Inhalt

VGH München, Urteil v. 28.11.2023 – 1 N 20.2264
Titel:

Erfolgreiches Normenkontrollverfahren gegen einen Bebauungsplan

Normenketten:
BauNVO 1990 § 11 Abs. 2, § 16 Abs. 3 Nr. 1
VwGO § 47
Leitsatz:
Wird gegen § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO 1990 verstoßen, hat dies die Unwirksamkeit der getroffenen Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung zur Folge. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unwirksamkeit eines Änderungsbebauungsplans, Fehlende Festsetzung zur Grundfläche, Widersprüchliche Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung, Anforderungen an die Festsetzung eines Sondergebiets, fehlende Festsetzung zur Grundfläche, widersprüchliche Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 40626

Tenor

I. Die 3. Änderung des Bebauungsplans Nr. 49 „Gewerbegebiet L.“ vom 10. September 2019, bekannt gemacht am 15. Oktober 2019, ist unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Die Antragstellerin wendet sich gegen die 3. Änderung des Bebauungsplans Nr. 49 „Gewerbegebiet L.“ (nachfolgend: Änderungsbebauungsplan), den die Antragsgegnerin im vereinfachten Verfahren am 10. September 2019 als Satzung beschlossen und am 15. Oktober 2019 bekannt gemacht hat.
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Das weitgehend bereits bebaute, ca. 21,5 ha große Planungsgebiet liegt nördlich der M. Straße am westlichen Stadtrand der Stadt S.
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Der am 30. November 1999 als Satzung beschlossene und zuletzt am 24. März 2001 bekannt gemachte ursprüngliche Bebauungsplan „Überarbeitung Gewerbegebiet L.“ (nachfolgend: Ursprungsbebauungsplan) setzt als Art der baulichen Nutzung durch Planzeichen für näher dargestellte Flächen im Planungsgebiet ein Gewerbegebiet fest sowie für die zentral im Planungsgebiet gelegenen Grundstücke FlNr. …1 und …10 ein Mischgebiet – Fläche für Gemeinbedarf – und im südöstlichen Bereich auf den Grundstücken FlNr. … und …6 ein Sondergebiet, in dem sich nach der Begründung ein Baumarkt befindet. Im nordöstlichen Bereich ist auf den Grundstücken FlNr. … und …3 eine Gemeinbedarfsfläche ausgewiesen. Auf den Gemeinbedarfsflächen befinden sich nach der Begründung der städtische Bauhof sowie ein Kindergarten. Nach der textlichen Festsetzung B.1 des Ursprungsbebauungsplans wird das Bauland im gesamten Bereich als Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO ausgewiesen. Weiter sind großflächige Bauräume, die Geschossflächenzahl, die maximal zulässige Anzahl der Vollgeschosse, die maximal zulässige Wandhöhe sowie die Bauweise festgesetzt.
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Mit der 1. Änderung zum Bebauungsplan, bekannt gemacht am 2. Juli 2004, wurden für ein einzelnes Grundstück die Wandhöhenfestsetzungen sowie für den gesamten Planungsbereich die Festsetzungen zur Dachform geändert. Die 2. Änderung des Bebauungsplans, bekannt gemacht am 5. November 2004, trifft Regelungen zur Zulässigkeit von Werbeanlagen.
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Die streitgegenständliche 3. Änderung des Bebauungsplans, deren Planzeichnung die im Ursprungsbebauungsplan enthaltene Planzeichnung im verkleinerten Maßstab wiedergibt, schließt durch die textliche Festsetzung B.1 in den Gewerbegebietsbereichen sowie im Sondergebiet Einzelhandelsbetriebe mit folgenden Sortimenten aus:
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- Arzneimittel, medizinische- und orthopädische Produkte
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- Baby- und Kinderartikel
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- Bekleidung
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- Brillen und Zubehör, optische Erzeugnisse
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- Bücher, Zeitungen, Zeitschriften
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- Drogerie- und Parfümwaren
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- Elektronikartikel, („braune und weiße Ware“, Computer und Zubehör, Foto/Film)
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- Glas/ Porzellan/ Keramik (GPK), Geschenkartikel, Haushaltswaren
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- Haushalt- und Heimtextilien, Bettwaren
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- Lederwaren
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- Papier- und Schreibwaren, Bürobedarf
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- Schuhe
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- Spielwaren
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- Sport- und Campingartikel
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- Uhren und Schmuck.
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Nach der Begründung ist es Ziel und Zweck des Änderungsbebauungsplans, zum Schutz und zur Stärkung der innerörtlichen Standort- und Einzelhandelssituation der Altstadt innenstadtrelevante Sortimente im Planungsgebiet auszuschließen. Die Stadt S. habe im Rahmen des städtebaulichen Entwicklungskonzepts im August 2017 ein Einzelhandelskonzept erstellen lassen. Hiernach ergäben sich aus den bereits vollzogenen und den weiterhin zu erwartenden Strukturveränderungen des Einzelhandels Probleme im Hinblick auf eine städtebaulich anzustrebende Stärkung einer Innenstadt bzw. Ortsmitte. Hauptintention einer gezielten Lenkung der weiteren Einzelhandelsentwicklung sei es daher, die für die Altstadt bzw. den zentralen Versorgungsbereich der Innenstadt wichtigen und zu dessen Stärkung besonders geeigneten Warenangebote zukünftig auch (wieder) soweit als möglich dort zu konzentrieren. Für mögliche zusätzliche Einzelhandelsansiedlungen bedeute dies, dass sog. innenstadtrelevante Sortimente zukünftig vorrangig auf den ausgewiesenen „zentralen Versorgungsbereich Innenstadt“ auszurichten seien. Dadurch solle die Gesamtstandortattraktivität der Alt-/Innenstadt nachhaltig gestärkt und der (weiteren) Ausdünnung oder gar dem Verschwinden von wichtigen Sortimenten/Sortimentsbereichen konsequent entgegengewirkt werden.
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Die Antragstellerin ist Eigentümerin des im Planungsgebiet gelegenen Grundstücks FlNr. …, auf dem sich im nördlichen Bereich ein Einzelhandelsmarkt mit 800 m² Verkaufsfläche befindet, der zum Betrieb eines Elektrofachmarkts vermietet ist, sowie im südlichen Bereich eine Metzgerei mit Partyservice und Imbiss.
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Am 12. Oktober 2020 stellte die Antragstellerin beim Verwaltungsgerichtshof einen Normenkontrollantrag und beantragt,
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Der Bebauungsplan „3. Änderung des Bebauungsplans Nr. 49 „Gewerbegebiet L.“ der Antragsgegnerin vom 15. Oktober 2019 wird für unwirksam erklärt.
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Der Änderungsbebauungsplan weise Ermittlungsdefizite und Abwägungsmängel auf. Eigentümerbelange seien weder ausreichend ermittelt noch in die Abwägung eingestellt worden, insbesondere sei die Frage, ob den Eigentümern der betroffenen Grundstücke über § 1 Abs. 10 BauNVO ein erweiterter Bestandsschutz zugestanden werden könne, nicht behandelt worden. Die Antragsgegnerin habe die in Frage kommenden Entschädigungsansprüche nicht in den Blick genommen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Dem Satzungsbeschluss über den Änderungsbebauungsplan liege eine ausreichende Bestandsaufnahme zugrunde. Bereits im Rahmen des Einzelhandelskonzepts sei der Bestand an Einzelhandelsnutzungen im Plangebiet erhoben worden. Dabei sei insbesondere sowohl der Einzelhandelsbesatz als auch die vorhandenen Großbetriebe des Einzelhandels im Stadtgebiet vollständig erfasst worden. Durch die Änderung des Bebauungsplans betroffene Betriebe würden Bestandsschutz genießen, eine Erweiterung, Änderung und Erneuerung könne aber im Hinblick auf das verfolgte Ziel, die Funktion und Attraktivität der Alt-/Innenstadt zu sichern und zu entwickeln, nicht mehr zugelassen werden. Einer Festsetzung nach § 1 Abs. 10 BauNVO für die Bestandsnutzung habe es hier nicht bedurft, da gewichtige städtebauliche Gründen vorlägen, die die Zurücksetzung der privaten Belange des auf den Bestandsschutz gesetzten Grundstückseigentümers rechtfertigen würden. Der Ausschluss von Einzelhandel mit zentrenrelevanten Hauptsortimenten sei zur Sicherung und Entwicklung des zentralen Versorgungsbereichs Alt-/Innenstadt zwingend erforderlich. Den betroffenen Grundeigentümern verblieben angesichts der getroffenen Baugebietsfestsetzung und der damit allgemein verbundenen Nutzungsmöglichkeiten auch beim künftigen Wegfall der derzeitigen Nutzungen eine hinreichende Bandbreite an möglichen Nutzungsvarianten. Ein Abwägungsausfall liege auch nicht im Hinblick auf Entschädigungsansprüche nach § 42 Abs. 3 Satz 1 BauGB vor.
