Titel:
Einstweiliger Rechtsschutz, Wasserrechtliche Anordnung, Konzentrationswirkung eines eisenbahnrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
VwVfG § 75
WHG § 19
WHG § 78a
WHG § 100
Schlagworte:
Einstweiliger Rechtsschutz, Wasserrechtliche Anordnung, Konzentrationswirkung eines eisenbahnrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses
Fundstelle:
BeckRS 2023, 40873
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin (Au 9 K 23.1451) gegen die Anordnung des Antragsgegners vom 24. August 2023 wird bezüglich der Ziffer I. wiederhergestellt und bezüglich der Ziffer III. angeordnet.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin ist Vorhabenträgerin des Eisenbahnfachplanungsvorhabens „Neubau Haltepunkt ...(...) Bahnkm 52,605 – Bahnkm 52,745 und Rückbau der Bahnsteige Bahnkm 51,820 ...(...) in der Stadt H. (...) im Landkreis Donau-Ries“. Das Eisenbahn-Bundesamt erteilte der Antragstellerin hierfür am 25. Januar 2022 einen Planfeststellungbeschluss (Az. ...) gem. § 18 Abs. 1 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG).
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In Ziffer A.4.2.1 des Beschlusses ist ausgeführt, dass die im landschaftspflegerischen Begleitplan (LBP) vorgesehenen Maßnahmen Bestandteil des Beschlusses sind. Im LBP sind unter anderem die Maßnahmen 010A und 011A vorgesehen. Die Maßnahme 010A umfasst dabei die Entwicklung eines schmalen Auwaldstreifens entlang der .... Dem Plan zufolge soll es sich bei der Ausgleichsfläche um eine flach geneigte Böschung eines Hochwasserdamms handeln (Grundstück Fl.Nrn. ... und ... Gemarkung ...). Durch die Bepflanzung des Dammbereichs mit niedrig- bis mittelhohem Gebüsch könne eine zusätzliche Stabilisierung des Damms erreicht werden. Zum Schutz der Bepflanzung solle ein Zaun errichtet werden, der 20 cm in den Boden eingegraben werden und eine Höhe von 100 cm aufweisen soll. Mit der Maßnahme 011A soll die Entwicklung eines mesophilen Gebüschs entlang eines Weges (Grundstück Fl.Nrn. ... und ... Gemarkung ...) erfolgen. Auch hier soll zum Schutz der Bepflanzung ein Zaun der gleichen Art errichtet werden. Die betreffenden Grundstücke befinden sich im amtlich festgesetzten Überschwemmungsgebiet der .... Sowohl das Landratsamt, als auch das Wasserwirtschaftsamt ... wurden im Planfeststellungsverfahren beteiligt. Bedenken gegen die Maßnahmen im Hinblick auf die Stabilität des Deiches und den Hochwasserschutz wurden im Rahmen der Stellungnahmen (Gerichtsakte S. 78ff.) nicht geäußert.
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Mit Schriftsatz vom 27. April 2023 informierte das Wasserwirtschaftsamt ... das Landratsamt darüber, dass an dem, auf den Grundstücken Fl.Nrn.,,, ... und ... Gemarkung ... befindlichen, nicht staatlich errichteten Hochwasserschutzdeich nicht DINkonforme Maßnahmen durchgeführt worden seien, durch welche die Standsicherheit des ca. 1 Meter hohen Bauwerks beeinträchtigt sei. Es seien flächendeckende Gehölzpflanzungen vorhanden und es hätten sich bereits ältere Baumbestände auf dem Deich sowie am Böschungsfuß entwickelt. Außerdem sei die Grasnarbe auf dem Deich bereichsweise nicht geschlossen.
4
Am 20. Juli 2023 fand ein Ortstermin statt, an dem sowohl Vertreter der Antragstellerin, als auch Vertreter des Wasserwirtschaftsamts, der Stadt, der unteren Naturschutzbehörde und der unteren Wasserrechtsbehörde teilnahmen. Der Antragsgegner ordnete vor Ort mündlich die sofortige Einstellung der Baumaßnahmen an.
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Mit Bescheid vom 24. August 2023 (Az. ...) verpflichtete das Landratsamt ... die Antragstellerin in Ziffer I. zu folgenden Maßnahmen:
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1. Die Errichtung der Zaunpfähle und des Maschendrahtzauns ist sofort einzustellen. Die am 20. Juli 2023 mündlich verfügte Einstellung wird hiermit bestätigt.
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2. Die Zaunpfähle und der Maschendrahtzaun sind bis zum 15. September 2023 vollständig zu beseitigen.
