Titel:
Untätigkeitsklage nach Dienstaufsichtsbeschwerde
Normenketten:
GG Art. 17
BV Art. 115 Abs. 1
Leitsätze:
1. Dienstaufsichtsbeschwerden gehören zu den Petitionen im Sinne des Art. 17 GG. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Petent hat ein Recht auf Entgegennahme, sachliche Prüfung und Bescheidung seiner Petition, jedoch keinen Anspruch auf Erledigung im Sinne des Petenten. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
3. Innerhalb des durch eine Dienstaufsichtsbeschwerde angestoßenen aufsichtlichen Verfahrens kommt einem Beschwerdeführer verfahrensrechtlich keine eigene Rechtsposition zu. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verbescheidung von Dienstaufsichtsbeschwerden, Petition, Dienstaufsichtsbeschwerde, Bescheidung, Erledigung, Aufsicht, Rechtsposition, Untätigkeitsklage
Fundstelle:
BeckRS 2023, 40739
Tenor
I. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Klagen werden abgewiesen.
III. Die Klägerin trägt die Kosten der Verfahren.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt die Entscheidung über Dienstaufsichtsbeschwerden.
2
Am … Oktober 2015 erhob die Klägerin u.a. Dienstaufsichtsbeschwerde gegen verschiedene Mitglieder des …, dessen Richterin sie ist, zum Bundesministerium der Justiz.
3
Die Dienstaufsichtsbeschwerde wurde von dort im Mai 2016 an den Präsidenten des … weitergeleitet und der Klägerin (vgl. Schreiben vom 4. und 8. Juli 2016) mitgeteilt, dass sie durch die Vizepräsidentin des … geprüft und bearbeitet werde.
4
Am … Juli 2017 erhob der damalige Klägerbevollmächtigte Untätigkeitsklage zum Verwaltungsgericht München (M 23 K 17.4441) mit dem Antrag,
5
die Beklagte zu verpflichten, den … anzuweisen, über die am … Oktober 2015 erhobene Dienstaufsichtsbeschwerde zu entscheiden.
6
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, das Bundesministerium der ... sei verpflichtet, im Rahmen der Dienstaufsicht auf den … einzuwirken; es sei unzumutbar, dass über die Dienstaufsichtsbeschwerde bis heute nicht entschieden worden sei. Die zu erwirkende Entscheidung sei Teil des notwendigen Vorverfahrens für ein anhängiges dienstgerichtliches Verfahren bei dem Bundesgerichtshof (RiZ 2/16).
7
Auf die weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen.
8
In diesem Verfahren beantragte die Beklagte schriftsätzlich am 3. November 2017
10
und führte im Wesentlichen aus, Untätigkeit liege nicht vor, mithin sei die Klage unzulässig, da im Juli 2016 die Abgabe an den … erfolgt sei. Zudem sei eine Untätigkeitsklage unstatthaft, da die Entscheidung über die Dienstaufsichtsbeschwerde keinen Verwaltungsakt darstelle. Weiter fehle ein Rechtschutzbedürfnis, da die Entscheidung des Dienstgerichts nicht von der Verbescheidung der Dienstaufsichtsbeschwerde abhänge, sie sei nicht Teil des dortigen Vorverfahrens, sondern ein formloser Rechtsbehelf.
11
Auf die weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen.
12
Nach Bescheidung der Dienstaufsichtsbeschwerde durch die Vizepräsidentin des … am 14. Mai 2018 erklärte der damalige Klägerbevollmächtigte am ... Juli 2018, das Verfahren sei fortzuführen, es sei keine förmliche Entscheidung getroffen worden; man habe nichts unternommen und sich nicht zur Sache befasst.
13
Darüber hinaus erhob die Klägerin am … August 2017, ergänzt am … Oktober 2017, Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den damaligen Präsidenten des …
14
Am ... Juli 2018, eingegangen am 5. Juli 2018, ließ sie durch den damaligen Klägerbevollmächtigten Untätigkeitsklage zum Verwaltungsgericht München (M 23 K 18.3313) erheben mit dem Antrag,
15
die Beklagte zu verpflichten, über die Dienstaufsichtsbeschwerde vom … August 2017 gegen den Präsidenten des … zu entscheiden.
16
Durch Schriftsatz vom … Juli 2018 erweiterte der Bevollmächtigte die Klage um Verbescheidung der am … Oktober 2017 klageseits dargelegten Sachverhalte.
17
Auf die Einzelheiten der Begründung wird Bezug genommen.
18
Am 3. September 2018 erwiderte die Beklagte diese Klage, beantragte
20
und begründete dies u.a. mit der Unzulässigkeit der Klage mangels Untätigkeit unter Hinweis auf den Gegenstand des am 19. Juni 2016 eingeleiteten dienstgerichtlichen Verfahrens, in dem beklagtenseits vollumfassend vorgetragen worden sei, und die am 14. August 2018 nach Prüfung an die Klägerin ergangene Mitteilung, wonach keine Veranlassung für ministerielles Einschreiten bestehe.
21
Auf die Einzelheiten der Begründung wird Bezug genommen.