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Für den Verlauf der mündlichen Verhandlung am 28. November 2023 wird auf das Protokoll verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Normaufstellungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Der zulässige Normenkontrollantrag hat Erfolg. Die 3. Änderung des Bebauungsplans Nr. 49 „Gewerbegebiet L.“ ist unwirksam.
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1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist die Antragstellerin antragsbefugt.
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Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Eine solche Rechtsverletzung kommt regelmäßig in Betracht, wenn sich der Eigentümer eines im Planungsgebiet liegenden Grundstücks gegen bauplanerische Festsetzungen wendet, die unmittelbar sein Grundstück betreffen. Denn bei den Festsetzungen eines Bebauungsplans handelt es sich um Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinn des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Diese muss der Eigentümer nur hinnehmen, wenn der Bebauungsplan rechtmäßig ist (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.2018 – 4 BN 17.17 – BauR 2018, 814). Damit ist die Antragstellerin als Eigentümerin eines Grundstücks, das innerhalb des Planungsgebiets gelegen ist und für das der Bebauungsplan Festsetzungen trifft, antragsbefugt.
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2. Der Änderungsbebauungsplan ist unwirksam, weil der Ursprungsbebauungsplan „Überarbeitung Gewerbegebiet L.“ wegen einer fehlerhaften Maßfestsetzung unwirksam ist (2.1). Zudem sind die Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung im Ursprungsbebauungsplan widersprüchlich und stehen nicht im Einklang mit den Vorgaben der BauNVO 1990 (2.2).
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Bei einem Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 1 VwGO handelt es sich um ein objektives Rechtsbeanstandungsverfahren, das über das zugleich enthaltene Element des subjektiven Rechtsschutzes hinausgeht (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.2020 – 4 CN 9.19 – NVwZ 2021, 331). Der Änderungsbebauungsplan ist daher auch auf Mängel zu überprüfen, die keinen Bezug zu einer subjektiv-rechtlichen Betroffenheit der Antragstellerin aufweisen. Bei dem Änderungsbebauungsplan handelt es sich nicht um einen selbständigen, den ursprünglichen Bebauungsplan ersetzenden Bebauungsplan. Die wesentlichen Festsetzungen des ursprünglichen Bebauungsplans sind weit überwiegend ohne Änderung und ohne erneute Abwägung übernommen worden. Damit kann die planungsrechtliche Ordnung im Bebauungsplangebiet nur als Einheit der alten und geänderten Planung angesehen werden (vgl. BVerwG, B.v. 4.10.2016 – 4 BN 11.16 – BauR 2017, 62; B.v. 26.7.2011 – 4 B 23.11 – BauR 2012, 53; BayVGH, U.v. 19.2.2019 – 1 N 16.350 – juris Rn. 22). Hiervon geht auch die Antragsgegnerin in den textlichen Festsetzungen B.3 aus, wonach die nicht geänderten Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 49 „Überarbeitung Gewerbegebiet L* …“ rechtswirksam bleiben. Die Wirksamkeit des Änderungsbebauungsplans wird daher von einer etwaigen Unwirksamkeit des ursprünglichen Bebauungsplans berührt (vgl. BVerwG, B.v. 30.9.1992 – 4 NB 22.92 – juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 7.2.2023 – 1 N 19.2204 – juris Rn. 17). Zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses des Änderungsbebauungsplans am 10. September 2019 lag ein wirksamer Bebauungsplan nicht vor.
