Inhalt

FG Nürnberg, Urteil v. 04.05.2023 – 8 K 472/21
Titel:

Verfassungsmäßigkeit des § 66 Abs. 3 EStG a. F

Normenketten:
EStG § 31 S. 1, § 32 Abs. 6,§ 52 Abs. 49a S. 7, § 66 Abs. 3, § 67, § 70 Abs. 1 S. 2
FGO § 90 Abs. 2, § 135 Abs. 1
Leitsatz:
Vor dem Gesichtspunkt des Schutzes der Familie es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Kindergeld innerhalb von sechs Monaten nach Entstehung des Anspruchs zu beantragen (vgl. BFH-Urteile vom 09.09.2020, III R 37/19, BFH/NV 2021, 449, BeckRS 2020, 41086; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 06.11.2003, 2 BvR 1240/02, HFR 2004, 260, BeckRS 2003, 25072).     (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausschlussfrist, Auslegung, Auslandssachverhalt, Auskunft, Antragstellung, Anspruch auf Kindergeld, Bundesfinanzhof, BFH-Urteile, Familie, Familienkasse, Differenzkindergeld, Mitgliedstaat
Rechtsmittelinstanz:
BFH München, Urteil vom 11.07.2024 – III R 30/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 40531

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1
Streitig ist die Verfassungsmäßigkeit des § 66 Abs. 3 EStG a. F.
2
Der Kläger ist rumänischer Staatsangehöriger und Vater des Kindes A Z (geb. am ... 2017). Seine Ehefrau, die Mutter des Kindes, erhielt im Streitzeitraum rumänische Kindergeldleistungen für A Z i. H. v. monatlich 200 Lei (Mai 2017 – März 2019), 300 Lei (April 2019), 150 Lei (Mai – Dezember 2019), 156 Lei (Januar – Juli 2020), 185 Lei (August – Dezember 2020), 214 Lei (Januar – Dezember 2021) und 243 Lei (Januar – November 2022). Die Ehefrau und das Kind lebten in Rumänien.
3
Der Kläger war von Januar – Dezember 2018 in Deutschland nichtselbständig beschäftigt.
4
Am 27.05.2019 stellte der Kläger bei der beklagten Familienkasse Antrag auf Kindergeld für A.
5
Mit Bescheid vom 14.12.2020 lehnte die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum von Januar – Oktober 2018 ab, weil die Festsetzung für einen längeren Zeitraum als die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen sei, gem. § 66 Abs. 3 EStG ausgeschlossen sei.
6
Mit einem weiteren Bescheid vom 14.12.2020 setzte die Familienkasse für den Zeitraum von November 2018 – Oktober 2019 Differenzkindergeld fest.
7
Gegen den Ablehnungsbescheid legte der Kläger, vertreten durch die Prozessbevollmächtigten, Einspruch ein und bestritt die Verfassungsmäßigkeit des § 66 Abs. 3 EStG.
8
Mit Einspruchsentscheidung vom 07.04.2021 wies die Familienkasse den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Bundesfinanzhof habe entschieden, dass § 66 Abs. 3 EStG i. d. F. vom 23.06.2017 das Festsetzungsverfahren betreffe und die Festsetzung von Kindergeld auf einen Zeitraum von sechs Monaten vor Antragstellung begrenze (Urteil vom 19.02.2020 III R 66/18, BFHE 268, 294, BStBl II 2020, 704). Da der Kindergeldantrag erst am 27.05.2019 bei der Familienkasse eingegangen sei, sei eine Kindergeldfestsetzung für den beantragten Zeitraum ausgeschlossen. Mit Urteil vom 09.09.2020 (III R 37/19, BFH/NV 2021, 449) habe der Bundesfinanzhof zudem klargestellt, dass § 66 Abs. 3 EStG nicht verfassungswidrig sei. Verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich der Rechtsnorm des § 66 Abs. 3 EStG seien damit ausgeräumt.
9
Hiergegen hat der Kläger, vertreten durch die Prozessbevollmächtigten, Klage erhoben.
10
Das Klageverfahren hat zunächst im Hinblick u. a. auf die Verfahren vor dem Bundesfinanzhof III R 21/21 und III R 28/21 und das Verfahren vor dem Finanzgericht Nürnberg 5 K 251/21 geruht.
11
Die Familienkasse hat zwei Anfragen an den rumänischen Leistungsträger gestellt. Dieser hat daraufhin die in Rumänien gezahlten Kindergeldbeträge angegeben und im Rahmen der zweiten Auskunft mitgeteilt, dass die Kindsmutter in Rumänien keine Erwerbstätigkeit ausgeübt habe und dass man keine Informationen darüber erhalten habe, dass die Familie in Deutschland lebe und Kindergeld erhalte.
12
Der Kläger ist der Ansicht, das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 22.09.2022 (III R 21/21, BStBl II 2023, 249) habe sich nicht mit der Fragestellung beschäftigt, inwieweit das Prozedere der Antragstellung eine europarechtswidrige Ungleichbehandlung von Gastarbeitern enthalte. Die Frage, ob das aus § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG resultierende Verwaltungsverfahren eine Verhinderung bzw. unverhältnismäßige Erschwernis bei der Kindergeldbeantragung für ausländische Gastarbeiter zur Folge habe, sei nicht thematisiert worden.
13
Nach dem BFH-Urteil vom 14.07. 2022 (III R 28/21, BStBl II 2023, 32) bezüglich derselben Rechtsfrage zu § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG müsse die Beklagte das Prinzip der europaweiten Antragsgleichstellung beachten. