Titel:
Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag – Abschnittsbildung bei unselbständigen Stichstraßen
Normenketten:
KAG Art. 5a Abs. 7 S. 2, S. 3
BauGB-AG NRW § 3 Abs. 4
Leitsätze:
1. Die Bildung von Abschnitten einer Erschließungsanlage ist an mehrere – geschriebene und ungeschriebene – Voraussetzungen gebunden, um die Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit der Beitragserhebung zu wahren Unter anderem kommt eine Abschnittsbildung nur für solche Teilstücke in Betracht, die eine gewisse eigenständige Bedeutung haben und von ihrem Umfang her – gleichsam stellvertretend – "Straße" sein können. Damit soll eine der Grundkonzeption des Erschließungsbeitragsrechts wesensfremde Zersplitterung ("Atomisierung") der Erschließungsanlage vermieden werden. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Abgrenzung von unselbständigen zu selbständigen Stichstraßen kann darauf abgestellt werden, ob dass Teilstrecken von einer Länge unter 100 Meter im Regelfall nicht zur Abschnittsbildung geeignet sein dürften. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für den Herstellungsbeginn iSv Art. 5a Abs. 7 S. 2 KAG genügt es, wenn ein satzungsgemäßes, auf die endgültige technische Herstellung aller erforderlichen Teileinrichtungen gerichtetes Bauprogramm für eine – nicht nur ganz untergeordnete iSv Art. 5a Abs. 7 S. 3 KAG – Teilstrecke der Erschließungsanlage bestand und mit der so geplanten technischen Herstellung der Teileinrichtungen auch ("sichtbar") tatsächlich begonnen wurde. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erschließungsbeitragsrecht, unselbständige Stichstraße, keine sog. Bebauungsmassierung, unwirksame Abschnittsbildung hinsichtlich 72 m langer Stichstraße, Ausschluss der Beitragserhebung wegen Herstellungsbeginn vor mindestens 25 Jahren, Anwendung von Art. 5a Abs. 7 Satz 3 BayKAG nur bei ganz untergeordneter Teilstrecke, kein Erfordernis eines Bauprogramms für die gesamte Erschließungsanlage bei Beginn der technischen Herstellung auf einer nicht nur untergeordneten Teilstrecke, Bebauungsmassierung, Zersplitterung, prognostische Kostenvergleich, Selbständigkeit von Stichstraßen, 100-Meter-Regel
Fundstelle:
BeckRS 2023, 41401
Tenor
I. Der Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten vom 24. März 2021 für das Grundstück FlNr. 600/16 (Gemarkung …*) und der Änderungsbescheid vom 24. April 2023 für dieses Grundstück werden aufgehoben.
II.Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung im Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV.Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Kläger wenden sich gegen die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag.
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Die Kläger sind Bruchteilseigentümer des Grundstücks FlNr. 600/16 (nachfolgend stets: Gemarkung …*), A* …straße 1b im Gebiet der Beklagten, das mit seiner Ostseite an die A* …straße angrenzt.
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Zu bislang nicht im Einzelnen bekannten Zeitpunkten, vermutlich nach 1961 und jedenfalls vor 1990, führte die Beklagte erstmals an der A* …straße und an der davon als Stichstraße abzweigenden T* …straße Straßenbaumaßnahmen durch, die zu dem bis 2019 bestehenden Straßenbestand führten und der von der Beklagten mit am 27. Juni 2017 aufgenommenen Lichtbildern (vgl. Präsentation der Beklagten in einer Anliegerversammlung vom 16.4.2019) dokumentiert ist. Eine weitere, aktuell auf FlNr. 594/10 verlaufende Stichstraße (nachfolgend: Südliche Stichstraße) wurde erstmals zeitlich nach diesen vorangegangenen Baumaßnahmen an der A* …- und T* …straße errichtet. Hierzu beschloss der Haupt- und Bauausschuss der Beklagten am 30. Oktober 1995, „den Vollausbau nach den Merkmalen der Erschließungsbeitragssatzung“ zu genehmigen. Nach diesbezüglichen Vergabeentscheidungen fanden die wesentlichen Straßenbaumaßnahmen an der südlichen Stichstraße im Oktober/November 1996 statt, eine diesbezügliche Abnahmeniederschrift datiert vom 10. Dezember 1996.
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Ab dem Jahr 2017 plante und führte die Beklagte erneut Straßenbaumaßnahmen an der A* …- und T* …straße durch. Nachdem zunächst nur Maßnahmen an der A* …straße einschließlich der südlichen Stichstraße, nicht aber an der T* …straße beabsichtigt waren und diesbezüglich mit Beschluss vom 30. April 2019 ein Auftrag vergeben wurde, beschloss der Gemeinderat der Beklagten am 23. Juli 2019 zum Ausschluss beitragsrechtlicher Risiken einer Abrechnung der A* …straße ohne die T* …straße auch deren erstmalige Herstellung. Die T* …straße wurde jedoch nur auf ihrer südlichen Hälfte, den im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstücken, mit einer Straßenbreite von lediglich 3,50 Meter hergestellt (die nördliche Straßenhälfte auf den FlNrn. 590/15, /17, /30, /31, /32 steht in Privateigentum, dürfte aber angesichts der vorliegenden Widmungsunterlagen im Jahr 1988 als Ortsstraße gewidmet worden sein und stellt sich auch tatsächlich als jedenfalls befahrbar dar). Die Baumaßnahmen fanden zwischen Juli 2019 und November 2020 statt und wurden von der Beklagten im Dezember 2020 abgenommen. Am 22. September 2020 fasste der Gemeinderat der Beklagten hierzu einen Beschluss i.S.v. § 125 Abs. 2 BauGB, am 23. Februar 2021 beschloss der Gemeinderat bezüglich der Erschließungsanlage „A* …straße mit T* …straße“ eine Satzung zur Abweichung von dem Erfordernis des Erwerbs des Eigentums oder einer Dienstbarkeit an den für die Erschließungsanlage erforderlichen Grundstücken in der Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten, weil das am südlichen Beginn der Anlage gelegene Grundstück FlNr. 538/4 nicht im Eigentum der Beklagten stehe. Am 28. Februar 2023 beschloss der Gemeinderat der Beklagten eine Abschnittsbildung, wonach neben der A* …straße die T* …straße als weiterer Abschnitt verbleibe. Die T* …straße sei mangels ordnungsgemäßer Straßenentwässerung noch nicht endgültig hergestellt, da das Niederschlagswasser teilweise auf einem privaten Grundstücksstreifen abfließe.