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3. Die gesamten Pfähle zur Stützung der Baumpflanzungen sind bis 15. September 2023 vollständig zu beseitigen.
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4. Alle im Rahmen der Ausgleichsmaßnahmen gemäß dem Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamtes vom 25. Januar 2022 (Az. ...) gepflanzten Gehölze sind bis 15. September 2023 vollständig zu entfernen.
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5. Die am Deich teilweise vom Deichfuß bis zur Deichkrone herausgenommenen Steine aus der Steinpflasterung sind bis zum 15. September 2023 wieder entsprechend der vorhandenen Bauwerksgeometrie in die bestehende Pflasterung fachgerecht einzubauen und mit dem dortigen Aushub die Lücken aufzufüllen, sowie die Steine mit dem Aushub wieder entsprechend der vorhandenen Bauwerksgeometrie anzuböschen und anzudrücken und abschließend mit autochthonem Gras-Saatgut wieder zu begrünen.
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6. Alle durch die Maßnahmen durchgeführten Abgrabungen und Löcher für die Errichtung der Zaunpfähle und des Maschendrahtzauns sind mit dem angefallenen Material bis zum 15. September 2023 angepasst an die vorhandene Bauwerksgeometrie wieder zu verfüllen und anzudrücken.
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7. Die durch Entfernung der Bäume und der Stützpfähle entstehenden Löcher im Deich sind entsprechend der vorhandenen Bauwerksgeometrie bis zum 15. September 2023 wieder zu verfüllen, anzudrücken und mit autochthonem Gras-Saatgut wieder zu begrünen.
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8. Durch die Maßnahmen zerstörter Oberboden am Bauwerk ist ebenfalls mit autochthonem Gras-Saatgut bis zum 15. September 2023 zu begrünen.
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9. Der Beginn und das Ende der unter Ziffer I.2 bis 8. dieser Anordnungen genannten Maßnahmen ist dem Wasserwirtschaftsamt ... und dem Landratsamt ... rechtzeitig vorher anzuzeigen.
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In Ziffer II. werden die Nummern 1. bis 8. der Ziffer I. für sofort vollziehbar erklärt. Handelt die Antragstellerin der Verpflichtung in Ziffer I. 1. zuwider, wird ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,00 EUR fällig (Ziffer III.1.). Für den Fall, dass den in den Ziffern I.2. bis I.8. festgelegten Verpflichtungen nicht fristgerecht nachgekommen wird, werden in Ziffer III.2. jeweils gesondert Zwangsgelder angedroht, insgesamt in Höhe von 4.400,00 EUR.
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Die Anordnung in Ziffer I. stütze sich auf § 100 Abs. 1 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) i.V.m. Art. 58 Abs. 1 Bayerisches Wassergesetz (BayWG). Die vom Planfeststellungbeschluss geforderten Maßnahmen würden im amtlich festgesetzten Überschwemmungsgebiet der ... liegen und seien ohne die hierfür erforderliche wasserrechtliche Ausnahmegenehmigung formell illegal erfolgt. Die Anordnung diene der Verhinderung neuer Angriffsflächen für ein Erodieren des Deiches bei Starkregen und Hochwasser. Es könne sich Treibgut am Zaun verklausen, was zu einem Breschenabfluss in Richtung der dahinterliegenden Grundstücke führen könne. Die Anordnung sei daher im pflichtgemäßen Ermessen des Landratsamts gestanden. Sie sei ein geeignetes Mittel, um die Herstellung rechtswidriger Zustände zu verhindern und auch erforderlich, da kein milderes Mittel gegeben sei, insbesondere nur eine sofortige Einstellung die Herstellung rechtswidriger Zustände verhindern könne. Im Überschwemmungsgebiet dürften ohne wasserrechtliche Ausnahmegenehmigung keine Zäune errichtet, die Erdoberfläche nicht erhöht oder vertieft und keine Baum- und Strauchpflanzen angelegt werden. Im Übrigen könne eine Ausnahmegenehmigung nach § 78a Abs. 2 WHG nicht in Aussicht gestellt werden, sodass die Errichtung auch materiell illegal sei. Durch die Maßnahmen wäre eine Verschlechterung des Hochwasserschutzdeiches insbesondere im Hochwasserfall HQ100 und somit eine Verschlechterung der Bestandsüberflutungssituation und eine Gefahr für Leib und Leben der Anlieger zu befürchten. Die Sofortvollzugsanordnung sei erforderlich, da die Verhinderung der Ausübung der unzulässigen Arbeiten und ihrer Fortsetzung im besonderen öffentlichen Interesse liege. Insbesondere könne aufgrund der Funktion eines Überschwemmungsgebiets der aktuell bestehende Zustand nicht bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheids geduldet werden. Das öffentliche Interesse an der Wiederherstellung des Deiches sowie des Überschwemmungsgebietes ohne Abflusshindernisse überwiege das Interesse der Antragstellerin an der Weiterführung der Zaunerrichtung. Die Zwangsmittelandrohungen würden sich auf Art. 29, 31 und 36 Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) stützen. Als Anhaltspunkt zur Bemessung der Höhe sei Teil 2 Kapitel 4 Nr. 27 des Bußgeldkatalogs „Umweltschutz“ herangezogen worden.
