Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 05.12.2023 – B 7 K 23.30362
Titel:

keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Syrien)

Normenketten:
AsylG § 3, § 77 Abs. 2
VwGO § 101 Abs. 2
Leitsatz:
Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass Rückkehrer im militärdienstpflichtigen Alter (Wehrpflichtige/Reservisten) allein deshalb in Anknüpfung an eine (unterstellte) oppositionelle bzw. regimefeindliche Gesinnung eine Verfolgung durch syrische Sicherheitskräfte zu befürchten haben, weil sie sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
„Aufstockerklage“ Syrien, Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung, Entscheidung durch Urteil im schriftlichen Verfahren, keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer flüchtlingsschutzrechtlich relevanten Verfolgung allein wegen Wehrdienstentziehung bzw. Desertion, keine individuell gefahrerhöhenden Umstände in der Person des Klägers, Syrien, Aufstockerklage, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Asyl, Desertion
Fundstelle:
BeckRS 2023, 42219

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger ist syrischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volks- und islamischer Religionszugehörigkeit. Er reiste nach eigenen Angaben am 15.06.2022 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 10.10.2022 einen Asylantrag.
2
Bei der persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 12.01.2023 trug der Kläger im Wesentlichen vor, er habe bis zu seiner Ausreise aus Syrien im Juli 2012 mit seiner Familie in … gelebt. Nach seiner Ausreise sei er bis zum 18.08.2021 ohne Aufenthaltsstatus im Libanon gewesen, bevor er über Libyen, Algerien und Spanien mit dem Flugzeug in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei.
3
Syrien habe er verlassen, weil er im Jahr 2012 vom Militärdienst desertiert sei. Er sei einfacher Soldat gewesen, habe den Anfang 2011 begonnenen Wehrdienst jedoch nicht abgeschlossen, da er keine Leute habe töten wollen. Zwar habe er hierzu keine Befehle erhalten, er habe aber Angst gehabt, künftig Leute töten zu müssen. Nach seiner Desertion habe er sich noch ca. zwei Monate in Syrien versteckt, bis er einen Weg gefunden habe, in den Libanon auszureisen. Von seinem Vater habe er erfahren, wenn der Vater nach A. gehe, werde dieser am Kontrollpunkt kontrolliert und im System stünde, dass er (der Kläger) gesucht werde.
4
Persönlich sei ihm vor der Ausreise aus Syrien nichts passiert. Er habe keine Probleme mit der Polizei oder anderen staatlichen Behörden gehabt. Er sei in Syrien auch nicht politisch aktiv gewesen. Seine Frau und deren Kinder befänden sich im Libanon. Er wolle seine Familie nach Deutschland nachholen.
5
Bei einer Rückkehr befürchte er, getötet zu werden.
6
Mit Bescheid vom 03.04.2023, zugestellt mit Postzustellungsurkunde am 08.04.2023, wurde dem Kläger der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt (Ziffer 1) und im Übrigen der Asylantrag abgelehnt (Ziffer 2).