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Mit Bescheid vom 24. März 2021 wurde gegenüber den beiden Klägern für die Maßnahme „A* …straße – T* …straße“ (welche auch die südliche Stichstraße beinhaltet) für das Grundstück FlNr. 600/16 ein Erschließungsbeitrag in Höhe von 7.568,92 € festgesetzt und wurde zur Zahlung innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe aufgefordert. Am 24. April 2023 erging hierzu gegenüber den Klägern ein Änderungsbescheid. Danach werde für die Erschließungsanlage „A* …straße – T* …straße“ eine Abschnittsbildung erklärt, der Beitragsbescheid vom 24. März 2021 werde für das Grundstück FlNr. 600/16 dahin geändert, dass der Erschließungsbeitrag für die Herstellung der A* …straße ohne die T* …straße erhoben wird. Eine Änderung der Beitragsfestsetzung enthält der Änderungsbescheid nicht, in den Gründen heißt es dazu, eine Beitragsanpassung bleibe vorbehalten.
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Am 19. April 2021 wurde gegen den Beitragsbescheid Klage zum Verwaltungsgericht München erhoben, gegen den Änderungsbescheid nach Vortrag der Kläger fristgerecht Widerspruch eingelegt. Zur Begründung der Klage wurde im Kern ausgeführt: Die nun abgerechneten Straßen seien bereits vor 2017 erstmalig endgültig hergestellt gewesen, alle satzungsmäßigen Herstellungsmerkmale seien erfüllt gewesen, ein Erschließungsbeitrag könne deshalb nicht mehr erhoben werden. Die bislang vorgelegten Unterlagen ließen auch nicht ausreichend erkennen, wann tatsächlich welche Maßnahmen zum Straßenbau durchgeführt worden seien. Die Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit könne nicht geprüft werden. Auch der erforderliche Vorgang zur Abwägung der öffentlichen und privaten Belange könne nicht nachvollzogen werden. Beantragt wurde von den Klägern zuletzt,
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den gegen die Kläger am 24. März 2021 erlassenen Erschließungsbeitragsbescheid für die Maßnahme „A* …straße – T* …straße“ in der Fassung des Änderungsbescheids vom 24. April 2023 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragte,
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und führte u.a. aus: Die A* …straße und die T* …straße seien keine vorhandenen Erschließungsanlagen. Erschließungsfunktion habe erst nach 1961 bestanden, noch 1965 habe die vorhandene Bebauung nur eine sog. Splittersiedlung dargestellt. Beide Straßen seien vor Durchführung der abgerechneten Baumaßnahmen noch nicht erstmals endgültig hergestellt gewesen. Insbesondere habe es an einer ausreichenden Straßenentwässerung gefehlt. Auch sei mit der Herstellung im letzten Jahrhundert nicht i.S.v. Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG begonnen worden. Die frühere Fahrbahnbefestigung sei nur ein Provisorium gewesen, ein auf die erstmalige und endgültige Herstellung der Straße gerichtetes Bauprogramm habe es nicht gegeben. Leuchtkörper seien nach Bedarf in unterschiedlichen Jahren gesetzt worden. In der Literatur werde gefordert, dass ein auf sämtliche Teileinrichtungen gerichtetes Bauprogramm erforderlich sei. Jedoch sei die T* …straße bislang noch nicht endgültig hergestellt. Sie verfüge stellenweise noch nicht über eine ordnungsgemäße Straßenentwässerung. Deshalb werde die A* …straße im Wege einer Abschnittsbildung separat abgerechnet. Durch die nachträgliche Abschnittsbildung (Veränderung von beitragsfähigem Aufwand und Verteilungsfläche) erhöhe sich der Beitragssatz auf 21,70393915 € je Quadratmeter beitragspflichtiger Grundstücksfläche.
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Auf Anregung der Kläger (weil diese für den Fall einer Verpflichtung zur Zahlung eines Erschließungsbeitrags einen Erstattungsanspruch gegen die Beigeladene, Bauträgerin und Voreigentümerin des klägerischen Grundstücks, vor den Zivilgerichten verfolge) erging am 7. Dezember 2022 ein Beiladungsbeschluss (§ 65 Abs. 1 VwGO).
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Die Beigeladene stellte keinen Sachantrag und äußerte sich mit Schriftsätzen vom 4. August und 28. September 2023 zur Sache.
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Am 6. Dezember 2023 fand die mündliche Verhandlung statt, in der die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert wurde.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und begründet.
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Der auf Art. 5a Abs. 1 und 2 KAG i.V.m. der Erschließungsbeitragssatzung (EBS) der Beklagten vom 23. Juli 2019 i.G.d. Abweichungssatzung vom 23. Februar 2021 beruhende Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten vom 24. März 2021 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 24. April 2023 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Für die (zuletzt) von der Beklagten abgerechnete Erschließungsanlage A* …straße (einschließlich südlicher Stichstraße) sind die sachlichen Beitragspflichten noch nicht entstanden, denn die T* …straße, die nach eigener Feststellung der Beklagten (vgl. Änderungsbescheid vom 24. April 2023) noch nicht endgültig hergestellt ist, stellt eine unselbständige Stichstraße zu dieser Erschließungsanlage und keine eigenständige Erschließungsanlage dar (nachfolgend 1. a)) und konnte auch nicht wirksam im Weg der Abschnittsbildung einer erst späteren Beitragsabrechnung vorbehalten bleiben (nachfolgend 1. b)). Außerdem kann für die A* …straße (einschließlich südlicher Stichstraße) und die unselbständige T* …straße nach Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG kein Erschließungsbeitrag mehr erhoben werden, weil seit dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung dieser Erschließungsanlage mindestens 25 Jahre vergangen sind (nachfolgend 2.). Auf zusätzlich aufgeworfene Sach- und Rechtsfragen kommt es deshalb für die vorliegende Entscheidung nicht mehr an (nachfolgend 3.).