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Mit Schriftsatz vom 8. September 2023 ließ die Antragstellerin Klage erheben (Au 9 K 23.1451), über die noch nicht entschieden wurde.
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Mit selben Schriftsatz ließ die Antragstellerin im Wege vorläufigen Rechtsschutzes beantragen,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die „mündlich verfügte Einstellung“ des Landratsamts ... vom 20. Juli 2023 und die Anordnung des Landratsamts ... vom 24. August 2023 (Az. ...) anzuordnen.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass bereits Zweifel an der Zuständigkeit des Landratsamts ... bestünden. Die Antragstellerin sei eine Eisenbahngesellschaft des Bundes. Somit würden gem. § 4 Abs. 6 Satz 1 AEG dem Eisenbahn-Bundesamt die Erteilung von Baufreigaben, Zulassungen und Genehmigungen obliegen. Die Regelung ordne eine umfassende Zuständigkeitskonzentration für den Gesetzesvollzug an. Dazu gehöre auch das Recht des Hochwasserschutzes. Da die im LBP festgesetzten Ausgleichsmaßnahmen Teil des planfestgestellten Vorhabens seien, erstrecke sich die Vollzugskontrolle des Eisenbahn-Bundesamts auch auf deren Umsetzung. Eine parallele Zuständigkeit des Landratsamts sei damit nicht vereinbar. Außerdem würden die Anordnungen des Landratsamts in den bestandskräftigen Planfeststellungbeschluss eingreifen. Der Beschluss verleihe der Antragstellerin eine Rechtsposition, die ihr, sofern nicht die Voraussetzungen des § 75 Abs. 2 Satz 2 und 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) vorliegen würden, nur unter den Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG entzogen werden könnte. Die Anordnung sei jedoch jedenfalls materiell rechtswidrig. Da gem. § 17 Abs. 4 Satz 5 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) der LBP Teil des planfestgestellten Vorhabens sei, erstrecke sich die Genehmigungswirkung des Planfeststellungsbeschlusses auf den LBP und die dort vorgesehenen Maßnahmen. Dabei sei der Damm, dessen rechtliche Qualität als Hochwasserdamm ungeklärt sei, bei der Konzeption der Ausgleichsmaßnahmen berücksichtigt worden. Der Umsetzung der Maßnahmen stehe § 78a WHG nicht entgegen. Fraglich sei bereits, ob es sich bei einem Maschendrahtzaun um eine „ähnliche Anlage“ handeln könne. Jedenfalls fehle jegliche Begründung dafür, warum die Baum- und Strauchbepflanzung den Zielen des Hochwasserschutzes nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 WHG und § 75 Abs. 2 WHG entgegenstehen sollte. Das Landratsamt könne nicht schlüssig erklären, weshalb der Hochwasserabfluss behindert werden solle, da der Hochwasserdamm gerade ein gewolltes Abflusshindernis sei. Durch die Bepflanzung könne eine zusätzliche Stabilisierung erreicht werden. Auf eine Bepflanzung mit Großbäumen sei bewusst verzichtet worden. Außerdem würde § 78a Abs. 1 Satz 1 WHG anderweitig genehmigten Maßnahmen nicht entgegenstehen. Dies könne jedoch jedenfalls dahinstehen, da von der Konzentrationswirkung des Planfeststellungsbeschlusses gem. § 75 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwVfG auch eine Befreiung nach § 78a Abs. 1 WHG umfasst sei. Die Ausgleichsmaßnahmen seien somit durch den Planfeststellungsbeschluss genehmigt. Der Beschluss entfalte Tatbestandswirkung, weshalb das Landratsamt rechtlich gehindert gewesen sei, die Einstellung zu verlangen. Alle Behörden, Gerichte und Rechtsträger hätten die im Beschluss getroffenen Regelungen ohne inhaltliche Prüfung ihren Entscheidungen zugrunde zu legen. Des Weiteren fehle es an einer i.S.d. § 80 Abs. 3 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erforderlichen Begründung. Das Aufschubinteresse der Antragstellerin, das mit dem öffentlichen Interesse am Vollzug eines bestandskräftigen eisenbahnrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses und an der Kompensation der mit dem planfestgestellten Vorhaben verbundenen Eingriffe in Natur und Landschaft Hand in Hand gehe, überwiege das Vollzugsinteresse des Landratsamts. Die Antragstellerin sei durch den Beschluss ausdrücklich zur Umsetzung der Maßnahmen verpflichtet und habe bereits erhebliche öffentliche Mittel aufgewandt.