22
Der Klägerbevollmächtigte trat dem schriftsätzlich entgegen. So sei es unrichtig, dass die gerügten Sachverhalte und Verhaltensweisen der Dienstaufsicht des Ministeriums entzogen seien. Eine Auseinandersetzung mit inhaltlichen Dingen sei bislang nicht erfolgt.
23
Weiterhin erhob die Klägerin am … und … März, am … Mai, am ... und ... Juli und am … August 2018 beim Bundesministerium der ... Dienstaufsichtsbeschwerden gegen verschiedene Richter, den Präsidenten, die Vizepräsidentin und das Präsidium des …
24
Am … Dezember 2018, eingegangen am 17. Dezember 2018, ließ sie durch den damaligen Klägerbevollmächtigten Untätigkeitsklage zum Verwaltungsgericht Berlin mit dem Inhalt erheben,
25
die Beklagte zu verpflichten, über die Dienstaufsichtsbeschwerden (…) zu entscheiden.
26
Die der Klägerin zugegangenen bisherigen Mitteilungen und Reaktionen seien unzureichend und floskelhaft.
27
Auf die Einzelheiten der Begründung wird Bezug genommen.
28
Das Verwaltungsgericht Berlin verwies diese Streitsache durch Beschluss vom 28. Januar 2019 an das Verwaltungsgericht München (M 23 K 19.480).
29
Der damalige Klägerbevollmächtigte erweiterte das Klagebegehren durch Schriftsatz vom … Februar 2019 um Verbescheidung einer weiteren Dienstaufsichtsbeschwerde vom … Dezember 2018. Auf die Einzelheiten der Begründung wird Bezug genommen.
30
Am 22. März 2019 beantragte die Beklagte
32
und begründete dies im Wesentlichen mit fehlender Untätigkeit, was im Einzelnen dargelegt wurde. Die Dienstaufsichtsbeschwerden seien inhaltlich geprüft, beantwortet und jeweils zurückgewiesen worden. Eine Entscheidung liege auch dann vor, wenn die Sache zuständigkeitshalber an den … weitergeleitet worden sei, dies in den Fällen des § 31 FGO.
33
Auf die Einzelheiten der Begründung wird Bezug genommen.
34
Am 26. September 2020 erklärte der damalige Bevollmächtigte seine Mandatsniederlegung.
35
Auf die in der Folge für die drei o.b. Verfahren eingegangenen weiteren Klagebegründungen der Klägerin (seit jeweiligem Schriftsatz vom ... Oktober 2020) wird Bezug genommen.
36
Zum 1. Januar 2023 teilte das Präsidium des Verwaltungsgerichts München die Streitsachen der 23. Kammer des Verwaltungsgerichts München zu.
37
Die Klägerin rügte schriftsätzlich am … März und ... April 2023 u.a. die Zuständigkeit der Kammer und beantragte u.a. die Aussetzung der Verfahren unter verschiedenen Gesichtspunkten.
38
Am 19. April 2023 fand die mündliche Verhandlung statt, zu der für die Klagepartei niemand erschienen ist. Durch Beschluss lehnte das Gericht u.a. den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens ab.
39
Wegen der weiteren Einzelheiten des Verfahrens, der Klagebegründungen und -erwiderungen wird auf die Gerichts-, die übermittelten Behördenakten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
40
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Klägerin in der mündlichen Verhandlung über die Sachen entscheiden; die Klägerin ist ordnungsgemäß geladen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO). Hinsichtlich der klageseits zur Entscheidung gestellten Anträge zum Verfahren und zur Zuständigkeit wird auf den in der mündlichen Verhandlung ergangenen Beschluss Bezug genommen.
41
Das Gericht verbindet die Streitsachen zur gemeinsamen Entscheidung (§ 93 S. 1 VwGO).
42
Die Klagen sind jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung und gerichtlichen Entscheidung unzulässig. Einerseits sind die ausdrücklich als Untätigkeits- (bzw. Versagungsgegen-) klagen bezeichneten Klageanträge schon unstatthaft, da es sich bei den begehrten Entscheidungen über Dienstaufsichtsbeschwerden um keine Entscheidungen im Sinne eines Verwaltungsaktes handelt (vgl. Ramsauer/Wysk, VwVfG, § 79 Rn. 14). Selbst wenn derartige Entscheidungen bzw. hierauf gerichtetes Handeln demnach mittels allgemeiner Leistungsklage durchsetzbar und die Untätigkeitsklagen dahingehend auszulegen wären, wäre für den maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (anders möglicherweise zum Zeitpunkt der Klageerhebung) der von Klageseite beanspruchte Rechtschutzzweck, nämlich der von dort angenommenen Notwendigkeit des Abschlusses von Dienstaufsichtsbeschwerden als angenommenes Vorverfahren (§ 66 Abs. 2 und 3 DRiG) für das klägerseits nach § 62 Abs. 1 Nr. 4 DRiG angestrengte dienstgerichtliche Verfahren, zum aktuellen Zeitpunkt nicht mehr gegeben, nachdem dieses Verfahren ausweislich der Mitteilung des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung, an deren Richtigkeit zu zweifeln das Gericht keinen Anlass hat, durch die dortige Entscheidung vom 1. März 2022 bereits abgeschlossen ist.
