Titel:
Kita-Notbetreuung während Corona-Pandemie keine betriebsbedingte Schließung
Normenketten:
BayKAG Art. 8 Abs. 2, Abs. 4
SGB VIII § 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 S. 2, S. 4
BayKitGS § 8 Abs. 1, § 9
Leitsatz:
Die coronabedingte Beschränkung des Betreuungsangebots einer kommunalen Kindertageseinrichtung auf eine Notbetreuung für bestimmte Personengruppen stellte keine betriebsbedingte Schließung der Einrichtung dar, die nach Maßgabe der jeweiligen Satzungsregelung eine partielle Gebührenerstattung rechtfertigen könnte. (Rn. 25 – 30)
Schlagworte:
Gebühr für Kindertageseinrichtung, zeitweilige coronabedingte Schließung, Aufrechterhaltung einer Notbetreuung, Gebührenerstattung, Corona, Kindertageseinrichtung, Kita, Notbetreuung, Schließung, betriebsbedingt
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 19.05.2022 – RO 11 K 21.776
Fundstellen:
LSK 2023, 40664
DÖV 2024, 535
NVwZ-RR 2024, 342
BeckRS 2023, 40664
Tenor
I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 19. Mai 2022 wird abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt eine Teilerstattung der Gebühren für den Besuch des Kinderhorts der Beklagten durch seine Tochter (damals 3. Klasse) für die Monate Mai und Juni 2020, in denen der Besuch der Einrichtung pandemiebedingt nicht bzw. nur eingeschränkt möglich war.
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Die Beklagte hat für ihre Kindertageseinrichtungen eine Gebührensatzung (KiTGS) erlassen. Nach deren § 2 Abs. 1 werden Besuchsgebühren für den regelmäßigen Besuch der Kindertageseinrichtung erhoben. Nach § 4 Abs. 1 entstehen die Gebühren mit der Aufnahme des Kindes in die Einrichtung, im Übrigen jeweils fortlaufend mit Beginn eines Kalendermonats. Bei Aufnahme oder Ausscheiden eines Kindes während eines Monats fällt die volle Monatsgebühr an (§ 4 Abs. 2). Die Besuchsgebühren werden für maximal elf Monate erhoben; für den August entsteht keine Gebühr (§ 4 Abs. 3). § 8 KiTGS regelt die Erstattung von Besuchsgebühren bei betriebsbedingter Schließung der Kindertageseinrichtung ohne Ersatzangebot und über 30 Schließungstage pro Jahr hinaus.
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Der Kläger meldete seine Tochter im Besuchsjahr 2019/2020 (September 2019 bis August 2020) für eine Betreuung von drei bis vier Stunden, ab Januar für eine Betreuungszeit von vier bis fünf Stunden im Hort der Beklagten mit Ferienbetreuung ab 30 Tagen an. Die monatliche Besuchsgebühr hierfür betrug ab Januar 2020 laut Satzung 90 Euro zzgl. 10 Euro für die Ferienbetreuung (insgesamt 100 Euro).
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Aufgrund der Corona-Pandemie entfielen seit dem 16. März 2020 an allen schulvorbereitenden Einrichtungen, Kindertageseinrichtungen, Kindertagespflegestellen und heilpädagogischen Tagesstätten in Bayern die regulären Betreuungsangebote bis einschließlich 30. Juni 2020. Dies ergab sich aus der auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes erlassenen Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 13. März 2020 (Az. 51-G8000-2020/122-65) und aus den nachfolgenden Allgemeinverfügungen. Grundsätzlich galt danach ein Betretungsverbot für Kindertageseinrichtungen; die Träger der Einrichtungen waren aber von Anfang zur Aufrechterhaltung einer Notbetreuung verpflichtet (vgl. z.B. Nr. 3. der Allgemeinverfügung vom 13. März 2020). Das Betretungsverbot in den Allgemeinverfügungen wurde mehrmals, zuletzt bis 30. Juni 2020, verlängert, wobei die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Notbetreuung in mehreren Schritten gelockert wurden.
