Titel:
Kündigungsrecht beim Prämiensparvertrag
Normenketten:
BGB § 133, § 134, § 157, § 242, § 696 S. 1, § 700 Abs. 1 S. 3
AGB-Sparkassen Nr. 26 Abs. 1
AGBG § 6 Abs. 2, § 9
GG Art. 3
Leitsätze:
1. Die Bestimmung in Nr. 26 Abs. 1 idF vom Januar 1993 mit Änderungen 1998 ist unwirksam (vgl. BGH BeckRS 2015, 12004). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Frage des Ausschlusses des ordentlichen Kündigungsrechts bei einem Prämiensparvertrag, bei dem die Prämien auf die Sparbeiträge stufenweise bis zu einem bestimmten Sparjahr steigen (Abgrenzung zu BGH BeckRS BeckRS 2019, 9637; entgegen OLG Nürnberg BeckRS 2022, 5903; s. auch BGH BeckRS 2023, 31075). (Rn. 27 – 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prämiensparvertrag, Kündigung, Kündigungsrecht, Prämienstufe, ordentliche Kündigung, Verwirkung
Vorinstanz:
LG Kempten, Endurteil vom 15.06.2022 – 21 O 673/21 Fin
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 23.01.2024 – XI ZR 38/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 41921
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Kempten vom 15.06.2022 (Az.: 21 O 673/21 Fin) wird
a) in Bezug auf den unter Ziffer V. der Berufungsbegründung gestellten Zahlungsantrag – in der Fassung des Schriftsatzes der Klägervertreterin vom 20.12.2022 – als unzulässig verworfen und
b) im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Die Revision wird beschränkt auf die Frage zugelassen, ob einer in einem Prämiensparvertragsformular abgedruckten Prämienstaffel, die ein Erreichen der Höchstsparprämie im 15. Vertragsjahr vorsieht, die jedoch – anders als die dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14.05.2019 (XI ZR 345/18) zugrundeliegende Prämienstaffel – nicht mit dem 15. Vertragsjahr endet, sondern die Höchstprämie auch für fünf weitere zahlenmäßig ausgewiesene Jahre („16 J“, „17 J“, „18 J“, „19 J“, „20 J“) und weitere „Folgejahre“ (einmalig abgekürzt mit „FJ“) nennt, eine konkludente Abbedingung des ordentlichen Kündigungsrechts der Sparkasse über das 15. Vertragsjahr hinaus zu entnehmen ist.
4. Dieses Urteil und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Kempten sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz im Wesentlichen nur mehr über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen Kündigung eines Prämiensparvertrags.
2
Der Vater des seinerzeit 17-jährigen Klägers schloss am 23.02.2001 in dessen Namen als sein gesetzlicher Vertreter einen als „S-Prämiensparen flexibel“ bezeichneten Vertrag mit der Beklagten. In Ziffer 3 des zugrundeliegenden Vertragsformulars heißt es, dass die Sparkasse neben dem jeweils gültigen Zinssatz am Ende eines Kalender- bzw. Sparjahres eine verzinsliche Sparprämie auf die geleisteten Sparbeiträge des jeweils abgelaufenen Sparjahres gemäß einer nachfolgenden Prämienstaffel bezahle. In jener Prämienstaffel sind den einzelnen Sparjahren ab dem dritten Jahr Sparprämien mit einem Prozentsatz zugeordnet, der sich auf die Höhe des in dem jeweiligen Jahr eingezahlten Sparbeitrags bezieht. Im dritten Jahr betrug die Prämie danach 3%, in den folgenden Jahren stieg sie kontinuierlich an. Ab dem fünfzehnten Jahr belief sich die Sparprämie auf 50% des eingezahlten Sparbeitrags („15 J 50,000%“). Eine Prämie von 50% nennt die Prämienstaffel auch nach „16J“, „17J“, „18J“, 19J“, „20J“ und „FJ“.
3
Ziffer 5.2 des Vertragsformulars lautet: „Die Sparkasse weist ausdrücklich darauf hin, dass ergänzend ihre derzeit geltenden Bedingungen für den Sparverkehr und ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) Vertragsbestandteil sind. Die Bedingungen hängen / liegen in den Kassenräumen zur Einsichtnahme aus. Der Kontoinhaber erhält ein Exemplar dieser Bedingungen, sofern er es wünscht“.
4
Für den vollständigen Inhalt des Vertragsformulars wird auf die Anlage K2 verwiesen.
5
Mit dem Kläger zugegangenem Schreiben vom 27.05.2020 kündigte die Beklagte den Vertrag unter Verweis auf Nr. 26 Abs. 1 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen mit Wirkung zum 31.08.2020. Zur Begründung verwies sie darauf, dass ein Ende der lang anhaltenden Niedrigzinsphase nicht in Sicht sei. Für Einzelheiten wird auf die Anlage K1 verwiesen.
