Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 29.12.2023 – 2 U 5/23 e
Titel:

Kein Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung in der zweiten Stufe der Stufenklage

Normenketten:
BGB § 260 Abs. 2, § 2325
ZPO § 522 Abs. 2, § 780
Leitsätze:
1. Von § 260 Abs. 2 BGB wird auch das vom Notar erstellte Nachlassverzeichnis erfasst. (Rn. 3)
2. § 260 Abs. 2 BGB setzt nur einen Verdacht der Unvollständigkeit der Rechnungslegung und mangelnder Sorgfalt voraus. Der Verdachtsgrund kann sich – wie zumeist – aus der Auskunftserteilung selbst ergeben, aber auch auf anderen Umständen beruhen, beispielsweise auf einer früheren Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit von Informationen des Verpflichteten. (Rn. 3)
3. Der Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung gemäß § 780 ZPO kann nicht schon in der zweiten Stufe (eidesstattliche Versicherung) einer Stufenklage geltend gemacht werden. Die Beschränkung bzw. Beschränkbarkeit der Erbenhaftung gehört zum Hauptanspruch auf Leistung gegen den Erben, nicht zu vorbereitenden Nebenansprüchen. Er ist als Einrede gegen ersteren geltend zu machen und folglich erst mit diesem zur Entscheidung reif. (Rn. 9)
Der Anspruch auf eidesstattliche Versicherung gemäß § 260 Abs. 2 BGB erfasst die gesamte erteilte Auskunft und damit auch solche Nachlassbestandteile, die für die Höhe eines etwaigen Pflichtteilsanspruchs maßgeblich sind. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anspruch auf eidesstattliche Versicherung bei notariellem Nachlassverzeichnis, Vorbehalt beschränkter Erbenhaftung bei Stufenklage, eidesstattliche Versicherung, notarielles Nachlassverzeichnis, Vorbehalt beschränkter Erbenhaftung, Verjährung, Stufenklage, Pflichtteilsergänzungsanspruch, Pflichtteilsanspruch
Vorinstanz:
LG Bamberg, Teilurteil vom 02.06.2023 – 44 O 1148/22 Erb
Fundstellen:
ErbR 2024, 371
FamRZ 2024, 1245
ZEV 2024, 410
FDZVR 2024, 942179
BeckRS 2023, 42179
NJW-RR 2024, 427

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Landgerichts Bamberg vom 15.05.2023, Az. 44 O 1148/22 Erb, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 5.200,00 € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis einschließlich 17.01.2024.

