Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 22.05.2023 – B 1 S 23.320
Titel:

Nichtvorlage Gutachten, Alkoholabusus, Alkoholabhängigkeit, Hausarztbericht, Entlassungsbericht Bezirksklinikum, Ausräumen von Zweifeln, Überzeugung von Fahruntauglichkeit

Normenketten:
StVG § 3 Abs. 1
FeV §§ 46 Abs. 1 S. 1 FeV, 11 Abs. 2, 6, 7 und 8
Anlage 4 zur FeV
Schlagworte:
Nichtvorlage Gutachten, Alkoholabusus, Alkoholabhängigkeit, Hausarztbericht, Entlassungsbericht Bezirksklinikum, Ausräumen von Zweifeln, Überzeugung von Fahruntauglichkeit
Fundstelle:
BeckRS 2023, 42198

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Beklagten, in dem u.a. die Entziehung seiner Fahrerlaubnis angeordnet wurde.
2
Der Antragsteller, geb. … in …, wohnhaft in …, war Inhaber der Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, L und M.
3
Am 15. September 2022 wurde die Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts … (im Folgenden: Landratsamt) behördenintern auf den Umstand hingewiesen, dass beim Antragsteller Tatsachen vorlägen, die Zweifel an dessen Fahreignung begründeten. Gestützt würden diese Zweifel auf einen dem Landratsamt vorliegenden Befundbericht des Dr. med. G. und Herrn S. von der … Klinik … vom 7. August 2022, in der sich der Antragsteller vom 25. Juli 2022 bis 8. August 2022 zu einer stationären Behandlung aufhielt.
4
In dem Bericht wurden u.a. folgende Diagnosen gestellt: – COPD, – Pulmonale Hypertonie, – Korsakow Psychose bei C2 Abusus, – Diabetes mellitus Typ 2. Der Patient habe nicht auf Normalstation verlegt werden können, da sein psychiatrischer Zustand, insbesondere die potentielle Selbst- und Fremdgefährdung sowie die Wahrnehmungsstörungen dem entgegengestanden hätten. Wegen eines Delirs und der psychiatrischen Probleme werde von einem Korsakow Syndrom ausgegangen. Der Patient habe sich aggressiv gegenüber dem Klinikpersonal verhalten. Außerdem sei dessen Wahrnehmung sehr eingeschränkt gewesen. Der Patient habe mehrere Fluchtversuche unternommen. Zum Teil sei er auch selbstgefährlich gewesen, da er sich sämtliche Zugänge mehrfach selbst gezogen habe. Deshalb sei ein Aufenthalt in einer psychiatrischen Einrichtung befürwortet worden.
5
Am 9. August 2022 wurde der Antragsteller auf Grundlage eines Beschlusses des Amtsgerichts … vorläufig bis zum Ablauf des 29. August 2022 im Bezirkskrankenhaus … untergebracht.
6
Der Antragsteller wurde am 18. August 2022 aus der stationären Behandlung der geschlossenen gerontopsychiatrischen Station des Bezirkskrankenhauses … entlassen.
7
Mit Schreiben des Landratsamts vom 15. September 2022 wurde der Antragsteller zur Vorlage des Entlassungsberichts des Bezirkskrankenhauses … bis spätestens 29. September 2022 aufgefordert. Aufgrund des Behandlungsberichts vom 7. August 2022 und der vorläufigen Unterbringung des Antragstellers in einer geschlossenen Abteilung des Bezirkskrankenhauses bestünden aus amtsärztlicher Sicht aufgrund einer Erkrankung aus dem nervenärztlichen Fachbereich erhebliche Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers.
8
Nachdem der Antragsteller den Entlassungsbericht nicht fristgerecht vorlegte, wurde er vom Landratsamt unter dem 27. Oktober 2022 zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens einer Begutachtungsstelle für Fahreignung bis zum 27. Dezember 2022 aufgefordert. Auf die Möglichkeit, die an die Begutachtungsstelle zu übersendenden Unterlagen einzusehen sowie auf die Möglichkeit zur Fahrerlaubnisentziehung im Falle der Nichtvorlage des Gutachtens (§ 11 Abs. 8 FeV) werde hingewiesen. Die Untersuchung müsse folgende Fragestellungen klären:
Liegt bei Herrn … eine psychische Erkrankung vor, die nach Anlage 4 Nr. 7 FeV die Fahreignung in Frage stellt?
Falls Ja:
Ist Herr … trotz des Vorliegens einer Erkrankung aus dem nervenärztlichen Fachbereich, welche nach Anlage 4 Nr. 7 FeV die Fahreignung in Frage stellt, in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen B, BE, L und M gerecht zu werden?
Ist Herr … trotz Vorliegens einer Herzerkrankung (HFpEF -NYHA III, NTproBNP 550 pg/ml), COPD und Pulmonalen Hypertonie (a. e. NIZZA III), welche nach Anlage 4 Nrn. 4 und 11.3 die Fahreignung in Frage stellen, in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen A, A18, A1, B, BE, C1, C1E, L, M und T gerecht zu werden?
Beeinträchtigen die Herrn … verordneten Medikamente die Fahreignung und das Leistungsvermögen?
Liegt eine ausreichende Adhärenz (Compliance, z.B. Krankheitseinsichtigkeit, regelmäßige/ überwachte Medikamenteneinnahme) vor?
Sind bei gegebener Fahreignung Nachuntersuchungen und wenn ja, in welcher Form, in welchen Zeitabständen und von welchem Arzt erforderlich?
9
In einem Aktenvermerk des Landratsamts vom 31. Oktober 2022 wurde festgehalten, dass der Antragsteller an diesem Tag beim Landratsamt angerufen und mitgeteilt habe, dass er den Entlassungsbericht bereits übersendet habe. Er werde veranlassen, den Bericht dem Landratsamt nochmals zuzusenden.
10
Aus dem sodann vorgelegten Entlassungsbericht des Bezirkskrankenhauses … vom 30. August 2022 ergeben sich u.a. folgende Diagnosen:
- Delir bei Demenz (F05.1)
- Korsakow Krankheit (F10.6)
- COPD (J44.19)
- Pneumonie II mit E.Coli (J18.8)
- Herzinsuffizienz Nyrha III (I50.9)
- Muskelvenenthrombose II. Unterschenkel (I80.20)
- Typ-2-Diabetes mellitus (E11.80)
- Benigne essentielle Hypertonie (I10.00)
- Alimentäre Adipositas (E66.09)
- Alkoholabhängigkeit (F10.2).
11
Der Patient habe im Rahmen der Suchtanamnese angegeben, ab und zu 4 bis 5 Flaschen Bier zu trinken. Bei der Aufnahme habe er keine Fremdaggressivität gezeigt. Er sei wach, bewusstseinsklar, zur Person und zum Ort orientiert, zur Zeit unscharf orientiert und zur Situation desorientiert gewesen. Bei der Entlassung hätten keine psychotischen Symptome mehr vorgelegen. Auch sei nicht von einer Selbst- und Fremdgefährdung auszugehen.