6
Der Kläger ist der Ansicht, die Kündigung sei unwirksam. Die Auslegung schon der ursprünglichen Vertragsbedingungen ergebe, dass der Vertrag für die Beklagte nicht, jedenfalls nicht vor Ende Februar 2100 ordentlich kündbar sei. Das folge im Übrigen auch aus einem von der Beklagten während der Laufzeit des Vertrags erstellten „Finanzstatus“, der die Angabe „Vertragsende am: Unbefristet“ enthält; diesbezüglich wird auf die Anlage K4 verwiesen.
7
Der Kläger hatte vor dem Landgericht ursprünglich neben der Feststellung, dass der Vertrag nicht durch die Kündigung vom 27.05.2020 zum 31.08.2020 beendet worden sei, die Beklagte auch nicht das Recht habe, den Vertrag ohne wichtigen Grund zu einem Zeitpunkt vor dem 23.02.2100 zu kündigen und sie sich seit dem 01.09.2020 mit der Abbuchung der monatlichen Sparbeiträge in Verzug befinde, eine Verurteilung der Beklagten zur Nachzahlung von Zinsen, zur Erstattung von Sachverständigenkosten für eine Zinsnachberechnung und zur Erstattung nicht anrechenbarer außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten beantragt. Nachdem die Parteien bezüglich der Zinsnachzahlung im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens einen Teilvergleich schlossen (für dessen Inhalt vgl. Seite Bl. 131-133 d. A.), stellte der Kläger vor dem Landgericht zuletzt neben den drei genannten Feststellungsanträgen nur mehr den Antrag, die Beklagte zu verurteilen, ihm nicht anrechenbare außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.934,22 EUR nebst Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu erstatten und außerdem Sachverständigenkosten für die Zinsnachberechnung in Höhe von 85 EUR zu zahlen.
8
Das Landgericht verurteilte die Beklagte, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 121,87 EUR nebst Zinsen hieraus seit dem 27.04.2021 sowie weitere 85 EUR für vorgerichtliche Sachverständigenkosten zu zahlen. Im Übrigen wies das Landgericht die Klage ab.
9
Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem landgerichtlichen Urteil wird Bezug genommen. Soweit der Abschluss des Vertrags darin auf den 23.01.2002 datiert wurde, handelt es sich – unstreitig – um ein offensichtliches Schreibversehen in Form eines „Zahlendrehers“; tatsächlich wurde der Vertrag – wie oben angegeben – am 23.02.2001 abgeschlossen.
10
Der Kläger hat gegen das seiner anwaltlichen Vertreterin am 28.06.2022 zugestellte Urteil über diese mit Schreiben vom 12.07.2022, eingegangen beim Oberlandesgericht München am selben Tag, Berufung eingelegt und diese mit weiterem Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 10.08.2022, eingegangen am selben Tag, begründet.
11
In der Berufungsinstanz hat der Kläger zunächst folgende Anträge gestellt:
I. Das Endurteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 15.06.2022 (Az.: 21 O 673/21 Fin) wird aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass der S-Prämiensparvertrag flexibel Nr. …548 vom 23.02.2001 nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 27.05.2020 zum 31.08.2020 beendet worden ist.
III. Es wird festgestellt, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, den S-Prämiensparvertrag Nr. …548 ohne wichtigen Grund zu einem Zeitpunkt vor dem 23.02.2100 zu kündigen.
IV. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 01.09.2020 mit der monatlichen Abbuchung der Sparbeiträge in Höhe von 404,00 EUR in Verzug befindet.
V. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger sowohl die angefallenen, nicht anrechenbaren außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.934,22 EUR nebst Zinsen auf diesen Betrag in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, als auch die für die Zinsnachberechnung angefallenen Sachverständigenkosten in Höhe von 85,00 EUR zu bezahlen.
12
Aufgrund eines der Klägerseite mit der Ladung zum Termin erteilten Hinweises (vgl. Bl. 225 d. A.) hat die Klägervertreterin in einem Schriftsatz vom 20.12.2022 (vgl. dort Seite 6 = Bl. 236 Rs. d. A.) den Zahlungsantrag gemäß Ziffer V. geändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger restliche angefallene, nicht anrechenbare außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.812,35 EUR nebst Zinsen auf diesen Betrag in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
13
Für das Vorbringen des Klägers in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung vom 10.08.2022 (Bl. 181/196) sowie auf die Schriftsätze seiner Prozessbevollmächtigten vom 04.11.2022 (Bl. 215/222), 20.12.2022 (Bl. 234/236), 09.01.2023 (Bl. 240/242) und 19.01.2023 verwiesen. Der Senat hat bei seiner Entscheidung auch den erst nach Schluss der Berufungsverhandlung eingegangenen, nicht nachgelassenen Schriftsatz der Klägervertreterin vom 02.02.2023 berücksichtigt, soweit dieser rechtliche Ausführungen enthält.
