Titel:
Bewertung von Reiskleieextrakt als Lebensmittelzusatzstoff
Normenketten:
VO (EU) 2017/625 Art. 138 Abs. 1
VO (EG) 1333/2008 Art. 3 Abs. 2, Art. 4, Art. 5
Leitsätze:
1. Für die Beurteilung, ob es sich um einen Lebensmittelzusatzstoff im Sinne der VO (EG) 1333/2008 handelt, kommt es nicht darauf an, ob dieser mit oder ohne Nährwert ausgestattet ist. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Verwendung einer Zutat als Hilfs- und Trägerstoff-Vormischung zur Vereinfachung und Stabilisierung der Produktionsprozesse und zum Austausch von chemischen Stoffen, die vom Verbraucher kritisch gesehen werden ("Clean Label"), belegt zum einen den technologischen Zweck der Verwendung, zum anderen, dass diese weder selbst verzehrt noch als charakteristische Lebensmittelzutat verwendet wird. (Rn. 30 – 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verbot des Inverkehrbringens, Lebensmittelzusatzstoff, Reiskleieextrakt, Nahrungsergänzungsmittel, technologische Gründe, Emulgator, Trennmittel, charakteristische Lebensmittelzutat, Rieselhilfe
Fundstelle:
BeckRS 2023, 41200
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen eine lebensmittelrechtliche Anordnung, mit der ihr untersagt wird, Lebensmittel mit dem Zusatzstoff „X“ in den Verkehr zu bringen.
2
Die Klägerin stellt Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel her. Bei der Produktion setzt sie unter anderem die Zutat „X“ ein, die von der A GmbH als Hilfs- und Trägerstoff für Mischungen hergestellt und an die Klägerin geliefert wurde. Zur Herstellung der Zutat „X“ wird der Stoff „Y“ (Reisextrakt) verwendet, der von der Firma B GmbH in Deutschland vertrieben und von der Fa. C Inc., ..., US, hergestellt wird.
3
Am 4. April 2022 erhielt die Kontrollbehörde für ... (...) die Information, dass unter anderem das Produkt „Y“ des Herstellers C Inc. in die EU eingeführt und dort vertrieben wurde. Es handele sich um ein Reiskleieextrakt, das von der EU-Kommission als ein nicht zugelassener Zusatzstoff eingestuft werde.
4
Am 29. Juli 2022 erstellte das Bayerische Landesamt für ... bei der Klägerin ein lebensmittelrechtliches Gutachten zu einer am 30. März 2022 genommenen Probe des von der Klägerin hergestellten und als Nahrungsergänzungsmittels bezeichneten Produkts „Z“. Es wird festgestellt, dass das Produkt aufgrund der Aufmachung als ein Nahrungsergänzungsmittel i.S.v. § 1 Abs. 1 Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NemV) und somit als Lebensmittel im Sinn des Art. 2 VO (EG) Nr. 178/2002 in den Verkehr gebracht werde. Die Probe wurde zur Ermittlung der Zusammensetzung (Zutaten) untersucht. Neben Beanstandungen im Zusammenhang mit der Kennzeichnung wurde im Hinblick auf das in der Zutatenliste aufgeführte „Reisextrakt“ ausgeführt, dass die Bezeichnung nicht erkennen lasse, um welche Art von Zutat es sich tatsächlich handele. Es werde angenommen, dass es sich um Siliciumverbindungen aus der Asche von Reishülsen handeln könnte. Hierbei würde es sich um einen Stoff ohne Nährwert handeln, der weder selbst als Lebensmittel verzehrt werde noch eine charakteristische Lebensmittelzutat sei. Reisschalenkonzentrat, Siliciumverbindungen aus Reisschalen oder ähnliches seien nicht in den Gemeinschaftslisten gemäß Art. 4 Abs. 1 im Anhang II Teil E der VO (EG) 1333/2008 und Art. 4 Abs. 2 im Anhang III der VO (EG) 1333/2008 aufgeführt und damit nicht als Zusatzstoff zugelassen. Zur Klärung seien weitere Angaben notwendig.
5
Mit Schreiben vom 31. August 2022 trug die Klägerin vor, dass im Produkt „Z“ der Rohstoff „X“ eingesetzt werde, der von der A GmbH bezogen werde. Das Produkt enthalte unter anderem den Stoff „Y“. Es handele sich bei der Zutat um einen Extrakt aus Reiskleie (Reiskleieextrakt), das mit einer Wasserextraktion hergestellt werde und bei der keinerlei Anreichung von Siliziumverbindungen erfolge. Reiskleie sei ein Stoff mit Nährwert, der als Lebensmittel bekannt sei und als solches verwendet werde.
6
Mit E-Mail vom 20. September 2022 wurde die Bayerische Kontrollbehörde für ... durch die Schnellwarnkontaktstelle des Bayerischen Landesamts für ... über eine Meldung des Europäischen Schnellwarnsystems für ... (...) informiert, dass die Fa. D, ..., Belgien, die Rücknahme der Produkte „Y1“, „Y“ und „Y2“ des Herstellers Fa. ... Inc., ..., USA, eingeleitet habe, da die Produkte als nicht zugelassene Zusatzstoffe eingestuft würden. Diese Einstufung entspreche nach Mitteilung des zuständigen Fachlabors der allgemeinen Sachverständigenauffassung der deutschen Lebensmittelüberwachung. Die genannten Stoffe seien in den Gemeinschaftslisten für Zusatzstoffe nicht gelistet und gälten damit derzeit als nicht zugelassene Zusatzstoffe, die nicht in den Verkehr gebracht werden dürften. Ein Zulassungsantrag sei bei der EU-Kommission gestellt worden.
7
Mit E-Mail vom 29. September 2022 wurde die Klägerin über den Sachverhalt informiert und um Beantwortung produktbezogener Fragen gebeten.
