Inhalt

VGH München, Urteil v. 12.12.2023 – 1 N 22.479
Titel:

Normenkontrolle - Maß der baulichen Nutzung - Wärmedämmung

Normenketten:
BauNVO § 16 Abs. 2 Nr. 1, § 19 Abs. 4 S. 1, § 20 Abs. 3 S. 1
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Bei der Teiländerung, die den Ursprungsbebauungsplan in diesem Bereich ersetzt, handelt es sich um einen qualifizierten Bebauungsplan. Für das zulässige Maß der Nutzung wird gem. § 16 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO auf die Größe der Grundflächen der baulichen Anlagen abgestellt. Dabei muss die zulässige Grundfläche für alle Anlagen, die bei der Ermittlung der Grundflächen mitzurechnen sind, festgesetzt werden. Eine Festsetzung nur für die Hauptanlagen – und nicht auch für die nach § 19 Abs. 4 S. 1 BauNVO mitzurechnenden „Nebenanlagen“ – ist nicht zulässig. Nach § 19 Abs. 4 S. 1 BauNVO sind bei der Ermittlung der Grundfläche unter anderem die Grundflächen von Garagen mit ihren Zufahrten sowie von Nebenanlagen iSd § 14 BauNVO mitzurechnen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Baubehörde hat den Wärmeschutz im Rahmen der Abwägungsentscheidung zu berücksichtigen und gegebenenfalls die Grundfläche anzupassen. Denn ebenso wie bei der Ermittlung der Geschossfläche zählen Bauteile, die sich vor der eigentlichen Gebäudekonstruktion befinden und die der Witterung ausgesetzte Gebäudehülle bilden, als Fassade zu den Gebäudebestandteilen. Ihre Außenkante ist Bezugspunkt des Außenmaßes. Nichts anderes kann für die Ermittlung der Grundflächen gelten, die den überbaubaren Teil der Baugrundstücke festlegen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Normenkontrolle, Fehlerhafte Festsetzung zum Maß der Nutzung, Bebauungsplan, Maß der baulichen Nutzung, Hauptanlagen, Nebenanlagen, Wärmedämmung, Außenmaß
Fundstelle:
BeckRS 2023, 40627

Tenor

I.    Der Bebauungsplan Nr. 29, Änderung für das Geviert „P. Straße, B.straße, R.straße, L.straße“, zuletzt bekannt gemacht am 7. Dezember 2023, ist für den Teilbereich des reinen Wohngebiets unwirksam.
II.    Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III.    Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV.    Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Der Antragsteller wendet sich gegen den im beschleunigten Verfahren nach § 13a BauGB erlassenen Bebauungsplan Nr. 29, Änderung für das Geviert „P. Straße, B1. straße, R2. straße, L. straße“, den die Antragsgegnerin am 9. Februar 2021 als Satzung beschlossen und am 23. Februar 2021 bekannt gemacht hat. Der Bebauungsplan wurde im Rahmen eines ergänzenden Verfahrens zur Behebung eines Bekanntmachungsfehlers am 7. Dezember 2023 erneut mit Rückwirkung zum 23. Februar 2021 bekanntgemacht.