14
Die Beklagte hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
15
Für das Vorbringen der Beklagten in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungserwiderung vom 26.08.2022 (Bl. 203/213) sowie auf die weiteren Schriftsätze ihres Prozessbevollmächtigten vom 22.12.2022 und vom 16.01.2022 Bezug genommen.
16
A. In Bezug auf den Zahlungsantrag (Berufungsantrag Ziffer V. in der Fassung des Schriftsatzes der Klägervertreterin vom 20.12.2022) war die Berufung gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil das Rechtsmittel insoweit entgegen § 520 Abs. 1 ZPO nicht begründet worden ist. Wie in dem Hinweis des Senats vom 15.12.2022 (vgl. Bl. 225 d. A.) erläutert, handelt sich um einen von den Feststellungsanträgen zu trennenden Streitgegenstand. Die diesbezügliche Berufung hätte deshalb einer eigenständigen Begründung bedurft (Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage, § 520, Rn 45 m. w. N. – zitiert nach Beckonline). Eine solche ist innerhalb der Berufungsbegründungsfrist nicht erfolgt. Der im Schriftsatz der Klägervertreterin vom 20.12.2022 auf Seite 6 (= Bl. 236 RS d. A.) erfolgte Verweis darauf, dass der Zahlungsantrag in erster Instanz begründet worden sei, ist unerheblich. Die Berufung gegen die Abweisung des Zahlungsantrags hätte gemäß § 520 Abs. 1 ZPO unter Beachtung der diesbezüglichen Anforderungen gemäß § 520 Abs. 3 Nr. 2 und 3 ZPO innerhalb der in § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO bestimmten Frist begründet werden müssen. Das ist nicht geschehen. Dass ein abgewiesener Antrag in erster Instanz begründet wurde, vermag die erforderliche Begründung der gegen seine Abweisung gerichteten Berufung nicht zu ersetzen.
17
Da die Nachholung einer Berufungsbegründung nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nicht möglich ist, bleibt lediglich ergänzend anzumerken, dass auch der Schriftsatz der Klägervertreterin vom 20.12.2022 keine den Anforderungen von § 520 Abs. 3 Nrn. 2 und 3 ZPO entsprechende Begründung der Berufung gegen die Teilabweisung der Zahlungsanträge enthält. Die diesbezüglichen Ausführungen erschöpfen sich in einem Verweis auf erstinstanzliches Vorbringen und diesbezügliche Anlagen.
18
B. Die Berufung gegen die Abweisung der Feststellungsanträge (Berufungsanträge Ziffern II. bis IV.) war als unbegründet zurückzuweisen. Im Einzelnen:
19
1. Der Prämiensparvertrag zwischen den Parteien ist durch die dem Kläger unstreitig zugegangene Kündigung der Beklagten vom 27.05.2020 mit Wirkung zum 31.08.2020 beendet worden. Das Landgericht hat den auf die gegenteilige Feststellung gerichteten Antrag deshalb zu Recht abgewiesen: Der Vertrag war zum Zeitpunkt der Kündigung ordentlich kündbar (nachfolgend a.). Ein nach der Rechtsprechung des BGH für eine ordentliche Kündigung durch die Beklagte als Anstalt des öffentlichen Rechts erforderlicher sachgerechter Grund lag vor (nachfolgend b.). Die Kündigungsfrist wurde gewahrt (nachfolgend c.). Die Ausübung des Kündigungsrechts war auch nicht etwa verwirkt und deshalb gemäß § 242 BGB unwirksam (nachfolgend d.).
20
a. Der Prämiensparvertrag war zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung ordentlich kündbar. Ein grundsätzliches Recht der Beklagten zur ordentlichen Kündigung bestand im vorliegenden Fall gemäß §§ 696 Satz 1, 700 Abs. 1 Satz 3 BGB mit der Maßgabe, dass die Sparkasse als Anstalt des öffentlichen Rechts hierfür eines sachgerechten Grundes bedurfte (nachfolgend (1)). Aufgrund der vertraglichen Regelung über die steigende Höhe der jährlichen Sparprämien war das Recht zur ordentlichen Kündigung zwar – wie die Auslegung des Vertrags aus der Perspektive eines objektiv-verständigen Empfängers (§§ 133, 157 BGB) ergibt – bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe (also bis zum Ablauf des 15. Vertragsjahres) ausgeschlossen, entgegen der Ansicht der Klägerseite aber nicht darüber hinaus (nachfolgend (2)).
