenparlaments vom 14.10.2022 oder die Empfehlung der Universitätsleitung vom 10.02.2015 haben ein entsprechendes Gewicht.
25
Insbesondere sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Anwesenheit der Klagepartei an der Veranstaltung des Studentenparlaments eine Diskriminierung und Belästigung von Personen wegen rassistischer Gründe oder ethnisierender Zuschreibungen o.ä. zu erwarten wäre, vgl. § 32 Abs. 4 der Geschäftsordnung StuPa. Anhand der vorliegenden Tatsachengrundlagen steht keine unerträgliche Beeinträchtigung der Interessen der Universität im Raum, wenn die Antragstellerin zum Campusabend zugelassen wird. Insbesondere sind keine Tatsachen ersichtlich, die die Annahme rechtfertigen würden, dass es zu Störungen oder Problemen für die gesamte Veranstaltung kommen könnte, die der Antragstellerin als Urheberin zuzurechnen wären.
26
Die Antragstellerin macht demgegenüber ein grundrechtlich verbrieftes Recht auf Teilnahme am Campusabend geltend, von dem sie als einzige Bewerberin unter den Bewerbern, die nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden, ausgeschlossen wurde. Unstreitig wird die Antragstellerin nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Nur der Antragstellerin würde dann abgesehen von tatsächlich vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppierungen eine grundrechtlich grundsätzlich geschützte Teilnahme verwehrt. Im Rahmen der obigen Erwägungen fällt die Folgenabwägung zugunsten der Antragstellerin aus.
27
Der Anspruch auf Zulassung nach dieser Abwägungsentscheidung bezieht sich jedoch nur auf eine Zuweisung eines Standplatzes als solches; nicht jedoch wie beantragt auf die Zuweisung eines geeigneten Standplatzes in der Mensa.
28
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.
29
4. Der Streitwert ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG. Da das vorliegende Verfahren die Entscheidung in der Sache ganz oder zum Teil vorwegnimmt, wird der Streitwert auf den für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwert angehoben.
I.