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Die Bebauungsplanänderung betrifft eine Teiländerung für das vorgenannte Geviert und ersetzt den ursprünglichen Bebauungsplan in diesem ca. 1,6 ha großen Bereich. Der Ursprungsbebauungsplan Nr. 29 in der Planfassung vom 13. Dezember 1977, der für den verfahrensgegenständlichen Bereich u.a. eine maximal zulässige Bebauung mit zwei Vollgeschossen bei einer maximal zulässigen Geschoßflächenzahl von 0,3 innerhalb der festgesetzten Baugrenzen vorsieht und die Baugrenzen genau um den bauaufsichtlich genehmigten vorhandenen Baubestand festsetzt, wurde am 13. März 1978 bekannt gemacht. Die bei Aufstellung vorhandenen Bestandsgebäude mit einer höheren GFZ wurden durch gesonderte Festsetzung gebilligt. Mit der Änderung Nr. 29 „S.“ vom 28. September 2015 wird für die Grundstücke FlNr. 73, 71 und 70 die L. straße bis zur R2. straße als verkehrsberuhigter Bereich ausgewiesen. Für die Grundstücke FlNr. 324/12 und 324/13 wurden mit der 5. Änderung zwei Baufenster vorgesehen. Die verfahrensgegenständliche Teiländerung setzt Baugrenzen für die Hauptgebäude fest. Als Maß der baulichen Nutzung sind für jedes Grundstück zulässige Grundflächen festgesetzt (textliche Festsetzung A.3.1), die durch Flächen von Terrassen (textliche Festsetzung A.3.2) und Vordächern, Dachüberständen, die über 0,8 m vor der Außenwand hervorragen, Auskragungen, Außentreppen und Kellerschächten (textliche Festsetzung A.3.3 mit Begründung) überschritten werden dürfen. Die gemäß A.3.1 bis A.3.3 festgesetzte Grundfläche darf durch die in § 19 Abs. 4 BauNVO Nr. 1 – 3 genannten Anlagen bis zu einer Gesamtgrundflächenzahl von 0,4 überschritten werden (textliche Festsetzung A.3.4). Die zulässige maximale Wandhöhe beträgt 6,50 m, die maximale Firsthöhe 10,0 m. Nach der Begründung des Bebauungsplans ist es Ziel der Planung, eine Förderung der Nachverdichtung im Sinn des Flächensparens und des Klimaschutzes (§ 1a Abs. 2 und 5 BauGB) vorrangig durch Erhöhung der Geschossfläche zu ermöglichen, den Gartenstadtcharakter, der durch die teilweise sehr hohen Laub- und Nadelbäume geprägt wird, zu bewahren, sowie Freiraumstrukturen in das städtebauliche Konzept durch Einhaltung einheitlicher Vorgartenbereiche und Freihaltung innenliegender Gartenbereiche zu integrieren.
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Der Antragsteller ist (Allein-)Eigentümer der im Planungsgebiet gelegenen Grundstücke FlNr. …7 und …8, Gemarkung Kr.. Die 287,93 m² bzw. 400,11 m² großen Grundstücke sind seit 1956 jeweils mit einer Doppelhaushälfte und mit Stellplätzen und Garagen bebaut; mit Baugenehmigungen vom 11. Juli 2012 und 8. August 2016 wurden für das Grundstück FlNr. …8 Veränderungen an der Fassade sowie eine Terrassenüberdachung genehmigt. Die Erschließung der Hinterliegergrundstücke erfolgt über eine Zufahrt auf den Grundstücken FlNr. …5, das im (Mit-)Eigentum des Antragstellers steht, und FlNr. …6, das im (Allein-)Eigentum des Antragstellers steht. Mit der textlichen Festsetzung A.7.3 wird ein Geh-, Fahr- und Leitungsrecht zugunsten der Anlieger und der Erschließungsträger festgesetzt.
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Am 21. Februar 2022 stellte der Antragsteller einen Normenkontrollantrag gegen den Bebauungsplan und beantragt zuletzt,
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den Bebauungsplan Nr. 29, Änderung für das Gebiet „P. Straße, B1. straße, R2. straße, L. straße“, der mit Bekanntmachung vom 7. Dezember 2023 rückwirkend zum 23. Februar 2021 in Kraft getreten ist, für den Teilbereich, in dem er nach der Art der Bebauung ein reines Wohngebiet festsetzt, für unwirksam zu erklären.