21
(1) Das Recht der Beklagten, den Prämiensparvertrag ordentlich zu kündigen, lässt sich zwar nicht – wie seitens der Beklagten in ihrem Kündigungsschreiben angenommen – auf Nr. 26 Abs. 1 der Sparkassen-AGB (im Folgenden Spk-AGB) stützen; es folgt aber aus §§ 700 Abs. 1 Satz 3, 696 Satz 1 BGB. Im Einzelnen:
22
(a) In Ziffer 5.2 des Vertragsformulars hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass „ergänzend ihre derzeit geltenden Bedingungen für den Sparverkehr und ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) Vertragsbestandteil sind (…)“.
23
Entgegen der vom Landgericht und in erster Instanz von der Beklagten vertretenen Auffassung konnten die Spk-AGB in ihrer Fassung vom 26.11.2018 (Anlage B1) durch diese Klausel nicht Vertragsbestandteil werden: Eine am Wortlaut der Klausel orientierte Auslegung spricht zwar angesichts dessen, dass sich der Zusatz „derzeit geltenden“ syntaktisch allein auf die Bedingungen für den Sparverkehr und nicht auch auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen bezieht, dafür, dass letztere in ihrer jeweils aktuellen Fassung Vertragsbestandteil werden sollte. Bei dieser Auslegung würde es sich allerdings um eine dynamische Verweisung handeln, die gemäß § 10 Nr. 4 AGBG (die korrespondierende Vorschrift in § 308 Nr. 4 BGB trat erst nach Abschluss des hier in Rede stehenden Vertrags in Kraft) evident unwirksam wäre.
24
Legte man die Klausel dagegen als Verweisung auf die bei Vertragsschluss geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten, also als statische Verweisung aus, wäre Nr. 26 Abs. 1 in der Fassung der Spk-AGB vom Januar 1993 mit Änderungen 1998 (Anlage BB1) in den Vertrag einbezogen worden. Jene Klausel ist unter Zugrundelegung einschlägiger Rechtsprechung des BGH wegen Intransparenz gemäß § 9 AGBG unwirksam: Für Nr. 26 Abs. 1 der Spk-AGB in der Fassung vom 01.11.2009 hat der BGH mit Urteil vom 05.05.2015 (Az.: XI ZR 214/14) entschieden, dass eine Unwirksamkeit der Klausel, soweit sie das Recht der Sparkasse zur ordentlichen Kündigung betrifft, nach der § 9 AGBG entsprechenden Vorschrift des § 307 BGB daraus folge, dass es Sparkassen als Anstalten des öffentlichen Rechts nach Art. 3 Abs. 1 GG, § 134 BGB verboten sei, ohne sachgerechten Grund zu kündigen, die Klausel eine ordentliche Kündigung der Sparkasse nach ihrem Wortlaut aber nicht vom Vorliegen eines solchen abhängig machte. Eben dies trifft auch auf Nr. 26 Abs. 1 der Spk-AGB in der bei Abschluss des hier in Rede stehenden Vertrags geltenden Fassung vom Januar 1993 mit Änderungen 1998 zu.
25
(b) Gemäß § 6 Abs. 2 AGBG hat die Unwirksamkeit der Klausel zur Folge, dass sich die Kündigungsmöglichkeit der Beklagten nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen richtet. Da Prämiensparverträge als unregelmäßige Verwahrungsverträge zu qualifizieren sind (BGH, Urteil vom 14.05.2019, XI ZR 345/18, Rn 27 – zitiert nach beck-online), sind §§ 700 Abs. 1 Satz 3, 696 Satz 1 BGB einschlägig. Aus jenen Bestimmungen folgt in Verbindung mit dem vom BGH für Sparkassen als Anstalten des öffentlichen Rechts aus Art. 3 Abs. 1 GG, § 134 BGB abgeleiteten Verbot, Verträge mit Verbrauchern ohne sachgerechten Grund zu kündigen (s. o.), dass die Beklagte bei Vorliegen eines solchen grundsätzlich ordentlich kündigen kann.
26
(c) Eine datumsmäßige Befristung, die eine ordentliche Kündigung nach allgemeinen Regeln ausgeschlossen hätte, war weder ausdrücklich vereinbart, noch lässt sich eine solche den vertraglichen Bestimmungen bei einer Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) konkludent entnehmen.
27
(2) Das ordentliche Kündigungsrecht der Beklagten war hier zwar aufgrund der Regelung in Ziffer 3 des Vertragsformulars bis zum erstmaligen Erreichen der Höchstsparprämie ausgeschlossen (also bis zum Ablauf des 15. Vertragsjahres), entgegen der Ansicht der Berufung aber nicht über jenen Zeitpunkt hinaus.
