Inhalt

OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 21.12.2023 – 4 U 167/22
Titel:

Kein Anspruch auf Schadensersatz - auch nicht Differenzschaden - wegen des Einbaus unzulässiger Abschalteinrichtungen in ein Dieselfahrzeug (hier: Mercedes-Benz SLK 250 CDI)

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
VwVfG § 24 Abs. 1 S. 1, 2
ZPO § 286, § 287, § 522
Leitsätze:
1. Vgl. auch zur Thematik der "Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung" bei Mercedes-Fällen grundlegend BGH BeckRS 2021, 33038; BeckRS 2021, 38651; BeckRS 2022, 7010; BeckRS 2022, 12628; BeckRS 2022, 14779; BeckRS 2023, 37218; OLG Brandenburg BeckRS 2023, 33947; OLG Celle BeckRS 2023, 36841; KG BeckRS 2023, 36005; OLG Koblenz BeckRS 2020, 31540; OLG München BeckRS 2023, 35779; OLG Oldenburg BeckRS 2024, 643; OLG Zweibrücken BeckRS 2023, 35775 sowie OLG Stuttgart BeckRS 2021, 33101; BeckRS 2022, 51626; BeckRS 2023, 29167; BeckRS 2023, 35483; BeckRS 2024, 394; BeckRS 2022, 40422 mit weiteren Nachweisen in Ls. 1; anders OLG Köln BeckRS 2021, 10226. (redaktioneller Leitsatz)
2. Allein das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt des Thermofensters reicht nicht aus, um das Verhalten der für die Herstellerin handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen; entsprechendes gilt für weitere Funktionen der Motorsteuerungssoftware (zB Aufwärmstrategie, Fehlfunktion im OBD-System, „Hot Restart“, Funktionsweise des SCR-Katalysators, Absenkung der Kühlmittelsolltemperatur). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Allein aus der Unkenntnis des KBA von einer Abschalteinrichtung kann nicht auf eine Täuschungshandlung der Herstellerin geschlossen werden. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum liegt vor, wenn bei Verkauf des Fahrzeuges auf Anfrage der Herstellerin bei dem KBA als zuständiger Genehmigungsbehörde hypothetisch die Auskunft erteilt worden wäre, das gegen die Verwendung der Abschalteinrichtungen im Fahrzeug keine rechtlichen Bedenken bestehen; einer Darlegung des konkreten Prozesses der Entscheidungsfindung bei der Herstellerin bedarf es nicht. (Rn. 53 und 55) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, OM 651, unzulässige Abschalteinrichtungen, Thermofenster, Aufwärmstrategie, Fehlfunktion im OBD-System, „Hot Restart“, Funktionsweise des SCR-Katalysators, Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, Differenzschaden, unvermeidbarer Verbotsirrtum
Vorinstanz:
LG Hof, Urteil vom 29.06.2022 – 32 O 27/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 41942

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Hof vom 29.06.2022, Az. 32 O 27/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und den Streitwert für die Berufung auf 23.595,49 € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 19.01.2024.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Parteien streiten um Ansprüche im Zusammenhang mit der sogenannten Dieselthematik.
2
Der Kläger erwarb am 12.09.2012 einen Pkw Mercedes-Benz SLK 250 CDI zum Kaufpreis von 24.000,00 €. In diesem Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs OM 651 verbaut. Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeuges und des Motors. Das Fahrzeug ist nicht von einem amtlichen Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) betroffen. Mit der Klage begehrt die Klagepartei Schadensersatz wegen behaupteter Manipulationen am Abgassystem.
3
Das Landgericht hat die Klage mit Endurteil vom 29.06.2022 abgewiesen.
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Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.
5
Hiergegen wendet sich die Berufung der Klagepartei. Auch wenn es keinen offiziellen Rückruf für das Fahrzeug gebe, sei eine Prüfzykluserkennung in Form der Kühlmittel-Solltemperaturregelung eine unzulässige Abschalteinrichtung. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG und i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV komme in Betracht, weil es sich um Schutzgesetze handele.
6
Die Klagepartei beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 23.595,49 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 3. Februar 2022 zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke Mercedes-Benz vom Typ SLK 250 CDI Roadster mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ... (FIN) nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein und Kfz-Brief.