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Er sei als Eigentümer von im Geltungsbereich des Bebauungsplans liegenden Grundstücken, für die der Bebauungsplan Festsetzungen treffe, antragsbefugt. Durch die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung werde das bestehende Baurecht eingeschränkt. Im Gegensatz zu dem bisherigen Bebauungsplan, der keine Festsetzung zur Begrenzung der Gesamtgrundfläche von baulichen Anlagen auf den Baugrundstücken enthalten und der nach der BauNVO 1977 ermöglicht habe, Stellplätze, Garagen und Zufahrten in jeder Größe herzustellen, werde die Bebauung der Grundstücke durch den angegriffenen Bebauungsplan mit der festgesetzten Gesamt-GRZ so weit beschränkt, dass für die Herstellung von Nebenanlagen nicht mehr genügend Fläche zugelassen sei. Die vorhandene Grundfläche des Hauptgebäudes auf dem Grundstück FNr. …8 (einschließlich der nachträglich angebrachten Wärmedämmung) von 82,51 m² überschreite die festgesetzte maximale Grundfläche von 80 m²; ebenso sei die zulässige Grundfläche für Dachüberstände, Balkon und Eingangsüberdachung von 12 m² durch die Bestandsbebauung (13,57 m²), die Terrassenüberdachung von 25,44 m² und die Terrasse von 29 m² deutlich überschritten. Die Bestandsbebauung erreiche – ohne Wege und Zugänge – eine Grundfläche von 125,08 m². Für die Stellplätze oder Garage(n) einschließlich der Zufahrt verblieben nach der Festsetzung Ziff. 3.4, wonach für das 400,11 m² große Grundstück eine maximale Gesamtgrundfläche von 160,04 m² einschließlich der Nebenanlagen nicht überschritten werden dürfe, nur noch 34,96 m². Das sei angesichts der Bestandsbebauung mit einer vorhandenen Zufahrt von 48,6 m² und der Garage von 35,1 m² nicht ausreichend. Auch bei einer Neubebauung des Grundstücks, die nach den Festsetzungen des Bebauungsplans zwei Stellplätze erfordere, könne diesen Anforderungen nicht entsprochen werden. Die durch Baugrenzen festgesetzte Lage der überbaubaren Grundstücksfläche für das Hauptgebäude erlaube die Herstellung nur im rückwärtigen Grundstücksbereich an der nord-westlichen Grundstücksgrenze. Bereits für die Realisierung der Zufahrt sei eine Fläche von mindestens 37,5 m² erforderlich. Eine Errichtung an anderer Stelle auf dem Grundstück sei nicht möglich. Für das Grundstück FlNr. …7 ergebe sich ein noch gewichtigerer Entzug von Baurecht. Auch hier überschritten die vorhandenen Grundflächen des Hauptgebäudes die festgesetzten maximalen Grundflächen. Da die Bestandsbebauung – ohne Wege und Zugänge – eine Grundfläche von 101,66 m² erreiche, verblieben aufgrund der Festsetzung einer maximalen Gesamtgrundfläche, die hier 115,18 m² betrage, für die Stellplätze oder Garage(n) einschließlich Zufahrt nur noch 13,52 m². Die vorhandene Zufahrt weise eine Grundfläche von 35,07 m² auf, die Garage von 34,9 m². Bei einer Neubebauung könnten die erforderlichen Stellplätze sowie die Zufahrt auf der für die Nebenanlagen noch zur Verfügung stehenden Fläche von 23,18 m² nicht nachgewiesen werden. Die Errichtung einer Terrasse sei in dieser Berechnung noch gar nicht berücksichtigt. Er werde daher nicht nur auf den Bestand gesetzt, sondern es liege auch eine (teilweise) Aufhebung der zulässigen Nutzung eines Grundstücks vor. Die Antragsgegnerin habe im Rahmen der Abwägungsentscheidung die nachteiligen Auswirkungen auf die vorhandene Bebauung und die künftig mögliche Ausnutzbarkeit der Grundstücke nicht ausreichend ermittelt und – soweit nachteilige Folgen erkannt worden seien – diesen ein zu geringes Gewicht beigemessen. Die Antragsgegnerin sei offensichtlich davon ausgegangen, die zulässige Größe der Grundflächen auf die von den bestehenden Gebäuden und Terrassen bereits in Anspruch genommenen Grundflächen zu beschränken. Dabei sei sie von unzutreffenden Maßangaben ausgegangen, weil sie die tatsächlichen