Titel:
Vollstreckung einer öffentlich-rechtlichen Geldforderung durch einen Beliehenen
Normenketten:
PflBG § 26 Abs. 4, Abs. 6, § 33 Abs. 4 S. 2, Abs. 6, § 35 Abs. 1
VwGO § 40 Abs. 1, § 52 Nr. 3 S. 2, § 58 Abs. 2, § 74 Abs. 1 S. 2
BayVwVfG Art. 1 Abs. 4, Art. 41 Abs. 2
BGB § 291
Leitsatz:
Ist der eine öffentlich-rechtliche Geldleistung fordernde Verwaltungsakt durch ein beliehenes Privatrechtssubjekt erlassen worden, so bedarf es für die Vollstreckung des Verwaltungsakts eines besonderen Legitimationsakts (hier: keine Vollstreckungsbefugnis der beliehenen zuständigen Stelle iSd § 26 Abs. 4 iVm Abs. 6 S. 3 PflBG). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Allgemeine Leistungsklage, Rechtsschutzbedürfnis, Vollstreckung aus bestandskräftigem Verwaltungsakt, Beleihung, keine Anwendung des VwZVG mangels Befugnis zur Vollstreckung, allgemeine Leistungsklage, Geldforderung, Vollstreckung, Pflegeberufe, örtliche Zuständigkeit, Rechtshängigkeit, Zinsen
Fundstelle:
BeckRS 2023, 41423
Tenor
I. Die Beklagte wird verpflichtet, 105.204,12 EUR zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 9.034,96 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe vom 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 105.204,12 EUR seit dem 28. September 2022 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten Zahlungsansprüche nach dem Pflegeberufegesetz für die Finanzierungs- und Abrechnungsjahre 2020, 2021 und 2022 geltend.
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Die Klägerin nimmt staatliche Aufgaben nach dem Pflegeberufegesetz wahr und tritt im Außenverhältnis als zuständige Stelle zur Verwaltung des Ausgleichsfonds nach dem Pflegeberufegesetz auf. Sie wurde mit öffentlich-rechtlichem Vertrag vom 8. Oktober 2018 durch den Freistaat Bayern, vertreten durch das Bayerische Staatsministerium, als zuständige Stelle im Sinne des § 26 Abs. 4 i.V.m. Abs. 6 Satz 3 Pflegeberufegesetz (PflBG) beliehen. Ihre Aufgaben sind unter anderem nach § 32 PflBG die Ermittlung des erforderlichen Finanzierungsbedarfs für die Pflegeausbildung und die Erhebung der Umlagebeträge bei den Einrichtungen.
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Die Beklagte betrieb im streitgegenständlichen Finanzierungs- und Abrechnungszeitraum der Jahre 2020 bis 2022 in, E...straße, eine Pflegeeinrichtung im Sinne des § 33 PflBG. Am 19. Februar 2022 wurde der Betrieb der Einrichtung eingestellt.
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Ausweislich des Handelsregisterauszugs des Amtsgerichts ... wurde in der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 17. Dezember 2021 die Änderung der Satzung bezüglich des Firmennamens und des Sitzes (bisher, nun ...) beschlossen. Die Änderung des Firmensitzes wurde am 28. Februar 2022 in das Handelsregister beim Amtsgericht ... eingetragen.
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Mit Festsetzungs- und Zahlungsbescheid vom 11. Mai 2020 wurde für die von der Beklagten betriebene Einrichtung für das Finanzierungsjahr 2020 ein Einzahlungsbetrag nach dem Pflegeberufegesetz in Höhe von insgesamt 18.671,39 EUR festgesetzt. Mit weiterem Festsetzungs- und Zahlungsbescheid vom 30. Oktober 2020 wurde für das Finanzierungsjahr 2021 ein Einzahlungsbetrag in Höhe von insgesamt 67.983,57 EUR und mit Festsetzung- und Zahlungsbescheid vom 29. Oktober 2021 für das Finanzierungsjahr 2022 ein Einzahlungsbetrag in Höhe von insgesamt 111.294,96 EUR festgesetzt. In der Rechtsbehelfsbelehrungdes Bescheids vom 29. Oktober 2021 wurde das Verwaltungsgericht München als das örtlich zuständige Rechtsmittelgericht angegeben. Nachdem die Beklagte den Betrieb ihrer Einrichtung zum 19. Februar 2022 eingestellt hatte, wurde der Einzahlungsbetrag für das Finanzierungsjahr 2022 mit Bescheid vom 23. Juni 2022 auf 18.549,16 EUR reduziert.