Gründe

1
Der Senat ist davon überzeugt, dass der Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Landgerichts Bamberg vom 15.05.2023, Az. 44 O 1148/22 Erb, offensichtlich im Sinne des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO die Erfolgsaussicht fehlt und auch die weiteren Voraussetzungen für eine Entscheidung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorliegen. Der Senat beabsichtigt deshalb, die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen. Gemäß § 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO weist der Senat die Beklagte auf die beabsichtigte Entscheidung hin und gibt ihr zugleich Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu und zur beabsichtigten Festsetzung des Berufungsstreitwerts.
2
Zur Begründung wird zunächst auf die überzeugenden Ausführungen in der angegriffenen Entscheidung verwiesen werden, die durch das Berufungsvorbringen nicht entkräftet werden. Ergänzend sind im Hinblick auf die mit der Berufung vorgebrachten Einwände lediglich folgende ergänzende Anmerkungen veranlasst:
3
1. Nach § 260 Abs. 2 BGB ist der Verpflichtete zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verpflichtet, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass das Verzeichnis nicht mit der erforderlichen Sorgfalt aufgestellt worden ist. Dabei unterscheidet der Wortlaut des § 260 Abs. 2 BGB nicht danach, wer das Verzeichnis aufgestellt hat, sondern ist im Passiv formuliert, sodass auch das vom Notar erstellte Nachlassverzeichnis vom Wortlaut erfasst wird (BGH, Urteil v. 01.12 2021, Az. IV ZR 189/20). Unvollständigkeit der Rechnungslegung und mangelnde Sorgfalt müssen nicht feststehen. § 260 Abs. 2 BGB setzt nur einen dahingehenden Verdacht voraus. Der Verdacht muss sich auf Tatsachen gründen, die der Berechtigte darlegen und notfalls beweisen muss. Der Verdachtsgrund kann sich – wie zumeist – aus der Auskunftserteilung selbst ergeben. Er kann aber auch auf anderen Umständen beruhen, beispielsweise auf einer früheren Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit von Informationen des Verpflichteten (vgl. MüKo/BGB-Krüger, 9. Aufl., § 259 Rn. 39 m.w.N.).
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Vorliegend hat sich das Landgericht zu Recht darauf gestützt, dass die erstmalige Benennung einer Schenkung von ca. 30.000,00 € an die Beklagte durch die Erblasserin im Dezember 2018 in § 3 VII. Nr. 4 des notariellen Nachlassverzeichnisses vom 24.10.2022 einen solchen Verdachtsmoment begründet. Diese war im von der Beklagten erstellten Nachlassverzeichnis vom 11.08.2019 (Anlage K4) nicht aufgeführt, obwohl diese Zuwendung in beträchtlicher Höhe nur kurze Zeit zuvor erfolgt war und daher der Beklagten bei Erstellung des Verzeichnisses bewusst gewesen sein muss.
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Ein weiterer Verdachtsmoment für die mögliche Unrichtigkeit von Informationen durch die Beklagte ergibt sich aus den ungeklärten Umständen des im notariellen Nachlassverzeichnis (dort § 2 VII. 3.) angeführten Darlehens in Höhe von 150.000,00 €, welches die Beklagte der Erblasserin mit Vertrag vom 28.03.2003 eingeräumt haben soll. Die Klägerin hat in der Klageschrift den fehlenden Nachweis für die tatsächliche Darlehensauszahlung moniert, ohne dass sich die Beklagte nachfolgend hierzu erklärt hat. Dieser Umstand betrifft ein mögliches Zusammenwirken von Erblasserin und Beklagter zum Nachteil der Klägerin und ist ebenfalls geeignet, Zweifel an der Richtigkeit der Angaben der Beklagten in ihrer Auskunft zu wecken.
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2. Zwar weist die Berufungsführerin zutreffend darauf hin, dass vorstehende Verdachtsmomente für sich betrachtet nicht den aktuellen Nachlassbestand betreffen, sondern gegebenenfalls geeignet wären, Pflichtteilsergänzungsansprüche (§ 2325 BGB) auszulösen. Der Anspruch auf eidesstattliche Versicherung gemäß § 260 Abs. 2 BGB erfasst indes die gesamte erteilte Auskunft und damit auch solche Nachlassbestandteile, die für die Höhe eines etwaigen Pflichtteilsanspruchs maßgeblich sind. Soweit wie vorliegend Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Auskunft nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erstellt wurde, besteht Grund zur Besorgnis, dass auch im Übrigen Angaben fehlerhaft oder ergänzungsbedürftig sind. Die eidesstattliche Versicherung erstreckt sich gerade nicht nur auf die Richtigkeit zwischen den Parteien streitiger Umstände, sondern erfasst die Richtigkeit und Vollständigkeit der gesamten Auskunft. Sie betrifft daher auch für die Höhe eines möglichen Pflichtteilsanspruchs der Klägerin erhebliche Auskünfte der Beklagten.
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Entgegen der Auffassung der Berufungsführerin ist der reine Nachlassbestand und damit die Höhe eines möglichen Pflichtteilsanspruchs der Klägerin daher nicht als unstreitig im Verfahren zugrunde zu legen. Zwar hat die Klägerin insoweit keine konkreten Einwände erhoben. Allerdings hat sie durch das Aufrufen der Stufe der eidesstattlichen Versicherung zu verstehen gegeben, dass sie die bisherigen Auskünfte (noch) nicht zum Gegenstand der Bezifferung machen will.