7
Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, aufgrund des ermittelten Sachverhalts sei davon auszugehen, dass dem Kläger in Syrien ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG drohe. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter lägen hingegen nicht vor. Der Kläger sei kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG. Er habe weder eine bereits erlittene Vorverfolgung, noch eine ihm bei Rückkehr nach Syrien drohende Verfolgung gemäß § 3 Abs. 1 AsylG vorgetragen. Es fehle schon an einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgungshandlung, die auf einen Verfolgungsgrund beruhe. Die mögliche Bestrafung aufgrund der Desertion sei jedenfalls nicht mit einem Verfolgungsgrund gemäß § 3 Abs. 1 AsylG verknüpft. Die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung, Wehrdienst- bzw. Kriegsdienstverweigerung oder Desertion stelle für sich allein nach überwiegender obergerichtlicher Rechtsprechung grundsätzlich keine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung dar. Diesbezüglich fehle es bereits an ausreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die Verfolgung aus einem der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründe erfolge (wird umfassend ausgeführt). Für die Annahme, das syrische Regime unterstelle jeden Wehrdienstentzieher grundsätzlich eine regimefeindliche, oppositionelle Gesinnung, fehle es nach obergerichtlicher Auffassung an neuen Erkenntnissen, die dafürsprächen, dass nunmehr ausnahmslos jeder militärdienstflüchtige Mann bei einer Rückkehr nach Syrien als Oppositioneller mit regimekritischer Meinung oder Grundhaltung verfolgt werde. Eine vom EuGH vor dem Hintergrund der Situation im April 2017 angenommene diesbezügliche „hohe Wahrscheinlichkeit“ könne deshalb heute empirisch-objektiv nicht bestätigt werden. Allein wegen Militärdienstverweigerung könne daher auch nach dem EuGH-Urteil vom 19.11.2020 (C-238/19) nicht pauschal die Flüchtlingseigenschaft zugesprochen werden. Als Ausdruck politischer Opposition könne jedoch angesehen werden, wenn der Wehrpflichtige sich beispielsweise nachweisbar regimekritisch geäußert oder sonst politisch betätigt habe oder Verbindungen zur Opposition habe. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Dem Vortrag des Klägers seien keine Anhaltspunkte für eine regimefeindliche, oppositionelle Gesinnung oder eine Zuschreibung einer solchen Handlung durch das syrische Regime zu entnehmen. Der Kläger habe selbst erklärt, er sei zu keinem Zeitpunkt politisch aktiv gewesen. Da der Kläger sein Herkunftsland auch unverfolgt verlassen habe, bestehe nach der gegenwärtigen Erkenntnislage keine hinreichende Grundlage für die Annahme, dass der syrische Staat jeden Rückkehrer pauschal unter eine Art Generalverdacht stelle, der Opposition anzugehören. Der Kläger habe vielmehr keinen individuellen Verfolgungsgrund glaubhaft gemacht. Allein die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und der Auslandsaufenthalt stellten keine Anzeichen für politische Gegnerschaft zum syrischen Regime dar. Bei zusammenfassender Würdigung aller Umstände seien keine ausreichenden Gründe für eine individuelle Verfolgungsgefahr festzustellen.
8
Die Voraussetzungen der Asylanerkennung gemäß Art. 16a Abs. 1 GG seien nicht gegeben, da nicht einmal der weitergefasste § 3 AsylG einschlägig sei.
9
Mit Schriftsatz vom 14.04.2023, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag, erhob der Bevollmächtigte des Klägers Klage und beantragt,
die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 03.04.2023, zugestellt am 08.04.2023, zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen.
10
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe im Jahr 2011 seinen Wehrdienst begonnen. Aufgrund seiner politischen und religiösen Überzeugung habe er das dortige System nicht unterstützen können und wollen, insbesondere habe er keine Menschen töten wollen. Daher sei er im Juli 2012 in den Libanon geflohen. Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte der Kläger, getötet zu werden. Der EuGH habe in seiner Entscheidung vom 19.11.2020 zum Ausdruck gebracht, dass in diesen Fällen im Sinne des Klägers entschieden werden müsse. Nach dieser Entscheidung sei der Kläger als Asylberechtigter anzuerkennen. Bisher sei verkannt worden, dass der Kläger durch den Wehrdienst den syrischen Staat und dessen politische und religiöse Agenda nicht unterstützen wolle und dieser deshalb mit politischer Verfolgung rechnen müsse.
11
Mit Schriftsatz vom 24.04.2023 beantragt das Bundesamt für die Beklagte,
die Klage abzuweisen.
12
Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die angefochtene Entscheidung.