Grundflächen einschließlich der Wärmedämmung exakt hätte ermitteln müssen. Zudem habe sie die Auswirkungen der Festsetzungen zur Gesamtgrundfläche und zur Stellplatzpflicht auf die Zulässigkeit der Errichtung von baulichen Anlagen verkannt. Weder der Begründung noch den Abwägungsbeschlüssen seien öffentliche Belange zu entnehmen, die den Entzug von Baurecht rechtfertigen könnten. Die Bodenschutzklausel nach § 1a Abs. 2 BauGB normiere kein Versiegelungsverbot und genieße keinen Vorrang vor anderen Belangen; sie setze der Gemeinde im Rahmen der planerischen Abwägung keine strikte, unüberwindbare Grenze. Bei allen anderen Grundstücken seien größere Grundflächen zugelassen worden. Der Verweis auf mögliche Anbauten oder Aufstockungen verfange nicht, weil sie nur auf einer kleineren Grundfläche erfolgen könne. Da § 19 Abs. 4 Satz 4 BauNVO nur „im Einzelfall“ angewendet werden solle, könne er – unabhängig davon, ob eine „besondere Fallgestaltung“ vorliege – nicht auf diese Möglichkeit der Zulassung einer Überschreitung verwiesen werden. Eine sachliche Begründung für die Ungleichbehandlung im Vergleich zu sonstigen Grundstücken sei nicht erfolgt und auch nicht erkennbar. Die Mängel seien aufgrund des Rügeschreibens vom 25. April 2021 nicht nach § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB unbeachtlich geworden.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Der Bebauungsplan sei wirksam. Mit der Planung sei das Konzept verfolgt worden, im rückwärtigen Bereich im Vergleich zur Straßenbebauung kleinere Kubaturen zuzulassen. Bestehendes und ausgenutztes Baurecht werde nicht eingeschränkt, ein Entzug von Baurecht liege nicht vor. Bereits der Vorgängerbebauungsplan Nr. 29 habe das Baurecht in der Grundfläche für das Wohngebäude auf den vorhandenen Bestand beschränkt. Der Baubestand für die Grundstücke des Antragstellers sei zutreffend ermittelt worden. Die tabellarischen Erfassungen zu Bestand und Planung wiesen die Grundflächen für Haupt- und Nebengebäude sowie die Grundstücksgrößen auf. Aus dem Vorgängerbebauungsplan seien Werte einer „faktischen“ GRZ abgeleitet worden, um die Bestandsplanung mit der in Aufstellung befindlichen Planung vergleichen zu können. Die Orientierung am vorhandenen Bestand und ein daraus resultierendes bestandsorientiertes Planungsergebnis sei nicht zu beanstanden. Die festgesetzte Grundfläche auf den Grundstücken des Antragstellers entspreche dem vorhandenen Bestand. Dem Antragsteller werde aufgrund der Festsetzung von maximalen Wand- und Firsthöhen ein zusätzlicher Spielraum im Sinn einer Nachverdichtungsmöglichkeit „in die Höhe“ gewährt. Für die Realisierung von zwei Stellplätzen auf den Grundstücken des Antragstellers sei die festgesetzte Gesamt-GRZ von 0,4 für die Überschreitung von Anlagen nach § 19 Abs. 4 BauNVO zwar nicht üppig, sie reiche jedoch auch nach dessen Berechnungen grundsätzlich aus. Zudem bestehe die Möglichkeit der Erteilung von Ausnahmen nach § 19 Abs. 4 Satz 2 BauNVO. Soweit ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot geltend gemacht werde, sei nicht dargelegt worden, in welcher Hinsicht die Grundstücke „im Übrigen“ miteinander vergleichbar sein sollten. Die behaupteten Abwägungsmängel lägen nicht vor, insbesondere seien die vom Antragsteller vorgetragenen genehmigten Grundflächen berücksichtigt worden.
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Der Senat hat am 12. Dezember 2023 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll wird Bezug genommen. Ergänzend wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Normaufstellungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Der zulässige Normenkontrollantrag hat Erfolg. Der am 9. Februar 2021 beschlossene und am 7. Dezember 2023 erneut bekannt gemachte Bebauungsplan ist für den Teilbereich des reinen Wohngebiets unwirksam.