28
Dadurch, dass Ziffer 3. des Vertrags eine signifikante Erhöhung der jährlichen Sparprämie zwischen dem dritten und dem fünfzehnten Vertragsjahr vorsah, hat die Beklagte einen Bonusanreiz gesetzt, der aus Sicht eines objektiven Empfängers einen konkludenten Ausschluss des Kündigungsrechts aus Nr. 26 Abs. 1 der AGB der Sparkasse bis zum Ablauf des 15. Sparjahres bedingte. Denn andernfalls hätte die Beklagte dem Kläger jederzeit den Anspruch auf Gewährung der Sparprämien entziehen können (BGH, a. a. O., Rn 39).
29
Ein über das Ende des 15. Sparjahres hinauswirkender Ausschluss des Kündigungsrechts war indes zwischen den Parteien nicht vereinbart. Das ergibt eine Auslegung des Vertragsformulars aus der Perspektive eines objektiv-verständigen Empfängers (§§ 133, 157 BGB). Maßgebend ist insofern, dass der von der Beklagten gesetzte besondere Sparanreiz primär in der bis zum 15. Vertragsjahr kontinuierlich steigenden Prämienhöhe liegt. Dagegen kann ein Sparer redlicherweise nicht erwarten, dass ihm mit dem Abschluss des Sparvertrags eine zeitlich unbegrenzte Sparmöglichkeit eröffnet werden soll (BGH, a. a. O., Rn 41 f.).
30
Der Einwand der Klägerseite, der vorliegende Sachverhalt sei mit dem der genannten BGH-Entscheidung deshalb nicht vergleichbar, weil die dem dortigen Vertrag zugrunde liegende Prämienstaffel mit dem 15. Vertragsjahr endete (in dem auch dort die Höchstprämie erreicht wurde), während im vorliegenden Fall auch für die Vertragsjahre 16 bis 20 („16 J“, „17 J“, „18 J“, „19 J“, „20 J“) und weitere Folgejahre („FJ“) die Höchstprämie von 50% genannt ist, greift nicht durch. Jene Darstellung dient bei objektiv-verständiger Würdigung (§§ 133, 157 BGB) der Klarstellung, dass sich die Höhe der jährlichen Sparprämie, solange die Beklagte von der ihr nach Ablauf des 15. Vertragsjahres eröffneten Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung keinen Gebrauch macht und der Vertrag demgemäß fortbesteht, weiterhin auf 50% der geleisteten Spareinlage beläuft, nach Erreichen des 15. Vertragsjahres also keine weitere Erhöhung der Prämie mehr erfolgt. Ein Verzicht der Beklagten auf das Recht, den Vertrag zu kündigen, nachdem der Kunde das 15. Vertragsjahr und damit die höchste Prämienstufe erreicht hat, ist der Regelung nicht zu entnehmen.
31
Der Verweis der Klägerseite auf das Urteil des OLG Nürnberg vom 29.03.2022 (Az.: 14 U 3259/20) rechtfertigt keine abweichende Bewertung. Die dortige Ansicht, dass in Fällen, in denen die Prämienstaffel – anders als in dem vom BGH entschiedenen Fall – nicht mit dem 15. Vertragsjahr endet, sondern – wie hier – auch für das sechzehnte bis zwanzigste Vertragsjahr und Folgejahre („16J“, „17J“, „18J“, 19J“, „20J“, „FJ“) jeweils eine Prämie von 50% nennt, eine Kündigung der Sparkasse konkludent bis zum Ablauf des zwanzigsten Sparjahres abbedungen sein soll (a.a.O., Rn 19 – zitiert nach Beck online), teilt der erkennende Senat nicht. Er ist vielmehr wie erläutert der Ansicht, dass die entsprechende Gestaltung der Prämienstaffel aus Sicht eines objektiven Empfängers (§§ 133, 157 BGB) zur Klarstellung dient, dass – solange die Sparkasse von der ihr nach Erreichen der Höchstsparprämie eröffneten Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung zunächst keinen Gebrauch macht und der Vertrag folglich fortbesteht – nach dem 15. Vertragsjahr keine weitere Erhöhung der jährlichen Sparprämie mehr erfolgt (wie hier: OLG München, 5. Zivilsenat, Beschluss vom 07.12.2022, Az.: 5 U 6434/22).
