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AG München, Endurteil v. 20.12.2023 – 251 C 17550/23
Titel:

Teilnahme an einem unerlaubten Online-Glücksspiel eines ausländischen Anbieters

Normenketten:
BGB § 134, § 812, § 817 S. 2, § 823 Abs. 2
GlüStV 2012 § 4
StGB § 15, § 284, § 285
Leitsätze:
1. Der einseitige Verstoß eines ausländischen Anbieters von Online-Glücksspielen gegen § 4 Abs. 4 GlüStV führt nicht zur Nichtigkeit des Spielvertrages (Anschluss an LG Ingolstadt BeckRS 2023, 42634). (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Verstößt der Spieler  mit der Teilnahme an dem unerlaubten Online-Glücksspiel vorsätzlich gegen § 285 StGB, ist der Spielvertrag zwar nichtig, der Bereicherungsanspruch des Spielers scheitert jedoch an § 817 S. 2 BGB. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Weder § 4 Abs. 4 GlüStV noch § 284 StGB sind Schutzgesetze iSv § 823 Abs. 2 BGB (Anschluss an LG Ingolstadt BeckRS 2023, 42634). (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Online-Glücksspiel, gesetzliches Verbot, Spielverlust, Rückzahlung, Nichtigkeit, einseitiger Verstoß, beiderseitiger Verstoß, Vorsatz, Sittenwidrigkeit, Schutzgesetz
Fundstelle:
BeckRS 2023, 41833

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 4.996,56 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Beklagte ist eine in Malta ansässige Gesellschaft, der von der Maltesischen Glücksspielbehörde eine Erlaubnis zur Veranstaltung von Online – Glücksspiel erteilt wurde. Über eine von der in Deutschland erteilte Glücksspiellizenz verfügte die Beklagte dagegen nicht.
2
Im Zeitraum bis April 2023 bot die Beklagte im Internet auf dem deutschen Markt Online – Glücksspiele, insbesondere Online-Casinospiele an.
3
Der Kläger hat im Zeitraum 28.10.2007 bis 31.10.2022 mehrfach an Glücksspielen im Internet teilgenommen, die von der Beklagten auf einer deutschsprachigen Plattform angeboten wurden.
4
Der Kläger behauptet, im Zeitraum vom 28.10.2007 bis 31.10.2022 einen Spielverlust in Höhe von 4.685,21 € erlitten zu haben. Er ist der Meinung, ihm stünde hinsichtlich seines Spielverlusts ein Rückzahlungsanspruch aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB zu, weil es sich um illegales Glücksspiel handele. Die, zwischen dem Kläger und der Beklagten geschlossenen Glücksspielverträge seien wegen des Verstoßes gegen § 134 BGB i.V.m. § 4 Abs. 4 GlüStV a.F. (Fassung vom 15.12.2011) bzw. § 4 Abs. 4 S. 2 GlüStV n.F. (Fassung vom 01.07.2021) nichtig. Eine Rückforderung des Betrages sei auch nicht gemäß § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen, da dem Kläger – anders als der Beklagten als Empfängerin der Einzahlungen – gerade kein Gesetzes- bzw. Sittenverstoß vorgeworfen werden könne.
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Der Kläger beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 4.996,56 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte ist der Meinung, die Klage sei bereits unzulässig, weil dem Gericht die internationale Zuständigkeit fehle. Im Übrigen meint die Beklagte, sei die Klage unbegründet. Der von der Klagepartei angenommene Rechtsverstoß führe als einseitiger Verstoß auch nicht zur Nichtigkeit der einzelnen Spielverträge. Die Klagepartei habe im Übrigen Kenntnis von der dort angenommenen Rechtswidrigkeit des Spiels gehabt oder sich dieser Kenntnis zumindest leichtfertig verschlossen. Für den Fall, dass das Gericht von einer Nichtigkeit ausgeht, beruft sich die Beklagte auf § 817 S. 2 BGB. Zudem sind nach Meinung der Beklagten das Vermögen der Klagepartei schützende Normen i.S.d. § 823 II BGB nicht gegeben; weder § 4 GlüSV noch § 284 StGB stellten solche dar. Deliktische Schadensersatzansprüche der Klagepartei scheiden deshalb nach Auffassung der Beklagten ebenfalls aus.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.12.2023 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
I.