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1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist der Antragsteller antragsbefugt. Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Der Antragsteller muss hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem Recht verletzt wird. Eine solche Rechtsverletzung kommt regelmäßig in Betracht, wenn sich der Eigentümer eines im Plangebiet liegenden Grundstücks gegen bauplanerische Festsetzungen wendet, die unmittelbar sein Grundstück betreffen. Denn bei den Festsetzungen eines Bebauungsplans handelt es sich um Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinn des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Diese muss der Eigentümer nur hinnehmen, wenn der Bebauungsplan rechtmäßig ist (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.2018 – 4 BN 17.17 u.a. – BauR 2018, 814).
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Damit ist die Antragsbefugnis des Antragstellers als Eigentümer von Grundstücken, für die der Bebauungsplan Festsetzungen trifft, gegeben.
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Der Zulässigkeit des Antrags steht nicht entgegen, dass zuletzt nur die Festsetzungen des Teilbereichs des reinen Wohngebiets angegriffen werden, weil der Bebauungsplan offensichtlich teilbar ist. Die Bereiche „reines Wohngebiet“ und „allgemeines Wohngebiet“ sind schon aufgrund vorläufiger Prüfung offensichtlich und auch für den Antragsteller erkennbar klar voneinander getrennte Regelungsbereiche, die auch sachlich nicht miteinander zusammenhängen (vgl. BVerwG, U.v. 9.4.2008 – 4 CN 1.07 – BVerwGE 131, 100; B.v. 20.9.2007 – 4 BN 20.07 – juris Rn. 11; B.v. 18.7.1989 – 4 N 3.87 – BVerwGE 82, 225; BayVGH, B.v. 16.7.2018 – 1 N 14.1510 – juris Rn. 17; U.v. 16.6.2006 – 1 N 03.2347 – BayVBl 2007, 371). Der Antragsteller, dessen Grundstücke im Bereich des „reinen Wohngebiets“ liegen, machte und macht keine Einwendungen bezüglich des Bereichs „allgemeines Wohngebiet“ geltend. Seine Einwendungen im Aufstellungsverfahren, die Abwägungsrüge sowie die Begründung des Normenkontrollantrags beschränken sich auf den Bereich des „reinen Wohngebiets“. Die Regelungsbereiche haben auch keinen funktionalen Zusammenhang, da jeweils unterschiedliche städtebauliche Zielsetzungen verfolgt werden. Mit den Festsetzungen zum allgemeinen Wohngebiet verfolgt die Gemeinde das planerische Ziel, in dem Bereich entlang der P. Straße auch größere Kubaturen zuzulassen sowie die für die Versorgung des Gebiets dienenden Läden, Schank- und Speisewirtschaften und nicht störenden Handwerksbetriebe, während es für den rückwärtigen Bereich mit der beengten Erschließungssituation bei der Ausweisung eines reinen Wohngebiets und damit der Zielsetzung des Ursprungsbebauungsplans verbleibt.
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2. Der Normenkontrollantrag ist begründet. Die Festsetzung zum Maß der Nutzung ist fehlerhaft. Der Bebauungsplan regelt zwar die zulässige Grundfläche sowie deren Überschreitung durch Nebenanlagen; die Festsetzungen reichen jedoch nicht bei allen Grundstücken aus, um die zulässigen Garagen- bzw. Nebengebäude zu realisieren (2.1.). Dieser Mangel führt zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans, soweit er das festgesetzte reine Wohngebiet betrifft (2.2.).