43
Dessen ungeachtet wurden die zum Gegenstand der Verfahren gemachten Dienstaufsichtsbeschwerden aber auch von Seiten der Beklagten beschieden, sodass die gerichtlich geltend gemachten Ansprüche erfüllt sind und daher auch deshalb kein Rechtsschutzbedürfnis (mehr) besteht, auch wenn die Klägerin sich mit Entscheidungsträger, Inhalt und Form nicht zufriedengeben mag.
44
Grundsätzlich haben Eingabensteller von Petitionen und Dienst- bzw. Sachaufsichtsbeschwerden lediglich einen klagbaren Anspruch auf förmliche Befassung, sowie auf angemessene (nicht notwendig formelle) Bescheidung, nicht jedoch auf Prüfung der Sach- und Rechtslage mit einem dem objektiven Recht entsprechenden Ergebnis (Ramsauer/Wysk, a.a.O.). Eine oberste Dienstbehörde ist auch nicht verpflichtet, eine bei ihr erhobene Dienstaufsichtsbeschwerde in vollem Umfang selbst zu prüfen und in der Sache zu bescheiden. Sie kann die Prüfung und Sachbescheidung auch einer nachgeordneten, zuständigen Stelle übertragen (VG Schwerin, U.v. 15.11.2004 – 1 A 568/04 – juris). Dienstaufsichtsbeschwerden gehören zu den Petitionen im Sinne des Art. 17 GG (BVerwG, B.v. 1.9.1976 – VII B 101/75 – NJW 1977, 118; Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand: 88. EL August 2019, Art. 17 Rn. 48). Danach hat der Petent ein Recht auf Entgegennahme, sachliche Prüfung und Bescheidung seiner Petition, jedoch keinen Anspruch auf Erledigung im Sinne des Petenten (BVerfG, B.v. 22.4.1953 – 1 BvR 162/51 – BVerfGE 2, 225; BVerwG, B.v. 1.9.1976 – VII B 101.75 – NJW 1977, 594; BVerfG, B.v. 15.5.1992 – 1 BvR 1553/90 – juris Rn. 21; VGH BW, B.v. 9.4.1980 – 3 S 408/80 – juris; VG Halle, U.v.11.3.2004, 1 A 259/03 – juris). Im Rahmen aufsichtlicher Verfahren kann verfassungsrechtlich insbesondere weder eine bestimmte Begründung und damit eine schriftliche Auseinandersetzung mit dem Vorbringen verlangt werden, noch ein bestimmtes Tätigwerden in der Sache (vgl. BayVerfGH, E.v. 22.2.1996 – Vf. 39-VI-95 – juris Rn. 6; VG München, U.v. 29. September 2016 – M 10 K 15.3610 – juris Rn. 14). Der Beschwerde kommt im Wesentlichen eine Anstoßfunktion zu und dient nicht unmittelbar der Durchsetzung und Wahrung individueller Rechte des Beschwerdeführers. Folglich kommt einem Beschwerdeführer auch verfahrensrechtlich keine eigene Rechtsposition innerhalb des aufsichtlichen Verfahrens zu.
45
Die Beklagte hat dem Anspruch der Klägerin aus Art. 17 GG, Art. 115 BV hinreichend Rechnung getragen. Die Dienstaufsichtsbeschwerden wurden – wie dies in der mündlichen Verhandlung erörtert wurde und im Übrigen in den dem Gericht vorgelegten Behördenakten belegt ist – sämtlich überprüft und beschieden:
46
Das Verfahren zur Dienstaufsichtsbeschwerde vom 11. Oktober 2015 (M 23 K 17.4441) wurde spätestens am 14. Mai 2018 abgeschlossen. Die Beschwerde vom 20. August und 13. Oktober 2017 (M 23 K 18.3313) wurde beklagtenseits geprüft und spätestens am 14. August 2018 erledigt. Die im Verfahren M 23 K 19.480 erhobenen insgesamt sieben Dienstaufsichtsbeschwerden zwischen 14. März und 30. Dezember 2018 zeitigten Reaktion und Benachrichtigung der Beklagten vom 15. Mai, 14. August, und vom 10. September 2018 und vom 25. Januar 2019.
47
Damit ist den verfassungsrechtlichen Ansprüchen aus Art. 17 GG (und Art. 115 Abs. 1 BV) Genüge getan; ein weiterer Anspruch auf bestimmte Form und Begründungstiefe bzw. Vorgabe bestimmten Tätigwerdens steht der Klägerin nicht zu. Unerheblich bleibt es schließlich, dass wegen teilweise später(er) Bescheidung Teile der Leistungsklagen bei Klagerhebung ursprünglich begründet gewesen sein mögen (vgl. hierzu exemplarisch VG Halle, U.v. 11.03.2004 -1 A 259/03 – juris). Diese Ansprüche bestehen zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mehr.
48
Die Klagen waren daher unter der jeweiligen Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO und mit dem jeweiligen Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO abzuweisen.