Hilfsweise beantragen wir:
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S.v. Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 durch die Beklagte in das Fahrzeug der Marke Mercedes-Benz vom Typ SLK 250 CDI Roadster mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) ... resultieren.
Weiter beantragen wir:
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in vorgenannten Klageanträgen genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.
4. Es wird festgestellt, dass der in Antrag zu 1) bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.
5. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.103,92 freizustellen.
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Die Beklagte beantragt
die Zurückweisung der Berufung und verteidigt das Ersturteil.
8
Ergänzend wird auf die Berufungsbegründung vom 28.09.2022 und die Berufungserwiderung vom 04.11.2022 verwiesen.
II.
9
Der Senat beabsichtigt, die Berufung einstimmig durch Beschluss zurückzuweisen, weil sie nach derzeitigem Sach- und Streitstand aussichtslos und offensichtlich unbegründet ist, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung. Auch liegen die weiteren Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO vor.
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Der Senat nimmt daher zunächst auf die zutreffenden Feststellungen im Ersturteil Bezug, die durch das Berufungsvorbringen auch nicht entkräftet werden.
11
Ausgehend von den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen ist das angegriffene Urteil in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Zu Recht wurde ein Schadensersatzanspruch abgelehnt.
12
1. Ein Anspruch gemäß §§ 826, 31 BGB scheidet aus. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine objektiv sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 BGB hat die Klagepartei nicht hinreichend vorgetragen.
13
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, Rn. 29, juris).
14
Die Grundsätze für das Vorliegen einer objektiven Sittenwidrigkeit bei Manipulationen der Abgasbehandlung von Fahrzeugen hat der Bundesgerichtshof in der Grundsatzentscheidung BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 dargelegt. Danach setzt eine objektive Sittenwidrigkeit das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung (a.a.O. Rn. 17, juris), eine besondere Verwerflichkeit des Handelnden (a.a.O. Rn. 18, juris) und die Gefahr der Betriebsbeschränkung oder -untersagung (a.a.O. Rn. 19, juris) voraus.
15
a) Es fehlt vorliegend schon an der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung wegen einer in der Motorsteuerungssoftware implementierten unzulässigen Abschalteinrichtung.
16
Die Dieselthematik ist seit längerem in der Diskussion und Gegenstand der Prüfung durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA). Nachdem im vorliegenden Fall durch das KBA kein verpflichtender Rückruf angeordnet wurde, ist davon auszugehen, dass die Motorsteuerungssoftware im gegenständlichen Motortyp keinen Anlass für Beanstandungen gibt. Damit ist für den Senat nicht erkennbar, weshalb von einer Gefahr der Betriebsbeschränkung oder -untersagung auszugehen sein soll. Konkrete Anhaltspunkte dafür hat die Berufung nicht dargetan.
17
Hierfür reicht es auch nicht aus, dass auf verpflichtende Rückrufe für andere Fahrzeugtypen verwiesen wird. Ein Vortrag, dass hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeuges ein verpflichtender Rückruf vorliegt, findet sich nicht.
18
b) Bereits unter Zugrundelegung des klägerischen Vortrags ist nach Auffassung des Senats nicht auf eine besondere Verwerflichkeit im Handeln der Beklagten zu schließen.
19
Die besondere Verwerflichkeit besteht, wenn dem Kraftfahrtbundesamt vorgespiegelt wird, das Fahrzeug werde auf dem Prüfstand unter den Motorbedingungen betrieben, die auch im normalen Fahrbetrieb zum Einsatz kommen (a.a.O. Rn. 18, juris) oder im Typengenehmigungsverfahren unzutreffende Angaben über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems gemacht werden (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 –, Rn. 22, juris) oder bei einem implantierten Thermofenster weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH, Beschluss vom 09. März 2021 – VI ZR 889/20 –, Rn. 28, juris).
20
aa) Allein das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt des Thermofensters reicht hierfür nicht aus. Das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Dies gilt auch dann, wenn mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt wird. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rn. 16, juris).
21
Der Einsatz eines sogenannten Thermofensters ist nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen, die dem Urteil des BGH vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 – zum Motortyp EA 189 zugrunde liegt. Bei dem Einsatz eines Thermofensters wie im vorliegenden Fall fehlt es dagegen an einem derartigen arglistigen Vorgehen des beklagten Automobilherstellers, das die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 –, Rn. 17, juris).