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Die Klage ist zulässig. Die internationale Zuständigkeit des Gerichts folgt aus Art. 18 Abs. 1, 17 Abs. 1 c EuGVVO; die Verbrauchereigenschaft des Klägers ist zu bejahen (OLG Dresden, NJW-RR, 2023, 344, 344; OLG Braunschweig, BeckRS 2023, 2622).
II.
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Die Klage ist jedoch unbegründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Ersatz seiner Spielverluste zu.
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1. Ein Anspruch aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB besteht nicht. Dabei kann es darin gestern schreiben ob nur die Beklagte gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 verstoßen hat, oder ob sich der Kläger vorsätzlich i.S.d. § 15 StGB an einem unerlaubten Glücksspiel i.S.d. § 285 StGB beteiligt hat und deshalb sogar ein beiderseitiger Verstoß gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 vorliegt.
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a. Das Gericht schließt sich insofern den überzeugenden Ausführungen des LG Ingolstadt an, das in seinem Urteil vom 23.10.2023 ausführt (Az.: 53 O 1308/22):
„a. Liegt nur ein einseitiger Verstoß gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 vor, hat der Kläger bereits nicht ohne Rechtsgrund geleistet, denn ein einseitiger Verstoß führt nicht zur Nichtigkeit des Spielvertrages nach § 134 BGB (Köhler, NJW 2023, 2449, 2452 f.; LG Gießen, BeckRS 2023, 17924). Bei einem einseitigen Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot ist das verbotswidrige Rechtsgeschäft in der Regel gültig (Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 134 Rn. 9; BGH, BKR 2022, 811, 812). Nur ausnahmsweise ist es auch bei einem einseitigen Verstoß nichtig, falls der Zweck des Verbotsgesetzes anders nicht zu erreichen ist und die rechtsgeschäftlich getroffene Regelung nicht hingenommen werden kann (BGH, BKR 2022, 811, 812). Eine solche Ausnahme ist vorliegend zu verneinen, so dass der Spielvertrag wirksam ist (ausführlich dazu Köhler, NJW 2023, 2449, 2452 f.; LG Gießen, BeckRS 2023, 17924, AG München Az.: 264 C 428/23, Urteil vom 8.8.2023).
b. Liegt ein beiderseitiger Verstoß gegen § 4 IV GlüStV 2012 vor, erfolgte die Leistung des Klägers zwar ohne Rechtsgrund, weil der Spielvertrag dann gem. § 134 BGB nichtig ist. Sein Anspruch ist in diesem Fall jedoch gem. § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen (Köhler, NJW 2023, 2449, 2452).“
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b. Das Gericht schließt sich dabei der Auffassung an, dass ein einseitiger Verstoß der Beklagten gegen § 4 Abs. 4 GlüStV vorliegend nicht zu einer Nichtigkeit des Spielvertrages führt. Nach der Rechtsprechung des BGH hat der Verstoß gegen ein Verbotsgesetz in der Regel die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts nur dann zur Folge, wenn sich das Verbot gegen beide Seiten richtet. In besonderen Fällen kann sich die Nichtigkeit allerdings auch aus einem einseitigen Verstoß ergeben, falls nämlich der Zweck des Verbotsgesetzes anders nicht zu erreichen ist und die rechtsgeschäftlich getroffene Regelung nicht hingenommen werden darf. Eine solche Ausnahme liegt etwa vor, wenn der angestrebte Schutz des Vertragspartners die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts erfordert oder wenn der Erfüllungsanspruch auf eine unerlaubte Tätigkeit gerichtet ist. Reicht es dagegen aus, dem gesetzlichen Verbot durch verwaltungs- bzw. strafrechtliche Maßnahmen Nachdruck zu verleihen, so hat die zivilrechtliche Sanktion der Nichtigkeit daneben keinen Platz. (vgl. Köhler, NJW 2023, 2449, 2452 und BGH, Beschl. v. 13.9.2022 – XI ZR 515/21). Das