12
Unter dem 4. November 2022 erging daraufhin seitens des Landratsamts unter Beibehaltung der Vorlagefrist zum 27. Dezember 2022 eine erweiterte Gutachtensbeibringungsaufforderung. Die Untersuchung bei einer Begutachtungsstelle für Fahreignung müsse folgende zusätzlichen Fragestellungen klären:
Ist Herr … trotz des Vorliegens von Erkrankungen aus dem nervenärztlichen Fachbereich (Delir bei Demenz, Korsakow-Krankheit), welche nach Anlage 4 Nr. 7 FeV die Fahreignung in Frage stellen, in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen B, BE, L und M gerecht zu werden?
Ist Herr … trotz Vorliegens von Erkrankungen aus dem internistischen Fachbereich (Herzinsuffizienz, COPD und Pulmonale Hypertonie), welche nach Anlage 4 Nrn. 4 und 11.3 die Fahreignung in Frage stellen, in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen B, BE, L und M gerecht zu werden? (Anm: Es erfolgte hier eine Korrektur hinsichtlich der Fahrerlaubnisklassen des Antragstellers).
(…)
Bezüglich der diagnostizierten Alkoholabhängigkeit:
Lässt sich die aus aktenkundigen Tatsachen begründete Annahme einer Alkoholabhängigkeit bei Herrn … aktuell bestätigen?
Wenn ja, welche drei Kriterien nach ICD-10 sind im vorliegenden Einzelfall erfüllt, die die Annahme einer Alkoholabhängigkeit bestätigen?
Falls Abhängigkeit festgestellt wurde: Fand eine erfolgreiche Entwöhnung statt?
Nach erfolgreicher Entwöhnung:
Liegt ein ausreichend nachgewiesener Abstinenzzeitraum vor?
13
Am 10. November 2022 ging die Einverständniserklärung des Antragstellers zur Begutachtung bei der ... L1. Service GmbH, … beim Landratsamt ein.
14
Unter dem 9. Januar 2023 wurde der Antragsteller nach Nichtvorlage des Gutachtens zur beabsichtigten Fahrerlaubnisentziehung angehört, wobei ihm Frist zur Stellungnahme bis zum 23. Januar 2023 eingeräumt wurde.
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Mit E-Mail vom 23. Januar 2023 legte der Bevollmächtigte des Antragstellers einen Hausarztbericht der Praxis Dr. M, B. und Kollegen vom 21. November 2022 sowie einen Echo-Befund dieser Praxis vom 18. November 2022 und einen Laborbefund vom 16. November 2022 vor. Im Arztbericht wird ausgeführt, dass beim Antragsteller ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus besteht, der mit ICD und Jardiance therapiert werde. Zwar befänden sich die Blutzuckerwerte nicht im Idealbereich, jedoch sei nicht von einer erhöhten Hypoglycämiegefahr auszugehen. Bei dem Antragsteller liege eine Fettleber vor. Der Verlauf des Gamma-GT-Wertes als auch des CDT-Wertes sprächen gegen einen chronischen Alkoholkonsum. Der Antragsteller wirke seit seinem Durchgangssyndrom während des Krankenhausaufenthaltes geordnet, halte sich an den Medikamentenplan und befolge die ärztlichen Anweisungen. Insgesamt werde der Antragsteller als fahrtauglich zum Führen eines PKWs eingestuft.
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Das vom Landratsamt geforderte Gutachten wurde seitens des Antragstellers nicht vorgelegt.
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Mit Bescheid des Landratsamts vom 25. Januar 2023, zugestellt am 31. Januar 2023, wurde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, L und M entzogen. Der Führerschein mit der Nummer … sei umgehend beim Landratsamt abzuliefern (Ziff. 1). Die sofortige Vollziehung der Ziff. 1 des Bescheides werde angeordnet (Ziff. 2). Für den Fall, dass der Antragsteller seinen Führerschein nicht innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung des Bescheides abliefert, werde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR angedroht. Sollte die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs angeordnet werden, so werde die Frist bis zum Ablauf von einer Woche nach Eintritt der Bestandskraft verlängert (Ziff. 3). Der Antragsteller habe die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gebühr werde auf 150,00 EUR festgesetzt. Die Auslagen betrügen 3,45 EUR (Ziff. 4).
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Der Antragsteller habe den ihm obliegenden Nachweis über seine Eignung als Kraftfahrzeugführer nicht erbracht, weshalb das Landratsamt gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen könne. Der Fahrerlaubnisbehörde sei infolge der Unterbringung des Antragstellers im Bezirkskrankenhaus … bekannt geworden, dass sich verschiedene Hinweise auf fahreignungsrelevante Erkrankungen nach Anlage 4 zur FeV aus dem internistischen sowie neurologischen Fachbereich ergeben hätten, welche Zweifel an der Fahreignung begründeten (§ 11 Abs. 2 FeV). Der Antragsteller habe den zunächst geforderten Entlassungsbericht des Bezirkskrankenhauses … nicht vorgelegt und sei deshalb seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen. Zur Klärung der Eignungszweifel habe sodann ein ärztliches Gutachten gefordert werden müssen. Bei psychischen Erkrankungen bestünden nach Anlage 4 zur FeV Zweifel an der Fahreignung, da hierbei die für das Kraftfahren notwendigen psychischen Fähigkeiten herabgesetzt seien, sodass ein ernsthaftes Risiko des verkehrswidrigen Verhaltens bestehe. Bei schweren Lungen- und Bronchialerkrankungen mit schweren Rückwirkungen auf die Herz-Kreislauf-Dynamik bestünden zudem nach Nr. 11.3 Anlage 4 zur FeV Zweifel an der Fahreignung. Bei Menschen mit COPD könnten plötzlich starke Hustenanfälle auftreten, die in einem schwerwiegenden Unfall enden könnten. Im Hinblick auf diesen Sachverhalt sei in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens durch die Beibringung eines Fahreignungsgutachtens abzuklären gewesen, ob bei dem Antragsteller weiterhin die Fahreignung gegeben sei. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei dabei berücksichtigt worden. Die zunächst aufgeworfenen Fahreignungszweifel seien infolge der Vorlage des Entlassungsberichts noch verstärkt worden, da hierdurch bekannt geworden sei, dass der Antragsteller neben den bereits bekannten Erkrankungen auch an einem Delir bei Demenz, an der Korsakow-Krankheit und an einer Alkoholabhängigkeit leide. Bei Vorliegen einer Demenz könne die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nach Nr. 7.3 der Anlage 4 zur FeV eingeschränkt oder sogar aufgehoben sein. Bei einer senilen oder präsenilen Demenz als auch bei schweren altersbedingten Persönlichkeitsveränderungen sei keine Fahreignung mehr gegeben. Das beim Antragsteller diagnostizierte Korsakow-Syndrom sei nach Nr. 3.12.