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Der Kläger nahm die Notbetreuung für seine Tochter im Mai für drei Tage und im Juni für zwölf Tage in Anspruch.
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Der Stadtrat der Beklagten beschloss am 28. Mai 2020, auf die Besuchsgebühren für die städtischen Kindertageseinrichtungen für die Monate April, Mai und Juni 2020 zu verzichten und bereits bezahlte Gebühren zurückzuerstatten. Dies gelte jedoch nicht, wenn die Notbetreuung in Anspruch genommen worden sei oder werde. Für die betreffenden Kinder sei für den jeweiligen Monat auch der komplette Monatsbeitrag zu zahlen, unabhängig davon, an wie vielen Tagen die Einrichtung besucht worden sei.
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Mit Schreiben vom 20. September 2020 beantragte der Kläger bei der Beklagten gemäß § 8 Abs. 1 KiTGS die anteilige Rückerstattung der Besuchsgebühren für die Monate Mai und Juni 2020 (5 Euro pro Tag) für die insgesamt 25 Tage, an denen seine Tochter den Hort nicht besucht hatte.
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Am 21. April 2021 erhob er Untätigkeitsklage gegen die Beklagte auf (Rück-)Zahlung von insgesamt 125 Euro. Die Gebührensatzung sei mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und damit unwirksam. Gebührenmaßstab müsse gemäß Art. 8 Abs. 4 KAG die tatsächliche Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung sein; es handle sich nicht um einen Beitrag nach Art. 5 KAG. Die Bemessung des Kostenbeitrags sei an die tatsächliche Inanspruchnahme der kostenpflichtigen Angebote geknüpft. Im sogenannten Lockdown von April bis Juni 2020 sei die Einrichtung ohne Ersatz betriebsbedingt geschlossen gewesen. Nur unter engen Voraussetzungen sei die Inanspruchnahme der Notbetreuung gestattet gewesen. Die Frist von 30 Tagen sei durch den umfassenden Lockdown im relevanten Zeitraum offenkundig überschritten worden. Der Anspruch folge aus § 8 Abs. 1 KiTGS. Die Betriebsbedingtheit der Schließung ergebe sich aus den landesweit angeordneten infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen. Das Risiko der Ansteckung und der Weiterverbreitung des Virus sei gerade in Kindertageseinrichtungen evident.
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Die Beklagte trat der Klage entgegen. Rechtsgrund für die vom Kläger erbrachten Benutzungsgebühren sei die Inanspruchnahme der Notbetreuung in den Monaten Mai und Juni 2020. Die Gebühren würden für den regelmäßigen Besuch der Einrichtung erhoben; die Gebührenpflicht entstehe mit der Aufnahme des Kindes in die Einrichtung und ende mit der Abmeldung. Solange ein Kind in der Einrichtung angemeldet sei, verursache es Kosten. Räume und Personal würden vorgehalten und Dienstleistungen angeboten. Die Regelung in § 8 Abs. 1 KiTGS berücksichtige spezielle Fallkonstellationen der Rückerstattung, unter anderem dass die Einrichtung länger als 30 Tage betriebsbedingt geschlossen gewesen sei. Die Nichtinanspruchnahme der Notbetreuung sei nicht mit einer Kostenersparnis verbunden gewesen. Es liege schon keine Schließung vor, da die Notbetreuung weiterhin aufrechterhalten worden sei. Die Einrichtung sei jedenfalls nicht betriebsbedingt, sondern pandemiebedingt geschlossen gewesen. Die Schließung sei von der Einrichtung nicht beeinflussbar gewesen.