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Da die Beklagte zum jeweils fälligen Zeitpunkt die festgesetzten Beträge nicht geleistet hatte, wurde diese mit Schreiben vom 10. Februar 2020, vom 24. Februar 2022 und vom 21. März 2022 zur Zahlung aufgefordert.
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Nachdem auch in der Folgezeit keine Zahlungen geleistet wurden, erhob die Klägerin am 1. September 2022 Klage beim Landgericht ... auf Zahlung von 114.239,08 EUR. Mit Beschluss vom 22. September 2022 wurde der Rechtsstreit auf Antrag der Klagepartei an das Verwaltungsgericht Augsburg als das zuständige Gericht abgegeben. Das Verfahren ging am 28. September 2022 beim Verwaltungsgericht ein.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 114.239,08 EUR nebst Zinsen aus einem Betrag in Höhe von 105.204,12 EUR in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Klägerin als beliehene Unternehmerin keine Befugnisse zustünden, gegenüber der Beklagten die bestandskräftig festgesetzten und fälligen Umlagebeträge für den Zeitraum 2020 bis Februar 2022 im Rahmen von Vollstreckungsmaßnahmen basierend auf dem Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz durchzusetzen. Die Festsetzungs- und Zahlungsbescheide vom 11. Mai 2020, vom 30. Oktober 2020 und vom 29. Oktober 2021 in der Fassung des Aufhebungsbescheids vom 23. Juni 2022 seien von der Beklagten nicht angefochten worden und seien somit bestandskräftig. Die monatlich zu zahlenden Umlagebeträge seien nach den Festsetzungs- und Zahlungsbescheiden am 10. des jeweiligen Monats fällig, so dass ab dem 11. des Monats Zahlungsverzug eingetreten sei. Auf den Fälligkeitstermin sei in den jeweiligen Bescheiden explizit hingewiesen worden. Neben den festgesetzten Einzahlungsbeträgen seien aufgrund des eingetretenen Zahlungsverzugs Verzugszinsen angefallen. Die Berechnung der Verzugszinsen bemesse sich nach § 3 Abs. 1 der gemäß § 33 Abs. 6 PflBG getroffenen Vereinbarung der Verfahrensregelungen im Zusammenhang mit der Einzahlung der Finanzierungsmittel und den in Rechnung zu stellenden Zuschlägen. Danach seien ab dem ersten Tag des Zahlungsverzugs Verzugszinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu erheben. Die zusätzlich anfallenden Zinsen infolge der Rechtshängigkeit ergäben sich aus § 291 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i.V.m. § 288 Abs. 2 BGB.
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Mit Schriftsatz vom 7. November 2022 beantragte der Bevollmächtigte der Beklagten,
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Klage bereits das Rechtsschutzbedürfnis fehle, da die Beträge auf Grundlage der Festsetzungsbescheide vollstreckt werden könnten. Zudem fehle der Klägerin die Aktivlegitimation. Es werde bestritten, dass die Klägerin zuständige Stelle im Sinne von § 26 Abs. 4 PflBG sei und wirksam durch das Land Bayern beliehen worden sei. An der Wirksamkeit der Beleihung bestünden Zweifel, da § 26 Abs. 6 PflBG das beliehene Unternehmen lediglich der Rechtsaufsicht nicht der Fachaufsicht unterstelle. Zudem hätte gemäß § 35 Abs. 1 PflBG eine Rechnungslegung über die als Ausgleichsfonds und im Rahmen des Umlageverfahrens verwalteten Mittel erfolgen müssen. Die Beklagte habe weder bei den Pflegekassen noch bei den Bewohnern der Pflegeeinrichtungen die Umlagebeträge in Rechnung gestellt.