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung als organisch-psychische Störung einzuordnen. Daher bestünden nach Nr. 7.1 der Anlage 4 zur FeV erhebliche Zweifeln an der Fahreignung. Nach Abklingen einer organischen Psychose sei die Fähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen im Wesentlichen von Art und Prognose des Grundleidens abhängig, sodass dies durch ein Gutachten zu klären gewesen sei. Des Weiteren sei der Fahrerlaubnisbehörde eine Alkoholabhängigkeit des Antragstellers bekannt geworden. Gemäß § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV sei die Fahrerlaubnisbehörde dazu verpflichtet, die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anzuordnen, wenn Tatsachen die Annahme einer Alkoholabhängigkeit begründeten. Nach Nr. 8.3 Anlage 4 zur FeV entfalle die Fahreignung bei Alkoholabhängigkeit und sei erst wiederhergestellt, wenn nach Nr. 8.4 Anlage 4 zur FeV die Abhängigkeit nicht mehr bestehe, was bei einer erfolgreichen Entwöhnungstherapie und einer einjährigen Abstinenz im Anschluss angenommen werden könne. Zur Vorlage des ärztlichen Befundberichts der Hausarztpraxis vom 21. November 2022 sei auszuführen, dass ein Fahrerlaubnisinhaber zwar grundsätzlich Eignungszweifel durch geeignete Beweismittel ausräumen könne, dies jedoch voraussetze, dass keinerlei Restzweifel mehr verblieben, da aus den vorgelegten Unterlagen eindeutig und nachvollziehbar hervorgehe, dass die ursprünglichen Bedenken unbegründet seien. Dies sei vorliegend nicht gegeben. Eine Laborauswertung hinsichtlich der Leberwerte sowie des CDT-Wertes könne die durch die Bezirksklinik …, welche eine Fachklinik für Suchterkrankte sei, aufgeworfenen Zweifel nicht ausräumen. Bezüglich der in der Gutachtensbeibringungsaufforderung angeführten Herzerkrankungen wurde ein Echo-Befund vorgelegt, nicht jedoch eine ausführliche Befundbewertung. Außerdem sei weiterhin eine diastolische Funktionsstörung angeführt. Außerdem solle der Facharzt, der das geforderte Gutachten erstelle, nicht zugleich der behandelnde Arzt des Betroffenen sein.
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Der Führerschein sei gemäß § 47 Abs. 1 FeV unverzüglich abzuliefern.
20
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis sowie der Abgabepflicht des Führerscheins sei im öffentlichen Interesse geboten. Die Verkehrssicherheit verlange, dass Verkehrsteilnehmer, die zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet seien, von der Teilnahme am Straßenverkehr ausgeschlossen werden. Die privaten Interessen des Betroffenen müssten dahinter zurückstehen.
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Die Androhung des Zwangsgeldes beruhe auf Art. 29, 30, 31 und 36 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG). Das Zwangsgeld sei geeignet, den Zweck der Abgabe des Führerscheins zu erreichen. Als Regelzwangsmittel stehe das Zwangsgeld in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck, da es das am wenigsten einschneidende Mittel sei. Die festgesetzte Höhe von 500,00 EUR erreiche das wirtschaftliche Interesse, das der Antragsteller an der Nichtvorlage des Führerscheins besitze und sei deshalb geeignet, diesen zur Abgabe des Führerscheins zu veranlassen.
22
Es folgt die Begründung der Kostenentscheidung.
23
Mit E-Mail vom 3. Februar 2023 teilte der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers dem Landratsamt mit, dass der Antragsteller ihm den Führerschein zugesendet habe und er diesen am Montag bzw. Dienstag beim Landratsamt abgeben werde.
24
Mit Schriftsatz vom 28. Februar 2023, eingegangen beim Verwaltungsgericht am gleichen Tag, ließ der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage gegen den Bescheid des Landratsamts vom 25. Januar 2023 erheben und stellte mit Schriftsatz vom 18. April 2023 den folgenden Antrag im einstweiligen Rechtsschutz:
25
Zudem beantragen wir nach § 80 Abs. 5 VwGO die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der eingereichten Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Landratsamts … vom 25.01.2023, Az.: … hinsichtlich der unter Ziffer I des streitgegenständlichen Bescheids verfügten Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers sowie der verfügten Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins des Antragstellers, die beide nach Ziffer II für sofort vollziehbar erklärt wurden und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Zwangsgeldandrohung in Ziffer III. des Bescheides vom 25 ersten 2023 des Landratsamtes … Aufgrund des vorgelegten ärztlichen Befundberichtes des den Kläger seit Jahren behandelnden Arztes Dr. med. M. vom 21. November 2022 seien die Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers wegen Bluthochdrucks und Herzleistungsschwäche gemäß Nr. 4 und 11.3 der Anlage 4 zur FeV ausgeräumt und nicht mehr gerechtfertigt, da der Hausarzt gerade keine schwerwiegenden Lungenerkrankungen mit Rückwirkungen auf die Herz-Kreislauf-Dynamik, wie zum Beispiel bei COPD, bestätigt habe. Außerdem habe der Echo-Befund vom 18. November 2022 eine krankhafte Veränderung am Herzen oder sonstige Auffälligkeiten ausgeschlossen. Zudem habe der behandelnde Hausarzt in seinem Attest vom 21. November 2022 bestätigt, dass der Antragsteller seit seinem Durchgangssyndrom während des stationären Aufenthalts geordnet wirke und sich an den Medikamentenplan halte. Der Arzt habe damit organisch-psychische Störungen in Form des Vorliegens einer Demenz oder eines Korsakow-Syndroms ausschließen können. Das Landratsamt sei auch irrig von einer Alkoholabhängigkeit ausgegangen. Ausweislich des Hausarztberichts vom 21. November 2022 sprächen der Verlauf des Gamma-GT-Wertes als auch des CDT-Wertes gegen einen chronischen Alkoholkonsum. Aus den vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen habe sich somit eindeutig und zweifelsfrei ergeben, dass die Bedenken an der Fahreignung unbegründet seien. Vielmehr sei festgestellt worden, dass der Antragsteller zum Führen eines Fahrzeuges geeignet sei. Die Beibringungsaufforderung sei deshalb unverhältnismäßig. Außerdem lägen vorliegend keine solchen erheblichen Eignungszweifel vor, die es rechtfertigen könnten, das behördliche Ermessen auf Null zu reduzieren. Zudem sei die Sofortvollzugsanordnung nur formel- und floskelhaft begründet und nicht in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO entsprechenden Weise dargelegt. Es sei keine materielle Interessenabwägung erkennbar.
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Unter dem 25. April 2023 beantragte das Landratsamt,
den Antrag abzulehnen.