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1. Sachliche Beitragspflichten sind für die zutreffend zu Grunde zu legende Erschließungsanlage aus A* …straße (einschließlich südlicher Stichstraße) und T* …straße noch nicht entstanden.
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a) Die T* …straße stellt keine eigenständige Erschließungsanlage dar, insbesondere nicht auf Grund der von der Beklagten zuletzt geltend gemachten sog. „Bebauungsmassierung“.
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Die geradlinig verlaufende, ohne Wendehammer ausgeführte, sich nicht verzweigende und in ihrer Breite und Verkehrsfunktion der A* …straße vergleichbare Stichstraße ist, betrachtet nach ihrer Länge (ca. 72 m auf gemeindlichen Flächen, ca. 82 m bei Einbeziehung privater, ggf. tatsächlich-öffentlicher Verkehrsflächen), grundsätzlich als unselbständiges, zufahrtsähnliches „Anhängsel“ der Erschließungsanlage A* …straße anzusehen (vgl. zur 100-Meter-Regel als sachgerechte Richtschnur: Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 6 Rn. 17; Driehaus/Raden, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 11. Aufl. 2022, § 12 Rn. 17; Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand September 2023, Rn. 10a; BayVGH, B.v. 14.12.2020 – 6 B 20.1619 – juris Rn. 20).
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Die Kammer vermag auch nicht zu erkennen, dass für den unbefangenen Beobachter der Gesamteindruck der tatsächlichen Verhältnisse an der T* …straße – insbesondere unter Berücksichtigung des Maßes der Abhängigkeit zwischen der Stichstraße und der Hauptstraße, der Zahl der durch die Stichstraße erschlossenen Grundstücke, deren überbaubare Grundstücksflächen sowie von Art und Maß der baulichen Nutzung und Bauweise der Gebäude im Bereich der T* …straße – die Zufahrtsähnlichkeit der Stichstraße in Frage stellen könnte; insbesondere ist die von der Beklagten zuletzt geltend gemachte sog. „Bebauungsmassierung“ nicht ersichtlich (vgl. zu diesen Kriterien: BVerwG, U.v. 26.9.2001 – 11 C 16/00 – juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 20.4.2012 – 6 ZB 09.1855 – juris Rn. 8; B.v. 24.1.2008 – 6 ZB 05.1397 – juris Rn. 6).
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Durch die T* …straße werden neben den beiden Eckgrundstücken zur A* …straße (die mit jeweils einem Einfamilienhaus mit einem berücksichtigten Vollgeschoss bebaut sind) sieben Grundstücksparzellen erschlossen, von denen vier mit Einfamilienhäusern bebaut sind (davon drei mit einem berücksichtigten Vollgeschoss und eines mit zwei berücksichtigten Vollgeschossen) sowie drei Grundstücksparzellen, die mit fünf Baukörpern (Doppelhäuser mit jeweils zwei berücksichtigten Vollgeschossen) bebaut sind. Selbst wenn man davon ausginge, dass die drei Baukörper auf FlNr. 590/6 mehr als die nach den bislang vorliegenden Erkenntnissen anzunehmenden sechs Wohneinheiten enthielten (was die Beklagte in der mündlichen Verhandlung andeutete) und wenn man die bei diesem Grundstück sowie den beiden benachbarten Doppelhäusern (auf FlNrn. 590/16, /27, /28 und /29) durch die Doppelhäuser etwas „dichter“ wirkende Bebauung berücksichtigt, ist der sich aus den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Lageplänen und Lichtbildern ergebende Gesamteindruck von Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und den jeweils überbaubaren Grundstücksflächen von einer „Bebauungsmassierung“ im o.g. Sinne noch deutlich entfernt. Ein signifikanter Unterschied dieser Merkmale beim Vergleich mit der Bebauung der im Übrigen durch die A* …straße erschlossenen Grundstücken ist, insbesondere im Hinblick auf die Höhenentwicklung der Baukörper und die stets offene Bauweise, nicht ersichtlich. Das durch die A* …- und T* …straße erschlossene Baugebiet wirkt vielmehr auf den unbefangenen Betrachter auch im Bereich der T* …straße trotz der sich dort zeigenden neueren Tendenz einer Bebauung der relativ gleich groß bleibenden Grundstücksparzellen mit Doppelhäusern statt mit Einfamilienhäusern immer noch homogen.
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Im Übrigen sei lediglich noch angemerkt, dass die Beklagte selbst im vorangegangenen Verwaltungsverfahren die Frage einer sog. „Bebauungsmassierung“ als nicht eindeutig dargestellt hat. So wird in der Beschlussvorlage der Gemeinderatssitzung vom 28. Februar 2023 ausgeführt, die T* …straße könne deshalb „eventuell“ als eigene Erschließungsanlage angesehen werden, die Beurteilung sei jedoch „nicht eindeutig“. Auch bereits in der Beschlussvorlage des Gemeinderats der Beklagten vom 23. Juli 2019 bezüglich der Herstellung (auch) der T* …straße wurde nach Abstimmung mit der zuständigen Kommunalaufsicht dargelegt, dass hinsichtlich der Annahme einer sog. „Bebauungsmassierung“ beitragsrechtliche Risiken verblieben.
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b) Die T* …straße konnte auch nicht wirksam im Weg der Abschnittsbildung einer erst späteren Beitragsabrechnung vorbehalten bleiben.
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(1) Die Bildung von Abschnitten einer Erschließungsanlage ist an mehrere – geschriebene und ungeschriebene – Voraussetzungen gebunden, um die Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit der Beitragserhebung zu wahren (Schmitz, a.a.O., § 10 Rn. 15 ff.). U.a. kommt eine Abschnittsbildung nur für solche Teilstücke in Betracht, die eine gewisse eigenständige Bedeutung haben und von ihrem Umfang her – gleichsam stellvertretend – „Straße“ sein können. Damit soll eine der Grundkonzeption des Erschließungsbeitragsrechts wesensfremde Zersplitterung („Atomisierung“) der Erschließungsanlage vermieden werden (Schmitz, a.a.O., § 10 Rn. 16; Matloch/Wiens, a.a.O., Rn. 710a).