8
Mit E-Mail vom 4. Oktober 2022 teilte die Klägerin der Kontrollbehörde mit, dass die Firma A GmbH im Juni 2022 mitgeteilt habe, dass die Herstellung des Produkts „X“ pausiert würde, bis die rechtliche Lage hinsichtlich des Bestandteils „Reisextrakte“ geklärt sei. Sie sei mit Schreiben vom 20. Juni 2022 über den Verkaufsstopp der Produkte informiert worden. Die A GmbH habe die Rücknahme der Rohstoffbestände angeboten. Der Bestand aus dem Lager sei am 23. Juni 2022 gesperrt und für die Abholung durch die A GmbH vorbereitet worden. Die betroffenen Rezepturen der Fertigprodukte seien umgestellt worden. Bestände des Produkts „X“ seien nicht mehr vorhanden. Eine Liste der Fertigprodukte mit „X“ und der Restbestände der betroffenen Fertigprodukte wurde übersandt.
9
Mit Schreiben vom 7. Oktober 2022 wurde die Klägerin zur Absicht, eine Anordnung zur Untersagung des Inverkehrbringens des Produktbestandteils „X“ angehört. Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, dass es sich bei dem vorliegenden Reisextrakt um einen Stoff handelt, der selbst als Lebensmittel anzusehen sei und somit nicht als Zusatzstoff qualifiziert werden könne, der ein Vertriebsverbot auf der Grundlage der VO (EG) 1333/2008 begründen könnte.
10
Mit Bescheid vom 24. November 2022 wurde der Klägerin untersagt, Lebensmittel, die das Produkt „X“ enthalten, in den Verkehr zu bringen (Ziffer I.). Für den Fall, dass die Klägerin der Untersagung aus Ziffer I. ab Bestandskraft des Bescheides nicht oder nicht vollständig nachkommt, wird für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 EUR zur Zahlung fällig (Ziffer II.). Zur Begründung wird ausgeführt, Rechtsgrundlage sei Art. 138 Abs. 1 und 2 VO (EU) 2017/625 bzw. § 39 Abs. 4 LFGB, wonach die zuständige Behörde die notwendigen Anordnungen und Maßnahmen, die zur Verhütung künftiger Verstöße sowie zum Schutz vor Gefahren für die Gesundheit oder vor Täuschung erforderlich sind, treffen könne. Das Produkt „X“ enthalte als Hauptbestandteil den nicht zugelassenen Zusatzstoff „Y“, sodass gemäß Art. 5 der VO (EG) 1333/2008 die damit gefertigten Endprodukte nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen. Für die Einstufung des Reisextrakts als Lebensmittelzusatzstoff sei nicht relevant, dass Reiskleie selbst als Lebensmittel verzehrt werde, da es sich bei dem beanstandeten Produkt um ein Extrakt aus Reiskleie handle. Für die Betrachtung, ob ein Stoff selbst als Lebensmittel verzehrt werde, sei eine generelle Betrachtungsweise anzustellen. Maßgeblich für die Einstufung als Lebensmittelzusatzstoff sei das konkrete Erzeugnis in der Form, in der es dem Lebensmittel zugesetzt werde. Demzufolge sei weder auf die Ausgangsstoffe des Extraktes abzustellen, noch komme es darauf an, ob andere Extrakte üblicherweise als Lebensmittel verzehrt werden. Nach der konkreten Zweckbestimmung sei ein Extrakt aus Reiskleie im Gegensatz zu Reiskleie selbst kein Lebensmittel des allgemeinen Verzehrs. Der Hersteller des Produkts „X“ habe die Klägerin darüber informiert, dass es sich aus der Sicht des Lieferanten des Bestandteils „Y“ und der zuständigen Behörden bei den Reisextrakt-Produkten um in der EU nicht zugelassene Zusatzstoffe handle. Bis zur weiteren rechtlichen Klärung sei die weitere Herstellung gestoppt worden. Ein solches Vorgehen wäre bei einem ohne Zulassung verkehrsfähigen Lebensmittel des allgemeinen Verzehrs nicht notwendig gewesen. Auch werde das Extrakt nicht wegen seiner ernährungsphysiologischen Wirkung infolge der enthaltenen Ballaststoffe bzw. Vitamine und Mineralstoffe eingesetzt. Nach der Bewerbung und Zweckbestimmung der Endprodukte sei nicht davon auszugehen, dass diese als Ballaststoffquelle dienen sollen. Das verwendete Extrakt besitze nicht die identischen Nährwerteigenschaften wie unverarbeitete Reiskleie. Der in Rede stehende als Reisextrakt deklarierte Stoff sei nur in den Kapselformen enthalten. Wäre der Stoff als Zutat aus ernährungsphysiologischen Gründen eingesetzt worden, wäre zu erwarten, dass er von der Klägerin auch in den weiteren Darreichungsformen enthalten wäre. Das Produkt werde insbesondere als Ersatz für zugelassene Trennmittel und nicht aus ernährungsphysiologischen Gründen eingesetzt. Es könne nach Angaben des Herstellers als alternative zu Emulgatoren oder als Trennmittel für zugelassene Zusatzstoffe (u.a. Lecithin, Magnesiumstearat und Mono- und Diglyceride) verwendet werden. Der Hersteller habe für das Produkt zwischenzeitlich bei der Kommission einen Antrag auf Zulassung als Zusatzstoff gestellt und stufe demnach das Produkt „Y“ selbst als Zusatzstoff ein. Das Produkt „X“ werde vom Hersteller als einfach zu handhabende Hilfsstoffmischung aus natürlichen Inhaltsstoffen zur Eliminierung von Magnesiumstearat und als Alternative zu Stearinsäure beworben, was den Herstellungsprozess verbessere. Hieraus werde deutlich, dass das Produkt „X“ als Ersatz für zugelassene Zusatzstoffe und eben gerade nicht als Lebensmittel eingesetzt werde. Weder das