22
Dabei kann unterstellt werden, dass ein Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist. Der darin liegende – unterstellte – Gesetzesverstoß reicht aber nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren (BGH, Beschluss vom 09. März 2021 – VI ZR 889/20 –, Rn. 26, juris).
23
Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die Verantwortlichen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (BGH, Beschluss vom 09. März 2021 – VI ZR 889/20 –, Rn. 28, juris). Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen die Klagepartei als Anspruchstellerin (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 –, Rn. 19, juris).
24
Die Sittenwidrigkeit kann sich aus einer Gesamtschau des festgestellten Verhaltens der Beklagten unter Berücksichtigung des verfolgten Ziels, der eingesetzten Mittel, der zutage getretenen Gesinnung und der eingetretenen Folgen ergeben (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, Rn. 16). Die Darlegungs- und Beweislast für die die Haupttatsache stützenden Indiztatsachen trägt dabei die Partei, die auch die Haupttatsache zu beweisen hat (BGH, Urteil vom 23. September 2020 – KZR 35/19 –, Rn. 58, juris).
25
Nach der von der Klagepartei beschriebenen Funktionsweise des Thermofensters unterscheidet die im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Sie weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Dies reicht für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei kann zugunsten der Klagepartei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 –, Rn. 16, juris).
26
Hinsichtlich weiterer Funktionen der Motorsteuerungssoftware (wie z.B. der sogenannten Aufwärmstrategie, der Fehlfunktion im OBD-System, des „Hot Restarts“, der Funktionsweise des SCR-Katalysators oder Absenkung der Kühlmittelsolltemperatur) gelten die gleichen Grundsätze wie beim Thermofenster. Auch diese Funktionen arbeiten beim realen Fahrbetrieb in gleicher Weise wie in der Prüfstandsituation. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand) entspräche die Rate der Abgasrückführung danach im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand (OLG München, Beschluss vom 08. April 2021 – 8 U 4122/20 –, Rn. 25, juris). Es liegt damit gerade kein System der Prüfstandserkennung vor (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20 –, Rn. 19, juris).
27
Hinsichtlich der Funktionsweise der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung hat der Senat hierbei die von der Klagepartei beschriebene Funktionsweise zugrunde gelegt.
28
Entscheidend ist vorliegend, dass sich kein Vortrag dazu findet, welche Motorfunktionen und Abgasregelungen sich bei denselben Umgebungsparametern im Prüfstand anders verhalten als im realen Fahrbetrieb, sodass die Abschalteinrichtung ausschließlich auf dem Prüfstand das Abgasverhalten beeinflusst.
29
Bei einer Abschalteinrichtung, die – wie hier – im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb und bei der die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantwortet werden kann, kann bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen, so dass es bereits an der objektiven Sittenwidrigkeit fehlt (BGH, Beschluss vom 15. September 2021 – VII ZR 101/21 –, Rn. 23, juris, m.w.N.).
30
Auch lässt sich nicht aus unterschiedlichen Abgaswerten im Realbetrieb im Gegensatz zum Prüfzyklus auf das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung schließen. Aufgrund der unterschiedlichen äußeren Bedingungen ist eine Vergleichbarkeit nicht gegeben. Der Hinweis auf Diskrepanzen zwischen Stickoxidemissionen unter Prüfstandbedingungen, die nach damaliger Rechtslage zur Erlangung der Typgenehmigung allein maßgeblich waren, und unter normalen Betriebsbedingungen auf der Straße genügt nicht (BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20 –, Rn. 23, juris).
31
Weitere Umstände, die auf ein verwerfliches Handeln der verantwortlichen Personen bei der Beklagten schließen lassen, werden von der Klagepartei nicht vorgetragen. Der Vortrag lässt vermissen, welche verantwortlich handelnden Personen konkret bei welcher Gelegenheit über das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung getäuscht haben und welches Vorstellungsbild sie dabei hatten.
32
bb) Für eine Täuschung des KBA im Typengenehmigungsverfahren ist nichts vorgetragen. Allein aus der Unkenntnis des KBA von einer Abschalteinrichtung kann nicht auf eine Täuschungshandlung der Beklagten geschlossen werden. Zur Täuschung durch aktives Tun trägt die Klagepartei nichts vor. Eine Täuschung durch Unterlassen setzt eine Offenbarungspflicht voraus. Diese kann dem klägerischen Vortrag nicht entnommen werden.