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2.1 Der Ursprungsbebauungsplan ist unwirksam, da die darin enthaltenen Maßfestsetzungen nicht mit den Anforderungen des § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO 1990 vereinbar sind.
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Nach § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO 1990 ist im Bebauungsplan bei Festsetzungen des Maßes der baulichen Nutzung stets die Grundflächenzahl oder die Größe der Grundflächen der baulichen Anlagen festzusetzen. Dabei muss die zulässige Grundfläche für alle Anlagen, die bei der Ermittlung der Grundfläche mitzurechnen sind, festgesetzt werden (vgl. BayVGH, U.v. 10.8.2006 – 1 N 04.1371 u.a. – NVwZ-RR 2007, 447).
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Der Ursprungsbebauungsplan trifft Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung in Form der maximal zulässigen Wandhöhe, der Anzahl der Vollgeschosse sowie der Geschossflächenzahl. Eine Grundflächenzahl oder Grundfläche ist nicht festgesetzt. Die Festsetzung der Baugrenzen vermag dieses Defizit nicht auszugleichen, weil die Festsetzungen nach § 23 BauNVO 1990 einen anderen Regelungszweck verfolgen. Während die Festsetzungen zur Grundfläche bestimmen, in welchem Umfang das Baugrundstück durch bauliche Anlagen „versiegelt“ werden darf, bestimmen die Festsetzungen zur überbaubaren Grundfläche den Standort der baulichen Anlagen (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.1995 – 4 NB 36.95 – NVwZ 1996, 894). Wird gegen § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO 1990 verstoßen, hat dies die Unwirksamkeit der getroffenen Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung zur Folge (vgl. BayVGH, U.v. 23.7.2019 – 1 N 16.2190 – juris Rn. 17; U.v. 19.2.2019 – 1 N 16.350 – juris Rn. 19).
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Die Unwirksamkeit der Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung im Ursprungsbebauungsplan bewirkt seine Gesamtunwirksamkeit. Die Unwirksamkeit einzelner Festsetzungen eines Bebauungsplans hat nur dann nicht dessen Gesamtunwirksamkeit zur Folge, wenn die restlichen Festsetzungen auch ohne den ungültigen Teil noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung im Sinn des § 1 Abs. 3 BauGB bewirken können und mit der gebotenen Sicherheit anzunehmen ist, dass die Gemeinde auch einen Bebauungsplan dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (vgl. BVerwG, B.v. 5.5.2015 – 4 CN 4.14 – juris Rn. 3). Unabhängig davon, ob der Ursprungsbebauungsplan ohne die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung bewirken kann, scheidet eine Teilunwirksamkeit hier aus. Die detaillierten Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung für das Gebiet, das zum Zeitpunkt des Erlasses des Ursprungsbebauungsplans noch nicht vollständig bebaut war, lassen nur den Schluss zu, dass die Antragsgegnerin den Bebauungsplan ohne Festsetzungen zum Maß der Nutzung nicht getroffen hätte. Die vorgesehene Zweigeschossigkeit der Bebauung wird in der Begründung des Ursprungsbebauungsplans als städtebauliche Zielsetzung ausdrücklich angeführt.
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2.2 Zudem sind die Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung im Ursprungsbebauungsplan unwirksam. Die diesbezüglichen Festsetzungen durch Planzeichen und die textliche Festsetzung B.1 sind widersprüchlich und nicht hinreichend bestimmbar (2.2.1). Für das festgestellte Sondergebiet sowie die Fläche für den Gemeinbedarf fehlt es an der konkretisierenden Zweckbestimmung (2.2.2). Die Festsetzung des Mischgebiets mit dem Zusatz „Gemeinbedarfsfläche“ ist widersprüchlich und verstößt gegen den Grundsatz der Normenklarheit (2.2.3).