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Die Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs orientiert sich für diese Voraussetzung zuletzt an der bereits o.g. „100-m-Regel“ für die Abgrenzung von unselbständigen zu selbständigen Stichstraßen. Zwar wurde in einer – vom Bevollmächtigten der Beklagten zitierten – Entscheidung eine Abschnittsbildung für eine 70 m lange Stichstraße im Beschwerdeverfahren noch für möglich gehalten, aber im Hauptsacheverfahren hinsichtlich ihrer Voraussetzungen als zu überprüfen bezeichnet (BayVGH, B.v. 18.11.1991 – 6 CS 91.2308 – juris Rn. 3 f.). In einer aktuelleren Entscheidung (BayVGH, B.v. 9.7.2013 – 6 ZB 12.1781 – juris Rn. 8) wird dann jedoch eine Orientierung an der Rechtsprechung zur Bestimmung der (Un-)Selbständigkeit von Stichstraßen als „naheliegend“ bezeichnet (und bei einem 56 m langen Teilstück einer 200 m langen Sackgasse die Abschnittsbildung verneint). In einer Entscheidung aus dem Jahr 2017 bestätigt der Bayer. Verwaltungsgerichtshof die Anwendung dieser Orientierungshilfe (U.v. 13.4.2017 – 6 B 14.2720 – juris Rn. 32; vgl. im Übrigen auch BayVGH, U.v. 19.10.2017 – 6 B 17.192 – juris Rn. 19, in dem für einen 110 m langen Weg die Möglichkeit der Abschnittsbildung wegen verbleibender Abschnitte ohne eigenständige Bedeutung verneint wird). Auch in der Literatur wird angenommen, dass Teilstrecken von einer Länge unter 100 Meter im Regelfall nicht zur Abschnittsbildung geeignet sein dürften (Schmitz, a.a.O., § 10 Rn. 16, Fn. 27).
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Gemessen hieran fehlt der T* …straße die erforderliche eigenständige Bedeutung für eine Abschnittsbildung. Dies folgt nicht nur aus ihrer unter der Orientierungshilfe der „100-m-Regel“ bleibenden Länge (von ca. 72 m auf gemeindlichen Flächen, ca. 82 m bei Einbeziehung privater, ggf. tatsächlich-öffentlicher Verkehrsflächen). Auch wurde bereits oben (1. a)) im Einzelnen dargelegt, dass und warum gemessen an den weiteren tatsächlichen Verhältnissen (Abhängigkeit von der Hauptstraße, Zahl der erschlossenen Grundstücke, Art und Maß der baulichen Nutzung entlang der T* …straße, etc.) nicht von einer Selbständigkeit der T* …straße auszugehen ist, insbesondere, dass dort keine sog. „Bebauungsmassierung“ vorliegt, welche die eigenständige Abrechnung der T* …straße im Wege der Abschnittsbildung trotz ihrer geringen Länge ggf. rechtfertigen könnte. Entscheidend kommt für die Kammer aber noch hinzu: Die T* …straße bleibt nicht nur absolut gesehen unter der „100-m-Regel“, sondern auch die relative Betrachtung im Vergleich zur abgerechneten Erschließungsanlage A* …straße (einschließlich südlicher Stichstraße) belegt die wesensfremde Zersplitterung der Erschließungsanlage durch die Abschnittsbildung. Denn der abgerechnete Abschnitt (A* …straße einschließlich südlicher Stichstraße) hat eine Länge von ca. 650 Meter, die T* …straße hat mithin nur eine Länge von 10% der Länge beider Abschnitte.
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Aus diesen Ausführungen ergibt sich auch, dass es keiner Auseinandersetzung im Einzelnen mit dem weiteren Argument der Beklagtenseite bedarf, dass bei Anwendung der „100-m-Regel“ bei der Abschnittsbildung eine unselbständige Stichstraße bei entsprechender Vorfinanzierungsnotwendigkeit nie abschnittsweise verselbständigt werden könnte. Stellt schon die „100-m-Regel“ bei Stichstraßen nur eine nicht gleichsam „mathematisch“ anzuwendende Orientierungshilfe dar, gilt dies ebenso für deren Übertragung auf die Frage der notwendigen eigenständigen Bedeutung von Stichstraßen bei einer Abschnittsbildung.
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(2) Auf die weiteren Voraussetzungen einer wirksamen Abschnittsbildung kommt es mithin nicht mehr an. Hingewiesen sei aber noch auf Folgendes:
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Der erforderliche sog. „prognostische Kostenvergleich“ bezüglich der berücksichtigungsfähigen Kosten je Quadratmeter Straßenfläche hinsichtlich der Abschnitte (vgl. hierzu: BayVGH, B.v. 23.2.2015 – 6 B 14.2435 – juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 10.9.2009 – 6 CS 09.1435 – juris Rn. 16 f.) liegt zwar dem Gericht noch nicht vor, wurde aber nach Angabe der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgenommen und dürfte gemessen an den örtlichen Verhältnissen auch rechtmäßig erfüllbar gewesen sein.
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Dass es einer Abschnittsbildung möglicherweise gar nicht bedurfte, weil die Beklagte überhaupt keine Absicht (mehr) zur Fortführung der Herstellung in der T* …straße hat und die Herstellung wegen der Problematik des Grunderwerbs bezüglich der wohl wirksam gewidmeten, aber nicht im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstücke in der nördlichen Hälfte der Straße falls jemals, erst nach unabsehbar langer Zeit erfolgen kann (vgl. hierzu: BVerwG, U.v. 7.3.2017 – 9 C 20/15 – juris Rn. 14 am Ende), wurde von der Beklagten im gerichtlichen Verfahren bislang nicht geltend gemacht und entspräche auch nicht der Beschlusslage der Beklagten (vgl. Beschluss i.S.v. § 125 Abs. 2 BauGB vom 22.9.2020).