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Das Verwaltungsgericht Regensburg gab mit Urteil vom 19. Mai 2022 der Klage statt und verpflichtete die Beklagte, den geforderten Betrag in Höhe von 125 Euro im Wege eines Erstattungsbescheids festzusetzen. Zwar sei die Auffassung, dass Besuchsgebühren nur bei tatsächlicher Inanspruchnahme der Einrichtung anfielen, nicht richtig; vielmehr stelle die vereinbarte Dauer des Besuchs der Einrichtung den Abgabemaßstab dar, weil in diesem Umfang eine willentliche Inanspruchnahme der Einrichtung gegeben sei. § 8 Abs. 1 KiTGS gewähre dem Kläger jedoch den eingeklagten Rückerstattungsanspruch. Von einer „Schließung“ der Einrichtung sei auch bei Aufrechterhaltung einer Notbetreuung auszugehen, gerade weil der reguläre Betrieb untersagt gewesen sei. Durch das in der Allgemeinverfügung verfügte Betretungsverbot sei der Primärzweck der Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern nicht mehr erfüllt worden. Die Notbetreuung habe nur den Zweck der Sicherstellung der kritischen Infrastruktur durch den Erhalt der Arbeitsfähigkeit der Erziehungsberechtigten verfolgt. Die Schließung sei auch betriebsbedingt gewesen. Wie die Begründungen der Allgemeinverfügungen zur Schließung von Kindertageseinrichtungen zeigten, verwirkliche sich gerade dort das Risiko der Pandemie. Hilfsweise bestehe ein allgemeiner öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch des Klägers, da der Rechtsgrund zum Behaltendürfen der Besuchsgebühren durch die Schließung der Kindertageseinrichtungen – unabhängig von der angebotenen Notbetreuung – entfallen sei. Ein Gebührenbescheid liege nicht vor; ein solcher hätte sich aufgrund der Schließung der Kindertageseinrichtung ohnehin auf andere Weise erledigt. Die Gebührenpflicht bestehe nur, solange das Betreuungsangebot aufrechterhalten werde.
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Gegen das Urteil legte die Beklagte die vom Senat zugelassene Berufung ein. Durch die Aufrechterhaltung der Notbetreuung habe schon keine Schließung der Einrichtung vorgelegen. Zwar sei das reguläre Angebot nicht verfügbar gewesen, jedoch gehöre die Betreuung der Kinder zu den Hauptaufgaben einer Kindertageseinrichtung, die auch in der Notbetreuung vollständig erfüllt worden seien. Auch die Notbetreuung sei durch angemessen qualifiziertes Fachpersonal erfolgt. Das Zweckargument – Sicherstellung der Arbeitsleistung der Eltern – verfange seit der Allgemeinverfügung vom 8. Mai 2020 nicht mehr, weil ab diesem Zeitpunkt schulpflichtigen Kindern an den Tagen, an denen sie den Unterricht vor Ort in der Schule besucht hätten, der Hortbesuch wieder erlaubt gewesen sei. Die Schließung der Einrichtung sei jedenfalls nicht betriebsbedingt, sondern pandemiebedingt gewesen. Es habe sich um höhere Gewalt gehandelt, die als betriebsfremd einzustufen sei. Die Schließung habe auf einem von außen durch Handlungen Dritter einwirkenden Ereignis beruht, das unvorhersehbar gewesen sei. Dass die Übertragungsgefahr aufgrund der Eigenart von Kindertageseinrichtungen nach der Begründung der Allgemeinverfügungen besonders hoch sei, reiche nicht. Das Verwaltungsgericht unterscheide nicht zwischen klassischen Infektionskrankheiten wie Masern oder Pocken und einer pandemischen Lage. Aus Sicht der Beklagten habe sich ein betriebsbezogenes Risiko gerade nicht verwirklicht. Die Unmöglichkeit eines regulären Betreuungsangebots sei Folge eines hoheitlichen Eingriffs und vom Träger der Kindertageseinrichtungen nicht zu vertreten. Dieses Risiko müssten die Einrichtungsträger nicht übernehmen. Die staatlich angeordneten Beschränkungen hätten nicht nur Kindertageseinrichtungen, sondern alle Bereiche des öffentlichen Lebens (Sport, Veranstaltungen, private Kontakte, Wirtschaftsleben) erfasst. Auch ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch sei nicht gegeben, da das Benutzungsverhältnis nicht beendet worden sei. Nicht jede Unterbrechung oder Einschränkung des Betriebs der Einrichtung führe zur anteiligen Rückerstattung der Gebühr.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 19. Mai 2022 abzuändern und die Klage abzuweisen.
