Inhalt

VG München, Urteil v. 09.11.2023 – M 1 K 20.6165
Titel:

Vorbescheid für Mehrfamilienhaus

Normenketten:
BauGB § 34 Abs. 1
BayBO Art. 71
Leitsätze:
1. Welcher Bereich als „nähere Umgebung“ (§ 34 Abs. 1 S. 1 BauGB) anzusehen ist, hängt davon ab, inwieweit sich einerseits das geplante Vorhaben auf die benachbarte Bebauung und sich andererseits diese Bebauung auf das Baugrundstück prägend auswirken. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Erfordernis des Einfügens hindert nicht schlechthin daran, den vorgegebenen Rahmen einer Bebauung zu überschreiten. Aber es hindert daran, dies in einer Weise zu tun, die – sei es schon selbst oder sei es infolge der Vorbildwirkung – geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche und erst noch ausgleichsbedürftige Spannungen zu begründen oder die vorhandenen Spannungen zu erhöhen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorbescheid für Mehrfamilienhaus, Einfügen nach dem Maß der Bauweise, Entstehen eines überlangen Baukörpers, Keine Nachprägung eines Hotelkomplexes, Vorbescheid, Einfügung in die Umgebung, Eigenart der näheren Umgebung, bodenrechtliche Spannungen, Vorbildwirkung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 40738

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen.
II.    Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt die Erteilung eines Bauvorbescheids für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses.
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Der Kläger erwarb nach eigenen Angaben im Jahre 2017 zusammen mit seiner Ehefrau die Grundstücke FlNrn. 47/30 und 55/4 Gem. … Das Grundstück FlNr. 47/30 (im Folgenden: Vorhabengrundstück) ist unbebaut. Nördlich hiervon liegt das Grundstück FlNr. 47/29, südlich das Grundstück FlNr. 47/11, die beide grenzständig zum Vorhabengrundstück bebaut sind. Laut der Klagepartei waren die Grundstücke FlNrn. 47/30, 47/29 und 47/11 ca. 100 Jahre lang mit einem Hotelkomplex von ca. 65 m Länge bebaut gewesen. Dessen Mittelteil – auf dem Vorhabengrundstück – ist abgerissen und der südlich gelegene Teil aufgestockt worden. Die Grundstücke liegen zur K.-O.-Straße an. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich das Zwickelgrundstück FlNr. 55/4. Ein Bebauungsplan besteht für den Bereich nicht.
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Unter dem 2. Juli 2020 beantragte der Kläger die Erteilung eines Bauvorbescheids für die Errichtung eines grenzständigen Mehrfamilienhauses auf dem Vorhabengrundstück, das an die benachbarten Gebäude angebaut werden soll.
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Die Beigeladene beschloss am 2. September 2020, das gemeindliche Einvernehmen nicht zu erteilen.
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Nach Eingang der Unterlagen hörte das Landratsamt den Kläger mit Schreiben vom 1. Oktober 2020 zum Erlass eines ablehnenden Bescheids an.
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Mit Bescheid vom 2. November 2020 lehnte das Landratsamt den Antrag des Klägers vom 2. Juli 2020 auf Erteilung einer Baugenehmigung ab und führte in den Bescheidsgründen aus, dass der Vorbescheid nicht zu erteilen sei, weil das Vorhaben planungsrechtlich unzulässig sei. Das Vorhaben füge sich nach dem Maß nicht ein. Das nördlich gelegene Gebäude habe eine Länge von ca. 32 m, das südlich gelegene von ca. 12 m; beide seien in offener Bauweise errichtet. Mit dem Vorhaben entstehe eine geschlossene Bauweise mit drei Gebäuden und einer Gesamtlänge von ca. 65 m. Derartiges sei in der Umgebung nicht vorzufinden.
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Der Kläger hat, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, am … November 2020 Klage erhoben und beantragt zuletzt sinngemäß:
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1. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamts … vom 2. November 2020 auf seinen Antrag auf Erteilung eines Vorbescheids vom 2. Juli 2020 hin den Vorbescheid für den Neubau eines Mehrfamilienhauses am Hang auf dem Grundstück FlNrn. 47/30, 55/4 Gem. … zu erteilen.