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In dem gleichen Schriftsatz vom 7. November 2022 erhob die Beklagte Widerklage mit dem Antrag, den Bescheid vom 29. Oktober 2021 aufzuheben. Zur Widerklage wird ausgeführt, der Bescheid vom 29. Oktober 2021 sei noch nicht bestandskräftig, da die Rechtsmittelbelehrungdes Bescheids fehlerhaft sei. Zum einen liege ein Verstoß gegen das Schriftformerfordernis vor, zum anderen sei das falsche örtlich zuständige Gericht benannt worden, da sich der Sitz der Beklagten in ... befinde. Die Rechtsmittelfrist laufe daher erst ein Jahr nach Zustellung des Bescheids ab. Darüber hinaus sei der von der Klägerin festgesetzte Betrag für das Jahr 2022 zu hoch angesetzt worden, da die Klägerin den Differenzbetrag aus der Abrechnung der Umlagebeträge des Finanzierungsjahrs 2020 zu Unrecht auf null Euro festgesetzt habe.
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Mit Schreiben vom 21. Dezember 2022 nahm die Klägerin Stellung und führt aus, dass es der Klägerin nicht möglich sei, die auf der Grundlage des Festsetzungsbescheids festgestellten Zahlungsbeträge nach dem Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) zu vollstrecken. Dies ergebe sich aus den Bestimmungen der Art. 25 bis 27 VwZVG, die auf die Klägerin als beliehene Unternehmerin nicht anzuwenden seien. Im vorliegenden Rechtsstreit gehe es nicht um die Rechtswidrigkeit der rechtskräftigen Festsetzung- und Zahlungsbescheide bzw. deren Aufhebung, sondern allein um die Durchsetzung der festgesetzten und fälligen Zahlungsansprüche der Klägerin gegenüber der Beklagten.
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Da die rechtlichen Voraussetzungen für eine Widerklage nach § 89 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht gegeben waren, wurde das mit der Widerklage verfolgte Klagebegehren als eigene Klage mit dem Aktenzeichen Au 9 K 23.1309 geführt.
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Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten im Übrigen wird auf die in der Gerichtsakte vorliegenden Unterlagen, auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung sowie auf das Klageverfahren Au 9 K 23.1309 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist überwiegend begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Zahlungsanspruch in Höhe von 105.204,12 EUR zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 9.034,96 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe vom 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 105.204,12 EUR seit dem 28. September 2022. Soweit ein darüber hinaus gehender Zahlungsanspruch geltend gemacht wurde, war die Klage abzuweisen.
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1. Für die von der Klägerin erhobene Zahlungsklage ist nach § 40 Abs. 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, da es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handelt. Das Verwaltungsgericht Augsburg ist daher zur Entscheidung über den geltend gemachten Klageanspruch berufen. Ob sich die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts nach Art. 17a Abs. 2 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) auch aufgrund der Bindungswirkung des Beschlusses des Landgerichts ... vom 22. September 2022 ergibt, mit dem die Streitsache – vor Zustellung der Klageschrift an die Gegenseite – lediglich an das Verwaltungsgericht abgegeben und nicht förmlich verwiesen wurde, kann daher dahingestellt bleiben.