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2.1. Bei der Teiländerung, die nach dem Willen der Antragsgegnerin den Ursprungsbebauungsplan in diesem Bereich ersetzt, handelt es sich um einen qualifizierten Bebauungsplan. Für das zulässige Maß der Nutzung wird gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO auf die Größe der Grundflächen der baulichen Anlagen abgestellt. Dabei muss die zulässige Grundfläche für alle Anlagen, die bei der Ermittlung der Grundflächen mitzurechnen sind, festgesetzt werden. Eine Festsetzung nur für die Hauptanlagen – und nicht auch für die nach § 19 Abs. 4 Satz 1 BauNVO mitzurechnenden „Nebenanlagen“ – ist nicht zulässig. Nach § 19 Abs. 4 Satz 1 BauNVO sind bei der Ermittlung der Grundfläche u.a. die Grundflächen von Garagen mit ihren Zufahrten sowie von Nebenanlagen im Sinn des § 14 BauNVO mitzurechnen (vgl. BayVGH, U.v. 22.9.2015 – 1 B 14.1652 – NVwZ-RR 2016, 135). Bei der Festsetzung des Maßes der baulichen Nutzung darf auf die Festsetzung der Größe der Grundfläche der baulichen Anlagen auch dann nicht verzichtet werden, wenn die überbaubare Grundstücksfläche gemäß § 23 BauNVO festgesetzt wird. Während die Festsetzung der zulässigen Grundfläche in erster Linie dazu dient, eine übermäßige Nutzung des Grundstücks zugunsten des Bodenschutzes zu vermeiden, regelt die Festsetzung zur überbaubaren Grundstücksfläche mit einer anderen städtebaulichen Zielsetzung den räumlich beschränkten Teilbereich des Grundstücks, auf dem die baulichen Anlagen errichtet werden dürfen (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.1995 – 4 NB 36.95 – NVwZ 1996, 894; BayVGH, U.v. 10.3.2014 – 1 N 13.1104 – juris Rn.18).
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Nach diesen Maßgaben fehlt es hier an einer wirksamen Festsetzung für die nach § 19 Abs. 4 Satz 1 BauNVO für die Ermittlung der Grundfläche zu berücksichtigenden baulichen Anlagen. Die Teiländerung setzt die zulässige Grundfläche für die städtebaulich wirksamen Hauptgebäude (S. 9 der Begründung des Bebauungsplans) mit evtl. Anbauten fest und lässt Überschreitungen für Vordächer, Dachüberstände, Auskragungen u.a. mit einer zusätzlichen Grundfläche von 15 v.H. der zulässigen Grundfläche sowie für Terrassen mit einer Größe von max. 30 m² zu. Die Festsetzung gesonderter Grundflächen für Terrassen und Balkone begegnet grundsätzlich keinen Bedenken, solange die mögliche Gesamtversiegelung im Rahmen der Festsetzung der Grundfläche/Grundflächenzahl vom Satzungsgeber in den Blick genommen wird und sich die gegebenenfalls erforderliche Berechnung nach § 19 Abs. 4 Satz 2 BauNVO vornehmen lässt. Diese gesonderten Festsetzungen vermögen insbesondere zur Vermeidung von Streitigkeiten über die Einordnung der Terrassenflächen für die Grundflächenberechnung beizutragen (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2023 – 1 N 20.558 m.w.N. – juris Rn. 27). Die durch Addition zu ermittelnde zulässige Grundfläche für die Grundstücke des Antragstellers beläuft sich somit auf jeweils 122 m² und darf nach der textlichen Festsetzung A.3.4 durch die in § 19 Abs. 4 BauNVO Nr. 1 – 3 genannten Anlagen bis zu einer Gesamtgrundflächenzahl von 0,4 überschritten werden. Soweit die Antragsgegnerin die festgesetzte Gesamtgrundflächenzahl als vorrangig ansieht, entspricht dies nicht den Einzelfestsetzungen, die ausdrücklich auf die Hauptgebäude mit zulässigen Erweiterungsflächen abstellen, die für Nebenanlagen überschritten werden dürfen. Bei dem 287,93 m² großen Grundstück FlNr. …7 ergibt die Gesamtgrundflächenzahl von 0,4 nur eine Fläche von 115,18 m². Da die festgesetzte zulässige Grundfläche die sich aus der festgesetzten Gesamtgrundflächenzahl ergebende Fläche bereits überschreitet, sind Garagen- bzw. Nebengebäude mit einem ausreichend breiten Weg aufgrund des sich ergebenden negativen Wertes nicht mehr realisierbar.