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Der Antragsgegner ist der Klage und dem Antrag mit Schreiben vom 31. Oktober 2023 entgegengetreten und beantragt,
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den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gem. § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
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Die Zuständigkeit des Landratsamts ergebe sich vorliegend aus § 100 Abs. 1 WHG i.V.m. Art. 58 Abs. 1 und Art. 63 Abs. 1 BayWG i.V.m. Art. 3 BayVwVfG. Hinsichtlich der materiellen Rechtmäßigkeit sei auszuführen, dass sich die Konzentrationswirkung des Beschlusses nicht auf die Zulassung von Eingriffen in Überschwemmungsgebiete erstrecke. Die wasserrechtliche Entscheidung werde im Allgemeinen nicht durch den Planfeststellungsbeschluss ersetzt, sondern trete als selbstständiges Element neben diesen. Damit werde dem Erfordernis, auf geänderte Umstände schnell und effektiv zu reagieren, Rechnung getragen. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin handele es sich um einen Hochwasserschutzdeich. Es sei Fakt und hydraulisch nachgewiesen, dass das Erdbauwerk am Prallufer der ... das dahinterliegende Gelände bis zu einem hohen Wasserstand von Hochwasser freihalte. Es spiele keine Rolle, dass es dabei nicht den heutigen bautechnischen Anforderungen gem. DIN 19712 an einen Hochwasserschutzdeich gerecht werde. Die Voraussetzungen des § 78a Abs. 1 WHG seien durchaus gegeben. Gehölze, Pfähle, Grabungen und offenliegender Boden führe bei Hochwasser zur Erosion und Kolkbildung und könne damit die Standsicherheit des Erdbauwerks gefährden. Die angeordneten Maßnahmen würden der Wiederherstellung des Hochwasserschutzes dienen. Ein Hochwasser könne in kürzester Zeit auftreten. Durch die erfolgten Maßnahmen sei eine Situation gegeben, wodurch ein nicht unerheblicher Eingriff in ein amtlich festgesetztes Überschwemmungsgebiet vorliege.
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Mit Schreiben vom 28. November 2023 ergänzte die Antragstellerin ihr Vorbringen dahingehend, dass lediglich das Eisenbahn-Bundesamt als Planfeststellungsbehörde in den bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss eingreifen könne. Jedenfalls könne die Antragstellerin nicht durch Anordnungen auf wasserrechtlicher Grundlage an der Umsetzung der Ausgleichsmaßnahmen gehindert werden. Die Ausführungen des Antragsgegners zur angeblich eingeschränkten Konzentrationswirkung seien nicht sachgerecht. Die Modifikation würde zum einen nur die Entscheidungskonzentration betreffen, zum anderen würde diese nur wasserrechtliche Entscheidungen nach § 19 WHG, also Erlaubnisse oder Bewilligungen für die Benutzung eines Gewässers i.S.d. § 9 WHG betreffen. Entscheidungen nach § 78a Abs. 2 WHG würden nicht darunterfallen. Die Ausführungen des Antragsgegners würden zeigen, dass kein Sofortvollzugsinteresse bestehen würde. Wenn der Zaun und die Bepflanzung tatsächlich negativen Einfluss auf die Standsicherheit des Deiches hätten, so würde es sich um länger dauernde Prozesse handeln. Ein einzelnes Hochwasser sei dafür nicht ausreichend.
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Für nähere Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
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Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (Az. Au 9 K 23.1451) hat Erfolg.
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1. Der Antrag ist zulässig.
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Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer am 8. September 2023 erhobenen Klage hinsichtlich der nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärten Nrn. 1 bis 8 der Ziffer I. des Bescheids vom 24. August 2023 und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a VwZVG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Zwangsgeldandrohungen in der Ziffer III. des mit der Klage angegriffenen Bescheids.
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2. Der Antrag ist auch begründet.