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2.2.1 Die Festsetzungen eines Bebauungsplans als Rechtsnorm im materiellen Sinn müssen den aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Geboten der Bestimmtheit und Normenklarheit entsprechen. Ein Verstoß gegen das Gebot der Normenklarheit begründet die Unwirksamkeit der Festsetzung, ohne dass es auf §§ 214, 215 BauGB ankommt. Speziell für Bebauungspläne folgt die Notwendigkeit hinreichender Bestimmtheit sowohl für zeichnerische als auch für textliche Festsetzungen daraus, dass die Festsetzungen gem. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Inhalt und Schranken des grundrechtlich geschützten Eigentums unmittelbar berühren und ausgestalten. Die von den Festsetzungen des Bebauungsplanes Betroffenen müssen deshalb wissen, welche Nutzungen auf den Grundstücken zulässig sind. Das im Einzelfall zu fordernde Maß an Konkretisierung hängt wesentlich von der Art der jeweiligen Festsetzung, den Planungszielen und den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den örtlichen Verhältnissen, ab (vgl. BayVGH, U.v. 15.6.2021 – 15 N 20.1650 – juris Rn. 36). Die zeichnerischen Darstellungen sowie die textlichen Festsetzungen müssen aus sich heraus bestimmt, eindeutig und verständlich sein.
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Diesen Maßstäben wird der Ursprungsbebauungsplan hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht gerecht. Diese Festsetzungen sind widersprüchlich und lassen sich miteinander nicht in Einklang bringen. Mit den Festsetzungen durch Planzeichen wird das Plangebiet für die in der Nutzungsschablone näher gekennzeichneten Teilbereiche in ein Gewerbegebiet, ein Mischgebiet sowie ein Sondergebiet geteilt. Gleichzeitig wird mit der textlichen Festsetzung B.1 des Bebauungsplans das Bauland im gesamten Bereich als Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO festgesetzt, wobei Vergnügungsstätten wie Diskotheken und Spielhallen ausgeschlossen werden. Der knappen Begründung des Bebauungsplans, die bei der Ermittlung des Planungswillens zur Auslegung von Festsetzungen des Bebauungsplans herangezogen werden kann (vgl. BVerwG, B.v. 17.12.1998 – 4 NB 4.97 – NVwZ 1999, 984; BayVGH, U.v. 8.11.2023 – 1 N 20.558 – juris Rn. 23), können keine ausreichenden Anhaltspunkte für den Planungswillen der Antragsgegnerin zur Art der baulichen Nutzung entnommen werden bzw. wie dieser Widerspruch aufzulösen ist. Die Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung sind daher wegen des Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz unwirksam.
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2.2.2 Der Festsetzung des Sondergebiets sowie der Festsetzung der Gemeinbedarfsfläche fehlt die erforderliche Zweckbestimmung.
