Titel:
Streitverkündung im Verwaltungsprozess
Normenketten:
VwGO § 65 Abs. 1
ZPO § 72
Leitsatz:
Das Institut der Streitverkündung existiert im Verwaltungsprozess nicht. § 65 VwGO regelt für den Bereich des Verwaltungsprozesses abschließend die Einbeziehung Dritter in ein gerichtliches Verfahren und verdrängt damit das Institut der Streitverkündung nach § 72 ZPO. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
keine Streitverkündung im Verwaltungsprozess, Ablehnung der Zustellung der Streitverkündungsschrift, Streitverkündung, Beiladung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 41430
Tenor
Die Zustellung der Streitverkündungsschrift der Klägerin vom 3. November 2023 wird abgelehnt.
Gründe
1
Die Klägerin begehrt die Aufhebung eines Freistellungsbescheides des Beklagten nach § 43f EnWG und die Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens in Bezug auf den Ersatzneubau von zwei Strommasten.
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Mit Schriftsatz vom 3. November 2023 teilte die Klägerin dem Gericht mit, sie verkünde der großen Kreisstadt Marktredwitz den Streit mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin beizutreten. Die Streitverkündungsadressatin sei der Klägerin gegenüber verpflichtet gewesen, eine ordnungsgemäße Durchführung des Freistellungsverfahrens ohne Schädigung Dritter zu gewährleisten. Sollte sie diese Pflichten verletzt haben und die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit ganz oder teilweise unterliegen, hätte die Klägerin gegen die Streitverkündungsadressatin einen Anspruch auf Schadensersatz, da diese die Benennung der Klägerin als betroffene Partei unterlassen habe und die Abwägung damit ohne Berücksichtigung der Klägerin erfolgt sei.
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Der Beklagte und die Beigeladene erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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1. Die Streitverkündungsschrift vom 3. November 2022 ist nicht zuzustellen.
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Das Institut der Streitverkündung existiert im Verwaltungsprozess nicht. § 65 VwGO regelt für den Bereich des Verwaltungsprozesses abschließend die Einbeziehung Dritter in ein gerichtliches Verfahren und verdrängt damit das Institut der Streitverkündung nach § 72 ZPO (vgl. BVerwG, B.v. 10.2.2009 – 8 B 21.09 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 7.11.2001 – 12 C 01. 2502 – juris Rn. 6; OVG NW, B.v. 27.5.2009 – 15 E 635.09 – juris Rn. 6; ThürOVG, B.v. 10.10.2014 – 3 VO 593.14 – juris Rn. 3; Meissner/Steinbeiß-Winkelmann in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand März 2023, § 173 VwGO Rn. 122; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 65 Rn. 1). Die §§ 72 ff. ZPO sind daher auch über § 173 Satz 1 VwGO im Verwaltungsprozess nicht entsprechend anwendbar.
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Mangels Anwendbarkeit der §§ 72 ff. ZPO im vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren kommt eine Zustellung der Streitverkündungsschrift nach § 73 Satz 2 ZPO, die im Zivilprozess Voraussetzung für das Wirksamwerden der Streitverkündung wäre (§ 73 Satz 3 ZPO), nicht in Betracht, denn vor Zustellung der Streitverkündungsschrift ist auch im Zivilprozess zu prüfen, ob die Vorschriften der §§ 72 ff. ZPO zur Streitverkündung in dem Verfahren, in dem die Zustellung erfolgen soll, überhaupt anwendbar sind oder ob die Streitverkündung generell unstatthaft ist (vgl. zu einer unstatthaften Streitverkündung in einem Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz BGH, B.v. 19.9.2017 – XI ZB 13.14 – juris Rn. 22 ff. m.w.N.; Schultes in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 73 Rn. 3). Die Übersendung der Streitverkündungsschrift vom 3. November 2023 bleibt damit wirkungslos.
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2. Auch eine einfache Beiladung der Stadt Marktredwitz nach § 65 Abs. 1 VwGO scheidet hier aus. Dabei kann offenbleiben, ob die Streitverkündungsschrift (hilfsweise) als Antrag auf einfache Beiladung der Stadt Marktredwitz auszulegen ist. Dagegen bestehen angesichts der anwaltlichen Vertretung der Klägerin erhebliche Bedenken. Ungeachtet dessen besteht hier aber keinerlei Anlass für eine einfache Beiladung, weil die rechtlichen Interessen der Stadt Marktredwitz durch die Entscheidung nicht berührt werden. Im vorliegenden Rechtsstreit geht es allein um die Rechtmäßigkeit des Freistellungsbescheides des Beklagten, mithin um das Vorliegen der Voraussetzungen des § 43f EnWG im Hinblick auf den Ersatzneubau der beiden gegenständlichen Strommasten, insbesondere die Frage, ob durch den Ersatzneubau Rechte der Klägerin beeinträchtigt werden (§ 43f Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 EnWG). Die Frage, ob die Stadt Marktredwitz eine einen Schadensersatzanspruch auslösende Pflichtverletzung gegenüber der Klägerin begangen haben könnte, indem sie deren Interessen gegenüber der für die Entscheidung nach § 43f EnWG zuständigen Behörde, der Regierung von Oberfranken, nicht benannt habe, wie die Klägerin wohl meint, ist davon unabhängig und daher vorliegend nicht entscheidungserheblich.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).