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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts angeordnet ist, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen den zugrundeliegenden Bescheid ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. in den Fällen, in denen die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs kraft Gesetzes entfällt, die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anordnen. Das Gericht prüft bei ersterem, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind, und trifft im Übrigen jeweils eine eigene Abwägungsentscheidung. Bei der im Rahmen dieser Entscheidung gebotenen Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten des Verfahrens in der Hauptsache besondere Bedeutung zu. Bleibt das Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos, so wird die Abwägung in der Regel zum Nachteil des Betroffenen ausfallen. Hat der Rechtsbehelf in der Hauptsache hingegen voraussichtlich Erfolg, so ist dessen aufschiebende Wirkung wiederherzustellen bzw. anzuordnen. Wenn sich bei der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage dagegen weder die offensichtliche Rechtswidrigkeit noch die offensichtliche Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung feststellen lässt, hängt der Ausgang des Verfahrens vom Ergebnis einer vom Gericht vorzunehmenden weiteren Interessenabwägung ab (vgl. BayVGH, B.v. 5.3.2015 – 10 CS 14.2244 – juris).
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a) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nrn. 1 bis 8 der Ziffer I. des Bescheids vom 24. August 2023 ist formell rechtmäßig.
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aa) Soweit die Behörde die sofortige Vollziehung ausdrücklich angeordnet hat (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO), hat das Gericht zunächst zu prüfen, ob sich die behördliche Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung als im Sinne des § 80 Abs. 3 VwGO ausreichend erweist; ist das nicht der Fall, hat das Gericht die Vollziehungsanordnung ohne weitere Sachprüfung aufzuheben, nicht jedoch die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wiederherzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 9.12.2013 – 10 CS 13.1782 – juris).
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Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen der Anordnung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Dabei reicht jede schriftliche Begründung, die zu erkennen gibt, dass die anordnende Behörde eine Anordnung des Sofortvollzugs im konkreten Fall für geboten erachtet. Die Begründung muss kenntlich machen, dass sich die Behörde bewusst ist, von einem rechtlichen Ausnahmefall Gebrauch zu machen (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 55). Es müssen die besonderen, auf den konkreten Fall bezogenen Gründe angegeben werden, die die Behörde dazu bewogen haben, den Suspensiveffekt aus § 80 Abs. 1 VwGO auszuschließen (vgl. BayVGH, B.v. 16.2.2000 – 10 CS 99.3290 – juris Rn. 16). Es kommt hingegen nicht darauf an, ob die angeführten Gründe den Sofortvollzug tatsächlich rechtfertigen und ob die für die sofortige Vollziehung angeführten Gründe erschöpfend und zutreffend dargelegt sind.
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bb) Diesen Vorgaben wird die vom Antragsgegner im Bescheid vom 24. August 2023 gegeben Begründung gerecht. Der Antragsgegner führt hierin aus, dass die Verhinderung der Ausübung der unzulässigen Arbeiten und ihrer Fortsetzung im besonderen öffentlichen Interesse liege. Insbesondere könne vor dem Hintergrund der Funktion eines Überschwemmungsgebietes, der Freihaltung von Rückhalteflächen zum Zwecke des Hochwasserschutzes, der aktuell bestehende Zustand nicht bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheids geduldet werden. Das öffentliche Interesse an rechtmäßigen Zuständen und der Wiederherstellung des Deiches sowie des Überschwemmungsgebietes ohne Abflusshindernis überwiege das Interesse der Antragstellerin an der Weiterführung der Zaunerrichtung.
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Diese Begründung stellt auf den vorliegenden Einzelfall ab und lässt erkennen, was den Antragsgegner zum Erlass der Anordnung bewogen hat. Ob die vom Antragsgegner angeführten Gründe inhaltlich tragen, ist hingegen keine Frage des Begründungserfordernisses des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, sondern im Rahmen der besonderen Dringlichkeit der Vollziehung des Verwaltungsaktes und damit bei der Prüfung eines besonderen Vollzugsinteresses zu würdigen.
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b) Die streitgegenständlichen Anordnungen zur Einstellung der Ausgleichsmaßnahmen 010A und 011A sowie deren Rückgängigmachung sind nach der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung von Sach- und Rechtslage voraussichtlich rechtswidrig und verletzen die Antragstellerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage überwiegt das öffentliche Interesse und das Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung der Anordnung.
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aa) Der Antragsgegner stützt die im streitgegenständlichen Bescheid vom 24. August 2023 getroffenen wasserrechtlichen Anordnungen auf § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG i.V.m. Art. 58 BayWG.