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2. Für die A* …straße (einschließlich südlicher Stichstraße) und die unselbständige T* …straße kann unabhängig von den (oben 1.) vorangegangenen Ausführungen nach Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG auch deshalb kein Erschließungsbeitrag mehr erhoben werden, weil seit dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung dieser Erschließungsanlage mindestens 25 Jahre vergangen sind. Diese Vorschrift ist zeitlich anwendbar (nachfolgend a)) und tatbestandlich erfüllt (nachfolgend b)). Es liegt auch kein Fall des Art. 5a Abs. 7 Satz 3 KAG vor (nachfolgend c)). Dem Ausschluss der Beitragserhebung steht auch nicht entgegen, dass sich der Herstellungsbeginn im Jahr 1996 nur auf die südliche Stichstraße bezog (nachfolgend d)).
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a) Der am 1. April 2021 in Kraft getretene (vgl. § 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 8.3.2016, GVBl S. 36) Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG ist zeitlich anwendbar.
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Denn nach dem eigenen Vortrag der Beklagten, wonach die sachlichen Beitragspflichten mangels endgültiger technischer Herstellung der – unselbständigen Stichstraße, vgl. hierzu oben 1. a) – T* …straße für die gesamte Erschließungsanlage noch nicht entstanden sind, konnten Beitragspflichten erst mit der Entscheidung über die Abschnittsbildung (deren Wirksamkeit insoweit entgegen oben 1. b) unterstellt) entstehen. Diese erfolgte am 28. Februar 2023, mithin nach Inkrafttreten der Norm.
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b) Auch ein Herstellungsbeginn i.S.v. Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG liegt durch die 1996 in der südlichen Stichstraße durchgeführten Straßenbauarbeiten vor. Nach dieser Vorschrift kann kein Erschließungsbeitrag (mehr) erhoben werden, sofern seit dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung einer Erschließungsanlage mindestens 25 Jahre vergangen sind.
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(1) Im Zeitpunkt der vorliegenden gerichtlichen Entscheidung ist in Rechtsprechung und Literatur noch nicht vollständig geklärt, ob und ggf. inwieweit Maßnahmen zum Beginn der technischen Herstellung dazu geeignet oder ggf. sogar dazu bestimmt sein müssen, zielgerichtet zur erstmaligen Herstellung einer Erschließungsanlage beizutragen. Insbesondere wird wegen der Bezugnahme des Gesetzeswortlauts auf die erschließungsbeitragsrechtlich geprägten Begriffe der „Herstellung einer Erschließungsanlage“ in der Literatur (Matloch/Wiens, a.a.O., Rn. 1101, vgl. auch: BayStMIBV, IMS v. 12.7.2016 – IB4-1521-1-25, 4. b) bb) (3)) gerade auch in Abgrenzung zu reinen Provisorien wie den in den 1950er und 1960er Jahren typischen sog. „Staubfreimachungen“ von Straßen vertreten, dass die betreffende Maßnahme objektiv auf die erstmalige und endgültige Herstellung gerichtet sein und bei Fortführung der Baumaßnahmen zur endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage mit den für sie gemäß Bauprogramm vorgesehenen Teileinrichtungen führen müsse.
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Vorliegend kann diese Frage offenbleiben:
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Die Beklagte hat, vollständig dokumentiert in den vorliegenden Unterlagen, ab 1995 zweifelsfrei mit einem auf die konkrete Anlage bezogenen Bauprogramm die satzungs- und programmgemäße erstmalige Herstellung der südlichen Stichstraße geplant und durchgeführt. Zu erwähnen sind insoweit zunächst der am 30. Oktober 1995 gefasste Beschluss des Haupt- und Bauausschusses der Beklagten. Gemäß der Beschlussvorlage wurde die Notwendigkeit von Straßenbaumaßnahmen an der Stichstraße erörtert und sodann beschlossen, „den Vollausbau nach den Merkmalen der Erschließungsbeitragssatzung“ zu genehmigen. Nach entsprechender Ausschreibung wurde am 1. Juli 1996 ein weiterer Beschluss für die Vergabe der Bauarbeiten getroffen. Die vorliegenden Unterlagen über die nachfolgende Bauausführung (u.a. Ausbauskizze Regelquerschnitt vom 8.11.1995, Schlussrechnung der Firma … Tief- und Straßenbau GmbH vom 14.1.1997 mit beigefügten Abrechnungsplänen und Abnahmeniederschrift vom 10.12.1996) belegen die satzungs- und programmgemäße Herstellung aller erforderlichen Teileinrichtungen der Stichstraße. Im Übrigen erstellte die Beklagte selbst offensichtlich bereits 1995 eine Beitragsschätzung über die erwartete erschließungsbeitragsrechtliche Heranziehung der Anliegergrundstücke (vgl. die noch vorliegende „Anlage 2 zur Beitragsschätzung vom 16.11.1995“).
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(2) Die südliche Stichstraße hatte 1996 auch bereits Anbau- bzw. Erschließungsfunktion, was entscheidend ist, weil die Ausschlussfrist des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG wegen der Bezugnahme auf den Begriff der „Erschließungsanlage“ nicht zu laufen beginnen kann, solange eine Straße keine Erschließungsfunktion aufweist (vgl. hierzu: VG München, U.v. 1.9.2021 – M 28 K 21.1559 – juris Rn. 35 m.w.N.).
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Bereits Flurkarten mit dem Kartenstand vom Februar 1990 in den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen belegen ausreichend jedenfalls für die südlich an die Stichstraße angrenzenden Grundstücke eine (tatsächlich bebaute) Innenbereichslage i.S.v. § 34 BauGB. Dies wurde von der Beklagten auch nicht in Frage gestellt.
41
(3) Dieser Herstellungsbeginn im Jahr 1996 erfolgte auch mindestens 25 Jahre vor dem Zeitpunkt der – aus Sicht der Beklagten – Entstehung der Beitragspflichten durch die Entscheidung zur Abschnittsbildung am 28. Februar 2023.
