Inhalt

LG München I, Urteil v. 09.10.2023 – 18 NBs 271 Js 200718/22
Titel:

Wirksamkeit der Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch

Normenketten:
StPO § 318
StGB § 24
Leitsatz:
Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist nicht deshalb unwirksam, weil auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen eine Straffreiheit wegen Rücktritts vom Versuch in Betracht kommt (aufgehoben durch BayObLG BeckRS 2024, 1098). (Rn. 12 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufung, Beschränkung, Rechtsfolge, Wirksamkeit, Rücktritt vom Versuch
Vorinstanz:
AG München, Urteil vom 04.04.2023 – 842 Ls 271 Js 200718/22
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 01.02.2024 – 207 StRR 13/24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 41417

Tenor

I. Auf die Berufung des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 04.04.2023 aufgehoben.
II. Der Angeklagte ist schuldig der versuchten schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung.
III. Der Angeklagte wird deshalb zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wird.
IV. Die Berufung der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
V. Soweit der Angeklagte verurteilt wurde, trägt er die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen.
Soweit das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt wurde, trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens. Der Angeklagte trägt seine insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.
Soweit die Berufung der Staatsanwaltschaft gesonderte Kosten verursacht hat, trägt die Staatskasse diese Kosten, einschließlich der darauf entfallenden notwendigen Auslagen des Angeklagten.