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2. Hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag auf Vorbescheid des Klägers vom 2. Juli 2020 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
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Es sei bereits im Jahr 1994 eine Baugenehmigung auf dem Vorhabengrundstück für ein Mehrfamilienhaus mit elf Wohnungen erteilt worden, um die Baulücke zu schließen. Zwar sei diese erloschen, gleichwohl gingen von ihr weiterhin Rechtswirkungen aus mit Blick auf die Selbstbindung der Verwaltung und das Willkürverbot, weil sich die planungsrechtliche Situation seither nicht geändert habe. Vielmehr habe sich das Landratsamt von sachfremden Erwägungen leiten lassen, weil es dem Druck der benachbarten Wohnungseigentümer unterlegen sei. Diese hätten ohne Rechtsgrundlage Fenster zum Vorhabengrundstück hin errichtet und hätten sich bei Bekanntwerden des Vorhabens an das Landratsamt gewandt. Die Klagepartei habe sowohl das Landratsamt als auch die Hausverwaltung frühzeitig informiert und auf eine notarielle Teilungserklärung aus dem Jahr 1994 hingewiesen, wonach der Kläger berechtigt sei, die Wiedererrichtung zu verlangen. Die Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens sei unter Verkennung der planungsrechtlichen Situation und wegen des sentimentalen Geschmacksempfindens des gemeindlichen Sanierungsbeauftragten anhand eines historischen Fotos erfolgt. Die Kehrtwende des Landratsamts könne angesichts des vormaligen Inaussichtstellens einer Genehmigung nur so erklärt werden, dass der Gemeinde geholfen werden solle, die ihr Einvernehmen verweigert habe. Die Umgebung weise keinerlei Einheitlichkeit auf, sondern sei ein unharmonisches wildes Durcheinander von großen Mietskasernen, Bahngleisen, Hallen für Gärtnereien, massive Hanglagen auf der einen Seite und dem Fluss Inn auf der anderen sowie von massivem Verkehrsaufkommen. In ca. 250 m Entfernung liege zudem eine soziotherapeutische Einrichtung, die in L-Form errichtet sei und eine Gesamtlänge von ca. 109 m aufweise. Die gegenüberliegenden Mietskasernen seien so eng aneinandergebaut, dass sie den Eindruck eines fast geschlossenen Baukörpers von ca. 126 m vermittelten. Ohnehin müsse auf zweiter Stufe geprüft werden, ob es sich auch beim Abweichen vom bestehenden Rahmen gleichwohl einfüge, weil die gebotene Harmonie nicht zur Uniformität zwinge, zumal es sich hier um einen Ersatzbau handele. Es sei auch nicht berücksichtigt worden, dass der Teilabriss zu einer hässlichen Baulücke mit Betonwand am Hang geführt habe, ebensowenig, dass der historische Bestand auf dem Grundstück FlNr. 47/29 äußerst massiv sei und über fünf Stockwerke bei einer Breite von 32 m aufweise. Hiergegen falle das Vorhaben klein aus und werde durch den Bestand in den Hintergrund gedrängt. Keineswegs handele es sich um einen Fremdkörper, sondern um die Schließung einer nicht ins Gefüge passenden Baulücke, wie es einst ausgesehen habe. Auch zivilrechtlich sei der Kläger zu der Wiederherstellung des früheren Zustands berechtigt; anderes könne im Übrigen auch abstandsflächenrechtlich nicht verwirklicht werden. In der Baulücke befinde sich noch die ursprüngliche Bodenplatte; insoweit sei auf § 1a Abs. 2 BauGB hinzuweisen, dass versiegelte Flächen vorrangig zu bebauen seien.
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Der Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
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Das Vorhaben sei planungsrechtlich unzulässig, weil es sich insbesondere im Hinblick auf die Bauweise nicht in die nähere Umgebung einfüge und im Hinblick auf die dann entstehende tatsächliche Größe dreier zusammengebauter Gebäude städtebauliche Spannungen hervorrufe. Die nähere Umgebung sei von offener Bauweise geprägt; mit dem Vorhaben entstehe eine geschlossene Bauweise mit einer Länge von 65 m. Ein Vorbild hierfür sei in der näheren Umgebung nicht zu finden. Der L-förmige Baukörper präge die nähere Umgebung des Baugrundstücks nicht.