27
Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund der Nichtvorlage des angeordneten ärztlichen Gutachtens rechtmäßig und auch die Anordnung des Sofortvollzugs nicht zu beanstanden sei. Für die Anordnung eines Fahreignungsgutachtens genüge der Hinweis auf eine Erkrankung nach Anlage 4 zur FeV. Aus der Unterbringungsmitteilung habe sich eine Herzerkrankung, COPD und der Verdacht des Vorliegens einer psychischen Erkrankung ergeben. In Ausübung pflichtgemäßen Ermessens sei daher die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens angeordnet worden. Der nachträglich übersandte Entlassungsbericht habe die bereits bestehenden Zweifel nicht ausräumen können. Neben den bereits bekannt gewordenen Diagnosen hätten sich weitere fahreignungsrelevante Erkrankungen in Form eines Delirs bei Demenz, die Korsakow-Krankheit sowie eine Alkoholabhängigkeit ergeben. Das angeordnete Gutachten sei nicht vorgelegt worden. Der Antragsteller habe lediglich ein Attest des behandelnden Arztes sowie einen Echo-Befund und einen Labor-Befund vorgelegt. Die im Attest aufgeführten Erkrankungen seien überwiegend nicht Gegenstand der Gutachtensbeibringungsaufforderung gewesen. Die Zweifel an der Fahreignung seien durch die vorgelegten Unterlagen nicht gänzlich beseitigt worden, weshalb eine Rücknahme der Gutachtensbeibringungsaufforderung nicht in Frage gekommen sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
29
Der Antrag hat keinen Erfolg.
30
1. Der Antrag ist nur teilweise zulässig. Soweit sich dieser auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziff. 3 des streitgegenständlichen Bescheides bezieht, fehlt dem Antragsteller das Rechtsschutzbedürfnis. Der Führerschein wurde vom Antragsteller fristgerecht bei der Führerscheinstelle des Antragsgegners abgegeben. Gemäß Art. 37 Abs. 4 Satz 1 VwZVG ist die Anwendung eines Zwangsmittels einzustellen, sobald der Pflichtige seiner Verpflichtung nachkommt. Die Zwangsgeldandrohung hat sich damit erledigt (VG Bayreuth, B.v. 12.7.2018 – B1 18.564 – juris Rn. 21; VG Würzburg, U.v. 24.2.2021 – W 6 K.20.1735 – BeckRS 2021, 6971 Rn. 21).
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2. Der Antrag ist im Übrigen unbegründet.
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Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen. Das Gericht prüft im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auch, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind.
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Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der Antrag keinen Erfolg, da die zwar zulässige Klage in der Hauptsache bei summarischer Prüfung unbegründet ist, weil der Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. Januar 2023 keinen Rechtmäßigkeitsbedenken begegnet.
34
a. Gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet oder bedingt geeignet ist, so finden gem. § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung.
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Die Nichteignung des Klägers ergibt sich vorliegend aus § 11 Abs. 8 FeV. Bringt ein Fahrerlaubnisbewerber demgemäß ein behördlich angeordnetes Fahreignungsgutachten nicht bzw. nicht fristgerecht bei, darf die Fahrerlaubnisbehörde zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt ihrer Entscheidung über die Erteilung der Fahrerlaubnis darauf schließen, dass dem Betroffenen die Fahreignung fehlt. Der Schluss auf die Nichteignung des Betroffenen im Falle grundloser Nichtbeibringung des Gutachtens ist gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV aber nur dann zulässig, wenn die Anordnung zur Gutachtensbeibringung rechtmäßig war, wenn also die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung erfüllt sind und die Anordnung auch im Übrigen den Anforderungen des § 11 FeV entspricht. Voraussetzung ist, dass die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig erfolgt ist (stRspr., vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20/15 – juris Rn. 19). Die Gutachtensanordnung muss weiter hinreichend bestimmt und aus sich heraus verständlich sein. Der Betroffene muss der Gutachtensaufforderung entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das Verlautbarte die behördlichen Zweifel an seiner Fahreignung zu rechtfertigen vermag. Weiterhin ist gemäß § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV erforderlich, dass der Betroffene nachweislich auf die Folgen der Nichteignungsvermutung des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV hingewiesen wurde. Die Frist muss so bemessen sein, dass dem Betroffenen die Gutachtensbeibringung möglich und zumutbar ist (BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 25.04 – DAR 2005, 581; BayVGH, B.v. 17.4.2019 – 11 CS 19.24 – juris Rn. 18).
36
aa. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV müssen der Fahrerlaubnisbehörde Tatsachen bekannt werden, die im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der Beibringungsanordnung Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisbewerbers begründen. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist der Zeitpunkt des Ergehens der zu überprüfenden Anordnung (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – juris Rn. 14; B.v. 21.5.2012 – 3 B 65.11 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 27.5.2015 – 11 CS 15.645 – juris Rn. 11). Die Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens muss sich dabei auf konkrete Tatsachen stützen und darf nicht auf einen bloßen Verdacht hin „ins Blaue hinein“ verlangt werden (BayVGH, U.v. 3.9.2015 – 11 CS 15.1505 – juris Rn. 13). Ob solche konkreten Tatsachen vorliegen, die Bedenken gegen die körperliche und geistige Eignung des Fahrerlaubniserwerbers begründen, ist nach den gesamten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Diese Tatsachen können sich auch aus Mitteilungen anderer Behörden ergeben.
37
Das Gericht hat keinen Zweifel, dass die Forderung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens im maßgeblichen Zeitpunkt der Beibringungsaufforderung zu Recht erfolgt ist, denn es sind hinreichend gewichtige Tatsachen vorhanden, die Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers belegen und die die Fahrerlaubnisbehörde veranlassen durften, eine Abklärung herbeizuführen.
38
Neben dem Umstand der Unterbringung des Antragstellers im Bezirkskrankenhaus … aufgrund seines psychischen Zustandes wurden dem Landratsamt infolge des ärztlichen Berichts des Herrn Dr. med. P. G. vom 7. August 2022 über den stationären Aufenthalt des Antragstellers in der … Klinik in … weitere fahreignungsrelevante Diagnosen bekannt, darunter COPD, eine pulmonale Hypertonie, eine Korsakow-Psychose bei C2 Abusus sowie eine Herzinsuffizienz.
