Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 14.12.2023 – 9 K 23.30947
Titel:

 Erfolglose Klage wegen Behandlung des Asylantrags als unzulässig

Normenketten:
AsylG § 26a, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a Abs. 1
VwVfG § 51 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3
AufenthG § 65
AsylverfahrensRL Art. 2q, Art. 33 Abs. 2d
Anerkennungs-RL
Leitsatz:
Nach der Begriffsbestimmung in der Asylverfahrensrichtlinie bezeichnet der unionsrechtlich Begriff „Folgeantrag“ einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, der nach Erlass einer bestandskräftigen Entscheidung über einen früheren Antrag gestellt wird und geht von der Möglichkeit einer mitgliedstaatsübergreifenden Anwendung des Konzepts des Folgeantrags ausgeht, was dem Sinn und Zweck des mit den unionsrechtlichen Vorschriften zum Asylrecht angestrebten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) entspricht. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Irak, unzulässiges Asylverfahren in der Bundesrepublik, Deutschland, Zweitantrag, abgeschlossenes Asylverfahren in Litauen, Abschiebungsverbote (verneint), Asylverfahren, Erstantrag Litauen, Folgeantrag, Unzulässigkeit, Abschiebungsverbot, gemeinsames europ. Asylsystem
Fundstelle:
BeckRS 2023, 40767

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die Behandlung seines Asylantrags in der Bundesrepublik Deutschland als unzulässig und begehrt hilfsweise die Verpflichtung, festzustellen, dass Abschiebungsverbote bezüglich des Iraks bzw. eines anderen aufnahmebereiten Staats vorliegen.
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Der am *.* 1982 in * (Irak) geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger mit arabischer Volkszugehörigkeit und muslimisch-schiitischem Glauben.
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Seinen Angaben zufolge reiste der Kläger am 16. Juli 2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er unter dem 5. Oktober 2022 einen Asylantrag stellte.
4
Für den Kläger liegt ein EURODAC-Treffer mit der Kennung „*“ vor, wonach der Kläger am 30. August 2021 in Litauen erstmalig Asyl beantragt hat.
5
Mit Schreiben vom 6. September 2023 teilte die Republik Litauen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) mit, dass das Verfahren des Klägers zur Prüfung eines Antrages auf internationalen Schutz in Litauen erfolglos abgeschlossen wurde. Der vorbezeichnete in Litauen gestellte Asylantrag des Klägers sei am 21. Oktober 2021 abgelehnt worden. Das vom Kläger hiergegen eingelegte Rechtsmittel sei erfolglos geblieben. Am 2. März 2022 sei das Asylgesuch des Klägers in Litauen rechtskräftig abgelehnt worden.
6
Mit Bescheid des Bundesamts vom 29. November 2022 wurde der in der Bundesrepublik Deutschland gestellte Asylantrag des Klägers zunächst gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Asylgesetz (AsylG) als unzulässig abgelehnt und gegenüber dem Kläger die Abschiebung nach Litauen angeordnet.
7
Nach Ablauf der Überstellungsfrist am 7. Juni 2023 wurde der Bescheid vom 29. November 2022 am 13. Juni 2023 aufgehoben.
8
Am 21. November 2022 fand beim Bundesamt eine Anhörung des Klägers nach § 25 AsylG statt. Dort trug der Kläger im Wesentlichen vor, dass er im Irak zusammen mit einem Freund an Demonstrationen teilgenommen habe. Sein Freund sei während einer Demonstration von Milizen getötet worden. Diese Demonstration habe vor etwa zwei oder drei Jahren in Bagdad am *platz stattgefunden. Ein Cousin von ihm sei am 22. November 2021 von Milizen entführt und am 22. Dezember 2021 getötet worden. Zu diesem Zeitpunkt habe sich der Kläger bereits in Litauen aufgehalten. Die Milizen würden keine Stabilität im Irak anstreben. Der Kläger habe den Irak aus Angst vor den Milizen verlassen. Persönlich sei ihm nichts Konkretes zugestoßen. Bei einer Rückkehr in den Irak befürchte er, getötet zu werden. Die Milizen seien auch im Besitz von Fotos des Klägers. Den Irak habe er am 2. Juli 2021 verlassen. Im Irak lebten noch drei Brüder, zwei Schwestern, zwei Halbbrüder und eine Halbschwester. Die im Irak lebenden Geschwister würden in * und * leben. Er habe die Schule bis zur 9. Klasse besucht. Er habe im Irak als Bauarbeiter, Elektriker und Schweißer gearbeitet. Weiter gab der Kläger an, dass er in Litauen die gleichen Asylgründe wie in der Bundesrepublik Deutschland vorgetragen habe.