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Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
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Auf Grundlage eines Beweisbeschlusses vom 28. März 2023 hat das Gericht am 9. November 2023 einen Ortsaugenschein durchgeführt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift des Augenscheins samt Lichtbildern sowie auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
I.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung des beantragten Vorbescheids für die Errichtung eines grenzständigen Mehrfamilienhauses auf dem Grundstück FlNr. 47/30 Gem. …, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Ablehnungsbescheid vom 2. November 2019 erweist sich vielmehr als rechtmäßig.
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1. Das Vorbescheidsvorhaben ist aus bauplanungsrechtlichen Gründen unzulässig.
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Nach Art. 71 Satz 1 BayBO ist auf Antrag des Bauherrn vor Einreichung des Bauantrags zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens ein Vorbescheid zu erteilen. Für die Durchführung des Verfahrens zum Erlass eines Vorbescheids gelten grundsätzlich die gleichen Vorschriften und Grundsätze wie für das Baugenehmigungsverfahren, vgl. Art. 71 Satz 4 BayBO. Ein Vorbescheid ist nur dann zu versagen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind (Art. 71 Satz 4 i.V.m. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO).
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a) Gegenstand des Vorbescheidsverfahrens ist die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens.
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Der Vorbescheidsantrag enthält zwar keine klare Fragestellung des Klägers und keine Konkretisierung auf bestimmte Aspekte des Vorhabens. Insoweit gilt, dass die Behörde einen solchen Antrag auszulegen und das Begehren des Antragstellers zu ermitteln hat. Im Zweifel ist ein pauschaler Antrag dahingehend auszulegen, dass eine Antwort auf die Frage nach der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens einschließlich Erschließung gestellt ist (Michl in BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 27. Aufl. 2022, Art. 71 Rn. 23). Zutreffend legte der Beklagte den Antrag dahingehend aus und beschränkte sich auf die Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit, die auch im gerichtlichen Verfahren entscheidend ist.
23
b) Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Hier fügt sich das Innenbereichsvorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart seiner näheren Umgebung ein.
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aa) Maßgeblicher Beurteilungsrahmen für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach dem Maß der baulichen Nutzung ist gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB die Eigenart der näheren Umgebung. Der die nähere Umgebung bildende Bereich reicht so weit, wie sich die Ausführung des zur bauaufsichtlichen Prüfung gestellten Vorhabens auswirken kann und wie die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst, wobei darauf abzustellen ist, was in der Umgebung tatsächlich vorhanden ist (BVerwG, B.v. 27.3.2018 – 4 B 60.17 – juris Rn. 7). Welcher Bereich als „nähere Umgebung“ anzusehen ist, hängt davon ab, inwieweit sich einerseits das geplante Vorhaben auf die benachbarte Bebauung und sich andererseits diese Bebauung auf das Baugrundstück prägend auswirken (BayVGH, U.v. 18.7.2013 – 14 B 11.1238 – juris Rn. 19 m.w.N.). Daraus folgt, dass nicht nur die unmittelbare Nachbarschaft des Baugrundstücks zu berücksichtigen ist, sondern auch die Bebauung der weiteren Umgebung insoweit berücksichtigt werden muss, als auch diese noch prägend auf das Baugrundstück einwirkt (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 – 4 C 9.77 – juris Rn. 33). Wie weit diese wechselseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalls. Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74.03 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 16.12.2009 – 1 CS 09.1774 – juris Rn. 21; B.v. 27.9.2010 – 2 ZB 08.2775 – juris Rn. 4). Die maßgebliche nähere Umgebung ist für jedes der in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB aufgeführten Zulässigkeitsmerkmale gesondert zu ermitteln, weil die prägende Wirkung der jeweils maßgeblichen Umstände unterschiedlich weit reichen kann. Bei den Kriterien Nutzungsmaß und überbaubare Grundstücksfläche ist der maßgebliche Bereich in der Regel enger zu begrenzen als bei der Nutzungsart (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38.13 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 16.12.2009 – 1 CS 09.1774 – juris Rn. 21 m.w.N.; U.v. 12.12.2013 – 2 B 13.1995 – juris Rn.15; B.v. 14.2.2018 – 1 CS 17.2496 – juris Rn. 13). Entscheidend bleiben in jedem Fall die tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall.