39
Bei psychischen Erkrankungen bestehen nach Anlage 4 zur FeV Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen, da bei solchen die für das Kraftfahren notwendigen psychischen Fähigkeiten herabgesetzt sind, sodass ein ernsthaftes Risiko eines verkehrswidrigen Verhaltens besteht. Schwere psychotische Krankheitserscheinungen können das Realitätsurteil eines Menschen in so erheblichem Ausmaß beeinträchtigten, dass selbst die Einschätzung normaler Verkehrssituationen gestört wird. Zudem können Antriebs- und Konzentrationsstörungen den situationsgerechten Einsatz der psycho-physischen Leistungsfähigkeit mindern, wodurch die notwendige Leistungsfähigkeit unter das erforderliche Maß herabgesetzt wird. Bei schweren Lungen- und Bronchialerkrankungen mit schweren Rückwirkungen auf die Herz-Kreislauf-Dynamik, wie etwa bei COPD, bestehen nach Nr. 11.3 der Anlage 4 zur FeV Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. In fortgeschrittenen Stadien dieser Erkrankungen kann infolge einer Gasaustauschstörung sowie durch plötzliche Hustensynkopen die Fähigkeit, den Anforderungen der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr gerecht zu werden, erheblich eingeschränkt, wenn nicht sogar aufgehoben sein. Bei COPD handelt es sich um eine chronische Erkrankung der Lunge mit einer dauerhaften Verengung der Atemwege und einer fortschreitenden Zerstörung des Lungengewebes. Auch Herz- und Gefäßerkrankungen können gemäß Nr. 4 der Anlage 4 zur FeV Zweifel an der Fahreignung begründen. Je nach Art und Ausprägung der Erkrankung kann die Fahreignung herabgesetzt oder auch ganz aufgehoben sein. Ähnlich verhält es sich auch bei der diagnostizierten Erkrankung Diabetes mellitus. Gemäß Nr. 5 der Anlage 4 zur FeV begründet Diabetes Zweifel an der Fahreignung. Je nach Schwere der Erkrankung, insbesondere nach Schwere der Stoffwechselentgleisungen, kann die Fahreignung aufgehoben oder zumindest erheblich eingeschränkt sein.
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Die zunächst aufgeworfenen Fahreignungszweifel wurden durch die nachträgliche Vorlage des Entlassungsberichts des Bezirkskrankenhauses … vom 30. August 2022 noch weiter verstärkt, da hierdurch dem Landratsamt bekannt wurde, dass der Antragsteller auch an einem Delir bei Demenz, an der Korsakow-Krankheit und an einer Alkoholabhängigkeit leidet. Eine Demenz kann nach Nr. 7.3 der Anlage 4 zur FeV die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen einschränken oder vollständig aufheben. So ist etwa bei einer schweren Altersdemenz und einer schweren Persönlichkeitsveränderung durch pathologische Alterungsprozesse die Fahreignung nach Nr. 7.3 der Anlage 4 zur FeV nicht mehr gegeben. Auch aufgrund der diagnostizierten Korsakow-Krankheit durfte das Landratsamt erhebliche Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers haben. Das Korsakow-Syndrom ist als organisch-psychische Störung im Sinne der Nr. 7.1 der Anlage 4 zur FeV einzuordnen, bei der für die Beurteilung der Fahreignung auf die Art und Prognose des Grundleidens abzustellen ist. Jedenfalls waren auch diesbezüglich durch ein Fahreignungsgutachten die Auswirkungen dieser Erkrankung auf die Fahreignung des Antragstellers zu prüfen. Die dem Landratsamt bekannt gewordene Alkoholabhängigkeit des Antragstellers begründet weitere erhebliche Zweifel an dessen Fahreignung. Gemäß Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV liegt bei einer Alkoholabhängigkeit keine Fahreignung vor. Eine solche ist nach Nr. 8.4 erst wieder gegeben, wenn eine erfolgreiche Entwöhnungstherapie stattgefunden hat und eine einjährige Abstinenz nachgewiesen werden kann. Übermäßiger und vor allem regelmäßiger Alkoholkonsum führt zu einer Gewöhnungswirkung und begründet die Gefahr einer nicht realitätsgerechten Einschätzung der eigenen Fahrtauglichkeit. Krankheitsbedingt besteht bei einer Abhängigkeit jederzeit die Gefahr eines Kontrollverlustes.
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Der mit E-Mail des Prozessbevollmächtigten vom 23. Januar 2023 vorgelegte Hausarztbericht der Praxis … vom 21. November 2022 zusammen mit dem Echo-Befund vom 18. November 2022 und dem Laborbefund vom 21. November 2022 war nicht geeignet, die Zweifel der Behörde an der körperlichen und geistigen Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen auszuräumen.
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Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Gutachtensbeibringungsanordnung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Anordnung maßgeblich (vgl. BayVGH, B. v. 27.5.2015 – 11 CS 15.645 – juris Rn. 11). Das bedeutet allerdings nicht, dass eine Beibringungsanordnung trotz des Vorliegens neuer Erkenntnisse, die die ursprünglichen Zweifel (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV: „Tatsachen, die Bedenken begründen“) an der Fahrgeeignetheit des Betroffenen ausräumen, aufrechtzuerhalten ist. Vielmehr ist, werden die ursprünglich zu Recht bestehenden Bedenken gegen die Fahreignung des Fahrerlaubnisinhabers auch ohne die Vorlage des geforderten Gutachtens in sonstiger Weise vollständig und – auch für den (medizinisch und psychologisch nicht geschulten) Laien nachvollziehbar – eindeutig ausgeräumt, die Gutachtensbeibringungsanordnung aufzuheben, weil es dann einer medizinischen und/oder psychologischen Untersuchung und der Vorlage eines Fahreignungsgutachtens offensichtlich nicht mehr bedarf. Davon ist allerdings nur dann auszugehen, wenn keinerlei Restzweifel hinsichtlich der Fahreignung mehr verbleiben und die ursprünglichen Bedenken eindeutig widerlegt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2016 – 11 CS 16.260 – juris Rn. 13).
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Insofern ist anzumerken, dass der Hausarztbericht vom 21. November 2022, der Echo-Befund vom 18. November 2022 sowie der Laborbefund vom 21. November 2022 die aufgeworfenen Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers nicht gänzlich ausräumen konnten. Vielmehr bleiben auch nach Vorlage der Befunde erhebliche Restzweifel an der Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen. Sofern der Hausarztbericht ausführt, beim Antragsteller liege eine Fettleber vor und der Verlauf des Gamma-GT-Wertes sowie des CDT-Wertes spreche gegen eine Alkoholabhängigkeit, so ist dem entgegenzuhalten, dass sich bereits durch eine vorübergehende anlassbezogene Alkoholkarenz ggf. eine Normalisierung der gängigen Alkoholismusmarker erreichen lässt; der GGT-Wert, dem insoweit die höchste Aussagekraft zukommt, normalisiert sich bereits nach einer nur wenige Wochen umfassenden Alkoholkarenz (vgl. BayVGH, B.v. 27.7.2012 – 11 CS 12.1511 – juris Rn. 50). Insofern sind zumindest nicht alle Zweifel an der Fahreignung ausgeräumt.