Produkt „X“ noch der darin enthaltene Stoff „Y“ stellten zugelassene Zusatzstoffe dar. Sofern Studien positive ernährungsphysiologische Effekte beim Verzehr von bestimmten Reiskleieextrakten nachgewiesen hätten, könne hieraus nicht die Einstufung als Lebensmittel gefolgert werden, da es sich nicht um das gleiche Ausgangsprodukt handeln würde. Die positiven ernährungsphysiologischen Eigenschaften seien von der Klägerin auch bei keinem der Endprodukte beworben worden. Aus der Tatsache, dass sich die Stellungnahme des ständigen Ausschusses für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel der europäischen Kommission vom 30. November 2021 ausdrücklich auf die nicht-essbaren Teile des Reiskorns beziehe, könne nicht geschlossen werden, dass Reiskleie oder Reiskleieextrakt kein Zusatzstoff sei. Diese Stellungnahme sei sowohl der EU-Kommission als auch dem Bayerischen Landesamt für ... bekannt gewesen, dennoch sei der Stoff „Y“ als nicht zugelassener Zusatzstoff eingestuft worden. Die Untersagungsverfügung sei verhältnismäßig. Nach Art. 5 VO (EG) 1333/2008 seien Lebensmittel, die nicht zugelassene Zusatzstoffe enthalten, nicht verkehrsfähig. Wirtschaftliche Erwägungen hätten keinen Eingang in der Ausgestaltung der Norm gefunden. Ob der Verzehr gesundheitlich unbedenklich sei, sei derzeit noch nicht geklärt. Bei dem vom EU-Gesetzgeber ausgesprochenen Verbot des Inverkehrbringens spiele der Gedanke der Nachhaltigkeit keine Rolle. Die Frage der gesundheitlichen Unbedenklichkeit sei im Rahmen des Zulassungsverfahrens zu klären, eine Prüfung habe diesbezüglich noch nicht stattgefunden. Die Anordnung diene dem Ziel eines hohen Verbraucherschutzes. Die absehbaren finanziellen Einbußen müssten hinter diesem Ziel zurückstehen. In die Abwägung sei auch anzustellen, dass die technologischen Zwecke, wegen derer die Produkte verwendet werden, mit zugelassenen Zusatzstoffen erreichbar sein. Die Androhung der Zwangsgelder stütze sich auf Art. 29, 30, 31 und 36 Bayerisches Verwaltungszustellung- und Vollstreckungsgesetz. Die Androhung des Zwangsgeldes sei geeignet, um den Gesundheits- und Verbraucherschutz durchzusetzen. Es sei auch das am wenigsten belastende Zwangsmittel. Die Höhe sei verhältnismäßig im Hinblick auf die Bedeutung der zu vollstreckenden Pflicht.
11
Am 16. Dezember 2022 ließ die Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg erheben und beantragen,
12
der Bescheid der Bayerischen Kontrollbehörde ... vom 24. November 2022, Az. ... wird aufgehoben.
13
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, bei der streitgegenständlichen Zutat „X“ handelt es sich um getrocknete und daher konzentrierte Reiskleie. Im Rahmen des Herstellungsprozesses werde lediglich Reiskleie aufgekocht, eingedickt und unter Zuhilfenahme eines Feinsiebs gefiltert. Es erfolge keine selektive Extraktion oder vergleichbare Verarbeitung. Dem hier eingesetzten Reisextrakt komme die Eigenschaft eines üblicherweise verzehrten Lebensmittels zu. Die streitgegenständliche Zutat enthalte auch weiterhin Ballaststoffe, Vitamine und verschiedene Mineralstoffe. Die Darreichungsform ändere nichts daran, dass es sich bei der Zutat weiterhin um Reiskleie handle, die regelmäßig als Lebensmittel verzehrt werde. Reiskleieextrakt komme auch eine wissenschaftlich nachgewiesene ernährungsphysiologische Wirkung zu. Die Rohware „Y“ werde aus essbaren Bestandteilen des Reiskorns gewonnen. Da sich bei der Zutat „X“ nicht um einen nicht zugelassenen Zusatzstoff im Sinne der ZusatzstoffVO handle, sei ein auf Art. 5 der ZusatzstoffVO gestütztes Vertriebsverbot rechtswidrig. Die Einstufung als Lebensmittelzusatzstoff ergebe sich aus Art. 3 Abs. 2 Buchstabe a) ZusatzstoffVO, dessen Voraussetzungen für die Zutat „X“ nicht gegeben seien. Nach dieser Vorschrift liege ein Lebensmittelzusatzstoff nur dann vor, wenn der Stoff nicht selbst als Lebensmittel verzehrt wird und auch nicht als charakteristische Lebensmittelzutat eingesetzt wird und dem Stoff im Enderzeugnis eine technologische Funktion zukommt. Bei der Zutat „X“ handle es sich um ein Erzeugnis, das üblicherweise selbst als Lebensmittel verzehrt wird. Reiskleie in ihrer ursprünglichen Form werde in verschiedensten Lebensmitteln eingesetzt. Aus welchen Gründen Reiskleie-Lebensmittel verwendet und verzehrt würden, sei zweitrangig. Die Zutat, die als Lebensmittel selbst verzehrt werde, müsse auch nicht zwingend eine ernährungsphysiologische Wirkung besitzen. Die Argumentation des Beklagten, der Reiskleie würden bei der Aufbereitung ein Großteil der enthaltenen Ballaststoffe entzogen, sei für die Beurteilung daher nicht von Bedeutung. Gleiches gelte für die enthaltenen Vitamine und Mineralstoffe. Im Übrigen werde darauf hingewiesen, dass auch Reiskleieextrakt ernährungsphysiologische Wirkungen besitze, wie durchgeführte Studien beweisen würden. Es sei alles in allem davon auszugehen, dass es sich bei dem Reisextrakt um einen Stoff handelt, der überwiegend kein Zusatzstoff ist und somit nicht