Titel:
Teilnahme an einem Online-Glücksspiel eines ausländischen Anbieters
Normenketten:
BGB § 134, § 812, § 817 S. 2, § 823 Abs. 2
GlüStV 2012 § 4
Leitsätze:
1. Der einseitige Verstoß eines ausländischen Anbieters von Online-Glücksspielen gegen § 4 Abs. 4 GlüStV führt nicht zur Nichtigkeit des Spielvertrages (Anschluss an LG Gießen BeckRS 2023, 17924). (Rn. 16 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einem beiderseitigen Verstoß gegen § 4 Abs. 4 GlüStV ist der Spielvertrag zwar nichtig, der Bereicherungsanspruch des Spielers scheitert jedoch an § 817 S. 2 BGB. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. § 4 Abs. 4 GlüStV ist kein Schutzgesetz iSv § 823 Abs. 2 BGB. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
4. Spielverluste stellen keinen ersatzfähigen Schaden iSv § 249 Abs. 1 BGB dar, da es sich um freiwillig eingezahlte Einsätze handelt. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Online-Glücksspiel, gesetzliches Verbot, Spielverlust, Rückzahlung, Nichtigkeit, einseitiger Verstoß, beiderseitiger Verstoß, Sittenwidrigkeit, Schutzgesetz, Schaden
Fundstelle:
BeckRS 2023, 41903
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 9.557,00 € festgesetzt.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt von der Beklagten die Rückerstattung von Verlusten aus Online-Glücksspielen auf der von der Beklagten betriebenen Webseite.
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Die Beklagte betrieb eine in M.lizenziertes und damit von der maltesischen Glücksspielaufsichtsbehörde überwachtes Online-Casino und veranstaltete in diesem Zusammenhang Online-Glücksspiele auf der von ihr betriebenen Homepage …. Hierfür bot die Beklagte von ihrem Firmensitz in M.aus Online-Glücksspiele in Deutschland ohne deutsche Glücksspielkonzession an.
3
Der Kläger eröffnete und unterhielt bei der Beklagten ein über seine Email-Adresse … ein Spielerkonto und nahm als Verbraucher vom 20.01.2018 bis 01.05.2019 über die deutschsprachige Internetdomain der Beklagten an Online-Glücksspielen teil. In diesem Zuge kam es zu einer Vielzahl von Einzahlungen auf das Spielerkonto im Zeitraum zwischen dem 23.01.2018 und dem 01.05.2019 wie auch von Auszahlungen im Zeitraum zwischen dem 02.04.2018 und dem 27.04.2019. Insgesamt hat der Kläger einen Betrag in Höhe von 9.557,00 € bei der Beklagten verspielt, denn Einzahlungen in Höhe von 18.747,00 € standen Auszahlungen in Höhe von 9.190,00 € gegenüber. Mit Klageschriftsatz vom 20.06.2023 erklärte der Prozessbevollmächtigte des Klägers namens und im Auftrag des Klägers den Widerruf der Spielverträge, die mit der Beklagten geschlossen wurden.
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Der Kläger trägt vor, er habe an den Online-Glücksspielen stets von seinem Wohnort in N. aus teilgenommen und von der Rechtswidrigkeit der angebotenen Spiele im Zeitraum der Spielteilnahme nichts gewusst. Durch Zufall sei der Kläger im März 2022 auf einen Bericht auf YT zum Thema Illegalität des Onlineglücksspiels gestoßen.
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Er ist der rechtlichen Ansicht, dass er seine Spieleinsätze ohne Rechtsgrund geleistet habe, weil der zwischen den Parteien geschlossene Online-Glücksspielvertrag gegen ein gesetzliches Verbot verstoße und deshalb gemäß § 134 BGB nichtig sei. Die Beklagte habe gegen dieses Verbot verstoßen, indem sie ihr Online-Glücksspiel auch dem Kläger, einem Spielteilnehmer aus Bayern, zugänglich gemacht habe und sich dessen Einsätze überweisen ließ.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von € 9.557,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
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Die Beklagte führt aus, der Kläger sei vorliegend nicht aktivlegitimiert, da Anhaltspunkte vorlägen, dass die Klagepartei nicht mehr Inhaberin des geltend gemachten Anspruchs sei, sondern diesen vielmehr an einen Prozessfinanzierer abgetreten habe. Die Beklagte erhebt zudem hilfsweise die Einrede der Verjährung.