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Hieran würde sich selbst dann nichts ändern, wenn man als frühestmöglichen Zeitpunkt auf das Inkrafttreten von Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG und damit auf einen Herstellungsbeginn vor dem 31. März 1996 abstellen würde. Denn vor diesem Zeitpunkt wurde in Umsetzung des Bauprogramms für die südliche Stichstraße bereits die Straßenbeleuchtung errichtet (vgl. Rechnung der …- … AG vom 18.1.1996).
43
c) Es liegt auch kein Fall des Art. 5a Abs. 7 Satz 3 KAG dahingehend vor, dass sich die Ausschlussfrist nur auf die südliche Stichstraße beziehen würde, für die A* …straße aber noch Erschließungsbeiträge erhoben werden könnten.
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Nach dem (ebenfalls am 1.4.2021 in Kraft getretenen) Art. 5a Abs. 7 Satz 3 KAG gilt die Ausschlussfrist des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG nur für eine Teilstrecke, wenn sich der Beginn der technischen Herstellung nur auf eine Teilstrecke der Erschließungsanlage bezieht.
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Die Kammer verkennt nicht, dass der vorliegende Sachverhalt gemessen am Wortlaut unter diese Vorschrift gefasst werden könnte, denn die südliche Stichstraße könnte als Teilstrecke der Erschließungsanlage aus A* …straße und südlicher Stichstraße betrachtet werden. Allerdings wollte der Gesetzgeber dieser – nachträglich an Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG angefügten – Vorschrift ausweislich der insoweit eindeutig gefassten Gesetzesbegründung ausdrücklich nur einen sehr eingeschränkten und vorliegend nicht erfüllten Anwendungsbereich beimessen. Insoweit heißt es:
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„Die Gesetzesänderung ist notwendig, da sich herausgestellt hat, dass die am 1. April 2021 in Kraft tretende Regelung des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG im Ergebnis dazu führen kann, dass Beiträge auch für erst kürzlich hergestellte Erschließungsanlagen nicht mehr erhoben werden können, wenn vor mehr als 25 Jahren auf einer (ganz untergeordneten) Teilstrecke, z. B. in einem Einmündungsbereich, mit der technischen Herstellung begonnen wurde. Ein berechtigtes Vertrauen der Bürger konnte sich in diesen Fällen nicht bilden, da in den zu regelnden Fällen gerade keine lange zurückliegenden, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossenen Vorgänge gegeben sind, die den Anknüpfungspunkt für neue Lasten bilden würden.“ (LT-Drs. 18/10200, Seite 10).
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Auch in der Literatur wird u.a. aus dem Wortlaut der Vorschrift gefolgert, dass diese den Anwendungsbereich von Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG nicht auf Teilstrecken von Straßen beschränkten wollte, denen, z.B. im Weg der Abschnittsbildung, eine erschließungsbeitragsrechtlich eigenständige Bedeutung zukommen könnte. Erfasst werde nur ein „völlig unbedeutender Teilausbau“, der keinen Vertrauensschutz auslösen konnte, in der gemeindlichen Praxis etwa der Anschlussausbau bei einer Einmündung in eine andere Straße, der die Beitragserhebung bei der späteren Fortsetzung der Herstellung der einmündenden Straße nicht hindern soll (Matloch/Wiens, a.a.O., Rn. 1101a).
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Vorliegend kann bei der Herstellung der (gesamten) südlichen Stichstraße auf einer Länge von ca. 84 Meter zuzüglich ihres Wendehammers keine „ganz untergeordnete“ Teilstrecke im Sinne dieser Absicht des Gesetzgebers angenommen werden, weshalb Art. 5a Abs. 7 Satz 3 KAG nicht eingreift.
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Es kommt damit nicht mehr auf den vorliegend noch hinzutretenden Umstand an, dass die südliche Stichstraße auch nicht etwa den Beginn einer erst später zu errichtenden Erschließungsanlage darstellte, sondern die (letzte) Ergänzung einer, wenngleich im erschließungsbeitragsrechtlichen Sinne technisch nicht endgültig hergestellten, aber in ihrer räumlichen Erstreckung bereits vollständig bestehenden, straßenrechtlich gewidmeten und verkehrlich tatsächlich genutzten Ortsstraße. Auch dies könnte der Anwendung des Art. 5a Abs. 7 Satz 3 KAG zusätzlich entgegengehalten werden.
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d) Dem Ausschluss der Beitragserhebung steht letztlich auch nicht entgegen, dass sich der dargelegte Herstellungsbeginn im Jahr 1996 nur auf die südliche Stichstraße bezog.
51
Nach Auffassung der Kammer setzt die Ausschlussfrist des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG nicht voraus, dass bei Beginn der erstmaligen technischen Herstellung vor mindestens 25 Jahren bereits ein Bauprogramm bestand und tatsächlich begonnen wurde umzusetzen, das sich auf die Erschließungsanlage in ihrer gesamten vorgesehenen Ausdehnung bezog; es genügt vielmehr für den Herstellungsbeginn i.S.v. Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG, wenn ein satzungsgemäßes, auf die endgültige technische Herstellung aller erforderlichen Teileinrichtungen gerichtetes Bauprogramm für eine – nicht nur ganz untergeordnete i.S.v. Art. 5a Abs. 7 Satz 3 KAG, s.o. – Teilstrecke der Erschließungsanlage bestand und mit der so geplanten technischen Herstellung der Teileinrichtungen auch („sichtbar“) tatsächlich begonnen wurde.
52
Für die von der Beklagten vertretene gegenteilige Auffassung, die gemeindliche Planung müsse auf die Herstellung der gesamten Erschließungsanlage gerichtet sein, vermag die Kammer im Wortlaut des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG wegen der Begrenzung des Begriffs der Herstellung auf deren Beginn keinen zwingenden Anhaltspunkt zu erkennen.