13
Mit Schriftsatz vom 08.05.2023 führte der Bevollmächtigte des Klägers aus, dem Kläger drohe aufgrund der Desertion eine Gefahr für Leib oder die körperliche Unversehrtheit. Nach derzeitigen Erkenntnissen bestünde in keinem Teil Syriens Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Folter, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Auf Grundlage dieser Informationen sei eine Verletzung elementarer Menschenrecht des Klägers zu befürchten. In erster Linie davon seien Oppositionelle oder Menschen, die das Regime als Oppositionelle einstufe, betroffen. Der Kläger sei mit dem Regime und der politischen Führung nicht einverstanden. An Kontrollpunkten sei seinem Vater mitgeteilt worden, dass der Kläger aufgrund der Desertion gesucht werde. Mithin sei bereits eine Verfolgung gegeben gewesen. Es bestünde also zumindest der Grund einer begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner politischen Überzeugung. Die Voraussetzungen des § 3 AsylG seien mithin gegeben.
14
Mit Schriftsatz vom 04.08.2023 trug der Bevollmächtigte des Klägers ergänzend vor, bislang sei nicht berücksichtigt worden, dass der Kläger Kurde sei. Die Lage zwischen Kurden und Syrern sei sehr angespannt. Der Machthaber Syriens, A1., gehe hart und entschlossen gegen Kurden vor, die seine Überzeugungen und Ansichten nicht unterstützten. Der Kläger habe berichtet, dass ihm nicht einmal gestattet sei, seine eigene kurdische Sprache zu sprechen. Zwar sei der Kläger in Syrien nach außen hin nicht politisch aktiv gewesen und habe nicht offen für die Autonomie seines Volkes gekämpft, allerdings wünsche er sich – wie jeder in Syrien lebende Kurde – die Autonomie seines Volkes. Möglicherweise werde der Kläger nur aufgrund seiner Weigerung, Militärdienst in Syrien zu leisten, nicht als Oppositioneller betrachtet. Die Tatsache, dass er jedoch Kurde sei, werde im Fall seiner Rückkehr dazu führen, dass er dort als oppositionell und regimefeindlich angesehen werde und ihm dadurch erhebliche Gefahren und Verfolgung drohe. Im Übrigen wolle der Kläger keinen Militärdienst leisten, da er befürchte, gegen sein eigenes Volk kämpfen zu müssen. Damit müsse er die Unterdrückung der Kurden unterstützen und deren Wunsch nach Autonomie bekämpfen. Es sei dem Kläger nicht zumutbar entgegen seiner Überzeugungen in Syrien zu leben und seine Kultur zu ignorieren, da ihm andernfalls Verfolgung und harte Strafen drohten. Die syrische Regierung versuche mit allen Mitteln den Kurden ihre Identität zu nehmen. Der Kläger habe berichtet, dass er große Angst um sein Leben habe, falls er nach Syrien zurückkehren müsse.
15
Mit gerichtlichem Schreiben vom 13.07.2023 wurde der Bevollmächtigte des Klägers informiert, dass beabsichtigt sei, gem. § 77 Abs. 2 AsylG über die Klage im schriftlichen Verfahren durch Urteil zu entscheiden, woraufhin mit Schriftsatz vom 04.08.2023 beantragt wurde, mündlich zu verhandeln. Mit Schriftsatz vom 29.11.2023 nahm der Klägerbevollmächtigte den Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung zurück.