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§ 11 Abs. 1 BauNVO 1990 ermächtigt die Gemeinden zur Darstellung und Festsetzung von sonstigen Sondergebieten, die sich von den Baugebieten nach den §§ 2 bis 10 BauNVO wesentlich unterscheiden. Dabei sind nach § 11 Abs. 2 BauNVO 1990 die Zweckbestimmung und die Art der Nutzung festzusetzen. § 10 Abs. 2 und § 11 Abs. 2 BauNVO fordern ausdrücklich, dass der Bebauungsplan neben der Art der Nutzung auch die Zweckbestimmung des Sondergebiets festsetzt. Diese Festsetzung hat für die Sondergebiete dieselbe Funktion, die für die Baugebiete nach §§ 2 bis 9 BauNVO dem jeweils ersten Absatz dieser Vorschriften zukommt. Ein Bebauungsplan, der ein Sondergebiet ohne eindeutige Zweckbestimmung festsetzt, erfüllt nicht die notwendigen Voraussetzungen, um eine geordnete städtebauliche Entwicklung zu gewährleisten. Zur eindeutigen Zweckbestimmung bzw. Art der Nutzung eines Sondergebiets ist in der Regel eine ausdrückliche Festsetzung im Bebauungsplan geboten (vgl. BVerwG, U.v. 18.2.1983 – 4 C 18.81 – BVerwGE 67, 23). Der Ursprungsbebauungsplan setzt weder die Art der Nutzung noch die Zweckbestimmung fest. Ein Ausnahmefall, dass sich die Zweckbestimmung bzw. Art der Nutzung des Sondergebiets aus dem Gesamtzusammenhang der Festsetzungen eindeutig ergibt, liegt hier nicht vor, denn auch bei einer Gesamtschau der Festsetzungen durch Planzeichen und der textlichen Festsetzungen ist die Art der Nutzung sowie die Zweckbestimmung nicht erkennbar. Die Begründung des Ursprungsbebauungsplans kann die fehlende Festsetzung nicht ersetzen oder ergänzen (vgl. BVerwG, U.v. 18.2.1994 – 4 C 4.92 – juris Rn 15). Dies gilt auch für den Fall, dass es für die Gemeinde zu keinem Zeitpunkt zweifelhaft gewesen sein sollte, dass die Festsetzung einem großflächigen Einzelhandel dienen sollte. Denn diese Zweckbestimmung hat in dem Plan keinen Niederschlag gefunden. Im Übrigen dürfte es bei dem Klammerzusatz (Baumarkt) in der Begründung lediglich um eine Bestandsbeschreibung handeln. Der Mangel der fehlenden Festlegung der Art der baulichen Nutzung bzw. der Zweckbestimmung wurde auch nicht durch den Änderungsbebauungsplan geheilt, der nunmehr eine Negativliste der für einen Einzelhandelsbetrieb zulässigen Sortiments vorsieht. Allein die Aufzählung, welche Sortimente unzulässig sein sollen, genügt nicht für die erforderliche positive Zweckbestimmung (vgl. VGH BW, U.v. 2.5.2005 – 8 S 1848.04 – NVwZ-RR 2005, 685).
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Auch die Festsetzungen zu den Gemeinbedarfsflächen genügen nicht den gesetzlichen Anforderungen, da der Verwendungszweck der Gemeinbedarfsflächen nicht hinreichend bestimmt ist. Die Festsetzung einer Fläche für den Gemeinbedarf nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB ohne jeglichen konkretisierenden Zusatz ist im Regelfall unwirksam, weil ohne festgesetzte nähere Zweckbestimmung eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Vorhaben des Gemeinbedarfs zugelassen würden, sodass weder das Planungsziel hinreichend deutlich erkennbar wäre noch geprüft werden könnte, ob die Festsetzung der Gemeinbedarfsfläche mit den Festsetzungen für die Nachbargrundstücke vereinbar ist. Die Festsetzung einer Gemeinbedarfsfläche muss vielmehr einen Zusatz enthalten, der in einer der örtlichen Situation angemessenen Weise hinreichend deutlich erkennen lässt, mit welchen besonderen Arten von (Gemeinbedarfs-) Nutzungen zu rechnen ist (BVerwG, B.v. 20.1.1995 – 4 NB 43.93 – NVwZ 1995, 692). Zu der Zweckbestimmung enthält der Ursprungsbebauungsplan bei der Festsetzung der Gemeinbedarfsflächen keinen Zusatz. Auch die Begründung des Bebauungsplans dürfte – unabhängig davon, dass sie nicht die erforderliche Festsetzung ersetzen könnte – nur den Bestand beschreiben.
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2.2.3 Der Ursprungsbebauungsplan ist hinsichtlich der Festsetzung des Mischgebiets – Fläche für Gemeinbedarf – widersprüchlich und verstößt gegen das Gebot der Normenklarheit.