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Es kann daher dahinstehen, ob die auf dem Grundstück FlNr. …8 für die nach dem Bebauungsplan erforderlichen zwei Garagen/Stellplätze und die Zufahrt verbleibende Überschreitungsfläche von 38,04 m² für deren Realisierung (noch) ausreichend bemessen ist. Jedenfalls dürfte in der vorliegenden Grundstückssituation – unabhängig von den Vorstellungen des Antragstellers über den Standort der Garage(n) – auch die flächensparende Errichtung einer (Duplex-)Garage im Bereich südlich der festgesetzten Baugrenze aufgrund des erforderlichen Zugangs zum Eingangsbereich des Wohngebäudes fraglich sein. Soweit in diesem Zusammenhang im Hinblick auf das Summenmaß darauf verwiesen wird, dass – auch ohne eine ausdrückliche Festsetzung – ggf. die festgesetzte Überschreitungsmöglichkeit der Grundfläche für Terrassen zugunsten der Errichtung von Garagen- bzw. Nebengebäude heranzuziehen sei, überzeugt das im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen nicht. Die Antragsgegnerin hat ausdrücklich die Grundfläche für die Hauptgebäude mit zulässigen Erweiterungsflächen festgesetzt und Überschreitungen für Nebenanlagen zugelassen. Im Übrigen darf bei der Prüfung der zulässigen Überschreitungsfläche nicht ausgeblendet werden, dass der Anwendungsbereich des § 19 Abs. 4 BauNVO dadurch bestimmt ist, dass an Festsetzungen des Bebauungsplans zur zulässigen Grundfläche, die sich auf die „Hauptanlagen“ bezieht, angeknüpft wird und (nur) für die „Nebenanlagen“ die Überschreitungs- und Abweichungsmöglichkeiten nach § 19 Abs. 4 Satz 2 bis 4 BauNVO bestehen; die gesetzliche Überschreitungsregel gewährt daher für die „Nebenanlagen“ regelmäßig – und nicht bloß als Ausnahme – eine Überschreitung von 50 v.H. im Vergleich zu den „Hauptanlagen“ (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Mai 2023, § 19 Rn. 17, 19b).
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2.2. Die Unwirksamkeit der Festsetzung des Maßes der Nutzung bewirkt die Unwirksamkeit des Bebauungsplans im tenorierten Umfang. Mängel, die einzelnen Festsetzungen eines Bebauungsplans anhaften, führen nur dann nicht zur Gesamtunwirksamkeit, wenn die übrigen Festsetzungen für sich betrachtet noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung im Sinn von § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB bewirken können und die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch eine Satzung dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (vgl. BVerwG, U.v. 14.9.2017 – 4 CN 6.16 – BVerwGE 159, 356; B.v. 11.9.2014 – 4 CN 3.14 – BayVBl 2015, 203; U.v. 19.9.2002 – 4 CN 1.02 – BVerwGE 117, 58). Ob einzelne fehlerhafte Festsetzungen zur Gesamt- oder Teilunwirksamkeit des Bebauungsplans führen, ist letztlich eine Frage des Einzelfalls. Vorliegend fehlen Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin den Bebauungsplan, soweit er das reine Wohngebiet betrifft, mit demselben Inhalt im Übrigen auch ohne die fehlerhafte Maßfestsetzung erlassen hätte. Das Grundstück des Antragstellers kann dabei nicht isoliert betrachtet werden, da es Teil des rückwärtigen Planbereichs ist und die Antragsgegnerin für kleinere Grundstücke keine gesonderte Festsetzung getroffen hat. Die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung dienen dem Erhalt des Gartenstadtcharakters und einer behutsamen Nachverdichtung durch Anbauten bzw. Aufstockungen oder Dachausbauten in die Höhe. Zugunsten eines sparsamen Umgangs mit Grund und Boden soll die Versiegelung der Grundstücke durch Stellplätze und Garagen möglichst gering gehalten und eine Überbauung der Grundstücke um über 40% ausgeschlossen werden (S. 9 der Begründung des Bebauungsplans). Es ist daher davon auszugehen, dass der Bebauungsplan im Bereich des reinen Wohngebiets in Bezug auf die Maßfestsetzungen eine den gesamten Plan betreffende Ungereimtheit aufweist und die Antragsgegnerin einen Bebauungsplan ohne Maßfestsetzungen nicht hätte erlassen wollen.