16
Mit Beschluss der Kammer vom 26.07.2023 wurde der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
17
Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
18
Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht über die Klage durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Der Klägerbevollmächtigte beantragte – nachdem das Gericht kundgetan hat, gem. § 77 Abs. 2 Satz 1 AsylG im schriftlichen Verfahren durch Urteil zu entscheiden – zwar zunächst die Durchführung der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 2 Satz 2 AsylG). Mit Schriftsatz vom 29.11.2023 wurde der Antrag jedoch in zulässigerweise zurückgenommen. Die Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung wirkt auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurück, so dass der Antrag nach § 77 Abs. 2 Satz 2 AsylG als nicht gestellt gilt (vgl. zur Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung nach Erlass eines Gerichtsbescheids: BVerwG, B.v. 16.11.2021 – 9 A 6.21 – juris). Im Übrigen hat der Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 29.11.2023 beantragt, den Verhandlungstermin aufzuheben und über die Klage durch „Beschluss“ zu entscheiden. Zwar kann über die vorliegende Klage keine (streitige) Entscheidung durch „Beschluss“ ergehen, nach sachgerechter Auslegung (§ 88 VwGO) ist – auch unter Berücksichtigung der telefonischen „Vorabankündigung“ gegenüber dem Gericht und der Tatsache, dass Beschlüsse im Verwaltungsprozess i.d.R. ohne mündliche Verhandlung ergehen (vgl. § 101 Abs. 3 VwGO) -davon auszugehen, dass klägerseits (auch) auf mündliche Verhandlung i.S.d. § 101 Abs. 2 VwGO verzichtet wurde.
19
Das Bundesamt hat bereits mit Schriftsatz vom 14.07.2023 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
II.
20
Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der begehrten Flüchtlingseigenschaft (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
21
Zwecks Vermeidung unnötiger Wiederholungen verweist das Gericht zunächst vollumfänglich auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid (§ 77 Abs. 3 AsylG).
22
1. Ergänzend wird lediglich noch auf Folgendes hingewiesen:
23
a) Trotz des Umstands, dass die syrischen Machthaber gegen tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle mit äußerster Härte vorgehen, ist es letztlich – nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung – nicht beachtlich wahrscheinlich, dass jedweder Betroffene allein wegen einer (illegalen) Ausreise, eines Asylantrags und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositioneller betrachtet wird und deshalb eine Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG zu befürchten hat (vgl. beispielsweise BayVGH, B.v. 9.3.2023 – 21 B 19.30657 – juris m.w.N.; BayVGH, U.v. 2.5.2022 – 21 B 19.34314 – juris m.w.N.; OVG Münster, B.v. 13.6.2023 - 14 A 156/19.A – juris m.w.N.; OVG Lüneburg, B.v. 11.5.2022 – 2 LB 52/22 – juris).
24
In der herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung, der sich das erkennende Gericht angeschlossen hat, ist ferner geklärt, dass es – selbst unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils vom 19.11.2020 (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 5.7.2023 – 1 B 11.23 – juris) – nicht beachtlich wahrscheinlich ist, dass Rückkehrer im militärdienstpflichtigen Alter (Wehrpflichtige/Reservisten) allein deshalb in Anknüpfung an eine (unterstellte) oppositionelle bzw. regimefeindliche Gesinnung eine Verfolgung durch syrische Sicherheitskräfte zu befürchten haben, weil sie sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben (vgl. z.B.: BayVGH, U.v. 1.8.2023 – 21 B 20.32293 –; BayVGH, B.v. 9.3.2023 – 21 B 19.30657 – juris m.w.N.; BayVGH, B.v. 26.1.2022 – 21 ZB 22.30063 – juris; BayVGH, U.v. 2.5.2022 – 21 B 19.34314 – juris; BayVGH, U.v. 23.6.2021 – 21 B 19.33586 – juris; BayVGH, U.v. 29.9.2021 – 21 B 19.34339; OVG Lüneburg, B.v. 11.5.2022 – 2 LB 52/22 – juris; OVG Münster, U.v. 23.8.2022 – 14 A 3389/20.A – juris; OVG Münster, B.v. 13.6.2023 - 14 A 156/19.A – juris; a.A. insoweit nur OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 29.1.2021 – OVG 3 B 108.18 – juris, wobei inzwischen das BVerwG mit U.v. 19.1.2023 – 1 C 1/22 u.a. mehrere Urteile des OVG Berlin-Brandenburgs aufgehoben hat, bzw. OVG Bremen, U.v. 23.3.2022 – 1 LB 484/21 – juris, deren/dessen Auffassung das erkennende Gericht im Hinblick auf die überzeugenden Ausführungen der anderen Obergerichte nicht folgt). Insbesondere erfolgt eine „Verfolgung“ in der Regel jedenfalls nicht in Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund des § 3b AsylG (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 5.7.2023 – 1 B 11.23 – juris). Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt vielmehr nur dann in Betracht, wenn besondere gefahrerhöhende Umstände gerade in der Person des jeweiligen Klägers glaubhaft gemacht wurden, was vorliegend nicht er Fall ist (dazu sogleich näher unter b).