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Festzustellen ist außerdem, dass sich der Hausarztbericht nur zu einem Teil der bekannt gewordenen Diagnosen verhält und auf den anderen Teil gar nicht eingeht. So wird zwar ausgeführt, dass ein insulinpflichtiger Diabetes besteht, der medikamentös therapiert werde und von dem keine erhöhte Hypoglycämiegefahr ausgeht. Auch führt der Hausarzt aus, dass die Werte des Blutbildes gegen einen chronischen Alkoholkonsum sprechen und beim Antragsteller eine Fettleber vorliegt. Zum psychischen Zustand wird konstatiert, dass sich der Antragsteller seit seinem Durchgangssyndrom geordnet verhält und den ärztlichen Anweisungen, wie auch dem Medikamentenplan folgt, weshalb er als fahrtauglich eingeschätzt wird. Beigelegt war dem Bericht ein Echo-Befund, in dem nur Normalbefunde festgehalten sind. Auf das ebenfalls diagnostizierte Delir bei Demenz ebenso wie auf die Korsakow-Krankheit geht der Hausarztbericht nicht ein. Insbesondere erfolgte auch keine dezidierte Auseinandersetzung mit den Befunden, auf die sich die behördlichen Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers im Wesentlichen stützen. Eine solche Auseinandersetzung konnte auch gar nicht stattfinden, da dem Hausarzt die behördliche Fahrerlaubnisakte des Antragstellers nicht vorlag. Wohl deshalb geht der Befund auch nicht auf die aufgeworfenen Fragen hinsichtlich der Compliance und Adhärenz des Antragstellers im Hinblick auf seine Erkrankung und auf die Frage, ob die eingenommenen Medikamente die Fahreignung beeinträchtigen können, ein. Diese stellen aber gerade in Kombination mit den bekannt gewordenen Erkrankungen des Antragstellers die zweifelverstärkenden Faktoren bezüglich der Frage der Fahreignung dar. Dementsprechend konnte der Untersuchungsbefund die aufgekommenen Zweifel nicht – erst recht nicht in gleichem Maße wie ein Fahreignungsgutachten (zu dessen Anforderungen vgl. Anlage 4a zur FeV) – beseitigen. Diesbezüglich ist auch der Rechtsgedanken des § 11 Abs. 2 Satz 4 FeV zu berücksichtigen, wonach der begutachtende Arzt nicht der behandelnde Arzt sein darf, um die Neutralität bei der Begutachtung sicherzustellen. Es ist außerdem nicht ersichtlich oder vorgetragen, dass der Hausarzt über eine verkehrsmedizinische Qualifikation i.S.v. § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 FeV verfügt, die ihn in die Lage versetzen würde, die Fahreignung hinreichend qualifiziert beurteilen zu können.
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bb. Weder die Fragestellung in der Gutachtensanforderung (vgl. § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV) noch die Auswahl des Gutachters ist zu beanstanden. Nach § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV bestimmt die Fahrerlaubnisbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen, von wem das Fahreignungsgutachten zu erstellen ist. Das Landratsamt forderte vom Kläger die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens von einem Arzt in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung, der die Anforderungen nach Anlage 14 erfüllt, gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV. Mit den Fragen soll insbesondere geklärt werden, ob der Antragsteller trotz seiner Erkrankungen zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist, ob eine ausreichende Compliance und Adhärenz vorliegt, ob Auflagen zur Erfüllung der Anforderungen an die Fahreignung erforderlich sind und ob und ggf. in welchen Abständen Nachuntersuchungen stattfinden müssen.
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Es entspricht dabei der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, dass die Fahrerlaubnisbehörde die Gutachtensanordnung jederzeit ergänzen oder korrigieren kann, solange ein Gutachten noch nicht erstellt und die Fahrerlaubnis noch nicht entzogen wurde (vgl. BayVGH, B.v. 5.7.2017 – 11 CS 17.1066 – juris, B.v. 18.2.2016 – 11 ZB 15.2733 – juris Rn. 15 m.w.N.). Deshalb ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landratsamt die Gutachtensbeibringungsaufforderung vom 27. Oktober 2022 nachträglich um weitere Fragestellungen durch die Gutachtungsbeibringungsaufforderung vom 4. November 2022 ergänzt bzw. erweitert hat. Es konnte dabei auch rechtmäßig – wie erfolgt – eine Korrektur der Fragestellung vorgenommen werden, indem das Landratsamt bezüglich der Frage nach der Eignung zum Führen von Fahrzeugen der Kraftfahrzeugklassen im Rahmen der zweiten Fragestellung, die das Vorliegen einer Herzerkrankung betrifft, den abgefragten Umfang der Klassen A, A18, A1, B, BE, C1, C1E, L, M und T auf die Klassen B, BE, L und M beschränkte.
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Die Beibringungsaufforderungen vom 27. Oktober 2022 und 4. November 2022 entsprechen auch im Übrigen den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV. Der Antragsgegner ist den sich aus § 11 Abs. 6 Satz 2 und 4 FeV ergebenden Informationspflichten korrekt nachgekommen. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller ausführlich die Gründe dargelegt, welche die Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers stützen. Auch Hinweise darauf, dass der Antragsteller die Kosten der Begutachtung zu tragen hat und das Recht hat, die zu übersendenden Unterlagen einzusehen (§ 11 Abs. 6 Satz 2 FeV) sowie ein Hinweis über die Rechtsfolge des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV) sind in der Beibringungsanordnung enthalten.
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cc. Die Fristsetzung zur Beibringung des medizinischen Gutachtens war angemessen im Sinne von § 2 Abs. 8 StVG und § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV. Sie war insbesondere so bemessen, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner konkreten Umstände möglich und zumutbar war, das Gutachten fristgerecht vorzulegen. Die Beibringungsfrist ist nach der Zeitspanne zu bemessen, die von einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Erstattung des Gutachtens voraussichtlich benötigt wird (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2019 – 11 CS 18.1808 – juris Rn. 26; B.v. 23.4.2013 – 11 CS 13.219 – juris Rn. 20).
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Die Frist muss lediglich so bemessen sein, dass eine Gutachterstelle zur Erstellung eines Gutachtens über die aktuelle Fahreignung tatsächlich in der Lage ist (VG Würzburg, B.v. 8.5.2017 – W 6 S 17.413 – juris Rn. 29). Die Bemessung der Frist für die Beibringung eines Fahreignungsgutachtens ist grundsätzlich an den Umständen des Einzelfalls zu orientieren. Dies bedeutet allerdings nicht, dass hierfür die besonderen persönlichen Bedürfnisse des Fahrerlaubnisinhabers maßgeblich sind. Dient die Vorlage des Gutachtens nicht dem Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung, sondern der Klärung der Frage, ob der Fahrerlaubnisinhaber seine Fahreignung verloren hat, ist die Beibringungsfrist nach der Zeitspanne zu bemessen, die von einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle zur Erstattung des Gutachtens voraussichtlich benötigt wird. Etwaigen Eignungszweifeln ist insoweit so zeitnah wie möglich nachzugehen, da insofern die Abwendung möglicher erheblicher Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer in Frage steht (vgl. BayVGH, B.v. 5.5.2022 – 11 CS 22.927 – juris Rn. 27; BayVGH, B.v. 11.2.2019 – 11 CS 18.1808 – juris Rn. 26; so auch VG Würzburg, a.a.O., juris Rn. 29).