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die Berufung zurückzuweisen.
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Eine Schließung der Einrichtung liege vor, weil die regulären Betreuungsangebote, die der Kläger in der Betreuungsvereinbarung gebucht habe, entfallen seien und ein gesetzliches Betretungsverbot geherrscht habe, an das der Kläger gebunden gewesen sei. Der Kläger habe die Notbetreuung nur an den Tagen in Anspruch nehmen dürfen, an denen er sie tatsächlich in Anspruch genommen habe. Die Notbetreuung habe keinen gleichwertigen Betreuungsersatz dargestellt. Das Verwaltungsgericht sei zu Recht von einer Betriebsbedingtheit der Schließung ausgegangen. Kindertageseinrichtungen hätten eine signifikante Rolle bei der Bekämpfung der Pandemie gespielt; das ergebe sich aus den Begründungen der Allgemeinverfügungen. Die Schließung der Kindertageseinrichtungen habe eine spezifische Bedeutung für die Bekämpfung des Virus gehabt. Im Betrieb der Beklagten habe sich die typische Gefahr des Virus realisiert. Beim Verpflegungsgeld (§ 9 KiTGS) habe sich die Beklagte für eine Rückerstattung entschieden. § 8 und § 9 KiTGS stünden aber in einem Zusammenhang. Es sei kein sachlicher Grund erkennbar, den Begriff „längere Schließzeiten“ in § 9 KiTGS anders zu verstehen als in § 8 KiTGS. Die Entscheidung zum Verpflegungsgeld mache deutlich, dass auch die Beklagte von längeren Schließungszeiten ausgehe.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Behörden- und Gerichtsakten sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf anteilige Rückerstattung der Besuchsgebühren für die Monate Mai und Juni 2020 und damit auf Erlass eines entsprechenden Erstattungsbescheids in Höhe von 125 Euro. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 19. Mai 2022 war daher abzuändern und die Klage abzuweisen.
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1. Auf § 8 Abs. 1 der Kindertageseinrichtungen-Gebührensatzung (KiTGS), die von der Beklagten wirksam erlassen wurde (a), kann der Kläger sein Rückzahlungsbegehren nicht stützen (b).
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a) Die Kindertageseinrichtungen-Gebührensatzung vom 25. Juli 2019 findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 8 KAG i.V.m. § 90 SGB VIII.