32
(3) Das Vorbringen des Klägers, er selbst wie auch sein Vater (als Abschlussvertreter) seien bei Abschluss des Vertrags im Februar 2001 aufgrund von Äußerungen durch Mitarbeiter der Beklagten im Vorfeld bzw. aufgrund von Aussagen in Werbematerialien davon ausgegangen, dass das Vertragsverhältnis ausschließlich durch den Sparer, nicht aber durch die Beklagte gekündigt werden könne, ist rechtlich ohne Bedeutung. Für die Auslegung von Äußerungen einer (späteren) Vertragspartei im Stadium der Vertragsanbahnung ist nicht maßgebend, welche Vorstellungen und Erwartungen die andere Partei damit subjektiv verbunden hat, sondern wie die Äußerungen aus Sicht eines verständigen Empfängers objektiv zu verstehen waren (§§ 133, 157 BGB). Dass durch Mitarbeiter der Beklagten und / oder in Unterlagen zur Bewerbung des Vertragsmodells im Vorfeld des Vertragsschlusses Aussagen getroffen wurden, die aus Sicht eines objektiven Empfängers dahingehend aufzufassen waren, dass der Vertrag für die Beklagte dauerhaft oder jedenfalls für die klägerseits postulierte Mindestdauer von 99 Jahren ordentlich unkündbar sei, hat die Klägerseite nicht vorgetragen. Der konkrete Inhalt von Äußerungen der Beklagten, aus denen der Vater des Klägers ein entsprechendes Vertrauen abgeleitet haben will, ist nicht mitgeteilt worden. Da es somit an schlüssigem Sachvortrag für einen im Wege einer Individualabrede vereinbarten Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts der Beklagten auf Dauer bzw. für zumindest 99 Jahre fehlt, waren die vom Kläger beantragten Beweiserhebungen hierzu, insbesondere eine Vernehmung seines Vaters als Zeuge, nicht veranlasst.
33
(4) Aus dem Umstand, dass der vom Kläger am 28.05.2020 im Online-Banking-Portal der Beklagten abgerufene „Finanzstatus“ zu dem Vertrag eine Zeile enthält, die „Vertragsende am: Unbefristet“ lautet (vgl. den als Anlage K4 vorgelegten Screenshot), lässt sich für die von ihm postulierte ordentliche Unkündbarkeit des Vertrags seitens der Beklagten ebenfalls nichts herleiten. Abgesehen davon, dass für die Auslegung des Vertrags die Vertragsurkunde selbst (hier Anlage K2) nebst der darin in Bezug genommenen Vertragsbedingungen maßgebend ist und die Anlage K4 eine rein deklaratorische Wiedergabe des wesentlichen Vertragsinhalts durch die Beklagte darstellt, der zwar im Einzelfall ergänzende Bedeutung zur Ermittlung des Parteiwillens bei Vertragsschluss zukommen kann, der aber kein rechtsgeschäftlicher Erklärungswert – im Sinne eines Angebots, den Vertrag im Sinne der darin enthaltenen Angaben zu ändern – zukommt, enthält die dortige Formulierung „Vertragsende am: Unbefristet“ auch keinerlei Abweichung vom ursprünglichen Vertragsinhalt, wie er sich aus der Anlage K2 ergibt. Jener Formulierung ist entgegen dem Verständnis des Klägers nicht zu entnehmen, dass der Vertrag für die Beklagte auch nach Ablauf des 15. Vertragsjahres ordentlich unkündbar war. Dies wäre nur der Fall gewesen, wenn eine Befristung des Vertrags über das 15. Vertragsjahr hinaus vereinbart gewesen wäre. Eine solche Regelung enthält der Vertrag indes nicht.
34
(5) Ein konkludenter Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts der Beklagten für die Dauer von „wenigstens 99 Sparjahren“ ergibt sich schließlich auch nicht aus der im Berufungsverfahren als Anlage BK1 vorgelegten Tabelle mit der Überschrift „Vertragswerte per 05.10.2009“. Wie die Klägerseite selbst vorträgt, handelt es sich um ein Dokument aus einem Parallelverfahren, dem für die Beurteilung des vorliegenden Falles schon deshalb keine Bedeutung zukommt, weil nicht behauptet wird, dass der Kläger (oder sein Vater) von der hiesigen Beklagten ein entsprechendes Dokument erhalten hätte. Ohne dass es daher für den vorliegenden Fall darauf ankommt, ist ergänzend anzumerken, dass einer solchen, dem Sparer im Verlauf der Vertragszeit von der Sparkasse überlassenen Darstellung ebenso wenig ein rechtsgeschäftlicher Erklärungswert zukommt wie der Anlage K4 (vgl. hierzu vorstehend unter (4)).
35
(6) Dem von der Prozessbevollmächtigten des Klägers im Schriftsatz vom 04.11.2022 gestellten Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens musste nicht nachgekommen werden. Denn ob bzw. für wie lange die Parteien einen Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts der Beklagten vereinbart hatten und ob der Anlage BK1 hierfür Bedeutung zukommt, ist jeweils eine Rechtsfrage, die vom Gericht durch Auslegung des Vertrags zu beantworten war.
36
b. Ein für die ordentliche Kündigung durch die Beklagte gemäß den vorstehenden Ausführungen unter a) (1) vorausgesetzter sachgerechter Grund lag vor.