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3. Der möglichen Verjährung (§ 2332 BGB) eines gegen die Beklagte gerichteten Anspruchs aus § 2329 BGB für den Fall, dass der Nachlass mangels Masse zur Befriedigung eines etwaigen Pflichtteilsergänzungsanspruchs der Klägerin (§ 2325 BGB) nicht liquide ist, kommt daher keine einen Anspruch auf eidesstattliche Versicherung ausschließende Bedeutung zu. Der Umfang des für den – unstreitig nicht verjährten – Pflichtteilsergänzungsanspruchs maßgeblichen Nachlasses ist Gegenstand der eidesstattlichen Versicherung. Es kann im aktuellen Verfahrensstadium somit nicht zugrunde gelegt werden, dass für die Erfüllung der Nachlassverbindlichkeiten kein weiterer Nachlass mehr zur Verfügung steht.
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4. Hinsichtlich des von der Beklagten hilfsweise geltend gemachten Vorbehalts der beschränkten Erbenhaftung gemäß § 780 ZPO sieht der Senat auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 20.10.2023 keine Veranlassung, von seiner mit Hinweis vom 29.09.2023 dargelegten Rechtsansicht abzuweichen, dass der Vorbehalt nicht in der zweiten Stufe (eidesstattliche Versicherung) der gegenständlichen Stufenklage geltend gemacht werden kann. Ihrem Wesen nach kann die § 780 ZPO zugrunde liegende Haftungsbeschränkung wohl nur vollstreckbaren Leistungsurteilen entgegengehalten werden (vgl. MüKo/ZPO-Schmidt/Brinkmann, 6. Aufl., § 780 Rn. 3). Nach anderer Ansicht muss jedenfalls über den Grund des Anspruchs entscheiden werden (OLG Köln VersR 1968, 380) oder ein Feststellungsurteil zum Anspruch ergehen (OLG Bamberg ZEV 1996, 463; ob Grund- oder Leistungsurteil erforderlich offenlassend BGH ZEV 1996, 465). Die Beschränkung bzw. Beschränkbarkeit der Erbenhaftung gehört zum Hauptanspruch auf Leistung gegen den Erben, nicht zu vorbereitenden Nebenansprüchen. Er ist als Einrede gegen ersteren geltend zu machen und folglich erst mit diesem zur Entscheidung reif.
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Die Regelung des § 780 ZPO soll lediglich sicherstellen, dass der Titel bereits regelt, ob der Erbe in der Zwangsvollstreckung sich auf die Beschränkung seiner Haftung noch berufen kann (BGH, Urteil v. 11.07.1991, Az. IX ZR 180/90). Die von der Beklagten eingewandte Dürftigkeit des Nachlasses im Hinblick auf mögliche Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche ist jedoch nicht erheblich für die Vollstreckung des gegenständlichen Teilurteils über die Verpflichtung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung. Die von der Berufungsführerin angeführte Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln (Urteil v. 05.11.2019, Az. 4 U 153/18) betrifft einen anders gelagerten Sachverhalt, da dort bereits eine Entscheidung in der Leistungsstufe ergangen war. Über den Vorbehalt nach § 780 ZPO wird daher erst im Fall eines etwaig stattgebenden Urteils in der Leistungsstufe zu befinden sein.
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5. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (vgl. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO) liegen nicht vor. Über klärungsfähige und -bedürftige Rechtsfragen hat der Senat nicht zu befinden. Er beabsichtigt eine einzelfallbezogene Entscheidung auf der Grundlage der nach gesicherter höchstrichterlicher Rechtsprechung berufungsrechtlich nicht zu beanstandenden erstinstanzlichen Feststellungen. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten (vgl. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO). Anhaltspunkte dafür, dass in einer solchen neue, im Berufungsverfahren zuzulassende Erkenntnisse gewonnen werden könnten, die zu einer anderen Beurteilung führten, bestehen nicht. Der Senat regt daher an, zur Vermeidung von Kosten die aussichtslose Berufung innerhalb offener Stellungnahmefrist zurückzunehmen, und weist in diesem Zusammenhang auf die in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung (KV Nr. 1220, 1222) hin.
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6. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird in Anwendung von § 47 Abs. 1 i.V.m. § 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO zu bestimmen sein. Dabei bemisst der Senat den Wert der eidesstattlichen Versicherung entsprechend dem Aufwand der Beklagten für deren Abgabe mit 200,00 €. Der Wert des Hilfsantrags betreffend den Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung bemisst sich grundsätzlich nach dem Unterschied zwischen dem Anspruch und dem Betrag der voraussichtlichen Befriedigung (vgl. Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl., III. Streitwerte im Erbrecht Rn. 18). Nachdem die Beklagte von der Mittellosigkeit des Nachlasses ausgeht, zugleich die Höhe eines Anspruchs der Klägerin gegen den Nachlass ungeklärt ist, schätzt der Senat den Wert in Anlehnung an § 36 Abs. 3 GNotKG auf 5.000,00 €, so dass der Wert der Berufung insgesamt mit 5.200,0 € festzusetzen sein wird.
Hinweis:
13
Die Berufung wurde aufgrund des vorstehenden Hinweises zurückgenommen.