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Die Beklagte ist der rechtlichen Ansicht, die Spielverträge seien nicht nach § 134 BGB nichtig. Läge nur ein Verstoß des Glücksspielanbieters vor, so führe dies nicht zur Nichtigkeit, da der Glücksspielstaatsvertrag 2012 Spieler nur allgemein vor möglichen schädlichen Folgen des verbotenen Glücksspiels schützen wolle. Zu diesem Zweck könne die Glücksspielaufsicht nach § 9 I 3 Nr. 3 GlüStV 2012 mit einer Untersagungsverfügung, die Strafverfolgungsbehörden nach § 284 StGB und Unternehmens- und Verbraucherverbände i.S.d. § 8 III Nrn. 2-4 UWG nach den §§ 3, 3a UWG im Allgemeininteresse gegen verbotene Glücksspiele einschreiten. Eine zusätzliche Sanktion in Gestalt der generellen Nichtigkeit von Spielverträgen sei dagegen nicht zum Schutz der Spieler erforderlich. Spielern stünde auch kein deliktsrechtlicher Anspruch auf Schadensersatz wegen erlittener Verluste nach § 823 II BGB zu. Denn weder § 4 IV GlüStV 2012 noch der darauf aufbauende § 284 StGB seien Schutzgesetze im Sinne dieser Vorschrift. Soweit die Teilnahme außerhalb Deutschlands erfolgt sei, sei überdies der Glücksspielstaatsvertrag 2012 bereits nicht anwendbar. Die Klagepartei habe zudem bereits während ihrer Spielteilnahme auf der Internetseite der Beklagten positive Kenntnis von dem gesetzlichen Verbot der von ihr gespielten Spiele gehabt oder habe sich dieser Kenntnis zumindest leichtfertig verschlossen.
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Das Gericht hat am 01.12.2023 eine Güteverhandlung mit anschließendem Haupttermin durchgeführt. Darin wurde der Kläger informatorisch angehört.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien sowie die dazugehörigen Anlagen und das Protokoll der Verhandlung vom 01.12.2023 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet und daher abzuweisen.
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Die gemäß Art. 18 Abs. 17 Abs. 1 lit. c der VO (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilsachen (Brüssel Ia-VO) beim Landgericht Nürnberg-Fürth erhobene Klage ist zulässig. Insoweit ist die Verbrauchereigenschaft des Klägers zu bejahen (vgl. OLG Dresden, NJW-RR 2023, 344).
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Die Klage ist jedoch unbegründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Ersatz seiner Spielverluste zu, weder aus Bereicherungs- noch aus Deliktsrecht.
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1. Hinsichtlich des materiell-rechtlich anzuwendenden Rechts ist vorliegend gemäß Art. 6 Abs. 1 Rom-I-VO deutsches Recht anwendbar. Danach ist bei Verträgen mit Verbrauchern das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dies betrifft auch die Beurteilung der Wirksamkeit des Vertrages einschließlich der bereicherungsrechtlichen Folgen (OLG Braunschweig, Urt. v. 23.02.2023, Az. 9 U 3/22, Rn. 54).
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2. Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB besteht nicht. Die Glücksspielverträge zwischen dem Kläger und der Beklagten sowie deren Durchführung sind nicht nach § 134 BGB i.V.m. § 4 Abs. 4 Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland vom 15.12.2012 nichtig.
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§ 4 Abs. 4 GlüStV ist eine Verbotsnorm, die sich ihrem Wortlaut nach nur gegen den Anbieter von Online-Glücksspielen richtet. In § 4 Abs. 4 GlüStV heißt es: „Das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet ist verboten.“ Der an einem Glücksspiel im Internet teilnehmende Spieler veranstaltet dieses weder noch vermittelt er es. Weiter beinhaltet § 4 Abs. 4 GlüStV nach seinem eindeutigen Wortlaut ein Verbot, Glücksspiele im Internet zu veranstalten oder zu vermitteln. Dieses Verbot zieht jedoch nach Auffassung des Gerichts nicht die Nichtigkeit des Spielvertrages zwischen der Beklagten und dem Kläger oder dessen Durchführung nach sich. Nach Auffassung des Gerichts enthält auch § 4 Abs. 4 GlüStV kein gesetzliches Verbot mit Nichtigkeitsfolge im Sinne des § 134 BGB. (zu § 4 Abs. 1 S. 2 Fall 2 GlüStV 2011, BGH, Urt. v. 13.09.2022, Az. XI ZR 515/21). § 4 Abs. 4 GlüStV enthält ebenso wenig wie § 4 Abs. 1 S. 2 Fall 2 GlüStV eine ausdrückliche Rechtsfolgenregelung. Die Frage der Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts ist daher nach dem Zweck des Verbotsgesetzes zu beantworten. Der Verstoß gegen ein Verbotsgesetz führt in der Regel nur dann zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts, wenn sich das Verbot gegen beide Vertragsteile richtet (BGH, Urt. v. 13.09.2022, Az. XI ZR 515/21, Rn. 11).
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Nur in besonderen Fällen kann sich die Nichtigkeit auch aus einem einseitigen Verstoß ergeben. Voraussetzung hierfür ist, dass der Zweck des Verbotsgesetzes anders nicht zu erreichen ist und die rechtsgeschäftlich getroffene Regelung nicht hingenommen werden darf. Eine solch besonderer Ausnahmefall liegt etwa vor, wenn der angestrebte Schutz des Vertragspartners die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts erfordert. Reicht es dagegen aus, dem gesetzlichen Verbot durch Verwaltung oder strafrechtliche Maßnahmen Nachdruck zu verleihen, so hat die zivilrechtliche Sanktion der Nichtigkeit daneben keinen Platz. Für das Gericht ist nicht ersichtlich, warum der Zweck von § 4 Abs. 4 GlüStV nicht anders zu erreichen ist und die Nichtigkeit des Spielvertrages zum Schutz des Vertragspartners (Spielers) erforderlich sein sollte.