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Nach § 26 PflBG werden die Kosten der Pflegeausbildung durch Ausgleichsfonds nach Maßgabe der in § 26 Abs. 2 bis § 36 PflBG getroffenen Regelungen finanziert. Mit öffentlich-rechtlichem Vertrag vom 8. Oktober 2018 wurde die Klägerin durch den Freistaat Bayern, vertreten durch das Bayerische Staatsministerium, als zuständige Stelle im Sinne des § 26 Abs. 4 i.V.m. Abs. 6 Satz 3 PflBG beliehen. Die Beleihung der Klägerin beinhaltet die Befugnis, gegenüber den einzahlungspflichtigen Einrichtungen den von diesen zu leistenden Umlagebetrag mit Verwaltungsakt festzusetzen (§ 33 Abs. 4 Satz 2 PflBG). Ein Beliehener ist zwar statusmäßig ein Privatrechtssubjekt, handelt aber funktionell – soweit ihm wie hier Hoheitsrechte (Erlass eines Verwaltungsakts) übertragen wurden – als Behörde im Sinn von Art. 1 Abs. 4 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) mit allen behördlichen Handlungsoptionen (Schoch in Schoch/Schneider, VwVfG, 3. EL August 2022, § 1 Rn. 162 ff.). Soweit die Übertragung der hoheitlichen Aufgabenerfüllung konkret reicht, handelt der Beliehene daher öffentlich-rechtlich.
21
Die Einzahlungsverpflichtung, die auf § 26 Abs. 4, § 33 Abs. 4 PflBG in Verbindung mit der PflAFinV beruht, stellt eine öffentlich-rechtliche Forderung des Freistaats Bayern dar, für deren Durchsetzung grundsätzlich der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Die Tatsache, dass es sich bei der Klägerin um eine juristische Person des Privatrechts handelt, ändert daran nichts, da diese als Beliehene und somit als vom Freistaat Bayern beauftragte Behörde tätig wurde.
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Dass es bei dem vorliegenden Rechtsstreit nicht um die Rechtswidrigkeit der bestandskräftigen Festsetzungs- und Zahlungsbescheide, sondern allein um die Durchsetzung der durch diese festgesetzten öffentlich-rechtlichen Zahlungsansprüche geht, ändert nichts daran, dass auch hierfür der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Selbst wenn der Beliehene dazu ermächtigt wurde, die von ihm zu erhebenden öffentlich-rechtlichen Zahlungsansprüche mittels Verwaltungsakt geltend zu machen, muss er die Durchsetzung der Ansprüche mittels allgemeiner Leistungsklage verfolgen (vgl. Schönenbroicher in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 1 Rn. 72), für die nach § 40 Abs. 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.
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Da es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinn von § 40 Abs. 1 VwGO handelt und die Beklagte bei Klageerhebung ihren Sitz in ... hatte, ist das Verwaltungsgericht Augsburg das sachlich (§ 45 VwGO) und örtlich (§ 52 Nr. 3 Satz 5 i.V.m. Satz 2 VwGO) zuständige Gericht.
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2. Die Klage ist zulässig, insbesondere besitzt die Klägerin für die Klage ein Rechtsschutzbedürfnis, da ihr im Rahmen der Beleihung nicht die Berechtigung verliehen wurde, selbst als Vollstreckungsbehörde tätig werden zu können.
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Wird eine öffentlich-rechtliche Geldleistung durch Verwaltungsakt festgesetzt, bedarf es im Regelfall keines gerichtlichen Vollstreckungstitels, da der Verwaltungsakt – sofern er unanfechtbar ist, sein sofortiger Vollzug angeordnet wurde oder ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat – selbst ein Vollstreckungstitel ist, so dass die Verwaltung aus ihm selbst vollstrecken kann, ohne erst einen gerichtlichen Titel erstreiten zu müssen (von Alemann/Scheffczk, BeckOK, VwVfG, Stand: 1.1.2023, § 35 Rn. 60). Die Vollstreckung eines Zahlungstitels erfolgt in diesem Fall nach den Vorschriften der Art. 25 bis 27 VwZVG, indem das Finanzamt mit der Vollstreckung der Zahlungsansprüche beauftragt wird.