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Nach § 100 Abs. 1 Satz 1 WHG ist es Aufgabe der Gewässeraufsicht, die Gewässer sowie die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen zu überwachen, die nach oder auf Grund von Vorschriften dieses Gesetzes, nach auf dieses Gesetz gestützten Rechtsverordnungen oder nach landesrechtlichen Vorschriften bestehen. Nach Satz 2 ordnet die zuständige Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen an, die im Einzelfall notwendig sind, um Beeinträchtigungen des Wasserhaushalts zu vermeiden oder zu beseitigen oder die Erfüllung von Verpflichtungen nach Satz 1 sicherzustellen. Voraussetzung für ein Einschreiten der zuständigen Wasserbehörde auf der Grundlage des § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG ist entweder das Erfordernis der Vermeidung oder Beseitigung einer Beeinträchtigung des Wasserhaushalts (Alt. 1) oder die Erforderlichkeit zur Sicherstellung der Verpflichtungen nach Satz 1 (Alt. 2). Anerkannt ist, dass nach § 100 Abs. 1 Satz 2 Alternative 3 WHG unabhängig von einer tatsächlichen Beeinträchtigung des Wasserhaushalts bereits der formelle Verstoß gegen eine wasserrechtliche Verpflichtung seitens des Verantwortlichen, wie etwa die Benutzung oder den Ausbau eines Gewässers ohne die dafür erforderliche Erlaubnis oder Genehmigung, genügt (vgl. Czychowski/Reinhardt, WHG, 12. Aufl. 2019, § 100 Rn. 40 ff.).
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bb) Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, kann im vorliegenden Fall jedoch dahinstehen. Im Hinblick auf die Konzentrationswirkung des eisenbahnrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses vom 25. Januar 2022 bestehen bereits erhebliche Zweifel daran, ob der Antragsgegner überhaupt befugt war Anordnungen nach § 100 Abs. 1 WHG i.V.m. Art. 58 Abs. 1 BayWG, die sich auf Maßnahmen des Planfeststellungsbeschlusses beziehen, zu treffen.
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(1) Nach § 18 Abs. 1 Satz 3 AEG gelten für das eisenbahnrechtliche Planfeststellungsverfahren die §§ 72 bis 78 VwVfG. § 75 Abs. 1 VwVfG sieht dabei vor, dass durch die Planfeststellung die Zulässigkeit des Vorhabens einschließlich der notwendigen Folgemaßnahmen im Hinblick auf alle von ihm berührten öffentlichen Belange festgestellt werden. Dabei sind neben der Planfeststellung andere behördliche Entscheidungen nach Landes- oder Bundesrecht, insbesondere öffentlich-rechtliche Genehmigungen, Verleihungen, Erlaubnisse, Bewilligungen, Zustimmungen und Planfeststellungen nicht erforderlich. Durch die Planfeststellung werden alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Träger des Vorhabens und den durch den Plan Betroffenen rechtsgestaltend geregelt. Zuständig für das Verfahren ist dabei gem. § 74 Abs. 2 VwVfG die Planfeststellungsbehörde.
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Diese Konzentrationswirkung hat somit zur Folge, dass andere behördliche Entscheidungen grundsätzlich nicht erforderlich, aber auch nicht zulässig sind. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass planfeststellungsbedürftige Vorhaben zumeist noch von weiteren Erlaubnisvorbehalten erfasst werden, die einzelne Aspekte des Vorhabens speziell regeln. Der Planfeststellungsbeschluss tritt kraft Gesetzes an deren Stelle und die konzentrierten Erlaubnisse werden vom ihm ersetzt. Erfasst werden dabei grundsätzlich sämtliche Formen von Kontrollerlaubnissen, wie öffentlich-rechtliche Genehmigungen, Erlaubnisse, Bewilligungen, aber auch fachrechtliche Entscheidungen über Ausnahmen und Befreiungen (vgl. Wysk in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl., § 75 Rn. 12f.). Der Planfeststellungsbeschluss beinhaltet somit die Feststellung, dass das betreffende Vorhaben einschließlich aller notwendigen Folgemaßnahmen mit allen tangierten Belangen vereinbar ist (vgl. Nomos-BR/Kramer AEG/Urs Kramer, 1. Aufl. 2012, AEG § 18 c Rn. 1-2).
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Vorliegend hat das Eisenbahn-Bundesamt als zuständige Planfeststellungsbehörde (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Bundeseisenbahnverkehrsverwaltungsgesetz) am 25. Januar 2022 einen Planfeststellungsbeschluss erlassen. In diesem wurde das Vorhaben zum Neubau eines Haltepunkts und dem Rückbau bestehender Bahnsteige umfassend und abschließend geregelt. Dabei sind durch die ausdrückliche Anordnung in Ziffer A.4.2.1 des Planfeststellungsbeschlusses sowie durch die Regelung des § 17 Abs. 4 Satz 5 BNatSchG auch die hier streitgegenständlichen Ausgleichsmaßnahmen 010A und 011A Bestandteil des Beschlusses geworden und nehmen damit an dessen Regelungswirkung teil.