unter den Zusatzstoffbegriff falle, auch wenn er im Einzelfall hauptsächlich zu technologischen Zwecken verwendet werde. Der Fall sei anders gelagert als der vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 10. Dezember 2015 entschiedene Sachverhalt. Auf die konkrete Zweckbestimmung des eingesetzten Reiskleieextrakts komme es nicht an. Im Gegensatz zu der dort verhandelten Flüssigwürze handele es sich bei Reisextrakt durchaus um ein Lebensmittel, das als solches selbst verzehrt werde. Das Vertriebsverbot sei im Übrigen auch unverhältnismäßig. Die Klägerin habe die Verwendung der Zutat „X“ unmittelbar nach Bekanntwerden der rechtlichen Unsicherheiten eingestellt. Bei den Produkten, die von dem Vertriebsverbot betroffen sein, handle es sich insoweit lediglich um Produkte, die vor Juni 2022 hergestellt wurden. Die Klägerin wäre gezwungen, sämtliche im Lager befindlichen Produkte, die das in Rede stehende Reisextrakt enthalten, und die dafür angeschafften Verpackungsmaterialien zu entsorgen. Der Klägerin bliebe nur die Vernichtung der nach höchsten Qualitätsstandards hergestellten, geprüften, einwandfreien und für den Verbraucher unbedenklichen Nahrungsergänzungsmittel. Zweifel an der Lebensmittelsicherheit seien nicht dargetan. Zwar sei die Prüfung, ob ein Zusatzstoff unbedenklich sei, Teil des Zulassungsverfahrens, dies bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass zwingend sicherheitsrelevante Bedenken hinsichtlich des Erzeugnisses bestehen. Dies zeige die Sonderregelung in den Niederlanden. Das niederländische Gesundheitsministerium sehe eine Ausnahmeregelung für den niederländischen Markt für sogenannte „Clean Labelling“ Zutaten vor, die bereits vor dem 6. Juni 2021 in den Niederlanden auf dem Markt waren und für die bis zum Stichtag des 1. Januar 2022 ein Zulassungsantrag bei der Europäischen Kommission gestellt wurde. Dies belege, dass ein präventives und umfassendes Vertriebsverbot nicht das einzige Mittel sei. Es gehe lediglich um eine Restmenge, die produziert wurde, bevor die Klägerin über die Diskussion hinsichtlich einer zulässigen Verwendung des Reiskleieextrakts informiert wurde. Die Schwierigkeiten und Zeitverzögerungen bei der Produktionsumstellung könnten nicht unberücksichtigt bleiben.
14
Die Bayerische Kontrollbehörde für ... ist der Klage für den Beklagten mit Schriftsatz vom 3. Mai 2023 entgegengetreten und beantragt,
16
Zur Begründung wird ausgeführt, das Produkt „X“ enthalte den Stoff „Y“, der, ebenso wie das Produkt an sich, in der Gemeinschaftsliste für Zusatzstoffe nicht gelistet ist und damit derzeit als nicht zugelassener Zusatzstoff gelte. Weder bei dem Produkt „X“ noch bei dem darin unter anderem enthaltenen Reisextrakt handele es sich um ein Lebensmittel, das üblicherweise selbst als solches verzehrt werde. Das Produkt „X“ sei eine Mischung aus mehreren Einzelzutaten nämlich Reisextrakt („Y“), Cellulose und Sonnenblumenöl. Eine solche Mischung stelle kein Lebensmittel dar, das üblicherweise als solches verzehrt werde. Reisextrakt in Form des Stoffs „Y“ stelle keine Reiskleie in ihrer ursprünglichen Form dar. Ein pflanzliches Extrakt sei ein komplexes Vielstoffgemisch, welches durch Extraktion von pflanzlichem Rohmaterial mit einem Extraktionsmittel (zum Beispiel Wasser, Alkohol oder Öl) gewonnen werde. Die durch Extraktion gewonnenen Extrakte würden sich in ihrer stofflichen Zusammensetzung in wesentlichen Teilen vom Ausgangsstoff unterscheiden. Ein Reisextrakt könne daher nicht mit der ursprünglichen Reiskleie gleichgesetzt werden. Der von der Klägerin geschilderte Extraktionsvorgang stelle einen gängigen Extraktionsprozess dar. Durch den Vorgang werde die stoffliche Zusammensetzung der ursprünglichen Reiskleie verändert. Reisextrakte wie das Produkt „X“ seien für den Verbraucher nicht im Einzelhandel erhältlich und würden nur im Rahmen der industriellen Herstellung, unter anderem von Nahrungsergänzungsmitteln, eingesetzt. Weder das Produkt „X“ noch der in ihm enthaltene Reisextrakt würden in den Endprodukten als charakteristische Lebensmittelzutat verwendet. Für die Feststellung, ob eine Zutat für das Lebensmittel charakteristisch ist, müsse auf die allgemeine Verkehrsauffassung abgestellt werden. Die von der Klägerin in Verkehr gebrachten Endprodukte beinhalteten das Produkt „X“ zu jeweils geringen Prozentanteilen. Keines der Produkte habe die vorrangige Funktion einer Ballaststoffquelle. Das Produkt „X“ sowie der darin enthaltene Reisextrakt würden keine charakteristische Lebensmittelzutat der Endprodukte darstellen, sondern würden unbestritten aus technologischen Gründen zugesetzt. Die in den Niederlanden getroffene Sonderregelung führe nicht zur Unverhältnismäßigkeit eines in Deutschland erlassenen Bescheids. In Deutschland seien keine Sonderregelungen für Reisextrakte als Zusatzstoffe erlassen worden, sodass die Vorschriften des EU-Zusatzstoffrechts uneingeschränkt anzuwenden seien. Im Übrigen werde auf die Bescheidsbegründung verwiesen.
