Inhalt

OLG München, Beschluss v. 11.09.2023 – 25 U 3076/22
Titel:

Stufenklage und Auskunft betreffend Prämienanpassungen

Normenketten:
VVG § 203 Abs. 2
ZPO § 148, § 254
DSG-VO Art. 15 Abs. 1
Leitsätze:
1. Eine Stufenklage ist unzulässig, wenn die auf der ersten Stufe begehrte Auskunft nicht dem Zwecke einer Bestimmbarkeit des Leistungsanspruchs dienen, sondern dem Kläger sonstige mit der Bestimmbarkeit als solcher nicht im Zusammenhang stehende Information über seine Rechtsverfolgung verschaffen soll (Anschluss an BGH BeckRS 2016, 9347 Rn. 15 mwN; s. auch zu Prämienanpassungsverfahren BGH BeckRS 2023, 26057 Rn. 24 mwN). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Aussetzung des Verfahrens analog § 148 ZPO im Hinblick auf das Vorabentscheidungsersuchen des BGH vom 29.3.2022 (GRUR-RS 2022, 9584) zur Reichweite des datenschutzrechtlichen Informationsanspruchs nach Art. 15 Abs. 1 DS-GVO (vgl. insoweit auch BGH BeckRS 2023, 26057 Rn. 45 ff. sowie die zum Vorabentscheidungsersuchen ergangene Entscheidung EuGH BeckRS 2023, 29132). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Krankenversicherung, Beitragsanpassung, Prämienanpassung, Stufenklage, Auskunftsanspruch, Aussetzung, Vorabentscheidungsersuchen
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 27.04.2022 – 23 O 11731/21
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 30.10.2023 – 25 U 3076/22
OLG München, Beschluss vom 19.12.2023 – 25 U 3076/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 41223

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 27.04.2022, Aktenzeichen 23 O 11731/21, wird hinsichtlich der Berufungsanträge 2, 3, 4 und 5 zurückgewiesen.
2. Die Verhandlung wird hinsichtlich des Berufungsantrags 1 im Hinblick auf das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs vom 29.03.2022 (VI ZR 1352/20) analog § 148 ZPO bis zur Erledigung der vorgenannten Vorabentscheidungsersuchen (EuGH, C-307/22) ausgesetzt.
3. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I.
1
Die Klagepartei wendet sich gegen Beitragsanpassungen in ihrer privaten Krankenversicherung. Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens im Berufungsverfahren wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
2
Der Kläger stellt den Antrag aus der Berufungsbegründung vom 27.07.2022 (Bl. 158/179 d.A.).
3
Die Beklagte stellt den Antrag aus dem Schriftsatz vom 08.07.2023 (Bl. 155 d.A.).
II.
4
Die Berufung der Klagepartei ist hinsichtlich der Berufungsanträge 2, 3, 4 und 5 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel insoweit offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 09.08.2023 (Bl. 181/183 d.A.) Bezug genommen.
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Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung vom 23.08.2023 (Bl. 185/191 d.A.) geben zu einer Änderung keinen Anlass; die Gegenerklärung nimmt lediglich zu 1.1. des Hinweisbeschlusses Stellung, so dass auch nur insoweit weitere Ausführungen des Senats veranlasst sind.
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1. Die Gegenerklärung wendet sich gegen die Auffassung des Senats, die Voraussetzungen für eine Stufenklage lägen nicht vor. Die Gegenerklärung beschränkt sich darauf Verfügungen aus anderen Gerichtsverfahren (OLG Koblenz, OLG Rostock, OLG Saarbrücken) und Urteile des OLG Schleswig und des OLG Karlsruhe auszugsweise zu zitieren.
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Der Senat bleibt bei seiner Auffassung und der im Hinweisbeschluss dargestellten Begründung.
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Die Auskunft ist lediglich ein Hilfsmittel, um die (noch) fehlende Bestimmbarkeit des Leistungsanspruchs herbeizuführen (BGH, Versäumnisurteil vom 6. April 2016 – VIII ZR 143/15 –, BGHZ 209, 358-373, Rn. 15). Die der Stufenklage eigene Verknüpfung von unbestimmtem Leistungsanspruch und vorbereitendem Auskunftsanspruch steht nicht zur Verfügung, wenn die Auskunft nicht dem Zwecke einer Bestimmbarkeit des Leistungsanspruchs dienen, sondern dem Kläger sonstige mit der Bestimmbarkeit als solcher nicht im Zusammenhang stehende Information über seine Rechtsverfolgung verschaffen soll (BGH, Versäumnisurteil vom 6. April 2016 – VIII ZR 143/15 –, BGHZ 209, 358-373, Rn. 15). Das ist hier der Fall:
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Die Klagepartei versucht durch die Auskunft erst zu ermitteln, ob ihr überhaupt ein Anspruch zusteht und welche Anpassungen sie angreifen kann.
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Das zeigt die Antragstellung deutlich:
12
Die Klagepartei will festgestellt haben, dass nach der Auskunft noch genauer zu bezeichnende Neufestsetzungen unwirksam sind (Berufungsantrag 2). Die Klagepartei will durch die Auskunft also erst erfahren, welche Neufestsetzungen sie bezeichnen kann, die sie dann mit ihrer Feststellungsklage angreifen kann.
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Die Klagepartei hat ihren Klageantrag auch auf den Hinweis des Senats hin nicht geändert, obwohl sie vorgibt zu wissen, wann in welchen Tarifen Anpassungen erfolgt sein sollen (Seite 8 bis 11 der Berufungsbegründung). Der Senat hatte darauf hingewiesen, dass eine zulässige Stufenklage wegen des Bestimmtheitserfordernisses gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO voraussetzen würde, dass neben den zu benennenden Anpassungszeitpunkten auch die einzelnen jeweils nach § 203 Abs. 2 VVG angepassten Tarife bezogen auf die konkreten Zeitpunkte und die versicherte Person angegeben sind – in einem solchen Fall kann die Höhe der Anpassung (zunächst) offenbleiben.
14
Soweit die Klagepartei Auffassungen anderer Oberlandesgerichte zitiert, ist schon nicht dargestellt, welche Anträge dort gestellt waren. Wie dargestellt hält auch der Senat eine Stufenklage für zulässig, wenn im Antrag die Anpassungszeitpunkte und die einzelnen jeweils nach § 203 Abs. 2 VVG angepassten Tarife bezogen auf die konkreten Zeitpunkte angegeben sind und lediglich die konkrete Höhe der jeweiligen Anpassung nicht feststeht. Daran fehlt es aber hier.
15
Im Übrigen folgt der Senat – wie dargestellt – der Auffassung des Bundesgerichtshofs.
III.
16
Die Verhandlung war hinsichtlich des Berufungsantrags 1 im Hinblick auf das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs vom 29.03.2022 (VI ZR 1352/20) analog § 148 ZPO bis zur Erledigung der vorgenannten Vorabentscheidungsersuchen (EuGH, C-307/22) auszusetzen (§ 148 ZPO analog; vgl. Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 43. Aufl., § 148, Rn. 1 lit f). Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens ist insbesondere die auch hinsichtlich des streitgegenständlichen Informationsanspruchs relevante Frage, welche Reichweite der datenschutzrechtliche Informationsanspruch nach Art. 15 Abs. 1 DS-GVO hat.
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Beide Parteien haben sich mit der Aussetzung einverstanden erklärt.