37
Ein solcher ist nach dem BGH gegeben, wenn der Umstand, der die Sparkasse zur Kündigung veranlasst, aus Sicht eines unvoreingenommenen, vernünftigen Beobachters nachvollziehbar und angemessen ist (vgl. BGH, Urteil vom 14.05.2019, XI ZR 345/18, Rn 45 m. w. N. – zitiert nach beck-online). Die Anforderungen an einen sachgerechten Grund sind wesentlich niedriger sind als bei einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund gem. Nr. 26 Abs. 2 AGB-Sparkasse oder i. S. v. § 314 BGB (Dörfler/Surowiecki, BKR 2018, 307, 310). Für eine ordentliche Kündigung ist danach lediglich erforderlich, dass die Sparkasse nicht gegen das Willkürverbot verstößt, dem sie aufgrund ihrer öffentlich-rechtlichen Organisationsform und der damit verbundenen Verpflichtung zur Erfüllung von Aufgaben der Daseinsvorsorge unterliegt.
38
Nach diesen Maßstäben ergab sich ein sachgerechter Grund zur Kündigung hier aus dem veränderten Zinsumfeld, das sich zwar nicht wegen des variablen Zinssatzes negativ auf das Vertragsverhältnis auswirkte, es der Beklagten aber erschwerte, die Erträge zu erwirtschaften, die sie benötigte, um die jährlichen Prämienzahlungen aufzubringen (BGH, a. a. O., Rn 46): Die Leitzinsen der Europäischen Zentralbank (EZB) lagen vor der Kündigungserklärung über mehrere Jahre auf historischen Tiefstständen. Der Hauptrefinanzierungssatz für Banken betrug – wie der Homepage der EZB zu entnehmen und somit allgemeinkundig ist – seit mehreren Jahren 0,000%, der Leitzins der EZB für Einlagen lag seit 2019 bei minus 0,50%, nachdem er zuvor mehrere Jahre lang bei minus 0,40% gelegen hatte. Unter diesen Voraussetzungen war es aus Sicht eines unvoreingenommenen, vernünftigen Beobachters keinesfalls willkürlich, dass die Beklagte Verträge wie den hier in Rede stehenden kündigte, der sie verpflichtete, dem Sparer eine Prämie in Höhe von 50% der von diesem im jeweiligen Jahr geleisteten Sparbeiträge zu zahlen. Die Beklagte war gehalten, schon dem potenziellen Risiko daraus resultierender Verluste entgegenzuwirken. Dazu war die Kündigung von Prämiensparverträgen ein geeignetes Mittel.
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Darauf, ob die Beklagte – wie vom Kläger vorgetragen – trotz des geschilderten Zinsumfeldes in den Jahren vor der Kündigung Gewinne erwirtschaftet hat, kam es daher ebenso wenig an, wie auf die zum Beweis hierfür mit nicht nachgelassenen Schriftsätzen vom 02.02.2023 vorgelegten Bilanzen der Beklagten aus den Jahren 2015 bis 2021.
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Die von der Klägerseite im Schriftsatz vom 04.11.2022 durch Sachverständigengutachten unter Beweis gestellte Behauptung, eine Vertragslaufzeit von 99 Jahren sei der Beklagten zumutbar gewesen, ist ebenfalls ohne Bedeutung. Denn wie oben erläutert setzt der für eine ordentliche Kündigung durch die Sparkasse ausreichende sachgerechte Grund – anders als der für eine außerordentliche Kündigung nach § 314 Abs. 1 BGB erforderliche wichtige Grund – gerade nicht voraus, dass der Beklagten eine Fortführung des Vertragsverhältnisses unzumutbar war.
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Obgleich der Senat in der Berufungsverhandlung die Ansicht vertreten hatte, eine ordentliche Kündigung der Beklagten sei nach Ablauf des 15. Vertragsjahres nicht an Bedingungen geknüpft und erst durch den Schriftsatz der Klägervertreterin vom 02.02.2023 auf das BGH-Urteil vom 05.05.2015 aufmerksam wurde, nach dem es Sparkassen aufgrund von Art. 3 Abs. 1 GG, § 134 BGB verboten ist, Verträge mit Verbrauchern ohne sachgerechten Grund ordentlich zu kündigen, war eine Wiedereröffnung der Verhandlung (§§ 525, 296a S. 2, 156 ZPO) nicht geboten: Der Senat hatte sowohl im Rahmen der Einführung in den Sach- und Streitstand als auch im Rahmen der anschließenden Erörterung der Rechtslage mit den Parteien hilfsweise unter Verweis auf das Urteil des BGH vom 14.05.2019 (XI ZR 345/18, Rn. 46 – zitiert nach beck-online) ausgeführt, dass ein etwa erforderlicher sachgerechter Grund für die Kündigung wegen des veränderten Zinsumfeldes gegeben sei. In diesem Zusammenhang wurde vorsorglich auch erläutert, dass und weshalb der Umstand, dass die Beklagte trotz der historischen Niedrigzinsphase in den Jahren vor der Kündigung Gewinne erzielt hatte, die Annahme eines sachgerechten Grundes entgegen der Ansicht der Klägerseite nicht ausschließt. Da somit weder der klägerische Anspruch auf rechtliches Gehör noch eine Hinweis- oder Aufklärungspflicht verletzt wurde, lag kein zwingender Wiedereröffnungsgrund i.S.v. § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO vor. Eine Wiedereröffnung der Verhandlung war auch nicht gemäß § 156 Abs. 1 ZPO geboten, nachdem das in der Verhandlung unberücksichtigt gebliebene BGH-Urteil vom 05.05.2015 für den Ausgang des Rechtsstreits ohne Bedeutung ist und die Frage des Vorliegens eines sachgerechten Grundes für die Kündigung der Beklagten hilfsweise mit den Parteien erörtert wurde.