17
Mit Schriftsatz vom 20. Juni 2023 nahm die Klägerin nochmals Stellung und führt ergänzend aus, dass die Ausführungen im Bescheid zur Verhältnismäßigkeit unvollständig seien. Es sei keineswegs eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen erfolgt. Der Beklagte habe darauf abgestellt, dass die Klägerin die Zutat über Jahre hinweg wissentlich eingesetzt habe, um durch sogenanntes „Clean Labeling“ ihren Absatz und damit ihren Profit zu fördern. Dies sei jedoch nicht der Fall. Hätte die Klägerin Zweifel an der Sicherheit der Produkte gehabt, hätte sie weitere Maßnahmen getroffen. Weder von Seiten ihres Lieferanten noch später von behördlicher Seite seien Sicherheitsbedenken dargetan worden. Die niederländische Sonderregelung sei in Deutschland nicht unmittelbar anwendbar, andererseits hätte diese bei der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden können. Unter Berücksichtigung der schweren finanziellen Einbußen, die die Klägerin durch ein vollständiges Verbot zu tragen habe, hätte ein Vertriebsverbot ab einem festgelegten Zeitpunkt verhängt und für Restbestände eine Abverkaufsfrist eingeräumt werden können.
18
Die Beklagte führt ergänzend aus, die Tatsache, dass die Klägerin den streitgegenständlichen, nicht zugelassenen Zusatzstoff nicht mehr einsetze, habe im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht als erheblich berücksichtigt werden können. Ein Umstellen der Rezeptur für künftige Endprodukte ändere am Verkaufsverbot für vorher hergestellte Produkte nichts. Ohne die Durchsetzung der Rechtsfolge liefe die Vorschrift für Endprodukte nach Art. 5 VO (EG) 1333/2008 ins Leere. Die lebensmittelrechtliche Sicherheit der Endprodukte spiele im Rahmen des Verkehrsverbots nach Art. 5 VO (EG) 1333/2008 keine Rolle. Im Fall einer möglichen Gesundheitsgefahr wären Maßnahmen nach Art. 19 VO (EG) Nr. 178/2002 zu ergreifen gewesen. Das Verkehrsverbot habe nur für alle noch auf Lager befindlichen Endprodukte angeordnet werden können. Ein teilweiser Ausspruch eines Verkehrsverbots wäre nicht begründbar gewesen.
19
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Behördenakte und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
20
Die zulässige, insbesondere fristgerecht (§ 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO) erhobene Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) ist unbegründet. Der mit der Klage angefochtene Bescheid der Kontrollbehörde für ... (...) vom 24. November 2022, mit dem der Klägerin der Vertrieb von Lebensmitteln, die das Produkt „X“ enthalten, unter Androhung eines Zwangsgelds untersagt wurde, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
21
1. Der streitgegenständliche Bescheid ist formell rechtmäßig, insbesondere wurde die Klägerin vor Erlass des Bescheids ordnungsgemäß angehört.
22
2. Das mit der Klage angegriffene Verbot des Inverkehrbringens findet seine Rechtsgrundlage in Art. 138 der Verordnung (EU) 2017/625 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2017 (KontrollVO) in Verbindung mit Art. 5 der Verordnung (EG) 1333/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über Lebensmittelzusatzstoffe. Bei dem Produkt „Y“, Bestandteil des von der Klägerin verarbeiteten Produkts „X“ handelt es sich um einen Lebensmittelzusatzstoff, der nicht gemäß Art. 4 VO (EG) 1333/2008 zugelassen und daher gemäß Art. 5 VO (EG) 1333/2008 nicht in den Verkehr gebracht werden darf, so dass die Anordnung des Beklagten auf Art. 138 Abs. 1 VO (EU) 2017/625 gestützt werden konnte.
23
a) Wird ein Verstoß gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften festgestellt, ergreifen die zuständigen Behörden gemäß Art. 138 Abs. 1 VO (EU) 2017/625 geeignete Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass der betreffende Unternehmer den Verstoß beendet und erneute Verstöße dieser Art verhindert. Zu den beispielhaft, aber nicht abschließend aufgezählten, geeigneten Maßnahmen gehört insbesondere auch die Beschränkung oder das Verbot des Inverkehrbringens von Waren (Art. 138 Abs. 2 Buchst. d VO (EU) 2017/625). Da Art. 138 VO (EU) 2017/625 als unmittelbar in allen Mitgliedstaaten geltendes EU-Recht Vorrang vor nationalem Recht beansprucht, ist § 39 des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB) als Eingriffsgrundlage des nationalen Rechts nicht anwendbar (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 3 C 7.14 – juris Rn. 12; Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand: 178. EL Nov. 2020, § 39 LFGB Rn. 10 jeweils zur Vorgängervorschrift Art. 54 Abs. 1 VO (EG) 882/2004; VGH BW, B.v. 17.9.2020 – 9 S 2343/20 – juris Rn. 8; VG Hannover, U.v. 15.1.2020 – 15 A 819/18 – juris Rn. 20 ff.; VG Schleswig, B.v. 8.2.2021 – 1 B 8/21 – juris Rn. 11).
24
b) Nach Art. 5 VO (EG) 1333/2008 darf niemand einen Lebensmittelzusatzstoff oder ein Lebensmittel, in dem ein Lebensmittelzusatzstoff vorhanden ist, in Verkehr bringen, wenn die Verwendung des Lebensmittelzusatzstoffs nicht mit dieser Verordnung in Einklang steht. Nach Art. 4 VO (EG) 1333/2008 dürfen nur die in der Gemeinschaftsliste in Anhang II oder Anhang III aufgeführten Lebensmittelzusatzstoffe als solche in Verkehr gebracht und unter den darin festgelegten Bedingungen in Lebensmitteln verwendet werden.