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Da das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz (BayKiBiG) neben der als Fördervoraussetzung zwingend verlangten Beitragsstaffelung anhand der Buchungszeiten (Art. 19 Nr. 5 Buchst. a BayKiBiG) keine kostenbezogenen Regelungen enthält, können die Gemeinden, wenn sie als kommunale Träger (Art. 3 Abs. 2 BayKiBiG) Kindertagesstätten in der Form einer öffentlichen Einrichtung (Art. 21 GO) betreiben, dafür auf der Grundlage des Kommunalabgabengesetzes Abgabensatzungen erlassen, die sich unter Beachtung der bundesrechtlichen Vorgaben am gesetzlichen Leitbild von Benutzungsgebühren (Art. 8 KAG) orientieren (BayVGH, U.v. 3.2.2023 – 4 N 22.303 – KommJur 2023, 145 Rn. 20). Die in § 90 SGB VIII laut der amtlichen Überschrift zulässige „pauschalierte Kostenbeteiligung“ für die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen zielt zwar im Unterschied zu sonstigen einrichtungsbezogenen Gebühren nicht auf eine volle Gegenleistung für die in Anspruch genommene (Jugendhilfe-)Leistung (BVerwG, U.v. 25.4.1997 – 5 C 6.96 – DVBl 1997, 1438), so dass weder das Kostendeckungsgebot des Art. 8 Abs. 2 Satz 1 KAG noch die Ausgleichspflicht nach Art. 8 Abs. 6 KAG gilt; der Kostenbeitrag nach § 90 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII stellt danach eine öffentlich-rechtliche Abgabe eigener Art dar (ebenso HessVGH, B.v. 4.3.2014 – 5 C 2331/12.N – juris Rn. 24; NdsOVG, U.v. 30.5.2018 – 9 KN 125/17 – juris Rn. 56; OVG NW, U.v. 5.9.2018 – 12 A 181/17 – juris Rn. 65; OVG SH, U.v. 16.1.2020 – 3 KN 3/17 – juris Rn. 75; OVG LSA, U.v. 21.1.2020 – 4 K 207/18 – juris Rn. 23; OVG Bremen, U.v. 16.6.2021 – 2 D 243/17 – juris Rn. 32). Da es sich aber jedenfalls um ein Entgelt für die – in der freiwilligen Anmeldung liegende – tatsächliche Inanspruchnahme einer kommunalen Einrichtung handelt, kann der gemeindliche Einrichtungsträger, wie hier geschehen, zumindest in analoger Anwendung auf die kommunalabgabenrechtliche Satzungsermächtigung in Art. 2 Abs. 1, Art. 8 KAG zurückgreifen, um die notwendigen Details der Kostenbeitragspflicht zu regeln.
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Selbst wenn man die ergänzende Anwendung der kommunalabgabenrechtlichen Vorschriften auf Kostenbeiträge nach § 90 SGB VIII für unzulässig hielte, hätte dies im Übrigen nicht die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Gebührensatzung wegen fehlender Ermächtigungsgrundlage zur Folge. Die Satzung könnte dann jedenfalls unmittelbar auf die bundesrechtliche Ermächtigungsnorm des § 90 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII gestützt werden (BayVGH, U.v. 3.2.2023, a.a.O.). Diese Bestimmung wird im Eingangstext der Gebührensatzung explizit genannt.
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b) Dem Kläger steht kein Erstattungsanspruch nach der satzungsrechtlichen Vorschrift des § 8 Abs. 1 KiTGS zu.
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aa) Nach § 2 Abs. 2, § 4 Abs. 1 und 2, § 6 Abs. 4 Satz 1 KiTGS entsteht bei den Kindertageseinrichtungen der Beklagten die monatliche Besuchsgebühr mit der Aufnahme des Kindes sowie jeweils fortlaufend mit Beginn eines Kalendermonats, wobei die Gebührenpflicht auch in den Fällen vorübergehender Erkrankung oder sonstiger Abwesenheit fortbesteht. Auf die tatsächliche Inanspruchnahme der Einrichtung durch das angemeldete Kind kommt es demnach nicht an. § 8 KiTGS sieht allerdings für bestimmte Ausnahmefälle abweichende und für die Benutzer günstigere Gebührenregelungen vor. Danach wird, wenn eine Kindertageseinrichtung länger als 30 Tage pro Jahr ohne Ersatz betriebsbedingt geschlossen wird, je darüberhinausgehendem geschlossenem Tag 1/20 der in diesem Monat angefallenen Besuchsgebühr rückerstattet (§ 8 Abs. 1 Satz 1); die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Platzes in einer anderen Gruppe der gleichen Kindertageseinrichtung oder die zumutbare Inanspruchnahme eines Platzes in einer anderen Kindertageseinrichtung ist aber in diesem Sinne ein Ersatz und schließt eine Kürzung aus (§ 8 Abs. 1 Satz 2).
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bb) Aus § 8 Abs. 1 KiTGS ergibt sich für den Kläger kein anteiliger Rückerstattungsanspruch für die Monate Mai und Juni 2020, da die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm nicht erfüllt sind.