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Entscheidend kommt aus Sicht der Kammer hinzu, dass es bei der Rechtsauffassung der Beklagten der nachträglichen Einfügung des Art. 5a Abs. 7 Satz 3 KAG nicht bedurft hätte. Der Gesetzgeber wollte mit Art. 5a Abs. 7 Satz 3 KAG – wie dargelegt – in Fällen des Herstellungsbeginns einer ganz untergeordneten Teilstrecke einer Erschließungsanlage die Ausschlusswirkung des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG auf diese Teilstrecke begrenzen. Er geht damit ersichtlich davon aus, dass in Fällen des Herstellungsbeginns bei einer nicht mehr ganz untergeordneten Teilstrecke die Ausschlusswirkung des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG sich auf die gesamte Erschließungsanlage bezieht; anderenfalls hätte es der Ergänzung durch Satz 3 nicht bedurft.
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Zwar findet die Rechtsauffassung der Beklagten in der Literatur einen Anhalt, wenn für den vergleichbaren § 3 Abs. 4 BauGB-AG NRW gefordert wird, dass der Beginn der erstmaligen technischen Herstellung der „etwa durch den ‚ersten Spatenstich‘ zum Ausdruck kommende Beginn einer erstmaligen Herstellung z.B. einer Anbaustraße […] in ihrer gesamten Länge sein“ müsse (Driehaus, KStZ 2022, 101/105). Zur Begründung dieser Auffassung wird sodann jedoch lediglich eine nachvollziehbare Abgrenzung zur – nicht ausreichenden – Anlage eines Provisoriums oder zur – ebenfalls nicht ausreichenden – Herstellung nur einzelner aber nicht aller vorgesehenen Teileinrichtungen vorgenommen, zum hier entscheidenden Aspekt wird diese Auffassung indes nicht begründet.
55
Soweit die Beklagte im Übrigen anführt, ein Vertrauensschutz der Anlieger an der A* …straße sei nicht gerechtfertigt, wenn nur an der südlichen Stichstraße mit der Herstellung i.S.v. Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG begonnen worden sei, überzeugt auch dies die Kammer nicht:
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Insoweit ist zunächst der Gesetzeszweck des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG in Erinnerung zu rufen, wonach „im Zweifel […] möglichst viele bisher nicht von […] Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG erfasste ‚Altanlagen‘ der Anwendung des Erschließungsbeitragsrechts“ entzogen werden sollen (LT-Drs. 17/8225, Seite 16) sowie ferner zu bedenken, dass auch das zu Gunsten der Gemeinden zeitlich aufgeschobene Inkrafttreten der Norm, das gerade die Fertigstellung und Abrechnung von „Altanlagen“ während einer Übergangszeit noch ermöglichen, danach aber Rechtssicherheit sowohl für die Gemeinden wie auch die Anlieger schaffen sollte, eher gegen eine restriktive Anwendung der Norm spricht.
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Im Übrigen erscheint es jedenfalls bei einem Sachverhalt wie dem Vorliegenden gerade unter dem von der Beklagten für sich in Anspruch genommenen Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes der Straßenanlieger nicht gerechtfertigt, es der Beklagten – zugespitzt formuliert – durch die „schlichte“ Behauptung eines fehlenden Bauprogramms für die restliche Erschließungsanlage zu ermöglichen, den Anliegern der A* …straße die Anwendung des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG zu versagen. Wie bereits dargelegt, handelte es sich bei der A* …straße im Zeitpunkt des Herstellungsbeginns an der südlichen Stichstraße um eine zwar – nach heutigem Verständnis – erschließungsbeitragsrechtlich technisch noch nicht endgültig hergestellte Anlage, jedoch bestand insoweit eine in ihrer räumlichen Erstreckung im Wesentlichen vollständig ausgebildete, straßenrechtlich gewidmeten und verkehrlich tatsächlich genutzte Ortsstraße. Wann genau und mit welcher Intention die Beklagte vermutlich nach 1961 und jedenfalls vor 1990 an der A* …straße Straßenbaumaßnahmen durchführte, die zu diesem bis 2019 bestehenden Straßenbestand führten, ist dem Gericht bislang nicht im Einzelnen bekannt geworden. Nachdem das auf die Herstellung einer Erschließungsanlage bezogene Bauprogramm von den Gemeinden sogar formlos aufgestellt und auch geändert werden kann (vgl. Schmitz, a.a.O., § 5 Rn. 19 f.) und häufig gerade bei kleineren Gemeinden auch entsprechend formlos gehandhabt wird, stellt es sich für den zu einem Erschließungsbeitrag herangezogenen Anlieger in der Praxis als äußerst schwierig, wenn nicht regelmäßig unmöglich dar, nicht nur den „sichtbaren“ technischen Herstellungsbeginn zu belegen, sondern über die inmitten stehenden Zeiträume von mehreren Jahrzehnten zu erfahren, welche genauen Planungen eine Gemeinde wann verfolgte. Auch den Gemeinden selbst dürfte dies angesichts fehlender einschlägiger Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten in der Praxis häufig schwerfallen, selbst wenn sie sich um Aufklärung bemühen (vgl. im Gegensatz hierzu die Vorstellung des Gesetzgebers in LT-Drs. 17/8225, Seite 16: „Der Beginn der erstmaligen technischen Herstellung einer Erschließungsanlage ist für die Gemeinde, aber auch für die Beitragspflichtigen etwa aufgrund von Aufzeichnungen, Rechnungen oder Presseberichten auch viele Jahre später noch festzustellen“). Vor dem Hintergrund der o.g. Gesetzeszwecke, nämlich auch, Rechtssicherheit für die Gemeinden zur Frage ihrer Beitragserhebungspflicht zu schaffen, wäre in einer derartigen Situation der Gemeinde jedenfalls eine über die „schlichte“ Behauptung eines fehlenden Bauprogramms für die restliche Erschließungsanlage hinausgehende Darlegungsobliegenheit aufzuerlegen, welche die substantiierte Darlegung umfasst, dass und aus welchen – sachgerechten – Gründen keine entsprechende Planung bestand.