33
Der Vortrag der Klagepartei lässt Angaben dazu vermissen, welche Täuschungshandlung im Typengenehmigungsverfahren die Beklagte konkret vorgenommen hat. Es bleibt unklar, welche verantwortlich Handelnden der Beklagten wann und in welcher Form das KBA getäuscht haben sollen. Es wird nicht dargelegt, welche Angaben durch das KBA gefordert wurden und welche falschen Angaben die verantwortlich Handelnden der Beklagten daraufhin gemacht haben. Weitere Anhaltspunkte dafür, dass sich das KBA ein weiteres Mal – wie beim Motortyp EA 189 – über die Arbeitsweise des Emissionskontrollsystems im Irrtum befunden hätte, sind weder ersichtlich noch dargetan.
34
Auch aus einer etwaig unterbliebenen Offenlegung der genauen Wirkungsweise des Thermofensters gegenüber dem KBA folgen keine Anhaltspunkte, dass für die Beklagte tätige Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Selbst wenn die Beklagte gegenüber dem KBA – erforderliche – Angaben zu den Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu prüfen (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20 –, Rn. 26, juris).
35
cc) Die Beklagte hat auch nicht nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast vorzutragen, zu welchen Gelegenheiten und in welcher Form die Beklagte über die Funktionsweise der Motorsteuerungssoftware getäuscht hat oder wie die Abgasbehandlung von Abschalteinrichtungen beeinflusst wird. Eine sekundäre Darlegungslast wird in den vorliegenden Fällen nur angenommen, soweit die Kenntnis hinsichtlich der Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Software von den im Hause der Beklagten für die Motorenentwicklung verantwortlichen Personen als verfassungsmäßig berufene Vertreter gemäß § 31 BGB behauptet wird (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, Rn. 39, juris) und soweit unklar ist, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei der Beklagten getroffen hat (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 367/19 –, Rn. 17, juris).
36
Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast der Sittenwidrigkeit in objektiver Hinsicht verbleibt es bei dem allgemeinen Grundsatz, dass die Klagepartei die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen trägt (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, Rn. 35).
37
dd) Die schlichte Behauptung, der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs enthalte eine vergleichbare Manipulationssoftware wie die den sog. Dieselskandal auslösende Abschalteinrichtung bei Motoren des Typs VW EA 189, ist ohne jegliche Anhaltspunkte und damit ersichtlich ins Blaue hinein erfolgt (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20 –, Rn. 27, juris).
38
ee) Hinzu kommt, dass die Rechtslage hinsichtlich der Zulässigkeit eines Thermofensters im Zeitpunkt der Handlung zweifelhaft war. Seit Bekanntwerden der Abgasmanipulationen im Jahr 2015 war die Frage, was unter einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu verstehen ist, Gegenstand zahlreicher Rechtsstreitigkeiten. Von einer eindeutigen Rechtslage konnte nicht die Rede sein. Fehlen eindeutige Vorgaben seitens der für die Zulassung und Genehmigung zuständigen Behörden, kann dies nicht den Motorenherstellern zum Vorwurf gemacht werden. Nach dem Bericht der vom Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur eingesetzten Untersuchungskommission Volkswagen, wurden Thermofenster von allen Autoherstellern eingesetzt und mit dem Erfordernis des Motorschutzes begründet. Insoweit ist ein Verstoß betreffend die Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a VO (EG) Nr. 715/2007 nicht eindeutig (vgl. BMVI, Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Stand April 2016). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat sich auf Vorlage eines französischen Gerichts mit der Frage der Auslegung der genannten Vorschrift befassen müssen (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 – C-693/18, NJW 2021, 1216).
39
Daraus schließt der Senat, dass bei den gesetzgeberischen Unschärfen nicht von einem verwerflichen Handeln der Verantwortlichen der Beklagten auszugehen ist. Eine möglicherweise nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt aber für die Feststellung der besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten nicht (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20 –, Rn. 31, juris).