25
aa) Mit der Verordnung (EG) 1333/2008 wird im Interesse des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes und zur Gewährleistung eines hohen Gesundheits- und Verbraucherschutzes die Verwendung von Lebensmittelzusatzstoffen in der Europäischen Union harmonisiert (Art. 1 Unterabs. 1; Erwägungsgründe 1 bis 4). Zu diesem Zweck legt die Verordnung anhand von Gemeinschaftslisten die Zusatzstoffe fest, die bei Lebensmitteln zugelassen sind, und bestimmt die Bedingungen für ihre Verwendung (Art. 1 Unterabs. 2). Sie regelt außerdem die Kriterien für die Aufnahme von Lebensmittelzusatzstoffen in die Gemeinschaftsliste (Art. 6 ff.). Die Aufnahme in die Gemeinschaftsliste vollzieht sich nach einem einheitlichen Bewertungs- und Zulassungsverfahren, das in der Verordnung (EG) 1331/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 geregelt ist. Das Verfahren kann auf Initiative der Europäischen Kommission oder auf Antrag eines Mitgliedstaates oder einer betroffenen Person eingeleitet werden. Zuständig für die Entscheidung über die Aufnahme eines Zusatzstoffes ist die Kommission (Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 VO 1331/2008), die dabei von dem Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit unterstützt wird (Art. 14 VO Nr. 1331/2008; Art. 28 Abs. 1 VO 1333/2008) (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 3 C 7.14 – juris Rn. 18).
26
bb) Unter Anwendung der genannten Vorschriften hat der Beklagte der Klägerin die Verwendung des beanstandeten Produkts „X“ zu Recht untersagt. Es enthält mit „Y“ einen Lebensmittelzusatzstoff im Sinne der Begriffsbestimmung des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a VO (EG) 1333/2008, dessen erforderliche Zulassung als Zusatzstoff fehlt.
27
(1) Ein Lebensmittelzusatzstoff ist nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a Halbsatz 1 VO (EG) 1333/2008 ein Stoff mit oder ohne Nährwert, der in der Regel weder selbst als Lebensmittel verzehrt noch als charakteristische Lebensmittelzutat verwendet wird und einem Lebensmittel aus technologischen Gründen bei der Herstellung, Verarbeitung, Zubereitung, Behandlung, Verpackung Beförderung oder Lagerung zugesetzt wird, wodurch er selbst oder seine Nebenprodukte mittelbar oder unmittelbar zu einem Bestandteil des Lebensmittels werden oder werden können. In Art. 3 Abs. 2 Buchst. a Halbsatz 2 VO (EG) 1333/2008 werden im Einzelnen Stoffe genannt, die definitionsgemäß nicht als Lebensmittelzusatzstoffe gelten.
28
(2) Ausgehend von dieser unionsrechtlichen Begriffsbestimmung handelt es sich bei „Y“ um einen zulassungsbedürftigen Zusatzstoff, der unstreitig weder gemäß Art. 4 Abs. 1 in Anhang II der VO (EG) 1333/2008 noch gemäß Art. 4 Abs. 2 in Anhang III der VO (EG) 1333/2008 aufgeführt ist. Ein Zulassungsantrag bei der Europäischen Kommission wurde zwar durch die den Stoff importierende Firma C Inc. gestellt, eine Zulassung ist jedoch bislang nicht erfolgt. Da das Produkt „X“ – ebenfalls unstreitig – als Hauptbestandteil „Y“ enthält, dürfen Produkte, die diesen Zusatzstoff enthalten, nach der Regelung in Art. 5 VO (EG) 1333/2008 nicht in den Verkehr gebracht werden.
29
(3) Für die Beurteilung, ob es sich um einen Lebensmittelzusatzstoff im Sinne der VO (EG) 1333/2008 handelt, ist auf den fraglichen Stoff in der Zusammensetzung und Beschaffenheit abzustellen, die er im maßgeblichen Zeitpunkt des Zusatzes aufweist (BVerwG, U.v. 15.12.2015 – 3 C 7.14 – juris Rn. 20; Rathke in Sosnitza/Meisterernst, Lebensmittelrecht, 186. EL März 2023, Art. 3, Rn. 18a). Wendet man die Begriffsbestimmung in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a Halbsatz 1 VO (EG) 1333/2008 auf den vorliegenden Fall an, so handelt es sich bei „Y“ unstrittig um einen Stoff, der aus technologischen Gründen bei der Herstellung angewendet wird und Bestandteil der von der Klägerin hergestellten Nahrungsergänzungsmittel geworden ist. So gibt die A GmbH, die die Zutat „Y“ zu dem Produkt „X“ verarbeitet und an die Klägerin ausliefert, selbst an, dass sie Reisextrakt-Produkte einsetzt, um Hilfs- und Trägerstoff-Vormischungen herzustellen, die die Produktionsprozesse vereinfachen und stabilisieren, und um chemische Stoffe auszutauschen.
30
Die kontrovers diskutierte Frage, ob nach der Extraktion das Reiskleieextrakt mit oder ohne Nährwert ausgestattet ist, ist nicht entscheidungserheblich, da nach der oben genannten Begriffsdefinition beide Fallgruppen erfasst werden. Zwischen den Beteiligten streitig und entscheidungserheblich ist lediglich die Frage, ob es sich bei dem verwendeten Reiskleieextrakt um einen Stoff handelt, der in der Regel weder selbst verzehrt (a) noch als charakteristische Lebensmittelzutat verwendet wird (b).
31
(a) Maßgeblich für die Beurteilung, ob es sich bei dem verwendeten Reiskleieextrakt um einen Stoff handelt, der in der Regel selbst verzehrt wird, ist die konkrete Verwendung des fraglichen Stoffes. Die Klägerin beruft sich darauf, dass im Rahmen des Herstellungsprozesses lediglich Reiskleie aufgekocht, eingedickt und unter Zuhilfenahme eines Feinsiebs gefiltert werde. Es erfolge keine selektive Extraktion oder vergleichbare Verarbeitung. Dem eingesetzten Reisextrakt komme die Eigenschaft eines üblicherweise verzehrten Lebensmittels zu und nimmt auf verschiedene Anwendungsbereiche von Reiskleie Bezug. Dieser Argumentation schließt sich das Gericht nicht an. Die von der Klägerin angeführten Verwendungen von Reiskleie sind mit dem hier streitgegenständlichen Reiskleieextrakt in der vom Lieferanten beschriebenen Form nicht vergleichbar.