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Ist jedoch der eine öffentlich-rechtliche Geldleistung fordernde Verwaltungsakt durch ein beliehenes Privatrechtssubjekt erlassen worden, so bedarf es für die Vollstreckung des Verwaltungsaktes eines besonderen Legitimationsaktes. Denn im Verhältnis zu Dritten reicht die hoheitliche Befugnis des Beliehenen nur soweit, als ihm im Rahmen der Beleihung die Befugnis zu hoheitlichem Handeln übertragen wurde. Eine hinreichende rechtsstaatliche und demokratische Legitimation des Beliehenen setzt eine gesetzliche Grundlage voraus, die Umfang und Grenzen der Beleihung ausgestaltet. Soll dem Beliehenen auch die Befugnis übertragen werden, aus dem Verwaltungsakt selbst vollstrecken zu können, d.h. als Vollstreckungsbehörde tätig zu werden, bedarf es hierzu einer besonderen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage (Ibler in Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetzkommentar, Stand Jan. 2023, Art. 86 Rn. 75; Kastner in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 1 VwVfG Rn. 31; Schönenbroicher in Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 2019, § 1 VwVfG Rn. 71).
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Der Klägerin wurde durch die Beleihung zwar als zuständige Stelle im Sinne des § 26 Abs. 4 i.V.m. Abs. 6 Satz 3 PflBG die Befugnis verliehen, die Einzahlungsverpflichtungen der Einrichtungen in den Pflegeausbildungsfond nach dem Pflegeberufegesetz mittels Verwaltungsakt festzusetzen, die Befugnis, diese Verpflichtung selbst zu vollstrecken, wurde ihr aber weder durch die Regelungen zur Beleihung im Pflegeberufegesetz übertragen, noch sehen die Vorschriften des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) eine solche vor. Die Klägerin ist infolge der Beleihung zwar funktional als Behörde im Sinn von Art. 1 Abs. 4 VwVfG tätig, ihr obliegen jedoch nicht die Befugnisse als Vollstreckungsbehörde. Sie ist daher nicht befugt, an die Festsetzungs- und Zahlungsbescheide eine Vollstreckungsklausel anbringen, sondern ihr steht nur die Möglichkeit offen, im Wege der allgemeinen Leistungsklage einen gerichtlichen Vollstreckungstitel zu erwirken.
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3. Die Klage ist in dem tenorierten Umfang begründet. Aufgrund der bestandskräftigen Festsetzungs- und Zahlungsbescheide vom 11. Mai 2020 für das Finanzierungsjahr 2020 in Höhe von 18.671,39 EUR, vom 30. Oktober 2020 für das Finanzierungsjahr 2021 in Höhe von 67.983,57 EUR und vom 29. Oktober 2021 in der Fassung des Bescheids vom 23. Juni 2022 in Höhe von 18.549,19 EUR hat die Klägerin gegen die Beklagte für die Einrichtung des Seniorenheims in der E...straße,, einen Zahlungsanspruch in Höhe von 105.204,15 EUR, zuzüglich Zinsen nach § 33 Abs. 6 PflBG i.V.m § 3 Vereinbarung der Verfahrensregelungen in Höhe von 9.034,96 EUR und Zinsen in Höhe vom 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 105.204,12 EUR seit dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit zum 28. September 2022.
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a) Die Festsetzungs- und Zahlungsbescheide vom 11. Mai 2020, vom 30. Oktober 2020 und vom 29. Oktober 2021 in der Fassung des Bescheids vom 23. Juni 2022 wurden gegenüber der von der Beklagten betriebenen Einrichtung in der E...straße in ... unstrittig wirksam bekannt gegeben und der geforderte Finanzierungsbeitrag festgesetzt. Da die Klägerin als Beliehene funktional als Behörde im Sinn von Art. 1 Abs. 4 BayVwVfG gilt, richtet sich die Bekanntgabe der Festsetzungs- und Zahlungsbescheide nach den Regelungen des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes. Die Bescheide wurden nach Auskunft der Klägerin an den jeweils ausgewiesenen Bescheidsdaten mit einfachem Brief zur Post gegeben, so dass sie nach der Bekanntgabefiktion in Art. 41 Abs. 2 BayVwVfG drei Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gelten. Da die Bescheide nicht im Wege des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes vollstreckt werden, ist die in Art. 23 VwZVG vorgesehene, förmliche Zustellung nicht erforderlich.