40
c) Schließlich fehlt es am erforderlichen Schädigungsvorsatz der verantwortlich Handelnden auf Seiten der Beklagten. Allein aus der – unterstellten – objektiven Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer. Die rechtliche Zulässigkeit der implementierten Abschalteinrichtungen war sehr umstritten (vgl. oben). Im Hinblick auf die unsichere Rechtslage hat die Klagepartei nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung der Klagepartei hätte aufdrängen müssen. Es genügt nicht, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen oder sie sich ihm sogar hätten aufdrängen müssen; in einer solchen Situation ist lediglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf gerechtfertigt (BGH, Beschluss vom 15. September 2021 – VII ZR 101/21 –, Rn. 25, juris).
41
2. Für einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB fehlt es an der Stoffgleichheit zwischen Vermögenseinbuße der Klagepartei und den erstrebten Vermögensvorteilen für die Beklagte (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20 –, Rn. 24, juris).
42
3. Ein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG und i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheidet aus.
43
Zwar kann dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch gegen den Fahrzeughersteller auf Ersatz des Differenzschadens zustehen (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 –, juris).
44
a) Allerdings fehlt es an einem Verschulden der Beklagten. Diese befand sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum.
45
aa) Der Fahrzeughersteller, der sich unter Berufung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum entlasten will, muss sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums konkret darlegen und beweisen. Nur ein auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt unvermeidbarer Verbotsirrtum kann entlastend wirken. Ein entlastend wirkender Verbotsirrtum kann vorliegen, wenn der Schädiger die Rechtslage unter Einbeziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sorgfältig geprüft hat und er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 –, Rn. 63, juris).
46
Der Fahrzeughersteller kann zu seiner Entlastung auch darlegen und erforderlichenfalls nachweisen, seine Rechtsauffassung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 wäre bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden (hypothetische Genehmigung). Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 –, Rn. 65, juris).
47
Das setzt zunächst die Darlegung und erforderlichenfalls den Nachweis eines Rechtsirrtums seitens des Fahrzeugherstellers voraus (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 63). Der Fahrzeughersteller muss darlegen und beweisen, dass sich sämtliche seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB über die Rechtmäßigkeit der vom Käufer dargelegten und erforderlichenfalls nachgewiesenen Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten im maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 62) im Irrtum befanden oder im Falle einer Ressortaufteilung den damit verbundenen Pflichten genügten (BGH, Urteil vom 25. September 2023 – VIa ZR 1/23 –, Rn. 14, juris).
48
Eine Entlastung auf dieser Grundlage setzt voraus, dass der Fahrzeughersteller nicht nur allgemein darlegt, dass die Behörde Abschalteinrichtungen der verwendeten Art genehmigt hätte, sondern dass ihm dies auch unter Berücksichtigung der konkret verwendeten Abschalteinrichtung in allen für die Beurteilung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten gelingt. Haben mehrere Abschalteinrichtungen Verwendung gefunden, muss der Tatrichter die Einzelheiten der konkret verwendeten Kombination für die Frage einer hypothetischen Genehmigung in den Blick nehmen (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 –, Rn. 66, juris).
49
Auf das Bestehen einer entsprechenden Verwaltungspraxis kommt es dabei nicht maßgeblich an. Die Grundsätze der hypothetischen Genehmigung gelten mit Rücksicht auf ihren Sinn und Zweck auch, wenn der Fahrzeughersteller eine hypothetische Genehmigung bezogen auf den konkreten Motor einer bestimmten Baureihe nachweist. Neben anderen Indizien kann allerdings aufgrund einer bestimmten, hinreichend konkreten Verwaltungspraxis gemäß § 286 Abs. 1 ZPO auf eine hypothetische Genehmigung geschlossen werden (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 –, Rn. 67, juris).
50
bb) Gemessen hieran ist unter Zugrundelegung des unstreitigen Parteivortrags davon auszugehen, dass ein unvermeidbarer Verbotsirrtum vorliegt.
51
(1) Der Senat ist davon überzeugt, dass sich sämtliche seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter über die Rechtmäßigkeit der – unterstellt unzulässigen – Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten im Zeitpunkt des Verkaufs des Fahrzeuges im Irrtum befanden.