32
Zwar beschränkt sich das Begriffsmerkmal „selbst als Lebensmittel verzehrt“ nach seinem Wortlaut nicht auf weitgehend unverarbeitete Lebensmittel, sondern erfasst Lebensmittel auf jeder Verarbeitungsstufe, so z. B. auch Stoffe, die durch Weiterverarbeitung nachhaltig veränderter Ausgangsstoffe entstanden sind. Daher sind von dem Begriff Lebensmittelzusatzstoff auch Lebensmittel ausgenommen, die gentechnisch erzeugt oder durch neuartige Hochdruckverfahren hergestellt wurden, wenn sie für sich genommen verzehrt werden. Erfasst sind alle Stoffe, die in der Regel selbst als Lebensmittel verzehrt werden, unabhängig, ob dies häufig oder selten geschieht (Rathke in Sosnitza/Meisterernst, Lebensmittelrecht, 186. EL März 2023, Art. 3, Rn. 19 f.).
33
Das von dem Verbot erfasste „Y“ stellt zur Überzeugung des Gerichts aber kein Lebensmittel dar, da es in seiner konkreten Form nicht als solches von den Verbrauchern verzehrt wird. Die Angaben der A GmbH zur Verwendung der Zutat „Y“ mit dem Produkt „X“ als Hilfs- und Trägerstoff-Vormischung zur Vereinfachung und Stabilisierung der Produktionsprozesse und zum Austausch von chemischen Stoffen, die vom Verbraucher kritisch gesehen werden („Clean Label“), belegen zum einen den technologischen Zweck der Verwendung, zum anderen machen sie deutlich, dass das Produkt selbst nicht zum Verzehr bestimmt ist. So sind Reisextrakte wie das Produkt „X“ auch für den Verbraucher im Einzelhandel nicht erhältlich und werden nur im Rahmen der industriellen Herstellung, unter anderem von Nahrungsergänzungsmitteln, eingesetzt. Das konkrete Produkt dient als Alternative zu Emulgatoren oder als Trennmittel für zugelassene Zusatzstoffe (u.a. Lecithin, Magnesiumstearat und Mono- und Diglyceride). Da bei der Bewertung, ob es sich um ein Lebensmittel oder um ein Lebensmittelzusatzstoff handelt, auf das Produkt in der konkreten verwendeten Form abzustellen ist, ist die Argumentation der Klägerin, dass der Ausgangsstoff des Extrakts, nämlich Reiskleie, selbst verzehrt werden kann und wird, nicht entscheidend.
34
(b) Das Produkt „Y“ wird auch nicht als „charakteristische Lebensmittelzutat“ verwendet. Bei der Beurteilung, ob es sich im konkreten Fall um eine charakteristische Lebensmittelzutat handelt, ist auf das Lebensmittel abzustellen, dem die Zutat zugesetzt wird. Eine Lebensmittelzutat ist hiernach für ein Lebensmittel dann charakteristisch, wenn das Lebensmittel durch ihren Zusatz besondere, typische Eigenschaften erhält, also die Zutat den Charakter des Lebensmittels prägt. Maßgebend ist insoweit, dass dem Lebensmittel durch die Zutat etwas für dieses Lebensmittel Charakteristisches gegeben wird; allein die Erwähnung einer Zutat im Zusammenhang mit der Verkehrsbezeichnung reicht hierfür nicht aus. Für die Feststellung, ob eine Zutat für das Lebensmittel charakteristisch ist, muss auf die allgemeine Verkehrsauffassung abgestellt werden. Denn das Wort charakteristisch bezeichnet Eigenschaften eines Lebensmittels, die allgemein anerkannt sind, die also der Verkehrsauffassung entsprechen. Es kommt nicht darauf an, in welcher Menge der Stoff dem Lebensmittel zugesetzt wird; maßgebend ist allein, dass der Stoff ein charakteristisches Element des Lebensmittels ausmacht (Rathke in Sosnitza/Meisterernst, Lebensmittelrecht, 186. EL März 2023, Art. 3, Rn. 22 f.)
35
Durch das in „Y“ enthaltene und zu „X“ verarbeitete Reiskleieextrakt erhalten die von der Klägerin hergestellten Nahrungsergänzungsmittel keine für diese charakteristische Eigenschaft. Diese Stoffe werden auch nach Angaben des Herstellers und zur Überzeugung des Gerichts ausschließlich aus technologischen Gründen den Produkten der Klägerin beigesetzt. Grund für ihre Verwendung waren nicht die positiven Eigenschaften der Reiskleie selbst, sondern ihr Einsatz als Alternative zu Emulgatoren oder als Trennmittel für zugelassene Zusatzstoffe (u.a. Lecithin, Magnesiumstearat und Mono- und Diglyceride). Die beigemengten Stoffe stellen eine Rieselhilfe dar und dienen dazu, das Gleiten der Rohstoffmischung von den Produktionsanlagen in die Kapseln bzw. die Tablettenform zu erleichtern. Die in dem Extrakt enthaltenen Bestandteile stehen demgegenüber im Hintergrund und haben keine prägende Wirkung auf die damit produzierten Nahrungsergänzungsmittel. „X“ bzw. das darin enthaltene Reiskleieextrakt wird nicht wegen seiner ernährungsphysiologischen Wirkung aufgrund der darin enthaltenen Ballaststoffe bzw. Vitamine und Mineralstoffe eingesetzt. Nach der Bewerbung und Zweckbestimmung der Endprodukte ist nicht davon auszugehen, dass diese als Ballaststoffquelle dienen sollen. Auch aus den Angaben der Klägerin zu den im einzelnen aufgelisteten Produkten, die auf der Internetseite der Klägerin abrufbar sind, ist zu ersehen, dass die jeweiligen Nahrungsergänzungsmittel nicht charakteristisch durch den Zusatz von Reiskleieextrakt geprägt sind. Die Produkte werden nicht mit den für Reiskleie typischen Wirkungen beworben. Die Produkte, bei denen „X“ eingesetzt wird, werden gerade nicht durch die Reiskleie zugeschriebenen Wirkungen geprägt. Auch die Tatsache, dass nach unwidersprochenen Angaben das Produkt „X“ lediglich in der Darreichungsform von Kapseln verwendet wird und nicht bei der Verwendung mittels Sticks, zeigt, dass das „X“ nicht wegen seiner das Nahrungsergänzungsmittel prägenden Eigenschaft eingesetzt wurde, sondern dessen technologische Verwendung im Vordergrund steht.