9
Für den weiteren Vortrag des Klägers wird auf die vom Bundesamt über die persönliche Anhörung gefertigte Niederschrift verwiesen.
10
Mit Bescheid des Bundesamts vom 25. September 2023 (Gz. *) wurde der Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt (Nr. 1 des Bescheids). Nr. 2 des Bescheids stellt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen. In Nr. 3 wird der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Folgeleistung wurde dem Kläger die Abschiebung in den Irak bzw. einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht. Nr. 4 des Bescheids ordnet das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristet es auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
11
Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Bundesamt u.a. aus, dass der Antrag unzulässig sei, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Ein Asylantrag sei unzulässig, wenn im Falle eines Zweitantrages nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen sei (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Ein weiteres Asylverfahren gem. § 71a Abs. 1 AsylG sei nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) erfüllt seien. Zugunsten des Klägers müssten daher Wiederaufgreifensgründe vorliegen. Der Kläger habe keine Gründe vorgetragen, die zu der Annahme führten, dass eine Änderung der Sachlage vorliege, die zum Erfolg des Asylantrags führen würde. Die geschilderten Geschehnisse hätten sämtlich vor der Ausreise des Klägers aus dem Irak stattgefunden. Somit sei der Asylantrag gem. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abzulehnen. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen im Irak führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) vorliege. Die hierfür vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Die Abschiebungsandrohung sei gem. § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 34 Abs. 1 AsylG und § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde gem. § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Diese Befristung sei vorliegend angemessen. Der Kläger verfüge über keine wesentlichen persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Bindungen, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen gewesen seien.
12
Auf den weiteren Inhalt des Bescheids des Bundesamts vom 25. September 2023 wird ergänzend verwiesen.
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Der vorbezeichnete Bescheid wurde dem Kläger mit Postzustellungsurkunde am 5. Oktober 2023 bekanntgegeben.
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Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2023 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt,
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Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. September 2023, Gz., wird aufgehoben, hilfsweise festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Irak vorliegen.
16
Eine Begründung der Klage ist nicht erfolgt.
17
Auf einen vom Kläger gestellten Antrag vorläufigen Rechtsschutzes (Az. Au 9 S 23.30948) wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 10. Oktober 2023 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids vom 25. September 2023 angeordnet. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird verwiesen.
18
Mit weiterem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 12. Oktober 2023 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
19
Am 14. Dezember 2023 fand die mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung wird auf das hierüber gefertigte Protokoll Bezug genommen.
20
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Beklagten vorgelegte Verfahrensakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

21
Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage des Klägers verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beteiligten an der mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 2023 teilgenommen haben. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beteiligten sind zur mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 2023 form- und fristgerecht geladen worden.
22
Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Der mit der Klage angegriffene Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 25. September 2023 ist rechtmäßig und nicht geeignet, den Kläger in seinen Rechten zu verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Auch besitzt der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
23
Das Gericht folgt der zutreffenden ausführlichen Begründung des streitgegenständlichen Bescheids (§ 77 Abs. 3 AsylG), macht sie sich zu eigen und führt ergänzend aus:
24
1. Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist dann, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt (Zweitantrag), ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen. Andernfalls ist der Antrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abzulehnen und gemäß § 31 Abs. 3 AsylG eine Entscheidung über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu treffen.