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3. Für den Antragsteller ist die Frage von Bedeutung, ob die Antragsgegnerin für die Ermittlung und Bewertung der Grundflächen die (nachträglich) angebrachte Wärmedämmung berücksichtigen musste. Der Senat nimmt daher auch noch zu dieser Frage Stellung, um ggf. einen weiteren Rechtsstreit nach Durchführung eines ergänzenden Verfahrens zu vermeiden. Der von dem Antragsteller vorgetragene Ermittlungs- und Abwägungsfehler liegt nicht vor.
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Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial), zu ermitteln und bewerten (§ 2 Abs. 3 BauGB). Denn die Berücksichtigung aller bedeutsamen Belange in der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB setzt deren ordnungsgemäße Ermittlung und zutreffende Bewertung voraus (vgl. BVerwG, B.v. 12.6.2018 – 4 B 71.17 – ZfBR 2018, 601). Gemäß § 1 Abs. 7 BauGB sind die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Das Abwägungsgebot ist verletzt, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattfindet oder in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot jedoch nicht verletzt, wenn sich die Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2015 – 4 CN 4.14 – NVwZ 2015, 1537; B.v. 15.5.2013 – 4 BN 1.13 – ZfBR 2013, 573; B.v. 10.11.1998 – 4 BN 44.98 – NVwZ-RR 1999, 423).
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Die Antragsgegnerin hat sich für die Ermittlung der Grundflächen an den vorhandenen Kubaturen, die sich im Laufe der Jahre durch Nachverdichtungen verändert haben, und den durch Baugenehmigungen vorhandenen Bestand orientiert; die Übernahme der Bestandsbebauung im Bebauungsplanverfahren aus den Unterlagen des Vermessungs- und Katasteramts bzw. der digitalen Flurkarte ist nicht zu beanstanden. Soweit ein Ermittlungsdefizit darin gesehen wird, dass die nachträglich angebrachte Wärmedämmung unberücksichtigt geblieben ist, war diese Änderung vom Antragsteller nicht an das Vermessungsamt übermittelt worden und hat daher keinen Eingang in die amtlichen Unterlagen gefunden. Sie war daher für die Antragsgegnerin nicht erkennbar. Zudem weichen die vom Antragsteller im Aufstellungsverfahren vorgetragenen Grundflächen, die die Antragsgegnerin ihrer Bewertung zugrunde gelegt hat, nicht wesentlich von den ermittelten Daten ab. So hat der Antragsteller für das Hauptgebäude jeweils nur eine Grundfläche von 78,3 m² (einschließlich Wärmeschutz) angegeben.
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Für die Durchführung eines ergänzenden Verfahrens weist der Senat darauf hin, dass die Antragsgegnerin den im verfahrensgegenständlichen Normenkontrollverfahren vorgetragenen Wärmeschutz im Rahmen der Abwägungsentscheidung zu berücksichtigen und ggf. die Grundfläche anzupassen hat. Denn ebenso wie bei der Ermittlung der Geschossfläche (§ 20 Abs. 3 Satz 1 BauNVO) zählen Bauteile, die sich vor der eigentlichen Gebäudekonstruktion befinden und die der Witterung ausgesetzte Gebäudehülle bilden, als Fassade zu den Gebäudebestandteilen. Ihre Außenkante ist Bezugspunkt des Außenmaßes (vgl. BVerwG, U.v. 7.6.2006 – 4 C 7.05 – BauR 2006, 1439). Nichts anderes kann für die Ermittlung der Grundflächen gelten, die den überbaubaren Teil der Baugrundstücke festlegen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO muss die Antragsgegnerin die Ziffer I der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise veröffentlichen wie die angefochtene Satzung (§ 10 Abs. 3 BauGB).