52
Die Beklagte hat vorgetragen, dass die Abschalteinrichtungen zum Schutz des Motors und zum sicheren Betrieb des Fahrzeugs erforderlich seien. Man sei davon ausgegangen, dass die Verwendung im Rahmen der gesetzlichen Regeln zulässig gewesen sei. Das gilt für alle mit den Fragen der Zulässigkeit des Emissionskontrollsystems befassten Personen, wie auch die verantwortlich handelnden, seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter. Dies schließt der Senat daraus, dass jahrelang seitens des KBA Thermofenster und weitere Abschalteinrichtungen als unkritisch angesehen wurden. Diese Genehmigungspraxis des KBA hat sich erst nach entsprechenden Rechtsäußerungen durch den Generalanwalt und den EuGH in den Jahren 2021 und 2022 geändert (vgl. auch OLG Stuttgart, Urteil vom 28. September 2023 – 24 U 2616/22 –, Rn. 38 ff., juris).
53
Soweit die Klagepartei fordert, die Beklagte müsse den Prozess der Entscheidungsfindung darlegen, überspannt sie die Anforderungen an die Darlegungslast der Beklagten.
54
In den Fallgruppen der tatsächlichen und hypothetischen Genehmigung einer Funktion durch das KBA ist das konkrete Vorstellungsbild von der Rechtmäßigkeit der Funktion (Fehlvorstellung der Beklagten) nicht näher zu begründen. Der wertungsmäßige Kern der Prüfung – nämlich die tatsächliche oder hypothetische Genehmigung des KBA – beruht anders als in den anderen Fallgruppen des unvermeidbaren Verbotsirrtums gerade nicht auf dem konkreten Vorstellungsbild der Beklagten und dem Bemühen um die bestmögliche rechtliche Absicherung der Vorstellung, sondern auf der objektiven Bewertung durch das KBA zum maßgeblichen Zeitpunkt. Diese Bewertung tritt insbesondere in der Verwaltungspraxis des KBA, aber auch durch öffentliche Äußerungen (etwa auf der Homepage des KBA) oder amtliche Auskünfte nach außen (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 14. November 2023 – 7 U 19/23 –, Rn. 27, juris).
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(2) Der Senat ist davon überzeugt (§ 286 ZPO), dass bei Verkauf des Fahrzeuges auf Anfrage der Beklagten bei dem KBA als zuständiger Genehmigungsbehörde hypothetisch die Auskunft erteilt worden wäre, das gegen die Verwendung der Abschalteinrichtungen im vorliegenden Fahrzeug keine rechtlichen Bedenken bestehen.
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Dies ergibt sich aus der von der Beklagten vorgelegten nicht bestrittenen amtlichen Auskunft des KBA zu vergleichbaren Motoren der Schadstoffklasse Euro 5 (Anlage B1-B3), für die kein amtlicher Rückruf besteht. Nachdem das gegenständliche Fahrzeug bis heute nicht von einem verpflichtenden Rückruf betroffen ist, schließt der Senat, dass auch für das streitgegenständliche Fahrzeug keine anderslautende amtliche Auskunft durch das KBA erteilt worden wäre. Ein – auch nur fahrlässiges – schuldhaftes Verhalten der Beklagten scheidet damit aus. b)
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Zudem ist ein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens durch den verbleibenden Restwert und den anzurechnenden Nutzungsersatz vollständig aufgezehrt.
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Der Differenzschaden bestimmt sich nach dem Unterschied zwischen dem gezahlten Kaufpreis und dem objektiven Wert des Fahrzeugs im Erwerbszeitpunkt. Die Höhe dieses Schadens unterliegt der gerichtlichen Schätzung nach § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO und bewegt sich aus den durch den Bundesgerichtshof näher dargelegten Gründen, denen sich der Senat anschließt, im Bereich von 5% bis 15% des von der Klagepartei aufgewendeten Kaufpreises (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 –, Rn. 74 ff., juris). Wenn man einen Schaden in Höhe von 15% des Kaufpreises zugrundelegt, ergibt dies einen Betrag in Höhe von 3.600,00 €.
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Auf diesen Schaden hat sich die Klagepartei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die ihr aus der vorgenommenen, uneingeschränkten Nutzung des Fahrzeugs entstandenen Vorteile anrechnen zu lassen, wie sie auch im Rahmen der Bestimmung des kleinen Schadensersatzes nach § 826 BGB gelten (vgl. BGH a.a.O., Rn. 80). Danach hat sich die Klagepartei auf den o.g. Betrag die Nutzungsvorteile und den Restwert des Fahrzeugs insoweit schadensmindernd anrechnen zu lassen, als sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen.