25
a) Das Bundesamt konnte seine Entscheidung auf § 71a AsylG stützen, da diese Vorschrift mit EU-Recht, insbesondere mit Art. 33 Abs. 2 Buchst. d) und Art. 2 Buchst. q) der RL 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie), in Einklang steht. Der Einzelrichter schließt sich im hier vorliegenden Hauptsacheverfahren – so wie schon im Eilverfahren angedeutet – der überwiegend in der Rechtsprechung (vgl. z.B. NdsOVG, B.v. 28.12.2022 – 11 LA 280/21 – juris Rn. 13 m.w.N.) und Literatur (Dickten in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1.7.2023, § 71a AsylG Rn. 1b m.w.N.; a.A: Stern in Huber/Mantel, AufenthG/AsylG, 3. Aufl. 2021 Rn. 2) vertretenen Auffassung an.
26
Die Regelung in Art. 33 Abs. 2 Buchst. d), die es den Mitgliedstaaten unter den dort geregelten Voraussetzungen erlaubt, Folgeanträge nach einer ersten Prüfung als unzulässig zu betrachten, gilt nach Wortlaut, Systematik und Regelungszweck offenkundig nicht nur Folgeanträge, die in demselben Mitgliedstaat gestellt werden wie die jeweiligen Erstanträge. Nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. d) der RL 2013/32/EU können die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig betrachten, wenn es sich um einen Folgeantrag handelt, bei dem keine neuen Umstände oder Erkenntnisse zu der Frage erkennbar sind, ob der Antragsteller nach Maßgabe der RL 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist. Nach der Begriffsbestimmung des Art. 2 Buchst. q) der Asylverfahrensrichtlinie bezeichnet der Begriff des „Folgeantrags“ einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, der nach Erlass einer bestandskräftigen Entscheidung über einen früheren Antrag gestellt werde. Eine Beschränkung darauf, dass der Folgeantrag in demselben Mitgliedstaat gestellt werden muss, enthält diese Legaldefinition nach ihrem Wortlaut nicht. Auch aus Art. 40 der RL 2013/32/EU kann nicht hergeleitet werden, dass Folgeanträge im Sinne dieser Richtlinie nur Anträge sind, die im selben Mitgliedstaat wie der frühere Antrag gestellt wurden. Vielmehr zeigt die Bestimmung in Art. 40 Abs. 7 der RL 2013/32/EU eindeutig, dass die Richtlinie von der Möglichkeit einer mitgliedstaatsübergreifenden Anwendung des Konzepts des Folgeantrags ausgeht. Eine Beschränkung des unionsrechtlichen Begriffs „Folgeantrag“ auf solche Folgeanträge, die in demselben Mitgliedstaat gestellt werden, widerspricht überdies dem Sinn und Zweck des mit den unionsrechtlichen Vorschriften zum Asylrecht angestrebten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Dieses soll einerseits gewährleisten, dass ein in einem Mitgliedstaat gestellter Antrag auf internationalen Schutz von den Behörden eines Mitgliedstaats geprüft wird. Andererseits soll aber auch sichergestellt werden, dass diese Prüfung im Rahmen des einheitlichen Asylsystems nur einmal erfolgt. Eine weitere Prüfung ist nur angezeigt, wenn neue Umstände vorliegen, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten. Mit dieser Zielsetzung ist unvereinbar, wenn ein Mitgliedstaat einen Folgeantrag, der nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat gestellt werde, nur deshalb erneut vollumfänglich prüfen muss, weil das vorangegangene Asylverfahren nicht in seiner Zuständigkeit durchgeführt wurde. So hat auch der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof in seiner Stellungnahme vom 18. März 2021 im Rahmen des Verfahrens C-8/20 ausgeführt, dass nach einer abschließenden negativen Entscheidung über einen früheren Antrag, ein von demselben Antragsteller