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(1) Es lag bereits keine „Schließung“ der Einrichtung im Sinne der Vorschrift vor. Zwar waren aufgrund der Allgemeinverfügung des Freistaats Bayern vom 13. März 2020 und der nachfolgenden Allgemeinverfügungen die regulären Betreuungsangebote von Kindertageseinrichtungen landesweit untersagt; insoweit bestand auch ein Betretungsverbot für solche Einrichtungen. In den Allgemeinverfügungen war aber von Anfang an eine Notbetreuung vorgeschrieben, so dass der Einrichtungsbetrieb in eingeschränkter Form fortgeführt wurde. Da auch von der Beklagten diese Notbetreuung vorgehalten wurde, waren ihre Kindertageseinrichtungen nicht als „geschlossen“ anzusehen. Dass die Notbetreuung nur von einem in der jeweiligen Allgemeinverfügung bestimmten Personenkreis in Anspruch genommen werden konnte und im Übrigen eine behördlich angeordnete Zugangsbeschränkung bestand, ändert an dieser rechtlichen Feststellung nichts. Wegen des in den Monaten Mai bis Juni fortlaufend aufrechterhaltenen und schrittweise erweiterten Angebots einer Notbetreuung konnte von einer Schließung der (gesamten) Kindertageseinrichtung zu keinem Zeitpunkt die Rede sein.
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(2) Die spezielle Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 2 KiTGS lässt im Übrigen erkennen, dass nach der Vorstellung des Satzungsgebers jedenfalls von einer die Beitragsrückerstattung rechtfertigenden „ersatzlosen“ Schließung nicht gesprochen werden konnte, solange ein modifiziertes Betreuungsangebot in derselben Einrichtung oder ein zumutbares Angebot in einer anderen Einrichtung der Beklagten bereitstand. Auch dabei kam es ausdrücklich nur auf die „Möglichkeit der Inanspruchnahme“ eines Platzes und nicht auf den tatsächlichen Besuch der Einrichtung an. Diese Möglichkeit bestand unstreitig auch für den Kläger, der davon in den Monaten Mai und Juni 2020 für einzelne Tage Gebrauch gemacht hat. Dass er an den weiteren Tagen sein Kind nicht in die Einrichtung bringen durfte, beruhte nicht auf einer Einschränkung des dort bereitgehaltenen Angebots, sondern auf behördlichen Vorgaben, die außerhalb der Verantwortungssphäre des Einrichtungsträgers lagen.
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Es ist im Übrigen nicht ersichtlich, dass es während der Notbetreuung ein gänzlich andersartiges und geringerwertiges Betreuungsangebot als im regulären Betrieb gegeben hätte. Wie die Beklagte nachvollziehbar dargelegt hat, herrschte unter den damaligen Bedingungen zwar nicht der übliche Ablauf in der für die Kinder gewohnten Umgebung, jedoch waren die Gruppen in der Regel kleiner und ermöglichten damit eine intensivere pädagogische Betreuung.
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(3) Selbst wenn man während der genannten Monate von einer ersatzlosen Schließung der Einrichtung ausginge, bestünde kein Rückerstattungsanspruch, da die betreffende (Teil-)Schließung jedenfalls nicht „betriebsbedingt“ wäre. Bei der aufgrund der Corona-Pandemie landesweit angeordneten Schließung der Kindertageseinrichtungen handelte es sich aus Sicht der Beklagten um höhere Gewalt und damit um eine betriebsfremde Ursache. Höhere Gewalt ist ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder Handlungen Dritter einwirkendes Ereignis, das unvorhersehbar ist und selbst durch die äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet werden kann (vgl. BAG, U.v. 7.11.2002 – 2 AZR 297/01 – NJW 2003, 2849 Rn. 82 ff.). Die aus dem Arbeitsrecht stammende Betriebsrisikolehre, die sich auf das Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezieht, ist hier nicht analog anzuwenden. Aber selbst aus arbeitsrechtlicher Sicht ist die im Rahmen eines allgemeinen Lockdowns zur Bekämpfung der Corona-Pandemie staatlich verfügte vorübergehende Betriebsschließung kein Fall des vom Arbeitgeber zu tragenden Betriebsrisikos (vgl. BAG, U.v. 13.10.2021 – 5 AZR 211/21 – NJW 2022, 560 Rn. 34).