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(2) Eine einseitige Korrektur einzelner vom Planfeststellungsbeschluss umfasster Maßnahmen durch wasserrechtliche Anordnungen des Landratsamts ist aufgrund der umfassenden Regelungswirkung des Beschlusses aller Voraussicht nach nicht möglich. Mit etwaigen Mängeln oder negativen Auswirkungen des Vorhabens, die sich erst nach Abschluss des Planfeststellungsverfahrens zeigen, hat sich das Eisenbahn-Bundesamt als Planfeststellungsbehörde zu befassen und gegebenenfalls im Rahmen seiner Möglichkeiten zu reagieren.
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§ 75 Abs. 3 VwVfG sieht ausdrücklich vor, dass bei Unanfechtbarkeit eines Planfeststellungsbeschlusses Ansprüche auf Unterlassung des Vorhabens, auf Beseitigung oder Änderung der Anlagen oder auf Unterlassung ihrer Benutzung ausgeschlossen sind. Treten unvorhersehbare Wirkungen auf, kann der Betroffene zwar Vorkehrungen verlangen. Diese wären dem Träger des Vorhabens sodann durch (Änderungs-)Beschluss der Planfeststellungsbehörde aufzuerlegen. Dies zeigt, dass auch nach Abschluss des Planfeststellungsverfahrens und Unanfechtbarkeit des Beschlusses die Planfeststellungsbehörde für etwaige das Vorhaben betreffende Belange zuständig ist. Dabei ist es ihr auch möglich, den Planfeststellungsbeschluss nach den Vorschriften der §§ 48, 48 VwVfG ganz oder teilweise zurückzunehmen oder zu widerrufen (vgl. BVerwG, U.v. 23.6.2020 – 9 A 22.19 – NVwZ 2021, 152).
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Durch die hier streitgegenständliche wasserrechtliche Anordnung nach § 100 Abs. 1 WHG i.V.m. Art. 58 Abs. 1 BayWG wird in einzelne Regelungen des Planfeststellungsbeschlusses einseitig eingegriffen. Eine solche Anordnung steht jedoch der Zielrichtung des Planfeststellungsbeschlusses, das Vorhaben dauerhaft abzusichern, entgegen. Dem Prinzip der Planstabilität zufolge soll das planfestgestellte Vorhaben nachträglich grundsätzlich selbst dann nicht mehr in Frage gestellt werden können, wenn sich nicht voraussehbare Auswirkungen ergeben (vgl. vgl. Wysk in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl., § 75 Rn. 1). Die Anordnung der Einstellung und Rückgängigmachung der bereits von der Antragstellerin begonnenen Ausgleichsmaßnahmen würde deshalb in das Gesamtgefüge des Beschlusses eingreifen und diesen konterkarieren. Will der Antragsgegner – der im Übrigen im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens beteiligt wurde und in seiner fachlichen Stellungnahme keine Bedenken hinsichtlich möglicher negativer Auswirkungen auf den Hochwasserschutz geäußert hatte – im vorliegenden Fall Defizite des geregelten Vorhabens, konkret der Ausgleichsmaßnahmen in Bezug auf die Stabilität des Wasserschutzdeiches und damit des vorbeugenden Hochwasserschutzes, geltend machen, so hat er sich an die zuständige Planfeststellungsbehörde zu wenden. Ein einseitiger Eingriff durch Landratsamt als untere Wasserbehörde in das Regelungsgefüge des Planfeststellungsbeschlusses hinsichtlich der vom Planfeststellungsvorhaben ausgelösten Notwendigkeit von Ausgleichsmaßnahmen widerspricht der Konzeption des Planfeststellungsrechts als umfassende Planungsentscheidung.
