Titel:
Erfolglose Grundsatzrüge in asylrechtlichem Streitverfahren
Normenkette:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4
Leitsatz:
Eine auf tatsächliche Verhältnisse gestützte Grundsatzrüge im Asylstreitverfahren erfordert auch die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylstreitverfahren, grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Darlegungsanforderungen, tatsächliche Verhältnisse, Erkenntnismittel, Entscheidungserheblichkeit, Klärungsbedürftigkeit, Nigeria
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 21.08.2023 – M 15 K 19.32350
Fundstelle:
BeckRS 2023, 40665
Tenor
I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 21. August 2023 – M 15 K 19.32350 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg.
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Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt.
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1. Um die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache darzulegen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, zudem ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, ferner erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist und ihr eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt (BayVGH, B.v. 16.2.2017 – 6 ZB 16.1586 – juris Rn. 25 m.w.N.). Eine auf tatsächliche Verhältnisse gestützte Grundsatzrüge erfordert überdies die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind (BayVGH, B.v. 12.6.2018 – 6 ZB 18.31347 – Rn. 3; B.v. 10.1.2018 – 6 ZB 18.30037 – Rn. 5; OVG NW, B.v. 23.2.2017 – 4 A 685/14.A – juris Rn. 5). Diesen Anforderungen genügt die Zulassungsschrift nicht.
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a) Sie wirft als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf, ob „es sich bei Opfern von Menschenhandel um eine soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG [handelt], so dass – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 zuzuerkennen ist“.
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Die Klägerin hat schon die Entscheidungserheblichkeit der von ihr aufgeworfenen Frage nicht dargelegt. Sie unterstellt einen Sachverhalt, den das Verwaltungsgericht so nicht festgestellt hat. Dass die Klägerin Opfer von Menschenhandel geworden wäre, wie sie vorbringt, lässt sich den Feststellungen des Gerichts nicht entnehmen. Das Gericht hat vielmehr ausgeführt, es könne offenbleiben, ob der Vortrag der Klägerin zur Verfolgung durch die „M.“ namens „R.“ sowie deren Helfer und Mitglieder einer „Gang“ glaubhaft sei. Denn die Klägerin müsse sich jedenfalls auf eine inländische Fluchtalternative gemäß § 3e (i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1) AsylG verweisen lassen. (UA Rn. 13). Auf die aufgeworfene Frage, ob Opfer von Menschenhandel eine soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG darstellen, kommt es daher nicht an.
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b) Die Zulassungsschrift wirft weiter als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf, ob „angesichts der derzeitigen prekären Sicherheitslage in Nigeria ein ernsthafter Schaden im Sinne einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG)“ droht. Gegenwärtig komme es in Nigeria nicht nur im vom Terror der B. H. geprägten Norden, sondern in allen Landesteilen zu immer häufigeren und größeren, meist blutigen, Konflikten zwischen der Regierung und (u.a.) der Volksgruppe der Igbo, insbesondere der Anhänger der Biafra-Bewegung, sowie verschiedener Volksgruppen bzw. Ethnien untereinander. Es liege in ganz Nigeria ein innerstaatlicher Konflikt vor.
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Die Frage zielt letztlich auf die Klärung ab, ob angesichts der derzeitigen Sicherheitslage in Nigeria in allen Landesteilen Nigerias eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht und daher eine Verweisung von Rückkehrern auf internen Schutz gemäß § 3e Nr. 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 und 2 AsylG) ausscheidet. Auch bei diesem Verständnis der Frage vermag sie die Zulassung der Berufung nicht zu rechtfertigen. Denn die Klärungsbedürftigkeit der Frage ist nicht hinreichend dargelegt. Die Klägerin räumt selbst ein, dass aktuelle Erkenntnismittel, aus denen sich die von ihr behauptete – im gesamten Land drohende – tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinn des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ergebe, (noch) nicht verfügbar seien. Die von ihr zitierten Erkenntnismittel geben lediglich die Situation bis Ende 2020 wieder. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der einen – zugunsten der Klägerin unterstellten – innerstaatlichen bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land allein durch die Anwesenheit im Gebiet dieses Landes – und zwar auch in den vom Verwaltungsgericht als Orte des internen Schutzes genannten Millionenstädten Nigerias (vgl. UA Rn. 14) – tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – C 467/07 – juris Rn. 35; U.v. 10.6.2021 – C-901/19 – juris Rn. 28) sind nicht dargelegt. Soweit die Klägerin rügt, das Gericht habe sich mit den von ihr genannten Erkenntnisquellen nicht auseinandergesetzt, macht sie der Sache nach ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils geltend, die keinen Zulassungsgrund im Sinn des § 78 Abs. 3 AsylG darstellen.
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Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylG).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).