Inhalt

ArbG München, Beschluss v. 12.10.2023 – 20 Ca 7706/23
Titel:

Gegenstandswert für umfassende Vergleichsregelung nach Kündigung

Normenketten:
BGB § 779
GKG § 45 Abs. 1 S. 3
Leitsätze:
1. Für die vergleichsweise Regelung einer Verschwiegenheitsverpflichtung ist ein Bruttomonatsgehalt als Vergleichsmehrwert anzusetzen. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Vergleichsmehrwert setzt die Beseitigung eines Streits oder einer Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis durch die Vereinbarung voraus. Übliche Regelungen im Rahmen der Gesamtabwicklung eines Arbeitsverhältnisses, wodurch erst Leistungs- und/oder Verhaltenspflichten neu begründet oder Feststellungen getroffen werden, lösen ohne Vorliegen einer der drei in § 779 BGB genannten Voraussetzungen keinen Vergleichsmehrwert aus. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wird gleichzeitig über ein Zwischen- und ein Endzeugnis gestritten bzw. wird zu beiden Zeugnisvarianten eine inhaltlich korrespondierende Regelung getroffen, so betrifft der Gesamtkomplex das Zeugnisinteresse des Arbeitnehmers nur einmal, so dass nur ein Bruttomonatsgehalt beim Verfahrenswert berücksichtigt ist. (Rn. 6 – 7) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Regelung über die Freistellung ist das kontradiktorische Gegenteil des Beschäftigungsanspruchs und damit kostenrechtlich ein Gegenstand iSd § 45 Abs. 1 S. 3 iVm Abs. 3 GKG analog.  (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Streitwertfestsetzung, Voraussetzungen für Vergleichsmehrwert, Verschwiegenheitsverpflichtung, Zeugnisinteresse, Zwischen- und Endzeugnis, Antrag auf Weiterbeschäftigung, Freistellungsanspruch, Beschäftigungsanspruch, Ausstellung von Arbeitspapieren
Rechtsmittelinstanz:
LArbG München, Beschluss vom 24.01.2024 – 3 Ta 223/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 41538

Tenor

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfahren auf € 27.714,04, der überschießende Vergleichswert wird auf € 19.523,68 festgesetzt, § 33 Abs. 1 RVG.