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(3) Dieses Ergebnis wird auch durch die Lage des Deichs im Überschwemmungsgebiet der ... nicht in Frage gestellt. Zwar untersagt § 78a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WHG in festgesetzten Überschwemmungsgebieten die Errichtung von Mauern, Wällen oder ähnlichen Anlagen, die den Wasserabfluss behindern können, und verbietet § 78a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 WHG das Anlegen von Baum- und Strauchpflanzungen, soweit diese den Zielen des vorsorgenden Hochwasserschutzes gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und § 75 Abs. 2 WHG entgegenstehen. Ob diese Verbote aus § 78a Abs. 1 WHG dem planfestgestellten Vorhaben entgegenstehen, ist nach der gesetzlichen Konzeption des vorgesehenen Planfeststellungsverfahrens in diesem unter Beteiligung der zuständigen Fachbehörde abschließend zu klären. In diesem Verfahren wäre auch Raum gewesen, gemäß § 78a Abs. 2 Satz 1 WHG Ausnahmen von den Verboten des Absatzes 1 zu prüfen und gegebenenfalls zuzulassen. Dies gilt umso mehr, als die zuständige Wasserrechtsbehörde bzw. der amtliche Sachverständige (Wasserwirtschaftsamt) im Verfahren beteiligt wurde und keine durchgreifenden Einwände gegen das planfestgestellte Vorhaben in seiner konkreten Ausgestaltung geltend gemacht hat. Sofern die zuständige Wasserrechtsbehörde an ihrer bisherigen fachlichen Einschätzung nicht mehr festhält, so ist dieses ausgehend vom Planfeststellungsrecht mit seiner Konzentrationswirkung durch die Planfeststellungsbehörde in einem Änderungsverfahren zu berücksichtigen bzw. zu bewerten.
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(4) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 19 WHG, der eine Einschränkung der Konzentrationswirkung von Planfeststellungsbeschlüssen vorsieht.
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In § 19 Abs. 1 und 3 WHG findet sich die besondere Regelung, dass für Vorhaben, welche mit einer Gewässerbenutzung verbunden sind und für die ein Planfeststellungsverfahren durchgeführt werden soll, die Planfeststellungsbehörde über die wasserrechtlich erforderliche Erlaubnis oder Bewilligung im Einvernehmen bzw. mit Benehmen der zuständigen Wasserbehörde zu entscheiden hat. Die Zuständigkeit geht somit auf die Planfeststellungsbehörde über, die wasserrechtliche Entscheidung behält dabei aber ihre Selbstständigkeit (vgl. Wysk in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl., § 75 Rn.13d).
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Vorliegend ist das mit Beschluss vom 25. Januar 2022 planfestgestellte Vorhaben nicht mit der Benutzung eines Gewässers verbunden, sodass § 19 WHG bereits nicht zur Anwendung kommt. Anzumerken ist jedoch, dass selbst bei planfestgestellten Vorhaben, die eine Benutzung eines Gewässers vorsehen und bei denen somit die Besonderheiten des § 19 WHG zu beachten sind, das Gesetz das Verbleiben der Entscheidungskompetenz über den Widerruf einer nach § 19 Abs. 1 WHG erteilten Erlaubnis oder Bewilligung oder den nachträglichen Erlass von Inhalts- oder Nebenbestimmungen bei der Planfeststellungsbehörde vorsieht (vgl. § 19 Abs. 4 WHG). Der Wasserrechtsbehörde wird dabei zwar ein Antragsrecht gewährt, der Erlass eigenständiger Anordnungen wird ihr dabei jedoch nicht eingeräumt. Da es sich im vorliegenden Fall um kein Vorhaben nach § 19 WHG handelt, ist anzunehmen, dass das Landratsamt als untere Wasserbehörde erst Recht keine wasserrechtliche Anordnung zur Verhinderung der Ausgleichsmaßnahmen treffen konnte.
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c) Weil mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer I. des streitgegenständlichen Bescheids kein vollziehbarer Grundverwaltungsakt mehr vorliegt, ist auch die aufschiebende Wirkung hinsichtlich der unter Ziffer III. ausgesprochenen Zwangsgeldandrohungen anzuordnen.
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d) Neben der summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage, bedarf es in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO einer weiteren Kontrollüberlegung. Die Vorschrift fordert für die behördliche Anordnung bei sofortiger Vollziehung ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung, das über das Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts selbst hinausgeht. Das besondere öffentliche Vollzugsinteresse ist grundsätzlich nicht mit dem öffentlichen Interesse am Erlass eines Verwaltungsakts identisch. Daher vermag selbst die offensichtliche Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts allein die sofortige Vollziehung regelmäßig nicht zu rechtfertigen (vgl. NdsOVG, B.v. 17.4.2014 – 7 ME 8/19 – juris Rn. 26). Das Gericht kann die behördliche Anordnung des Sofortvollzugs daher nur bestehen lassen, wenn nach seiner Beurteilung ein öffentliches Interesse daran besteht, einen offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakt vor Eintritt seiner Bestandskraft zu vollziehen.
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Da bereits Bedenken dahingehend bestehen, ob der Antragsgegner überhaupt wasserrechtliche Einzelanordnungen, die einem bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss entgegenstehen, treffen durfte, ist von einem überwiegenden Wiederherstellungsinteresse der Antragstellerin auszugehen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Antragsgegner trägt als Unterlegener die Kosten des Verfahrens.
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Die Festsetzung des Streitwerts richtet sich nach §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.