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b) Bei Klageerhebung waren sämtliche Bescheide bestandskräftig.
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aa) Der Eintritt der Bestandskraft ist für die Festsetzungs- und Zahlungsbescheide vom 11. Mai 2020 und vom 30. Oktober 2020 zwischen den Parteien unstreitig.
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bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten gilt dies jedoch auch hinsichtlich des Bescheids vom 29. Oktober 2021. Der Bescheid wurde nach Auskunft der Klägerin am 29. Oktober 2021 zur Post gegeben, so dass der Bescheid nach der Bekanntgabefiktion in Art. 41 Abs. 2 BayVwVfG am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, d.h. hier am 1. November 2021, als bekanntgegeben gilt. Unschädlich für den Eintritt der Bekanntgabefiktion ist, ob es sich bei dem dritten Tag um einen Sonntag, Samstag oder Feiertag handelt (Tegethoff in Ramsauer/Kopp, VwVfG, 24. Aufl. 2023, § 41 Rn. 39b). Aufgrund der Regelung in Art. 41 Abs. 2 BayVwVfG kann sich die Klägerin grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids berufen, ohne den Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs nachweisen zu müssen. Etwas anderes würde nur gelten, wenn die Beklagtenpartei substantiiert darlegt, dass sie den Bescheid nicht erhalten hat, indem sie einen atypischen Geschehenslauf schlüssig vorträgt, aus dem sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass ihr der Bescheid nicht zugegangen ist (BayVGH, U.v. 18.2.2016 – 11 BV 15.1164 – juris Rn. 21).Das ist hier jedoch nicht der Fall. Da der Bescheid korrekt adressiert wurde und auch nicht als unzustellbar in Rücklauf gekommen ist, ist nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins davon auszugehen, dass die von der Beklagten betriebene Einrichtung den Bescheid auch tatsächlich erhalten hat.
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Der Bescheid vom 29. Oktober 2021 wurde von der Beklagten nicht innerhalb eines Monats nach der Bekanntgabe angefochten, so dass er nach § 57 VwGO, § 222 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO), §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 1. Dezember 2021 bestandskräftig wurde. Entgegen der Auffassung der Beklagten gilt vorliegend nicht die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO.
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Nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO muss die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden. Die Frist für ein Rechtsmittel beginnt allerdings nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist (§ 58 Abs. 1 VwGO). Das ist hier der Fall, weil die dem Bescheid beigefügte Rechtsmittelbelehrungzutreffend das Verwaltungsgericht München als das örtlich zuständige Rechtsmittelgericht auswies.
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Die örtliche Zuständigkeit für eine Klage richtet sich vorliegend infolge der Regelung des § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO nach dem Sitz der Beklagten. Da die Klägerin bayernweit als zuständige Stelle im Sinne des § 26 Abs. 4 i.V.m. Abs. 6 Satz 3 PflBG beliehen wurde, greift die Regelung in § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO. Erstreckt sich die Zuständigkeit einer Behörde auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke, so ist für eine Anfechtungsklage das Verwaltungsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Beschwerte (hier: die Beklagte) seinen Sitz hat. Für eine Klage gegen den Bescheid vom 29. Oktober 2021 ist daher das Verwaltungsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Beklagte ihren Sitz hat. Dieser war bei Bescheiderlass nach dem Auszug aus dem Handelsregister in der Gemeinde, Regierungsbezirk Oberbayern. Die dem Bescheid beigefügte Rechtsmittelbelehrungwies daher zutreffend das Verwaltungsgericht München als das örtlich zuständige Rechtsmittelgericht aus, da dieses nach Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtordnung (AGVwGO) das für den Regierungsbezirk Oberbayern zuständige Verwaltungsgericht ist. Die Beklagte verlegte zwar in der Folgezeit ihren Sitz nach .... A. GmbH ist die Beklagte jedoch eine Kapitalgesellschaft, so dass eine Verlegung ihres Sitzes als eine nach § 13h HGB i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 und § 54 Abs. 3 GmbHG eintragungspflichtige Tatsache keine rechtliche Wirkung hat, bevor sie in das Handelsregister eingetragen wurde. Die Eintragung der Verlegung des Sitzes erfolgte jedoch erst am 28. Februar 2022 und somit nach Eintritt der Bestandskraft zum 1. Dezember 2021.