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Es ist bereits offen, ob durch eine Nichtigkeit des Spielvertrages der Zweck des § 4 Abs. 4 GlüStV erreicht werden kann. Denn dies setzte voraus, dass die zivilrechtliche Sanktion allein oder jedenfalls besser als verwaltungsrechtliche oder strafrechtliche Maßnahmen dazu geeignet wäre, das Verbot in § 4 Abs. 4 GlüStV durchzusetzen (vgl. hierzu auch Köhler, NJW 2023, 2449 Rn. 28, beck-online). Es ist aber äußerst zweifelhaft, ob die Anbieter von unerlaubten Online-Glücksspielen deren Veranstaltung oder Vermittlung unterlassen, nur weil der Spieler im Ergebnis einen gerichtlich durchzusetzenden Anspruch auf Ersatz seiner Verluste hätte. Darüber hinaus ist die Nichtigkeit des Spielvertrages auch nicht zum Schutz des Vertragspartners (Spielers) erforderlich. Es ist gerade nicht Zweck des GlüStV Spieler allgemein vor ihrem Verlustrisiko zu schützen. Andernfalls dürfte keine Form des Glücksspiels erlaubt sein. Der drohende Vermögensschaden für den Spieler folgt nicht aus dem Verbot des unerlaubten Glücksspiels, sondern aus dem jedem Glücksspiel immanenten Risiko, dass Gewinne oder Verluste ungewiss und rein zufällig sind (vgl. LG Gießen Urt. v. 4.4.2023 – 5 O 189/21, Rn. 20 ff., m.w.N.).
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Läge ein beiderseitiger Verstoß gegen § 4 Abs. 4 GlüStV vor, erfolgte die Leistung zwar ohne Rechtsgrund, weil der Spielvertrag dann gemäß § 134 BGB nichtig wäre; sein Anspruch ist in diesem Fall jedoch gemäß § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen.
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Daher besteht vorliegend in jedem Fall kein bereicherungsrechtlicher Anspruch gegen die Beklagte. Die Frage der bestrittenen Aktivlegitimation und des hilfsweisen Verjährungseinwands kann mithin dahinstehen.
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3. Ein deliktischer Schadensersatzanspruch, gerichtet auf Rückzahlung verlorener Einsätze, steht dem Kläger ebenso wenig zu. Dies hängt davon ab, ob das Verbot des § 4 IV GlüStV ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 II BGB darstellt, d.h. ein Gesetz, das den Schutz eines anderen bezweckt.
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Dabei ist auf die allgemeinen Grundsätze zurückzugreifen, die der BGH (vgl. BGHZ 232, 46 = NJW 2022, 1007 Rn. 51) zur Ermittlung des Schutzgesetzcharakters einer Norm aufgestellt hat. Der BGH betont, dass der Anwendungsbereich von Schutzgesetzen nicht ausufern soll. Deshalb reicht es nach seiner Auffassung nicht aus, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm als ihr Reflex objektiv erreicht werden kann; er müsse vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen. Der BGH tendiert ersichtlich dazu, strenge Anforderungen an die Anerkennung einer Norm als Schutzgesetz zu stellen. Nach seiner Auffassung kommt es darauf an, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Beweiserleichterungen zu knüpfen. Betrachtet man § 4 IV GlüStV in seinem gesamten Regelungszusammenhang als öffentlich-rechtliche Regelung der Bundesländer, ist davon auszugehen, dass diese Problematik bei Schaffung des § 4 IV GlüStV nicht angesprochen wurde. Vielmehr ging es den Bundesländern um den Schutz der Allgemeininteressen der Bevölkerung im Hinblick auf mögliche Gefahren eines Glücksspiels im Internet. Es geht um Generalprävention, nicht um Individualschutz. Daher ist dieses Verbot nicht als Schutzgesetz i.S.d. § 823 II BGB zu begreifen (vgl. Köhler, NJW 2023, 2449 Rn. 33-34, beck-online, m.w.N.).
24
Überdies stellen die vom Kläger erlittenen Spielverluste keinen Schaden im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB dar, da es sich bei den Verlusten um freiwillig eingezahlte Einsätze handelt und nicht um freiwillige Vermögenseinbußen (vgl. AG Fürth, Az. 310 C 428/23, vorgelegt als Anlage B11).
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4. Damit kann auch kein Anspruch des Klägers auf Zinsen oder vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten bestehen. Insoweit teilen die Nebenforderungen das Schicksal der Hauptforderung.
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Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 2 ZPO.
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Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus § 3 ZPO.