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Es kann hier offenbleiben, ob in Kindertageseinrichtungen wegen des natürlichen Verhaltens der Kinder und wegen der Schwierigkeit der Sicherstellung von Schutzmaßnahmen (Maskentragen) ein objektiv erhöhtes Ansteckungsrisiko und damit eine besondere Gefahr für die Weiterübertragung des Coronavirus bestand, was die Beklagte unter Berufung auf neuere wissenschaftliche Erkenntnisse infrage stellt. Auch eine solche Annahme würde nicht ausreichen, um die damalige (weitgehende) Schließung aller bayerischen Kindertageseinrichtungen als betriebsbedingt zu qualifizieren. Nur wenn in der konkret betroffenen Einrichtung spezielle Bedingungen herrschen, die die Verbreitung des die Pandemie auslösenden Krankheitserregers in besonderer Weise begünstigen, kann eine Betriebsbedingtheit angenommen und damit das Entgeltrisiko dem Einrichtungsträger zugewiesen werden (vgl. BAG, U.v. 13.10.2021, a.a.O.). Ein gerade die Kindertageseinrichtungen der Beklagten betreffendes spezifisches Infektionsrisiko hat sich aber in der damaligen (Teil-)Schließung nicht verwirklicht. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass die damaligen Beschränkungen durch staatliche Lockdown-Maßnahmen alle Bereiche des öffentlichen Lebens (Sport, Veranstaltungen, private Kontakte, Wirtschaftsleben) erfassten. Die pandemische Lage unterschied sich damit grundlegend von dem nur punktuellen Ausbruch einer Infektionskrankheit in einer konkreten Einrichtung. Nur ein solcher Fall, nicht dagegen die bayernweite Schließung sämtlicher Kindertageseinrichtungen stand dem kommunalen Satzungsgeber bei der Regelung des § 8 Abs. 1 KiTGS vor Augen.
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(4) Im vorliegenden Zusammenhang kann sich der Kläger auch nicht auf die in § 9 KiTGS getroffenen Sonderregelungen zum Verpflegungsgeld berufen, da diese sich grundlegend von dem Regelungskonzept für Besuchsgebühren unterscheiden. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KiTGS wird zwar auch das Verpflegungsgeld für die Möglichkeit der Teilnahme am Mittagessen erhoben; es ist nach § 9 Abs. 2 KiTGS in einem pauschalen Betrag für jeden Monat zu entrichten. Das Verpflegungsgeld fällt aber gemäß § 9 Abs. 3 Satz 3 KiTGS bereits dann nicht an, wenn die Einrichtung während des gesamten Monats nicht besucht wurde und das Kind von der Mittagsverpflegung zwei Wochen vorher abgemeldet war. Demgegenüber besteht die Gebührenpflicht auch im Fall vorübergehender Erkrankung oder sonstiger Abwesenheit fort (§ 2 Abs. 2 KiTGS); eine Rückerstattung von Besuchsgebühren kann nicht verlangt werden, wenn die Buchungszeiten nicht voll ausgenutzt werden (§ 6 Abs. 4 Satz 1 KiTGS).