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c) Da die Bescheide bestandskräftig sind, ist deren Rechtmäßigkeit nicht mehr zu überprüfen. Das gilt auch hinsichtlich des Einwands einer unterbliebenen Rechnungslegung nach § 35 Abs. 1 PflBG, deren Fehlen von der Beklagten im Übrigen lediglich pauschal behauptet wurde.
37
d) Ein Nichtigkeitsgrund im Sinn von Art. 44 BayVwVfG liegt ebenfalls nicht vor. Ein solcher ergibt sich insbesondere nicht aus dem Vortrag der Beklagten, die Klägerin sei zum Erlass der Festsetzungs- und Zahlungsbescheide nicht befugt gewesen. Wie oben bereits ausgeführt, wurde die Klägerin mit öffentlich-rechtlichem Vertrag vom 8. Oktober 2018 durch den Freistaat Bayern, vertreten durch das Bayerische Staatsministerium, als zuständige Stelle im Sinne des § 26 Abs. 4 i.V.m. Abs. 6 Satz 3 PflBG beliehen. Die Beleihung der Klägerin beinhaltet die Befugnis, gegenüber den einzahlungspflichtigen Einrichtungen den von diesen zu leistenden Umlagebetrag mit Verwaltungsakt festzusetzen (§ 33 Abs. 4 Satz 2 PflBG). Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beleihungsakts bestehen nicht. Insbesondere ist für die Rechtmäßigkeit der Beleihung nicht Voraussetzung, dass der Beliehene (auch) der Fachaufsicht unterworfen ist. Für die Rechtmäßigkeit des Beleihungsakts ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Beliehene der Staatsaufsicht im Wege der Rechtsaufsicht unterliegt.
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Ein Privatrechtssubjekt darf nur mit hoheitlichen Aufgaben beliehen werden, wenn die Beleihung durch Gesetz oder auf gesetzlicher Grundlage erfolgt. Der institutionelle Gesetzesvorbehalt verhindert, dass hoheitliche Aufgaben ohne parlamentarische Mitwirkung auf Private verlagert werden und gewährleistet damit die parlamentarische Verantwortlichkeit aller Organe der Exekutive. Der institutionelle Gesetzesvorbehalt wird durch die Staatsaufsicht ergänzt, die für eine gesetzeskonforme Aufgabenerfüllung zu sorgen hat. Die Beliehenen dürfen Handlungsformen des öffentlichen Rechts nutzen, sind aber im Rahmen ihres Aufgabenbereichs nach Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) an Recht und Gesetz und nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden. Diese Bindungen aus dem gesetzlichen Beleihungsauftrag werden durch die Aufsichtsbehörde überwacht (Ibler in Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetzkommentar, Stand: Jan 2023, Art. 86 Rn. 75; Ronellenfitsch in Bader/Ronellenfisch, BeckOK VwVfG, Stand: 1.10.2020, § 1 Rn. 72; Kastner in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021 § 1 Rn. 34). Diesen Grundsätzen wird die Beleihung der Klägerin gerecht. Sie beruht mit § 26 Abs. 6 Sätze 4 bis 6 PflBG auf einer gesetzlichen Grundlage und die Klägerin ist nach § 26 Abs. 6 Satz 6 i.V.m. Satz 3 PflBG der Rechtsaufsicht unterworfen. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin außerhalb ihrer Aufgaben und Befugnisse gehandelt hat, bestehen nicht.