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bb) Die Kammer hat zur Anwendung dieser Grundsätze einen Ortsaugenschein durchgeführt. Nach den dort gewonnenen Überzeugungen gilt, dass die maßgebliche nähere Umgebung des Vorhabens zunächst in dem Bereich östlich und westlich der K.-O.-Straße besteht. Nach Süden wird der Bereich begrenzt durch die Einmündung an der K. Straße, wobei die Bebauung auf dem Grundstück FlNr. 49 westlich der K. Straße auch zum näheren Umgriff zu rechnen ist. In Richtung Nordwesten reicht die nähere Umgebung bis zur Höhe des Grundstücks FlNr. 47/26 (Hausnummer ...) und FlNr. 57 (Hausnummer ...). Die soziotherapeutische Einrichtung auf dem Grundstück FlNr. 56/4 gehört der näheren Umgebung nicht mehr an. Sie vermag das Grundstück nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht zu prägen. Dies gilt angesichts der fehlenden Sichtbeziehung zwischen dieser und dem baulichen Grundstück sowie der gegebenen erheblichen Entfernung zwischen diesen. Gemessen aus dem Bayernatlas beträgt diese ca. 230 m ab der nordöstlichen Hausecke auf dem Grundstück FlNr. 47/29 (Hausnummer ...). Eine Wahrnehmbarkeit und eine Prägung des Vorhabengrundstücks sind nicht gegeben. In Richtung Osten sieht die Kammer die K. Straße als Begrenzung der maßgeblichen näheren Umgebung. Der Straße kommt angesichts ihrer Verkehrsbedeutung und ihrer Breite von ca. 8 m (vgl. Foto Nr. 5) trennende Wirkung zu. Sie vermag damit keine prägende Wirkung der baulichen Anlagen auf ihrer südöstlichen Straßenseite zu dem Vorhabengrundstück herzustellen. Auf das Maß der baulichen Anlagen auf dem Grundstück FlNr. 55/2 kommt es daher für die Beurteilung des Vorhabens nicht an.
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cc) In die so umgrenzte nähere Umgebung fügt sich das Vorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht ein. Der Bereich ist, soweit überhaupt bebaut, überwiegend von kleinteiliger Wohnbebauung geprägt. Das Vorhaben, dessen Grundfläche selbst zwar nur 20,58 m auf 15,18 m misst, soll an die vorhandenen Gebäude angebaut werden. So entstünde ein Gebäuderiegel, der von seiner Kubatur, insbesondere hinsichtlich der Gebäudelänge, keinerlei Vorbild in der näheren Umgebung hat. Die Anlage würde nach Fertigstellung des Vorhabens eine Gesamtlänge von ca. 63 m aufweisen. Weder die umgebende Wohnbebauung noch die Kirche (FlNr. 48) oder das Nebengebäude auf dem Grundstück FlNr. 49 weisen ansatzweise eine derartige Gebäudelänge auf. Das Gebäude nördlich des Vorhabengrundstücks selbst, an das angebaut werden soll und das das längste der Umgebung ist, weist auch nur eine Länge von ca. 30 m auf.
27
dd) Es ist auch keine prägende Nachwirkung des früheren Hotelkomplexes festzustellen, die zugunsten der Zulässigkeit des Vorhabens spräche. Die vorgelegten historischen Ansichten belegen zwar eine ehemals bestehende geschlossene Bebauung mit einer Gebäudelänge vergleichbar dem aktuellen Vorhaben. Diese ist jedoch an den heutigen Gegebenheiten städtebaulich nicht ansatzweise mehr ablesbar. Vielmehr stellen sich die Gebäude auf den Grundstücken FlNrn. 47/29 und 47/11 als nunmehr selbständige Bauten dar. Insbesondere das südlich gelegene Mehrfamilienhaus (E + II + D) ist von seinem äußeren Erscheinungsbild her ein gänzlich anderes Gebäude als der vormalige erdgeschossige Anbau. Auch die auf dem Vorhabengrundstück vorhandene Betonplatte vermag zu keiner dem Kläger günstigeren Beurteilung der planungsrechtlichen Situation führen; ebensowenig der Hinweis darauf, dass es sich um eine hässliche Baulücke handele.