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c. Die dreimonatige Kündigungsfrist, die sich aus Nr. 4 der bei Abschluss des Vertrags geltenden Bedingungen für den Sparverkehr ergab, hat die Beklagte gewahrt. Die Kündigung ging dem Kläger unstreitig Ende Mai 2020 zu. Sie wurde folglich mit Wirkung zum 31.08.2020 wirksam.
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d. Die Ausübung des Kündigungsrechts durch die Beklagte war entgegen den diesbezüglichen Ausführungen der Klägerseite auch nicht etwa verwirkt und deshalb gemäß § 242 BGB unwirksam. Das für eine Verwirkung erforderliche Umstandsmoment lässt sich entgegen der Auffassung der Klägerseite nicht etwa darauf stützen, dass die Beklagte das Kündigungsrecht nicht bereits zu dem Zeitpunkt ausübte, zu dem dies für sie erstmals möglich gewesen wäre (also nach Ablauf des 15. Vertragsjahrs, siehe oben). Die bloße Nichtausübung eines bestehenden Gestaltungsrechts in einem Dauerschuldverhältnis begründet für die Gegenseite kein Vertrauen darauf, dass es nicht zu einem späteren Zeitpunkt ausgeübt werden wird.
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Die Ansicht des Klägers, die Beklagte wäre verpflichtet gewesen, ihn darauf hinzuweisen, dass sie den Vertrag nach Ablauf des 15. Vertragsjahres kündigen könne, findet weder im Vertrag selbst noch in den gesetzlichen Vorschriften über die unregelmäßige Verwahrung eine Grundlage. Sie lässt sich auch nicht auf § 241 Abs. 2 BGB stützen.
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Entgegen der im Schriftsatz vom 04.11.2022 geäußerten Ansicht der Klägerseite hat die Beklagte ihr Kündigungsrecht auch nicht durch die fortlaufende jährliche Auszahlung der Prämienhöchstsätze über den Zeitpunkt des erstmaligen Erreichens der Höchstprämie hinaus verwirkt. Denn solange der Vertrag bestand, war die Beklagte zur Leistung der Sparprämien vertraglich verpflichtet. Dass ein Vertragspartner seine Pflichten aus einem unbefristeten Vertrag erfüllt, begründet kein Vertrauen darauf, dass er von einer Kündigungsmöglichkeit keinen Gebrauch machen wird.
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Die Anträge auf Feststellung, dass die Beklagte nicht berechtigt sei, den Prämiensparvertrag ohne wichtigen Grund vor dem 23.02.2100 zu kündigen (vgl. Berufungsantrag Ziffer III.), bzw. auf Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Abbuchung der monatlichen Sparraten seit dem 01.09.2020 in Verzug befinde (vgl. Berufungsantrag Ziffer IV.), sind aufgrund der wirksamen Beendigung des Vertrags zum 31.08.2020 gegenstandslos.
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Gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO war – beschränkt auf die im Tenor genannte Fragestellung – die Revision zuzulassen, weil der Senat insoweit von dem oben genannten Urteil des OLG Nürnberg vom 29.03.2022 (Az.: 14 U 3259/20) abweicht. In jener Entscheidung wird die Auffassung vertreten, einer Prämienstaffel, die – wie die vorliegende – nicht nach dem 15. Vertragsjahr endet, sondern in der die Höchstprämie von 50% auch für fünf weitere zahlenmäßig ausgewiesene Jahre („16 J“, „17 J“, „18 J“, „19 J“, „20 J“) und für – einmalig mit „FJ“ abgekürzte – Folgejahre genannt ist, sei eine konkludente Abbedingung des ordentlichen Kündigungsrechts der Sparkasse bis zum Ablauf des letzten zahlenmäßig benannten Jahres zu entnehmen. Diese Divergenz kommt im vorliegenden Fall zum Tragen, weil der Vertrag hier vor Ablauf des 20. Vertragsjahres gekündigt wurde.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.