36
(4) Dieser Bewertung steht auch nicht die in den Niederlanden angewandte Praxis entgegen. Die in den Niederlanden getroffene Sonderregelung beruht auf nationalen Erwägungen und führt nicht dazu, dass die deutschen Behörden an die dortige Praxis gebunden ist.
37
Da es sich bei dem Produkt „X“ somit um einen nicht nach Art. 4 VO (EG) 1333/2008 zugelassenen Lebensmittelzusatzstoff handelt, dürfen Produkte, die diesen Zusatzstoff enthalten nach Art. 5 VO (EG) 1333/2008 nicht in den Verkehr gebracht werden. Dies hat zur Folge, dass die zuständigen Behörden, hier vorliegend die Bayerische Kontrollbehörde für, nach Art. 138 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 2 VO (EU) 2017/265 geeignete Maßnahmen ergreifen, um zu gewährleisten, dass der betreffende Unternehmer den festgestellten Verstoß beendet. Als Maßnahme kommt nach Art. 138 Abs. 1 Buchst. d VO (EU) 2017/265 insbesondere das Verbot in Betracht, die beanstandete Ware in den Verkehr zu bringen.
38
c) Ermessensfehler sind nicht ersichtlich, insbesondere ist die Maßnahme verhältnismäßig.
39
Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht nach § 114 Satz 1 VwGO nur, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Ein solcher Ermessensfehler ist hier nicht festzustellen. Der Beklagte hat erkennbar die verschiedenen Interessenlagen ermittelt und berücksichtigt. Er hat auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung alle entscheidungserheblichen Gesichtspunkte mit dem ihnen zukommenden Gewicht eingestellt.
40
Art. 138 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 2 VO (EU) 2017/265 verpflichtet die zuständige Behörde im Falle eines Verstoßes gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften zum Einschreiten und eröffnet im Hinblick auf die Auswahl der zu treffenden Maßnahme und des richtigen Adressaten ein Ermessen. Das Verbot des Inverkehrbringens ist im nicht abschließenden Katalog der möglichen Maßnahmen ausdrücklich genannt (Art. 138 Abs. 2 Buchst. d). Im Falle eines Verstoßes gegen ein Verbot des Inverkehrbringens ist eine entsprechende Verbotsverfügung zur Vermeidung weiterer Verstöße geeignet und auch erforderlich, da ein milderes, gleich wirksames Mittel nicht ersichtlich ist, um den unrechtmäßigen Zustand zu beenden. Insbesondere ist ein zeitlich beschränkter Abverkauf der beanstandeten Produkte als milderes Mittel nicht gleichermaßen geeignet, da dies den in Art. 4 und Art. 5 VO (EG) 1333/2008 zum Ausdruck kommenden Gesundheits- und Verbraucherschutz unterlaufen würde. Vielmehr ist es naheliegend, dass derjenige, der neuartige Produkte in den Verkehr bringt, das unternehmerische Risiko ihrer Verkehrsfähigkeit zu tragen hat. Mit der Regelung in Art. 4 Abs. 1 und 2 VO (EG) 1333/2008, wonach nur die in der Gemeinschaftsliste in Anhang II oder III aufgeführten Lebensmittelzusatzstoffe als solche in Verkehr gebracht und unter den darin festgelegten Bedingungen in Lebensmitteln verwendet werden dürfen, wird ausschließlich auf formale Kriterien abgestellt, so dass es für die Anordnung des Verbots nicht darauf ankommt, ob durch den unzulässigen Lebensmittelzusatzstoff eine Gefährdung für den Verbraucher ausgeht. Schließlich ist nicht ersichtlich, dass der Klägerin aus Gründen der Verhältnismäßigkeit eine Übergangs- oder Abverkaufsfrist einzuräumen gewesen wäre. Selbst wenn die Klägerin erhebliche Investitionskosten in die Produktion aufgewendet hat, so hat sie dies in eigener Verantwortung und auf ihr Risiko getan. Lebensmittelunternehmer müssen im Ausgangspunkt eigenverantwortlich für ihre Produkte einstehen und sich im Rahmen ihrer Sorgfaltspflicht eigenständig über die für sie geltenden Anforderungen informieren. Wirtschaftliche Erwägungen spielen – nicht zuletzt unter Berücksichtigung des Grundsatzes der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts („effet utile“) – keine ausschlaggebende Rolle. Zudem hat der Beklagte berücksichtigt, dass die Klägerin ihre Endprodukte – wie bereits geschehen – mit anderer Rezeptur in den Verkehr bringen kann. Die in den Niederlanden getroffene Sonderregelung hindert den Beklagten nicht daran, die unionsrechtlich vorgesehenen Maßnahmen zu treffen.
41
d) Die Zwangsgeldandrohung in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheides beruht auf Art. 18 ff., 29, 30, 31 und 36 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) und ist rechtlich nicht zu beanstanden.
42
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.