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Dem Antragsteller standen seit der ersten Gutachtensbeibringungsaufforderung vom 27. Oktober 2022 mit Vorlagefrist bis zum 27. Dezember 2022 acht Wochen für die Begutachtung und die Vorlage des Gutachtens zur Verfügung. Dieser Zeitraum hätte ihm unter Berücksichtigung der vorhandenen Kommunikationswege grundsätzlich die Gelegenheit geboten, sich begutachten zu lassen (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2019 – 11 CS 18.1808 – juris Rn. 27 bezüglich eines Zeitraums von „etwas mehr als acht Wochen“, wobei hier Feiertage und Jahreswechsel zu berücksichtigen waren). Weder aus der Rechtsprechung des Senats (vgl. BayVGH, B.v. 9.10.2017 – 11 CS 17.1483 – juris Rn. 5, 26; B.v. 21.10.2015 – 11 C 15.2036 – juris Rn. 18; B.v. 23.4.2013 – 11 CS 13.219 – juris Rn. 20: jeweils zwei Monate für ausreichend erachtet) noch aus der Verwaltungspraxis anderer Hoheitsträger lässt sich eine behördliche Verpflichtung ableiten, regelmäßig (z.B.) drei Monate zur Beibringung eines Gutachtens einzuräumen (BayVGH, B.v. 11.2.2019 – 11 CS 18.1808 – juris Rn. 28). Ein anderes Ergebnis resultiert auch nicht aus der Ergänzung der Beibringungsaufforderung um weitere Fragen unter dem 4. November 2023. Insofern ist zu berücksichtigen, dass dem Antragsteller durch die weitere Fragestellung auch kein Nachteil entstand. Die Einverständniserklärung des Antragstellers zur Begutachtung bei der ... L1. Service GmbH … datiert auf den 9. November 2022 und erfolgte damit zeitlich nach der Zustellung der ergänzten Gutachtensbeibringungsaufforderung vom 4. November 2022. Außerdem ist festzuhalten, dass dem Antragsteller immer noch sieben Wochen für die Begutachtung Zeit blieben.
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dd. Das Landratsamt hat weiterhin das ihm gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV zustehende Ermessen im Hinblick auf die Aufforderung zur Beibringung eines medizinischen Gutachtens gemäß § 114 Satz 1 VwGO ordnungsgemäß ausgeübt. Das Landratsamt hat weder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten noch sonst von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht. Insbesondere lassen die Schreiben des Landratsamts vom 27. Oktober 2022 und 4. November 2022 erkennen, dass die Interessen des Klägers – die persönlichen und finanziellen Interessen – mit dem öffentlichen Interesse an Verkehrssicherheit auf öffentlichen Straßen abgewogen wurden. Dies zeigt, dass das Landratsamt alle relevanten Interessen ermittelt und einander gegenübergestellt hat. Es ist auch keine Fehlgewichtung der abgewogenen Interessen erkennbar.
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ee. Die Aufforderung zur Beibringung eines medizinischen Gutachtens eines Arztes in einer Begutachtungsstelle war auch verhältnismäßig. Zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes muss die Fahrerlaubnisbehörde grundsätzlich prüfen, ob der Sachverhalt zunächst noch durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen weiter aufgeklärt werden kann. Die Anordnung zur Beibringung eines medizinischen Gutachtens gegenüber dem Antragsteller war im vorliegenden Fall insbesondere erforderlich, mithin das mildeste geeignete Mittel, um die Zweifel an der Fahreignung des Klägers auszuräumen. Lassen die der Anforderung zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen einen Eignungsmangel als naheliegend erscheinen, so steht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dieser Anordnung in der Regel nicht entgegen. Dies wurde gerichtlich vor allem für die Fälle festgestellt, in denen die Fahrerlaubnisbehörde im Entziehungsverfahren nicht nur ein einfaches medizinisches Gutachten, sondern ein medizinisch-psychologisches Gutachten gefordert hat (vgl. BVerfG, B.v. 24.6.1993 – 1 BvR 689/92 – BVerfGE 89, 69 – juris Rn. 63; BayVGH, B.v. 25.4.2016 – 11 CS 16.227 – juris Rn. 11; VG Bayreuth, U.v. 29.10.2019 – B 1 K 19.219 – juris Rn. 30). Erst recht gilt dies für die Fälle der Aufforderung zur Beibringung eines einfachen medizinischen Gutachtens, das gegenüber dem medizinisch-psychologischen Gutachten im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eine geringere Eingriffsintensität aufweist. Darüber hinaus ist zugunsten des Landratsamtes zu berücksichtigen, dass es zunächst mit Schreiben vom 15. September 2022 die Beibringung des Entlassungsberichts des Bezirkskrankenhauses … forderte und damit zunächst ein gegenüber der Aufforderung zur Beibringung eines weiteren ärztlichen Gutachtens eines Arztes in einer Begutachtungsstelle milderes Mittel wählte. Durch dieses konnten die Zweifel an der Fahreignung jedoch nicht ausgeräumt werden. Vielmehr wurden die bestehenden Zweifel durch Vorlage des Entlassungsberichts noch verstärkt.
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ff. Zwar ist anzumerken, dass gemäß § 11 Abs. 7 FeV die Einholung eines medizinischen Gutachtens eines Arztes einer Begutachtungsstelle zur Beurteilung der Fahreignung ausgeschlossen ist, wenn die Fahrungeeignetheit zur Überzeugung der Behörde feststeht. Diesbezüglich ist die Frage aufgeworfen, ob das Landratsamt aufgrund der bekannt gewordenen Alkoholabhängigkeit des Antragstellers, welche im Entlassungsbericht des Bezirkskrankenhauses … vom 30. August 2022 unter Diagnosen festgehalten wurde, bereits von der Fahrungeeignetheit des Antragstellers überzeugt sein musste. Alkoholabhängigkeit führt nach Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV zum Ausschluss der Eignung oder bedingten Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Wer alkoholabhängig ist, hat grundsätzlich nicht die erforderliche Fähigkeit, den Konsum von Alkohol und das Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr zu trennen. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob der Betreffende bereits mit Alkohol im Straßenverkehr auffällig geworden ist (BVerwG, B.v. 21.10.2015 – 3 B 31.15 – juris Rn. 5). Bei alkoholabhängigen Personen besteht krankheitsbedingt jederzeit die Gefahr eines Kontrollverlusts und der Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss. Eine hinreichend feststehende und nicht überwundene Alkoholabhängigkeit hat damit zwangsläufig die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge, ohne dass es hierfür der Abklärung durch ein Fahreignungsgutachten bedarf. Die Anordnung gemäß § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV, ein ärztliches Gutachten beizubringen, ist nur erforderlich, wenn zwar Tatsachen die Annahme einer Alkoholabhängigkeit begründen und daher Zweifel hinsichtlich der Fahreignung vorliegen, aber nicht mit hinreichender Gewissheit feststeht, ob der Betreffende tatsächlich alkoholabhängig ist (BayVGH, B.v. 16.11.2016 – 11 CS 16.1957 – juris Rn. 10).