in einem beliebigen Mitgliedstaat gestellter Antrag als „Folgeantrag“ angesehen werden kann (zitiert nach NdsOVG, B.v. 28.12.2022 – 11 LA 280/21 – juris Rn. 15 ff.). Er führt aus, dass der EuGH zwischen der Unzulässigkeitsfeststellung nach der Dublin III-VO und der Unzulässigkeitsentscheidung nach der Asylverfahrensrichtlinie RL 2013/32 unterscheidet. Ist ein anderer Mitgliedstaat zur Wiederaufnahme nach der Dublin III-VO verpflichtet, so entscheidet er auch über einen nach bestandskräftiger Erstentscheidung gestellten Folgeantrag. So ist in Art. 40 Abs. 7 der RL 2013/32 geregelt, dass bei einem Antragsteller, gegen den ein Überstellungsgesuch zu vollstrecken ist, nur der Mitgliedstaat über einen Folgeantrag entscheidet, der zur Wiederaufnahme nach der Dublin III-VO verpflichtet ist. Ist eine Wiederaufnahme nach der Dublin III-VO jedoch nicht (mehr) möglich, ist die Dublin III-VO für die Frage der Zuständigkeit des Folgeantrags nicht mehr anwendbar und der nun zuständig gewordene Mitgliedstaat, kann den Folgeantrag nach Art. 33 Abs. 2 Buchstabe d) RL 2013/32 für unzulässig erklären. Diese Regelung trägt dem Ziel der Verhinderung von sekundären Migrationsbewegungen zwischen den Mitgliedstaaten Rechnung, denen durch die Dublin III-VO und die Asylverfahrensrichtlinie 2013/32 gerade vorgebeugt werden soll. Andernfalls wären Antragsteller, denen gegenüber eine negative Entscheidung ergangen ist, versucht, vermehrt ähnliche Anträge in anderen Mitgliedstaaten zu stellen, um eine vollständige neue Prüfung ihrer Situation zu erreichen. Das brächte eine sekundäre Migrationsbewegung mit sich, die den Zielen sowohl der Dublin-III-Verordnung als auch der RL 2013/32 zuwiderliefe.
27
b) Die Voraussetzungen des § 71a Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 2 VwVfG liegen nicht vor, so dass der Asylantrag rechtmäßig nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG i.V.m. § 71a AsylG als unzulässig abgelehnt wurde.
28
aa) Nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Falle eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. § 71a AsylG geht von einer Zweistufigkeit der Prüfung von Zweitanträgen aus. Bei der Beachtlichkeits- oder Relevanzprüfung geht es zunächst – im ersten Prüfungsschritt – darum, festzustellen, ob das Asylverfahren wiederaufgegriffen werden muss, also die erforderlichen Voraussetzungen für die Durchbrechung der Bestandskraft der Erstentscheidung nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt sind, wobei § 51 Abs. 3 VwVfG wegen der vom EuGH (U.v. 9.9.2021 – C-18/20 – juris) festgestellten Unionsrechtswidrigkeit nicht anzuwenden ist.
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Ein weiteres Asylverfahren ist daher nur dann durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen (§ 71a Abs. 1 AsylG). Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 2 VwVfG müsste sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Klägers geändert haben (Nr. 1) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe nach § 580 ZPO bestehen (Nr. 3). § 51 Abs. 1 VwVfG fordert, wie oben schon ausgeführt, einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung (Art. 16a GG) oder zur Zuerkennung des internationalen Schutzes (§§ 3 ff., 4 AsylG) zu verhelfen. Es genügt schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe (dazu BVerfG, B. v. 3.3.2000 – 2 BvR 39/98 – juris Rn. 32).
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bb) Es liegt ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren des Klägers in Litauen vor.