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In der unterschiedlichen Sachbehandlung der beiden Kostenpositionen liegt kein Gleichheitsverstoß. Die laufenden Kosten für die Kindertageseinrichtung fallen auch bei Nichtanspruchnahme durch die Einrichtungsnutzer in nahezu voller Höhe an, während der Aufwand für die Verpflegung maßgeblich davon abhängt, ob und in welchem Umfang das Catering beim Lieferanten bestellt wird. Dem Einrichtungsträger entsteht hiernach kein oder nur ein sehr geringer finanzieller Nachteil, wenn die Verpflegung tatsächlich nicht in Anspruch genommen wird. Dass die Beklagte die pandemiebedingte Ersparnis beim Verpflegungsgeld seinerzeit – über die Regelung in § 9 Abs. 3 KiTGS hinausgehend – in voller Höhe an die Einrichtungsbenutzer zurückgezahlt hat, beruhte im Übrigen nach ihren unbestrittenen Angaben darauf, dass sie nur unter dieser Voraussetzung einen staatlichen Ausgleich für die entgangenen Besuchsgebühren beanspruchen konnte.
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2. Der Kläger kann auch nicht auf der Grundlage des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs die teilweise Rückerstattung der Besuchsgebühren für die Monate Mai und Juni 2020 verlangen.
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Der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch ist als eigenständiges Rechtsinstitut des öffentlichen Rechts anerkannt und hat die Rückabwicklung rechtsgrundloser Vermögensverschiebungen zum Inhalt (BVerwG, U.v. 30.11.1995 – 7 C 56.93 – BVerwGE 100, 56/59 m.w.N.). Auch die Kommunen sind danach gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b KAG i.V.m. § 37 Abs. 2 Satz 1 AO zur Erstattung vereinnahmter Kommunalabgaben verpflichtet, wenn diese ohne rechtlichen Grund gezahlt worden sind. An dieser letzteren Voraussetzung fehlt es hier aber.
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Wie bereits oben ausgeführt, bestand für die vom Kläger in Anspruch genommene Kindertageseinrichtung eine wirksame Gebührensatzung, für deren Benutzung ab der Aufnahme des Kindes monatliche Besuchsgebühren unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme zu zahlen waren (§ 2 Abs. 2, § 4 Abs. 1 und 2, § 6 Abs. 4 Satz 1 KiTGS); die Gebühren wurden jeweils am ersten Werktag eines Monats im Voraus fällig (§ 5 Abs. 1 KiTGS). In diesen Satzungsbestimmungen lag der Rechtsgrund für die von ihm geleisteten Zahlungen. Der Kläger hatte sein Kind in den streitgegenständlichen Monaten weder abgemeldet noch den Betreuungsvertrag gekündigt. Da die Beklagte ihr Betreuungsangebot während der pandemiebedingten Einschränkungen grundsätzlich aufrechterhielt und die Benutzungsverhältnisse fortbestanden, war auch nicht von einer faktischen Suspendierung dieser Dauerrechtsbeziehung und der darauf beruhenden Gebührenpflicht auszugehen.
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Dass dem Kläger kein Erstattungsanspruch zusteht, erscheint auch im Ergebnis nicht unbillig. Dabei ist zu bedenken, dass kommunale Kindertageseinrichtungen, deren Benutzung freiwillig erfolgt, in der Regel nur zu 10% bis 20% gebührengedeckt betrieben werden können; sie sind im Übrigen auf kommunale Eigenmittel sowie auf staatliche Zuschüsse angewiesen. Die eingeschränkte Nutzbarkeit in der Frühphase der Corona-Pandemie bestand für den Kläger auch nur sehr kurzzeitig. Er konnte die Einrichtung im damaligen Besuchsjahr während der weit überwiegenden Zeit, nämlich vom 1. September 2019 bis 13. März 2020 und vom 1. Juli 2020 bis 20. August 2020, ohne jede Einschränkung benutzen. Auch die Notbetreuung in der Zeit von 16. März 2020 bis 30. Juni 2020 konnte er an 15 Tagen in Anspruch nehmen; die Gebühr für April 2020 wurde ihm von der Beklagten in voller Höhe zurückerstattet. Für einen weitergehenden finanziellen Ausgleich besteht unter diesen Umständen kein hinreichender Grund.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.