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Nach den Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung (Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, gültig ab 1.5.2014, Stand 28.12.2016, Abschnitt 3.13.2) soll die sichere Diagnose „Abhängigkeit“ gemäß den diagnostischen Leitlinien nach ICD-10 nur gestellt werden, wenn irgendwann während des letzten Jahres drei oder mehr der dort genannten sechs Kriterien gleichzeitig vorhanden waren (starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren; verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums; körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums; Nachweis einer Toleranz; fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Substanzkonsums; anhaltender Substanzkonsum trotz des Nachweises eindeutig schädlicher Folgen, die dem Betroffenen bewusst sind). Bei den bayerischen Bezirkskliniken handelt es sich um Einrichtungen, die nach Art. 48 Abs. 3 Nr. 1 Bezirksordnung für den Freistaat Bayern (Bezirksordnung – BezO) u. a. der Betreuung von Suchtkranken sowie solcher Personen dienen, die einer psychiatrischen Behandlung oder Obsorge bedürfen. Diese Fachkrankenhäuser verfügen deshalb über einen hohen Grad an Spezialisierung auf die vorgenannten Gebiete. Die Feststellung, ob eine Person an einer Suchterkrankung leidet, gehört zu den Aufgaben, die in diesen Einrichtungen täglich in nicht geringer Zahl zu bewältigen sind. Attestiert eine Bezirksklinik einer Person, die sich über eine Woche lang in ihr stationär aufgehalten hat, eine Abhängigkeitssymptomatik, so kommt einer solchen Diagnose ein hoher Grad an Verlässlichkeit zu (vgl. BayVGH, B.v. 10.7.2017 – 11 CS 17.1057 – juris Rn. 12 ff; BayVGH, B.v. 27.7.2012 – 11 CS 12.1511 – juris Rn. 28 zu zweiwöchigem Aufenthalt). Denn eine so lange Befassung mit einem Patienten verschafft den behandelnden Ärzten ein mehr als nur oberflächliches Bild von seinen Lebensgewohnheiten und -einstellungen, seiner psychischen Verfassung und seinen nutritiven Gewohnheiten und damit von Faktoren, die für die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit von Bedeutung sind. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs begründet der bloße Umstand, dass der Entlassungsbericht auf die Kriterien der diagnostischen Leitlinien nach ICD-10 nicht gesondert eingeht, keine Zweifel an der Diagnose der Alkoholabhängigkeit (vgl. BayVGH, B.v. 10.7.2017 – 11 CS 17.1057 – juris Rn. 12). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof stellt jedoch selbst klar, dass die Nichteignung nur dann feststeht, wenn die Alkoholabhängigkeit schlüssig und nachvollziehbar diagnostiziert wurde (vgl. BayVGH, B.v. 10.07.2017 – 11 CS 17.1057 – juris Rn. 11 f.). Insofern ist anzumerken, dass im Entlassungsbericht vom 31. August 2022 im Rahmen der Suchtanamnese lediglich festgestellt wurde, dass der Patient angegeben habe, ab und zu vier bis fünf Flaschen Bier zu trinken. Eine weitere Erläuterung der Diagnose erfolgte dabei nicht. Auch wertet der Entlassungsbericht den anhängenden Laborbefund nicht aus. Anzumerken ist dabei auch, dass der Arztbericht des … Klinikums … vom 7. August 2022 lediglich einen Alkoholabusus des Antragstellers diagnostiziert. Jedenfalls im Zeitpunkt der Fahrerlaubnisentziehung und nach Vorlage des Hausarztberichts, in welchem festgehalten wurde, dass die Blutwerte gegen eine Alkoholabhängigkeit des Antragstellers sprächen, durfte das Landratsamt wohl zumindest an der Diagnose der Abhängigkeit zweifeln.
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Selbst wenn unterstellt würde, dass die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen aufgrund der diagnostizierten Alkoholabhängigkeit zur Überzeugung der Behörde festgestanden hätte bzw. hätte feststehen müssen, so hätte der Antrag vorliegend ebenfalls keinen Erfolg. Die Frage, ob ein angefochtener Bescheid materiell rechtmäßig ist, richtet sich, sofern höherrangiges oder spezielleres Recht nichts Abweichendes vorgibt, nach dem Recht, das geeignet ist, seinen Spruch zu tragen. Erweist sich dieser aus anderen als den angegebenen Rechtsgründen als rechtmäßig, ohne dass diese anderen Rechtsgründe wesentliche Änderungen des Spruchs erfordern würden, dann ist der Verwaltungsakt im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht rechtswidrig. Daher kann ein Bescheid, der auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV gestützt ist und einem Fahrerlaubnisinhaber die Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines angeordneten Gutachtens entzieht, auf der Grundlage des § 11 Abs. 7 FeV rechtmäßig und aufrechtzuerhalten sein, wenn die Nichteignung des Betroffenen zum maßgeblichen Zeitpunkt feststeht. § 11 Abs. 7 und Abs. 8 Satz 1 FeV sind keine Ermessensvorschriften, sondern zwingendes Recht. Die Rechtsgrundlagen sind daher insoweit austauschbar (BayVGH, B.v. 21.1.2019 – 11 ZB 18.2066 – juris Rn. 18).
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b. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziff. 1 in Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheides genügt auch den (formalen) Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 3 Satz 1 VwGO.
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Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs reicht es bei einer Fahrerlaubnisentziehung aus, die für den Fall typische Interessenlage aufzuzeigen; die Darlegung besonderer zusätzlicher Gründe für die Erforderlichkeit der sofortigen Vollziehung ist nicht geboten (so z.B. BayVGH, B.v. 24.8.2010 – 11 CS 10.1139 – juris Rn. 29; B.v. 25.5.2010 – 11 CS 10.227 – juris Rn. 12; VGH BW, B.v. 24.1.2012 – 10 S 3175/11 – juris Rn.4). Die Behörde kann sich bei der Abwägung zwischen den Beteiligteninteressen im Wesentlichen auf die Prüfung beschränken, ob nicht ausnahmsweise in Ansehung der besonderen Umstände des Falles die sofortige Vollziehung weniger dringlich als im Normalfall ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2008 – 11 CS 08.1890 – juris Rn. 18). Dem werden die Ausführungen in der Begründung des Bescheides gerecht. So stellte der Antragsgegner zu Recht auf die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs ab.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt.
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4. Die Höhe des Streitwertes richtet sich nach § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 46.3 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57).