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e) Der Zinsanspruch in Höhe von 9.034,96 EUR folgt aus § 33 Abs. 6 PflBG i.V.m § 3 der Vereinbarung der Verfahrensregelungen. Werden Zahlungen verspätet geleistet, erhebt die fondsführende Stelle ab dem ersten Tag des Zahlungsverzugs Verzugszinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 33 Abs. 6 Satz 2 PflBG (§ 3 Abs. 1 der Vereinbarung). Bei Verwaltungsakten der fondsführenden Stelle, die zu einer Geldleistung verpflichten, ist bei der Erinnerung der Beitreibung eine Zahlungsfrist von zehn Tagen vorzusehen. Diese Anforderungen wurden durch die Klägerin eingehalten. Einwände gegen den Zinsanspruch wurden von der Beklagten nicht erhoben.
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f) Die Klägerin hat allerdings lediglich einen Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen ab dem Tag der Rechtshängigkeit des streitgegenständlichen Klageanspruchs beim Verwaltungsgericht Augsburg am 28. September 2022.
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Das Bundesverwaltungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung als allgemeinen Grundsatz des Verwaltungsrechts herausgestellt, dass für öffentlich-rechtliche Geldforderungen Prozesszinsen unter sinngemäßer Anwendung des § 291 BGB zu entrichten sind, wenn das jeweils einschlägige Fachrecht keine gegenteilige Regelung trifft. Demgegenüber können Verzugs- und andere materiell-rechtliche Zinsen in den der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte unterfallenden Gebieten des öffentlichen Rechts grundsätzlich nur kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung gewährt werden (Wöckel, in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 91 Rn. 14; BVerwG, U.v. 17.2.1971 – 4 C 17.69 – BVerwGE 37, 239, 241; U.v. 22.2.2001 – 5 C 34.00 – juris Rn. 10; BVerwG, U.v. 23.3.2017 – 9 C 1.19 – juris Rn. 9). Sofern – wie vorliegend – der Umfang einer Geldschuld eindeutig bestimmt ist oder rechnerisch unzweifelhaft ermittelt werden kann, können somit nach dem im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbaren § 291 Satz 1 BGB i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB Prozess- oder sogenannte Rechtshängigkeitszinsen verlangt werden.
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Der streitgegenständliche Zahlungsanspruch wurde allerdings erst mit Eingang der Klage beim Verwaltungsgericht Augsburg am 28. September 2022 rechtshängig, so dass der Anspruch auf Prozesszinsen auf den Zeitraum ab dem 28. September 2022 zu beschränken war. Zwar hat die Klägerin den Klageanspruch mit Schreiben vom 1. September 2022 beim Landgericht ... geltend gemacht, allerdings trat zu diesem Zeitpunkt noch keine Rechtshängigkeit ein, da der Klageschriftsatz der Gegenseite vom Landgericht ... noch nicht zugestellt wurde. Das Verfahren wurde mit Beschluss vom 22. September 2022 vor Zustellung der Klageschrift an die Gegenseite an das Verwaltungsgericht abgegeben. Die Zustellung der Klageschrift ist jedoch nach § 261 Abs. 1, § 253 Abs. 1 ZPO Voraussetzung für den Eintritt der Rechtshängigkeit im Rechtszug der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Da im Verwaltungsprozess die Rechtshängigkeit des Klageanspruchs nicht von der Zustellung der Klage an die Gegenseite abhängig ist, sondern nach § 90 Satz 1 VwGO mit Erhebung der Klage beim Verwaltungsgericht eintritt, war der Anspruch auf Prozesszinsen ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Verfahrens beim Verwaltungsgericht Augsburg am 28. September 2022 auszusprechen. Für den darüber hinaus gehenden Zeitraum war die Klage abzuweisen.
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4. Die Kosten des Verfahrens waren nach § 154 VwGO der Beklagten als der unterlegenen Partei aufzuerlegen. Angesichts des geringfügigen Unterliegens der Klägerin hinsichtlich der geltend gemachten Prozesszinsen hat das Gericht von der Regelung des § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO Gebrauch gemacht und die Kosten der Beklagten zur Gänze auferlegt. Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.