Verbot des § 4 IV GlüStV dient abstrakt generellen Zielsetzungen, um Spieler vor einer Gefährdung ihrer Interesse zu schützen und damit auch dem Schutz des Spielers. Es erfordert aber nicht die Nichtigkeit eines jeden Spielvertrags, gleichgültig welchen Inhalt er hat und wie es um seine Durchführung bestellt ist. Im Gegenteil werden die Interessen der Spieler besser geschützt, wenn der Spielvertrag wirksam ist. Denn ihnen können nur dann vertragliche Schadensersatzansprüche zustehen, wenn es im Einzelfall zu einer Verletzung ihrer geschützten Interessen, wie bei fehlender Rücksichtnahme auf die Schutzbedürftigkeit des Spielers oder bei Manipulation des Spiels, kommt. Der Schutz des Spielers erfordert aber nicht die Rückerstattung verlorener Einsätze. Denn dieses Risiko besteht auch bei erlaubten Spielen und ist jedem Spieler bekannt (vgl. Köhler in NJW 2023, 2449 Rn. 27, beck-online). Dem Verbot des § 4 IV GlüStV kann zudem auch mit verwaltungs- bzw. strafrechtlichen Maßnahmen „Nachdruck verliehen“ werden. Insoweit ist auf die Möglichkeit einer Untersagungsverfügung der Glücksspielaufsicht nach § 9 I 3 Nr. 3 GlüStV 2012 und einer strafrechtlichen Verfolgung nach § 284 StGB hinzuweisen. Hinzu kommt eine weitaus wirksamere Maßnahme, nämlich die Durchsetzung des § 4 IV GlüStVG mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts (UWG) (so Köhler in NJW 2023, 2449 Rn. 28, beck-online).
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c. Das Gericht folgt weiter, auch bei Annahme eines beiderseitigen Verstoßes der Parteien gegen § 4 IV GlüStV der Auffassung, dass ein Rückforderungsanspruch in dieser Konstellation aufgrund § 817 S. 2. BGB ausscheidet. Ein beiderseitiger Verstoß ist anzunehmen, wenn der Spieler gegen § 285 StGB verstößt, nämlich sich an einem (unerlaubten) öffentlichen Glücksspiel i.S.d. § 284 StGB beteiligt. Dies setzt Vorsatz i.S.d. § 15 StGB voraus, so dass auch bedingter Vorsatz ausreicht. Erfüllt der Spieler diese Voraussetzung, so liegt ein beiderseitiger Verstoß vor, der zur Nichtigkeit des Spielvertrags nach § 134 BGB führt. Daraus könnte sich zwar ein Anspruch aus § 812 I 1 BGB auf Rückzahlung verlorener Einsätze ergeben. Jedoch ist dieser Anspruch nach § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen, weil der Spieler seinerseits durch seinen Verstoß gegen § 285 StGB auch gegen § 4 IV GlüStV 2012 verstoßen hat. Dies rechtfertigt sich aus der ratio legis des § 817 S. 2 BGB: „Wer sich selbst außerhalb der Sitten- oder Rechtsordnung stellt, soll hierfür keinen Rechtsschutz erhalten (so Köhler in NJW 2023, 2449 Rn. 24, 25, beck-online, LG Ingolstadt Urteil vom 23.10.2023, Az.: 53 O 1308/22).
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d. Ein Anspruch des Klägers auf Rückzahlung der Spieleinsätze aus § 812 I 1 Alt 1. BGB besteht daher nicht.
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2. Auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. Abs. 4 GlüStV 2012 bzw. § 284 BGB besteht kein Anspruch, weil es sich bei diesen Verboten nicht um Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB handelt. Weder § 4 IV GlüStV noch der darauf aufbauende § 284 StGB sind Schutzgesetze im Sinne dieser Vorschrift. Sie dienen nur generalpräventiv dem Schutz vor möglichen Gefahren eines verbotenen Glücksspiels (vgl. Köhler, NJW 2023, 2449, 2453 und 2454; LG Ingolstadt, Urteil vom 23.10.2023, Az.: 53 O 1308/22).
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3. Mangels Anspruch auf die Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf die Nebenforderungen.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Der Streitwert wurde in Höhe der geltend gemachten Hauptforderung festgesetzt, § 3 ZPO.