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Denn es ist einmal ein Mischgebiet festgesetzt und für denselben Bereich eine Gemeinbedarfsfläche, wobei eine Aufteilung für die eine oder andere Verwendung nicht vorgenommen worden ist. Aufgrund der erfolgten Doppelfestsetzung stellt die Gemeinbedarfsfläche keine gesonderte Fläche dar. Gemeinbedarfsflächen stehen, wie sich schon aus § 5 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BauGB ergibt, in einem Gegensatz zu den für die Bebauung vorgesehenen Flächen. Dies schließt es aus, ein Grundstück zugleich als Mischgebiet und als Fläche für den Gemeinbedarf auszuweisen (vgl. OVG NW, U.v. 8.12.1983 – 11 a NE 52/82 – BRS 40, 13). Zwar lässt der Zusatz „Gemeinbedarfsfläche“ die Schlussfolgerung zu, dass die Antragsgegnerin auf der Fläche, auf der sich im Bestand der Bauhof befindet, nicht die erforderliche Durchmischung der nach § 6 Abs. 2 BauNVO zulässigen Nutzungen angestrebt hat, sondern lediglich eine Gemeinbedarfsfläche festgesetzt werden sollte. Für eine solche Auslegung fehlt es jedoch an hinreichenden Anhaltspunkten in der Normaufstellungsakte (vgl. OVG NW, U.v. 21.6.2005 – 7 A 3611/04 – BauR 2005, 1753).
47
Die Unwirksamkeit der Festsetzungen zur Nutzungsart führt ebenfalls zur Gesamtunwirksamkeit des Ursprungsbebauungsplans, da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Antragsgegnerin den Bebauungsplan auch ohne die Festsetzung der Art der baulichen Nutzung erlassen hätte.
48
Zwar soll sich das Normenkontrollgericht bei der Überprüfung von Satzungen nicht „gleichsam ungefragt“ auf Fehlersuche begeben (vgl. BVerwG, B.v. 28.5.2020 – 5 BN 2.19 – juris Rn. 37; U.v. 17.4.2002 – 9 CN 1.01 – BVerwGE 116, 88). Die aufgezeigten Mängel des Ursprungsbebauungsplans hinsichtlich des Maßes und der Art der baulichen Nutzung sind jedoch so offensichtlich, dass sie trotz fehlender Rüge der Antragstellerin bei einer sachgerechten Handhabung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht außer Acht gelassen werden können.
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Die sich aus den vorstehenden Gründen ergebende Unwirksamkeit des Ursprungsbebauungsplans führt zur Unwirksamkeit des Änderungsbebauungsplans.
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3. Auf die weiteren Rügen der Antragstellerin oder sonstige Unwirksamkeitsgründe kommt es daher nicht mehr an. Der Senat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Änderungsbebauungsplan mit der textlichen Festsetzung B.1 das aufgelistete Sortiment im Planungsgebiet vollständig ausschließt, während das beschlossene Einzelhandelskonzept davon ausgeht, dass an den Nahversorgungsstandorten über den Lebensmittelbereich hinausgehende Güter des täglichen Bedarfs (vor allem Drogeriewaren, Zeitungen, Zeitschriften etc.) von Lebensmittelmärkten üblicherweise angeboten werden und damit eine ausreichende wohnortnahe Grundversorgung außerhalb des Alt-/Innenstadtbereichs mit diesen Gütern gewährleistet ist. Dies legt nahe, dass für die Erfüllung der Nahversorgungsfunktion dieses Sortiment als Randsortiment angeboten werden soll. Auch wird der Frage nachzugehen sein, dass in dem Einzelhandelskonzept für das Planungsgebiet explizit der Hinweis enthalten ist, dass Betriebe mit ergänzenden innenstadtrelevanten Randsortimenten als Spezialfall einzustufen seien, für die es einer gesonderten Regelung bedürfe. Die Ausführungen des Bauamtsleiters in der mündlichen Verhandlung legen nahe, dass ein vollständiger Ausschluss des Sortiments einschließlich des Randsortiments nicht beabsichtigt war.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO hat die Antragsgegnerin die Entscheidung in Nr. I der Urteilsformel nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils in derselben Weise zu veröffentlichen wie den angegriffenen Bebauungsplan (§ 10 Abs. 3 BauGB).