Entscheidungsgründe

I.
Verfahrensgang:
1
Die Staatsanwaltschaft M… erhob am 16.12.2022 eine Anklage zum Amtsgericht M… – Schöffengericht –, die mit Eröffnungsbeschluss vom 18.01.2023 zur Hauptverhandlung zugelassen wurde. Die mündliche Hauptverhandlung fand am 14.03. und 04.04.2023 statt. Der Angeklagte wurde wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in zwei tatmehrheitlichen Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
2
Dagegen legte die Staatsanwaltschaft M… mit Schriftsatz vom 04.04.2023, eingegangen am selben Tage, Berufung ein. Zugleich mit der Berufungseinlegung wurde die Berufung auf das Strafmaß beschränkt. Der Angeklagte legte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 06.04.2023, eingegangen per beA am selben Tage, vollumfänglich Berufung gegen das Urteil ein.
3
Das Urteil des Landgerichts M… beruht auf einer Verständigung gemäß § 257 c StPO. Auf die geführten Gespräche, den Verständigungsvorschlag und -inhalt wird Bezug genommen auf das Protokoll vom 09.10.2023.
II.
Persönliche Verhältnisse:
4
Der Angeklagte wurde am …1979 in S… geboren. Als der Krieg begann (als er ca. 17 Jahre alt war) ging er nach B…. Er blieb dort bis 2004.
5
Der Angeklagte besuchte acht Jahre lang die Grundschule und absolvierte im Anschluss daran vier Jahre lang eine weiterführende Schule im Gastwirtschafts-/Touristikgewerbe. Er ist nunmehr seit rund 20 Jahren im Baugewerbe selbstständig tätig.
6
Der Angeklagte hat 2018 geheiratet. Er kam im Rahmen der Familienzusammenführung 2020 nach Deutschland. Mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 01.03.2023 wurde die am 18.11.2018 in S… geschlossene Ehe auf Antrag der Ehefrau geschieden.
7
Der Angeklagte hat kein Vermögen. Er hat Schulden in Höhe von € 7.000,00 bis € 8.000,00. Er gibt an, in seiner Firma Außenstände in Höhe von rund € 21.000,00 zu haben.
8
Der Angeklagte hat keine Probleme mit Alkohol oder Drogen. Drogen hat er nie genommen, Alkohol trinkt er nur gelegentlich.
9
Der Angeklagte hat keine schweren Unfälle oder Krankheiten erlitten.
10
Der Angeklagte ist strafrechtlich bisher wie folgt in Erscheinung getreten:
1. 02.08.2022 Amtsgericht M… – 3 Cs 405 Js 14075/22 – Rechtskräftig seit 19.08.2022
Tatbezeichnung: Vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis
Datum der (letzten) Tat: 09.05.2022
Angewendete Vorschriften: StVG § 21 Abs. 1 Nr. 1
30 Tagessätze zu je € 40,00 Geldstrafe
Haftdaten:
11
Der Angeklagte wurde im hiesigen Verfahren am 18.11.2022 vorläufig festgenommen. Er befand sich vom 19.11.2022 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts M… vom 19.11.2022 zunächst bis 05.03.2023 in Untersuchungshaft im vorliegenden Verfahren. Vom 06.03. bis 24.03.2023 wurde die Untersuchungshaft unterbrochen zur Vollziehung einer Ersatzfreiheitsstrafe im Verfahren Bundeszentralregister-Nr. 1 (siehe oben). Seit 25.03.2023 wurde bis zur Berufungshauptverhandlung vom 09.10.2023 wiederum Untersuchungshaft in vorliegenden Fall vollzogen.
III.
Rechtskräftiger Verfahrensteil:
12
Aufgrund der wirksamen Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch im Fall Nr. 1 des amtsgerichtlichen Urteils erwuchs folgender Schuldspruch in Rechtskraft:
„Der Angeklagte ist schuldig der versuchten schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung.“
13
Die dem Schuldspruch zugrunde liegenden tragenden tatsächlichen Feststellungen sind bindend und unterliegen nicht mehr der Nachprüfung durch das Berufungsgericht. Das Amtsgericht M… hat dazu festgestellt:
„Am Abend des 17.11.2022 befand sich die Geschädigte … Ehefrau des Angeklagten, in der ehemals gemeinsam von ihr und dem Angeklagten bewohnten Wohnung in der R…aße … in M…. Als der Angeklagte nach Hause kam, sprach die Geschädigte an, dass sie sich von dem Angeklagten scheiden lassen wolle.
Daraufhin forderte der Angeklagte die Geschädigte auf, einen Kredit in Höhe von € 10.000,00 aufzunehmen und ihm das Geld zu übergeben, auf das er, wie er wusste, keinen Anspruch hatte.
Sollte sie sich weigern, werde er sie umbringen und die Wohnung anzünden. Sodann nahm der Angeklagte ein Messer, hielt es in Richtung der Augen der Geschädigten und sagte, sie solle still sein, sonst werde er sie umbringen. Der Abstand zwischen dem Gesicht der Geschädigten und der Messerspritze betrug hierbei nur etwa fünf Zentimeter. Sodann hielt er mit seinen Händen sowohl Mund als auch Nase der Geschädigten zu, sodass sie kurzzeitig keine Luft bekam. Im Anschluss schubste der Angeklagte die Geschädigte zu Boden.
Wie von dem Angeklagten zumindest vorhergesehen und billigend in Kauf genommen, erlitt die Geschädigte hierdurch Schmerzen an der Körperseite.“
Ergänzend stellte das Berufungsgericht fest:
14
Der Angeklagte übergab in der Berufungshauptverhandlung am 09.10.2023 an seine geschiedene Ehefrau, der Geschädigte K…, ein Geldbetrag in Höhe von € 2.000,00. Die Geschädigte nahm das Geld an. Zudem entschuldigte sich der Angeklagte bei ihr für sein Verhalten.
IV.
Beweiswürdigung:
15
Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten beruhen auf dessen glaubhaften Angaben in der Hauptverhandlung. Der Bundeszentralregisterauszug des Angeklagten wurde in der Hauptverhandlung verlesen und von diesem als richtig anerkannt.
16
Die ergänzenden Feststellungen des Landgerichts … beruhen auf den tatsächlichen Ereignissen in der Berufungshauptverhandlung. Die Übergabe der € 2.000,00 erfolgte in bar vom Angeklagten an die Geschädigte in der Hauptverhandlung. Zudem entschuldigte sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung.
V.
Strafzumessung:
17
Bei der Strafzumessung war zunächst vom Strafrahmen gemäß §§ 255, 250 Abs. 2 StGB auszugehen, der Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren vorsieht. Das Gericht ging hier von einem minder schweren Fall im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB aus. Es handelt sich hier um eine Versuchstat. Zudem wurde ein Täter-Opfer-Ausgleich durchgeführt. Unter Berücksichtigung dieser beiden Strafzumessungskriterien war von einem minder schweren Fall des § 250 Abs. 2 StGB auszugehen, sodass ein Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestand.
18
Auch unter Berücksichtigung aller weiteren, für den Angeklagten sprechenden Umstände (siehe sogleich) bedurfte es sowohl der Versuchsmilderung als auch des Täter – Opfer – Ausgleichs, um einen minder schweren Fall annehmen zu können. Dies beruht darauf, dass es hier um ein erhebliches Drohpotential ging und zudem gleichzeitig eine Körperverletzung vorlag. Zudem wurde eine erhebliche Summe gefordert. Unter diesen Umständen kam die Annahme eines minder schweren Falls alleine aufgrund eines Umstands (Versuch oder TOA) – mit der dann folgenden Möglichkeit einer weiteren Milderung – nicht in Betracht.
19
Bei der Strafzumessung im engeren Sinne wertete das Gericht zu Gunsten des Angeklagten, dass dieser seine Berufung hinsichtlich des Falles vom 17.11.2022 auf die Rechtsfolgen beschränkte. Hierin ist ein fiktives Geständnis zu sehen. Die Verletzung bei der Geschädigten waren nicht erheblich. Zudem hat der Angeklagte auch nur eine für das hiesige Verfahren unerhebliche Vorstrafe wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Zu Gunsten des Angeklagten wurde nochmals (wenn auch in geringem Maße) gewertet, dass er sich bei der Geschädigten entschuldigt und ihr ein Schmerzensgeld in Höhe von € 2.000,00 gezahlt hat. Das Schmerzensgeld ist hier deswegen auch als erheblich einzuschätzen, da die finanzielle Lage des Angeklagten schlecht ist. Zu Gunsten des Angeklagten sprach auch die lange Untersuchungshaft von knapp elf Monaten. Der Angeklagte ist auch aufgrund seiner begrenzten Deutschkenntnisse besonders haftempfindlich.
20
Zu Lasten des Angeklagten war das erhebliche Drohpotential bei der Tat zu sehen (Messer 5 cm vor dem Auge der Geschädigten mit der Drohung, sie umzubringen), zudem die Körperverletzung mit kurzzeitigem Abdrücken der Luft und dem Schubsen auf den Boden. Dieses dreiaktige Geschehen geht über den „Normalfall“ deutlich hinaus. Auch war der geforderte Betrag von 10.000 € erheblich. Dies gilt umso mehr, als die Geschädigte auch kein Geld hatte und diesen Betrag als Kredit bei der Bank aufnehmen sollte.
21
Unter Abwägung dieser für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hielt das Gericht hier eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren für tat- und schuldangemessen. Die Strafe des Amtsgerichts … für diese Tat (2 Jahre 6 Monate) konnte reduziert werden, da hier nunmehr hinsichtlich der Tat vom 17.11.2022 ein Geständnis vorliegt und ein Täter-Opfer-Ausgleich durchgeführt wurde.
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Die Strafe konnte zur Bewährung ausgesetzt werden. Das Gericht geht davon aus, dass sich der Angeklagte bereits die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung zur Warnung dienen lässt und nicht wieder straffällig werden wird. Zu Gunsten des Angeklagten spricht insoweit, dass er nunmehr ein durchaus längeren Hafteindruck durch die Untersuchungshaft hat. Das Gericht geht daher davon aus, dass der Angeklagte dies in Zukunft in jedem Fall vermeiden wird. Zudem weist der Angeklagte praktisch keine Vorstrafen auf. Hierin sind besondere Umstände zu sehen, die die Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen.
VI.
Kosten:
23
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464, 467, 473 Abs. 1 StPO.