28
ee) Zwar vermag sich auch ein Vorhaben, das kein Beispiel im vom Vorhandenen aufgezeigtem Rahmen findet, im Einzelfall einfügen im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
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Die Feststellung, dass sich alle Vorhaben, die den durch ihre Umgebung gesetzten Rahmen einhalten, in der Regel dieser Umgebung einfügen, erschöpft die Möglichkeit des Einfügens nicht. Auch Vorhaben, die den aus ihrer Umgebung ableitbaren Rahmen überschreiten, können sich dennoch dieser Umgebung einfügen. Bei der Einfügung geht es weniger um Einheitlichkeit als um „Harmonie“. Daraus, dass ein Vorhaben in seiner Umgebung – überhaupt oder doch in dieser oder jener Beziehung – ohne ein Vorbild ist, folgt noch nicht, dass es ihm an der („harmonischen“) Einfügung fehlt. Das Erfordernis des Einfügens schließt nicht schlechthin aus, etwas zu verwirklichen, was es in der Umgebung bisher nicht gibt. Das Gebot des Einfügens soll nicht als starre Festlegung auf den gegebenen Rahmen allen individuellen Ideenreichtum blockieren; es zwingt nicht zur Uniformität. Das Erfordernis des Einfügens hindert nicht schlechthin daran, den vorgegebenen Rahmen zu überschreiten. Aber es hindert daran, dies in einer Weise zu tun, die – sei es schon selbst oder sei es infolge der Vorbildwirkung – geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche und erst noch ausgleichsbedürftige Spannungen zu begründen oder die vorhandenen Spannungen zu erhöhen (BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – BVerwGE 55, 369-388, juris Rn. 47f.).
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Auch die Anwendung dieser Grundsätze führt nicht zur planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens. Tatsächlich würde die Verwirklichung des Vorhabens im Verhältnis zu seiner Umgebung bewältigungsbedürftige Spannungen begründen und die städtebauliche Situation belasten in dem Sinne, die vorgegebene Situation in Bewegung zu bringen. Es entstünde in dem maßgeblichen Bereich erstmals eine geschlossene Straßenrandbebauung. Das Vorhaben würde einen krassen und unharmonischen Kontrast in seiner Umgebung darstellen, der das städtebauliche Erscheinungsbild stark verändern würde und nicht zuletzt Vorbildwirkung für zahlreiche Grundstücke in der näheren Umgebung besäße.
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c) Von einer im Jahr 1994 erteilten Baugenehmigung geht entgegen der Ansicht des Klägervertreters keine Rechtswirkung mehr aus. Nach Ablauf der Geltungsdauer ist die untere Bauaufsichtsbehörde frei und im Übrigen verpflichtet, eine neue Rechtmäßigkeitsprüfung vorzunehmen. Diese kann auch bei unveränderten äußeren Rahmenbedingungen dazu führen, dass sich die Rechtsauffassung der Behörde ändert und wie hier die planungsrechtliche Zulässigkeit verneint wird. Auf die von den Beteiligten aufgeworfene Frage, ob sich das Vorhaben nach seiner Bauweise in die nähere Umgebung einfügt, kommt es nach alledem nicht entscheidungserheblich an.
II.
32
Auch der hilfsweise gestellte Antrag auf Neuverbescheidung hat keinen Erfolg. Voraussetzung hierfür wäre, dass es dem begehrten Vorbescheid an Spruchreife fehlt, vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO. Dies ist entsprechend den obigen Erwägungen nicht der Fall; im Übrigen steht die Erteilung der Baugenehmigung auch nicht im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde.
III.
33
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht i.S.v. § 162 Abs. 3 VwGO billigerweise erstattungsfähig, weil die Beigeladene keinen Antrag gestellt hat und damit ihrerseits kein Kostenrisiko eingegangen ist (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.