31
Ein erfolgloser Abschluss des in einem sicheren Drittstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig – d.h. ohne die Möglichkeit einer Wiederaufnahme auf Antrag des Asylbewerbers – eingestellt worden ist. Dabei muss sich das im sicheren Drittstaat erfolglos abgeschlossene Asylverfahren auch auf die Gewährung des unionsrechtlichen subsidiären Schutzes beziehen. Maßgeblich für die entsprechende Beurteilung ist die Rechtslage in dem betreffenden sicheren Drittstaat (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 29 ff.). Diese Voraussetzungen müssen feststehen, bloße Mutmaßungen genügen nicht. Ist dem Bundesamt der aktuelle Stand des Verfahrens in dem sicheren Drittstaat nicht bekannt, muss es diesbezüglich zunächst weitere Ermittlungen anstellen, insbesondere im Rahmen der für den Informationsaustausch vorgesehenen Regelung über den sog. Info-Request (vgl. Art. 34 Dublin III-VO; BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris Rn. 39 ff.; U.v. 13.10.2016 – 20 B 15.30008 – juris Rn. 42 ff.). Die Klärung des Vorliegens eines erfolglosen Abschlusses des Asylverfahrens im sicheren Drittstaat ist aber nicht nur Sache des Bundesamts, sondern auch des Ausländers, den gemäß §§ 15, 25 Abs. 2 Satz 2 AsylG eine Mitwirkungspflicht trifft (Dickten in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1.7.2023, § 71a AsylG Rn. 3).
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Nach diesem Maßstab liegt ein endgültig erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in Litauen vor. Dies ergibt sich aus der auf die Anfrage des Bundesamts erfolgten Antwort der litauischen Migrationsbehörde vom 6. September 2023. Danach ist das Verfahren des Klägers zur Prüfung eines Antrages auf internationalen Schutz in Litauen erfolglos abgeschlossen worden. Der vom Kläger gestellte Asylantrag wurde am 21. Oktober 2021 abgelehnt. Das vom Kläger hiergegen eingelegte Rechtsmittel blieb ebenfalls erfolglos. Rechtskraft trat am 2. März 2022 ein. Diese Aussage der litauischen Asylbehörde deckt sich im Übrigen mit den Angaben des Klägers im Verfahren.
33
cc) Der Kläger kann sich auch nicht auf einen neuen Sachverhalt berufen, der zur Wiederaufnahme des Asylverfahrens führt. Anhaltspunkte hierfür sind nicht ersichtlich, zumal der Kläger auch zur mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 2023 nicht erschienen ist. Auch wurde im Verfahren keine Klagebegründung für den Kläger vorgelegt.
34
2. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor.
35
a) Gründe für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind nicht ersichtlich. Das Gericht schließt sich auch insoweit der umfassenden ausführlichen Begründung im streitgegenständlichen Bescheid an (§ 77 Abs. 3 AsylG).
36
b) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ebenso nicht festzustellen. Hierzu fehlt bereits jeglicher Vortrag des Klägers.
37
Damit liegen keine Gründe vor, welche die hilfsweise beantragte Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Irak rechtfertigen könnte.
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3. Die Abschiebungsandrohung konnte auf der Grundlage des § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 34 Abs. 1 AsylG und § 59 AufenthG erlassen werden. Gegen die dem Kläger gesetzte einwöchige Ausreisefrist bestehen keine rechtlichen Bedenken. Wenn unionsrechtlich die Gleichstellung von Zweitantrag und Folgeantrag geboten ist (s.o.), ist auch in Fällen des Zweitantrags das Setzen einer 1-wöchigen Ausreisefrist entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zum Folgeantrag (§ 71 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG entsprechend) sachgerecht und konsequent.
39
4. Auch das in Nr. 4 des Bescheids angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Es findet seine Rechtsgrundlage in § 11 Abs. 1 und 2 AufenthG. Einwände hiergegen hat der Kläger nicht erhoben. Die nach § 114 VwGO eingeschränkte Überprüfung des ausgeübten Ermessens lässt darüber hinaus keine Ermessensfehlerhaftigkeit erkennen.
40
5. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
41
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.