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3. Auf zusätzlich aufgeworfene Sach- und Rechtsfragen kommt es deshalb für die vorliegende Entscheidung nicht mehr an. Im Hinblick auf ein mögliches Rechtsmittel von Beteiligten wird auf Folgendes hingewiesen:
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a) Auch wenn von der Beklagten bislang nicht im Einzelnen dargelegt wurde, wann vor den Maßnahmen ab 2017 an der A* …straße (ohne südliche Stichstraße) und der T* …straße welche Straßenbaumaßnahmen durchgeführt wurden, welche zu dem bis 2017 bestehenden und zumindest mit einigen am 27. Juni 2017 aufgenommenen Lichtbildern (vgl. Präsentation der Beklagten in Anliegerversammlung vom 16.4.2019) dokumentierten Straßenzustand führten, dürfte die Darlegung der Beklagten zutreffen, dass die A* …straße (ohne südliche Stichstraße) und die T* …straße vor den streitgegenständlichen Baumaßnahmen jedenfalls mangels ausreichender Straßenentwässerung nicht bereits erstmals endgültig hergestellt waren.
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b) Auch für einen Ausschluss der Beitragserhebung nach Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG wegen einer im Sinne dieser Vorschrift vorhandenen Erschließungsanlage besteht kein tragfähiger Ansatzpunkt. Die Beklagte verwies zutreffend auf die insoweit fehlende Erschließungsfunktion der Anlage.
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c) Nicht zweifelsfrei stellt sich jedoch bislang die Abgrenzung der maßgeblichen Erschließungsanlage nach der – wohl einschlägigen – natürlichen Betrachtungsweise an ihrem südlichen Beginn dar. Hier wäre im Zweifel die Situation an der Einmündung bzw. Gabelung A* …straße / F* …straße näher zu untersuchen (während der Verlauf der Anlage im Bereich des …wegs wohl durch bauliche Maßnahmen und eine Containerstellfläche deutlich gemacht wird).
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d) Die von der Klagepartei beanstandete Unvollständigkeit der bislang von der Beklagten vorgelegten Aktenbestandteile dürfte jedenfalls zum Teil zutreffen. Zwar dürfte sich die von der Klagepartei geforderte Überprüfung der Rechtmäßigkeit des ursprünglich angesetzten beitragsfähigen Erschließungsaufwands auf Grund der (elektronisch) vorliegenden Dokumente ausreichend überprüfen lassen (Ordner „Tiefbau 2019-20-OK- 6. Rechnungen -OK“). Dies gilt jedoch nicht mehr für die nach Abschnittsbildung vorgelegte Nachkalkulation, bei der hinsichtlich des beitragsfähigen Aufwands wohl lediglich die Kosten der Schlussrechnung der Fa. Schulz für die T* …straße in Abzug gebracht wurden, aber ansonsten keine, ggf. anteilige, Korrektur vorgenommen wurde. Zutreffend ist auch der Hinweis des Bevollmächtigten eines Parallelverfahrens, dass sowohl für die ursprüngliche Beitragsabrechnung als auch für die Nachkalkulation nach Abschnittsbildung bislang keine ausreichenden Unterlagen vorliegen, welche eine genaue Überprüfung der Verteilungsberechnung (etwa: alle Grundstücksgrößen, jeweils angesetzte Nutzungsfaktoren, etc.) ermöglichen würden. Die von „k* …r“ erstellte grafische Darstellung (Lageplan mit Einzeichnungen) zum (ursprünglichen) Abrechnungsgebiet reicht hierfür nicht aus. Erst recht fehlt eine nachvollziehbare Darlegung zur Ermittlung des Verteilungsgebiets nach Abschnittsbildung. Nicht vollständig erscheint weiter die Vorlage der Unterlagen aus dem – nicht bautechnischen, sondern beitragsrechtlichen – Verwaltungsverfahren, wie etwa das (nur) vom Klägerbevollmächtigen eines Parallelverfahrens vorgelegte Anhörungsschreiben vom 9. März 2021 oder der von der Beklagten im Zusammenhang mit der Abschnittsbildung nach Angabe in der mündlichen Verhandlung vorgenommene, aber bislang nicht vorgelegte prognostische Kostenvergleich zeigen. Schließlich belegt die (erst) in der mündlichen Verhandlung übergebene Vergleichsberechnung hinsichtlich eines Grundstücks der Klägerin eines Parallelverfahrens, dass die Abschnittsbildung bei den einzelnen Grundstücken nicht nur zu Beitragserhöhungen, sondern auch zu Reduzierungen führen konnte, weshalb für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung in der Gestalt der Änderungsbescheide wohl auch die konkreten beitragsrechtlichen Auswirkungen nicht nur „vorbehalten“ bleiben durften, sondern von der Beklagten konkret benannt werden müssten.
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e) Hinzuweisen ist ferner darauf, dass nach bisherigem Kenntnisstand der Kammer im Zuge der ab 2017 durchgeführten Straßenbaumaßnahme auch die südliche Stichstraße (erneut) vollständig hergestellt wurde (vgl. etwa in den Aktenbestandteilen den Plan: Ausführungsplanung / Erstmalige Herstellung A* …straße / Lageplan 4/4 Straßenbau). Es erscheint deshalb sehr zweifelhaft, dass die Beklagte zusätzlich auch denjenigen Aufwand in Höhe von rund 30.000 € als beitragsfähig erachtet hat, der bei den Baumaßnahmen an der südlichen Stichstraße bereits in den 1990er Jahren angefallen ist, da auch vom unterstellten Standpunkt der Beklagten aus die Voraussetzungen für die – ausnahmsweise – Abrechnung provisorischer Baumaßnahmen insoweit wohl kaum gegeben sein dürften.
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Der Klage war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen entsprach nicht der Billigkeit, da diese sich mangels eigenen Sachantrags keinem Kostenrisiko aussetzte (§ 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
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Die Berufung war gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil bezüglich der Anwendung der am 1. April 2021 in Kraft getretenen Bestimmung des Art. 5a Abs. 7 Sätze 2 und 3 KAG in der vorliegenden und in der Praxis häufig auftretenden Fallkonstellation von Stichstraßen Klärungsbedürftigkeit besteht und auch eine weitere Klärung der Frage der wirksamen Abschnittsbildung bei unselbständigen Stichstraßen der Rechtseinheit und ggf. -fortbildung dienen kann.