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Im Streitfall ist der Kläger mit dem Fahrzeug bis zum heutigen Tag geschätzte 10.000 km gefahren. Hierbei hat der Senat zugrunde gelegt, dass der Kläger das Fahrzeug bei einem Kilometerstand von 29.500 km gekauft und das Fahrzeug am 22.06.2022 (1. Instanz) einen Kilometerstand von 36.811 km hatte. Bei linearer Fortschreibung der Nutzung ergibt dies den vom Senat geschätzten aktuellen Kilometerstand 39.500 km. Dies ergibt unter Anwendung der linearen Berechnungsmethode und Zugrundelegung einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km einen Nutzungswert von 1.088,44 €.
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Als Restwert ist vorliegend von einem aktuellen Marktpreis des streitgegenständlichen Fahrzeugs von mindestens 25.000,00 € auszugehen. Der Senat schätzt gemäß § 287 ZPO den aktuellen Wert des Fahrzeugs auf diesen Betrag. Ein solcher ergibt sich aus allgemein zugänglichen öffentlichen Quellen wie z.B. einem Abruf vergleichbarer Fahrzeuge mit ähnlichem Alter und ähnlicher Kilometerleistung in den Internetportalen www.mobile.de und www.autoscout24.de. Der Senat hält die dort gefundenen Ergebnisse, die aus dem unteren vorzufindenden Bereich zu Gunsten der Klagepartei äußerst vorsichtig bewertet wurden, insbesondere auch deshalb für zuverlässig, weil auch die Fahrzeugbewertung nach Schwacke, die nach der Rechtsprechung als Schätzgrundlage anerkannt ist, auf die Datenbasis der o.g. Portale zurückgreift. Die in den Verkaufsportalen abgebildeten Kaufpreise sind auch nicht nach unten zu korrigieren. Denn der Senat sieht aufgrund des Umstands, dass bereits nach dem Vortrag der Klagepartei die Thematik der Abschalteinrichtungen in Fahrzeugen der Beklagten bereits seit geraumer Zeit in der Öffentlichkeit und der Presse breit diskutiert wird, die Gefahr des Drohens von zukünftigen Maßnahmen als in die abgebildeten Kaufpreise bereits eingepreist an. Der Erholung eines Sachverständigengutachtens bedurfte es nicht, weil die vorgenannten Umstände eine ausreichend valide Schätzgrundlage darstellen (§ 287 ZPO). Werterhöhend hat der Senat den geringen Kilometerstand berücksichtigt.
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Der Restwert und der Nutzungsersatz (26.088,44 €) übersteigen den objektiven Wert im Zeitpunkt des Erwerbs von 20.400,00 € (Kaufpreis abzüglich 15%) um 5.688,44 €, so dass der Differenzschaden von 3.600,00 € vollständig aufgezehrt ist.
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Auch für den Zeitpunkt der außergerichtlichen Tätigkeit und der Klageerhebung stellt sich die Situation nicht anders dar, weshalb auch insoweit kein eigenständiger Zinsanspruch besteht.
III.
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Auch die weiteren Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegen vor. Der Senat weicht nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs oder anderer Obergerichte ab. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Sie ist geprägt durch die ihr innewohnenden Besonderheiten eines Einzelfalles. Alle Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung sind bereits höchstrichterlich geklärt. Eine Zulassung der Revision wäre im Falle einer Entscheidung durch Urteil nicht geboten.
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Auch eine mündliche Verhandlung ist in der vorliegenden Sache nicht veranlasst (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO). Es ist auszuschließen, dass in einer mündlichen Verhandlung neue, im Berufungsverfahren zuzulassende Erkenntnisse gewonnen werden können, die zu einer anderen Beurteilung führen.
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Der Senat regt daher – unbeschadet der Möglichkeit zur Stellungnahme – die kostengünstigere Rücknahme des aussichtslosen Rechtsmittels an. Auf die bei einer Berufungsrücknahme erfolgende Ermäßigung der Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 (vgl. GKG KV Nr. 1220, 1222) wird hingewiesen. g