Gründe

1
Für die mit der Klageschrift angekündigte Antragstellung ist Folgendes für den Gegenstandswert des Verfahrens zu berücksichtigen:
- Kündigung vom 26.07.2023: 3 Bruttomonatsgehälter des Klägers (je € 6.928,51)
- Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses: 1 Bruttomonatsgehalt (vgl. LAG München vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23, BeckRS 2023, 22107, beck-online)
2
Für den in der Klageschrift formulierten Antrag auf Weiterbeschäftigung ist kein Wert zu berücksichtigen, da er nicht rechtshängig geworden ist. Es wird auf den Beschluss des Landesarbeitsgerichts München vom 06.06.2023 (3 Ta 59/23, a.a.O.) Bezug genommen. Bei der Formulierung „Sollte die Beklagte im Gütetermin nicht zu Protokoll des Gerichts erklären, dass sie den Kläger weiterbeschäftigen wird, sofern ein der Klage stattgebendes Urteil ergeht, stellen wird folgenden weiteren Antrag:“ vor dem Weiterbeschäftigungsantrag ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Antrag nur angedroht, aber nicht rechtshängig gemacht werden soll (vgl. LAG München vom 06.06.2023, 3 Ta 59/23, a.a.O., mit weiteren Nachweisen). Dies folgt aus der Auslegung des Antrags. Wollte man die vor dem formulierten allgemeinen Weiterbeschäftigungsantrag stehende Einleitung nicht als bloße Absichtserklärung, sondern als innerprozessuale Bedingung verstehen, erwiese sich der Weiterbeschäftigungsantrag wegen nicht hinreichender Bestimmtheit dieser Bedingung als unzulässig (vgl. LAG Baden-Württemberg vom 22.03.2011 − 5 Ta 1/11, NZA-RR 2011, 381, beck-online). Da nicht anzunehmen ist, dass der anwaltlich vertretene Kläger einen unzulässigen Antrag stellen wollte, ist davon auszugehen, dass der Antrag nur angedroht, aber noch nicht rechtshängig gemacht werden sollte.
3
Für den Vergleichsmehrwert ist Folgendes anzusetzen:
- Ziffer 7 des Vergleichs (Freistellung): 1 Bruttomonatsgehalt, wie sich aus einem Vergleich mit der Bewertung eines Beschäftigungs- bzw. Weiterbeschäftigungsantrag ergibt (vgl. LAG München vom 12.09.2005 – 2 Ta 337/05, BeckRS 2009, 67810, beck-online).
- Ziffer 9 des Vergleichs (Verschwiegenheitsverpflichtung): 1 Bruttomonatsgehalt (vgl. LAG München vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23, a.a.O.)
- Ziffer 19 des Vergleichs (Abgeltungsklausel): Variable Vergütung für die Jahre 2023 und 2024 in Höhe von insgesamt € 5.666,66 Weitere Berücksichtigungen sind nicht veranlasst.
4
Insbesondere handelt es sich bei der Regelung zum Outplacement lediglich um eine Modalität des Beendigungsvergleichs. Damit liegen die Voraussetzungen für einen Mehrwert nicht vor. Ein Vergleichsmehrwert setzt nach allgemeiner Überzeugung im Sinne des § 779 BGB die Beseitigung eines Streits oder einer Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis durch die Vereinbarung voraus (vgl. LAG Baden-Württemberg vom 10.02.2010 – 5 Ta 22/10; LAG Rheinland-Pfalz vom 21.10.2009 – 1 Ta 241/09; LAG München vom 23.03.2010 – 8 Ta 2/10). (Übliche) Regelungen im Rahmen der Gesamtabwicklung eines Arbeitsverhältnisses, wodurch erst Leistungs- und/oder Verhaltenspflichten neu begründet oder Feststellungen getroffen werden, lösen ohne Vorliegen einer der drei in § 779 BGB genannten Voraussetzungen keinen Vergleichsmehrwert aus: Diese stellen lediglich Komponenten des „Gesamtpakets“ für eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar (LAG Baden-Württemberg vom 14.11.2013 – 5 Ta 135/13, BeckRS 2013, 74318, beck-online). Dass hierüber im Laufe der Vergleichsverhandlungen Uneinigkeit bestand, begründet keinen Vergleichsmehrwert. Ein solcher hätte einen Streit oder eine Ungewissheit über diese Gegenstände auch außerhalb des anhängigen Rechtsstreits vorausgesetzt. Auch die Nennung einer Anspruchsgrundlage im Rahmen der Verhandlungen (hier: allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz) führt nicht zu einem Vergleichsmehrwert.
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Gleiches gilt für die Regelung zur sog. Turboklausel.
6
Nachdem die Erteilung des qualifizierten Zwischenzeugnisses bereits mit einem Bruttomonatsgehalt beim Verfahrenswert berücksichtigt ist, kann insbesondere für die Regelungen zum Zeugnis im Vergleich kein Mehrwert angesetzt werden. Die konkrete inhaltliche Ausformulierung füllt lediglich den bereits rechtshängig gewordenen Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses aus, ohne einen zusätzlichen Wert in das Verfahren einzuführen, denn die formelle Ordnungsgemäßheit und inhaltliche Richtigkeit und Vollständigkeit gehören zum Erfüllungsanspruch auf ein Zeugnis gemäß § 109 GewO (LAG Baden-Württemberg vom 05.11.2013 – 5 Ta 126/13, BeckRS 2013, 74726, beck-online).
7
Auch die weiteren Vereinbarungen über das Endzeugnis führen nicht zu einer Erhöhung des Vergleichswertes. Wird gleichzeitig über ein Zwischen- und ein Endzeugnis gestritten bzw. wird zu beiden Zeugnisvarianten eine inhaltlich korrespondierende Regelung getroffen, so betrifft der Gesamtkomplex das Zeugnisinteresse des Arbeitnehmers nur einmal (vgl. LAG München vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23, a.a.O.). Vorliegend sind die im Vergleich vom 31.08.2023 getroffenen Regelungen zum Zwischen- und Endzeugnis mit Ausnahme der Schlussformeln identisch. Eine Neubeurteilung der Leistung und des Verhaltens kommt aufgrund der bis zum Beendigungstermin vereinbarten Freistellung des Klägers grundsätzlich nicht in Betracht. Die Ersetzung der Schlussformel durch eine Bedauerns-, Dankes- und Gute-Wünsche-Formel kommt keine wertsteigernde Bedeutung zu, da sie nur unwesentlich zur Erreichung des Zeugniszwecks beiträgt (BAG vom 25.01.2022 – 9 AZR 146/21, NZA 2022, 783, beck-online). Gleiches gilt für die Frage der Unterschrift sowie der Frage der Bring- oder Holschuld.
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Auch für die Einigung über die Ausstellung von Arbeitspapieren in Ziffern 15 und 17 des Vergleichs ist ein Mehrwert nicht anzunehmen. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass hierüber ein Streit oder eine Ungewissheit bestand.
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Schließlich ist auch kein Vergleichsmehrwert für den Weiterbeschäftigungsanspruch anzusetzen, da bereits für die im Vergleich geregelte Freistellung ein Bruttomonatsgehalt berücksichtigt wurde. Die Regelung über die Freistellung ist nur das kontradiktorische Gegenteil des Beschäftigungsanspruchs und damit kostenrechtlich ein Gegenstand im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 GKG analog (LAG München vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23, a. a.O.). Mit der Vereinbarung über die Freistellung liegt zugleich eine Regelung darüber vor, ob bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch eine Weiterbeschäftigung erfolgen soll oder eben nicht.