Titel:
6-monatige Weiternutzung als Fälligkeitsvoraussetzung fiktiver Abrechnung
Normenkette:
BGB § 249
Leitsatz:
Ein Unfallgeschädigter kann die Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes nur abrechnen, wenn er das Fahrzeug mindestens 6 Monate weiter nutzt und es zu diesem Zweck falls erforderlich verkehrssicher reparieren lässt; die Sechsmonatsfrist ist Fälligkeitsvoraussetzung und beginnt mit dem Datum der Nutzbarkeit des Fahrzeuges. (Rn. 13 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
6-monatige Weiternutzung, Fälligkeit, Fiktive Abrechnung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 11.01.2024 – 24 U 3811/23 e
Fundstelle:
BeckRS 2023, 40758
Tenor
1. Die Klage wird als derzeit unbegründet abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen eine Sicherheitsleistung von 110 % des vollstreckbaren Betrages.
4. Der Streitwert wird auf 5.359,33 Euro festgesetzt.
Tatbestand
1
Der Kläger macht restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend.
2
Am 22. Januar 2023 hat der Kläger den in seinem Eigentum stehenden PKW, amtliches Kennzeichen ... ordnungsgemäß auf dem Parkplatz des Anwesens N. Straße 17 in ... K. geparkt. Dort wurde er durch den Fahrer des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen ... im Heckbereich angefahren und beschädigt.
3
Die zur ordnungsgemäßen Schadensinstandsetzung erforderlichen Reparaturkosten betragen 16.517,57 Euro brutto, 13.880,31 Euro netto. Es besteht eine merkantile Wertminderung von 400,00 Euro. Der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs beträgt 18.000,00 Euro, der Restwert 8.640,00 Euro. In der Folge setzte der Kläger sein Fahrzeug selbst wieder in einen uneingeschränkten fahrfähigen und verkehrssicheren Zustand. Es befand sich jedenfalls am 03.03.2023 wieder in einem verkehrssicheren Zustand.
4
Die Beklagte bezahlte vorgerichtlich 8.920,98 Euro. Mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 07.03.2023 forderte er die Beklagte auf einen weiteren Betrag in Höhe von 5.950,98 Euro zu bezahlen. Weitere Zahlungen der Beklagten erfolgten nicht.
5
Die Klagepartei ist der Ansicht, sie habe einen Anspruch auf Ersatz der fiktiven Nettoreparaturkosten zzgl. der merkantilen Wertminderung. Der Anspruch bestünde bereits vor Ablauf der sechsmonatigen Weiternutzungsfrist, da es sich dabei lediglich um ein Indiz und keine Anspruchsvoraussetzung handeln würde.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger € 5.359,33 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 18.03.2023 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 160,89 zu bezahlen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Anspruch erst nach Ablauf der sechsmonatigen Weiternutzung fällig wird.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und der von ihnen überreichten Urkunden Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist derzeit unbegründet.
11
Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch in Höhe von 5.359,33 Euro ist derzeit nicht fällig.
12
Grundsätzlich kann der Kläger Ersatz der fiktiven Netto-Reparaturkosten verlangen, da diese zwischen Wiederbeschaffungswert und Wiederbeschaffungsaufwand liegen, wenn der Geschädigte das Fahrzeug weiter nutzt.
13
Die sechsmonatige Weiternutzung ist hier als Fälligkeitsvoraussetzung zu sehen.
14
Der BGH hat zwar mit Beschluss vom 18.11.2008, Az.: VI ZB 22/08 entschieden, dass wenn der Geschädigte den Fahrzeugschaden, der über dem Wiederbeschaffungswert, aber innerhalb der 130% Grenze liegt, vollständig und fachgerecht reparieren lässt, so wird der Anspruch auf Ersatz der den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigenden Reparaturkosten im Regelfall nicht erst 6 Monate nach dem Unfall fällig. Die Entscheidung bezieht sich jedoch auf die Abrechnung konkreter Reparaturkosten. Eine Übertragung auf die Abrechnung fiktiver Reparaturkosten erfolgte bislang nicht. Insoweit hat der BGH mit Urteil vom 29.04.2008, Az.: VI ZR 220/07 entschieden, dass ein Unfallgeschädigter fiktiv die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes in der Regel nur abrechnen kann, wenn er das Fahrzeug mindestens 6 Monate weiter nutzt und es zu diesem Zweck falls erforderlich verkehrssicher reparieren lässt. Dies entspricht auch der Entscheidung des BGH vom 23.11.2010, Az.: VI ZR 35/10, worin es auch heißt:
„Vor Ablauf der 6-Monats-Frist kann der Geschädigte, der sein Fahrzeug tatsächlich repariert oder reparieren lässt, Reparaturkosten die den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen, regelmäßig nur ersetzt verlangen, wenn der den konkret angefallenen Reparaturaufwand geltend macht.“
15
Die 6-monatige Weiternutzungsfrist beginnt sobald das Fahrzeug nutzbar, also sich in einem verkehrssicheren verkehrstauglichen Zustand befindet. Soweit es sich nach dem Unfall noch in einem verkehrstauglichen Zustand befindet, beginnt die 6-Monats-Frist mit dem Unfall, ob der Geschädigte das Fahrzeug tatsächlich reparieren lässt ist dann insoweit unerheblich (MüKu BGB/Oetker, 9. Auflage 2022, BGB § 249 Rn. 375). Insoweit sich das Fahrzeug nach dem Unfall nicht in einem verkehrssicheren Zustand befindet, beginnt die Frist zur Weiternutzung sobald es durch Reparatur wieder in einen verkehrstauglichen Zustand gebracht wurde.
16
Vorliegend war das am 22. Januar 2023 verunfallte Fahrzeug nach dem Unfall nicht verkehrssicher und nicht nutzungsfähig wie sich aus dem vorliegenden Privatgutachten Anl. K 1 der Prüfstelle Klemm ergibt. Die Nutzbarkeit wurde erst durch die Reparatur des Klägers wiederhergestellt, sodass es jedenfalls ab dem 03.03.2023 wieder nutzbar war. Folglich war jedoch zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung am 01.08.2023 die 6Monats-Frist noch nicht abgelaufen, sodass der Anspruch nicht fällig ist.
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Die Entscheidung über die Kosten erfolgt aus § 91, wie über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.