25
Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Syrien grundsätzlich auch keine Verfolgung durch den syrischen Staat wegen seiner kurdischen Volkszugehörigkeit. Kurden als solche werden vom syrischen Staat nicht im flüchtlingsrechtlichen Sinne verfolgt (OVG Münster, B. v. 13.6.2023 – 14 A 156/19.A – juris m.w.N.; VG Bayreuth, U.v. 15.2.2023 – B 7 K 22.30730).
26
b) Individuelle und gefahrerhöhende Umstände gerade in der Person des Klägers, die vorliegend die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG begründen würden, liegen nicht vor.
27
Der Kläger hat insbesondere nicht einmal annähernd glaubhaft gemacht, dass er Syrien vorverfolgt im Sinne des Flüchtlingsrechts verlassen hat bzw. dass er aufgrund anderweitiger Umstände im besonderen Fokus der syrischen Behörden, aufgrund derer ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG drohen würde, steht. Eine Vorverfolgung ist insbesondere im Zusammenhang mit der Desertion des Klägers im Jahr 2012 nicht ersichtlich. Der Kläger lebte nach der Desertion noch zwei Monate in Syrien. Zwar hat er angegeben, sich in dieser Zeit versteckt zu haben. Anderseits wurde nicht einmal beim Kläger zuhause nach diesem gesucht, was dafürspricht, dass bereits damals kein ernsthaftes – und gegenüber dem Kläger individuell gefahrerhöhendes – Verfolgungsinteresse des syrischen Staates bestand. Dies gilt erst recht im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung Ende 2023. Im Übrigen hat der Kläger nur berichtet, dass das sein Vater – wenn dieser nach A. gehe – kontrolliert werde und im System stünde, dass er (der Kläger) gesucht werde. Ob der Vater überhaupt schon einmal in A. mit dieser Situation konfrontiert war, bleibt dagegen völlig offen, insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Vater wegen der Desertion des Klägers belangt wurde. Dies kann aber auch dahinstehen. Selbst wenn man den Vater belangt hätte, führt dies nicht zu gefahrerhöhenden Umständen beim hiesigen Kläger. Dieser war nach eigenen Angaben nicht politisch aktiv und hatte keinerlei Probleme mit syrischen Behörden. Er hat keine „Schießbefehle“ erhalten und ihm ist in Syrien nichts passiert. Der Kläger ist daher ein einfacher Wehrdienstentzieher/Deserteur, der nahezu zehn Jahre unbehelligt im Libanon lebte und diesen offensichtlich (nur) wegen besserer Lebensbedingungen für sich und seine Familie in Richtung Deutschland verlassen hat. Gefahrerhöhende Umstände sind auch nicht aufgrund der kurdischen Volkszugehörigkeit des Klägers gegeben. Insbesondere war er auch insoweit nicht politisch aktiv oder in (herausgehobener) oppositioneller Stellung tätig.
28
Zusammenfassend ist das Gericht daher überzeugt, dass der Kläger Syrien weder vorverfolgt im Sinne des Flüchtlingsrechts verlassen hat, noch dass ihm bei einer Rückkehr aufgrund individueller und gefahrerhöhender Umstände eine Verfolgungshandlung in Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund des § 3 AsylG droht.
29
c) Das Bundesamt hat dem Kläger daher mit Bescheid vom 03.04.2023 zu Recht (nur) den subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG zuerkannt. Ein weitergehender Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG besteht ersichtlich nicht.
30
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO .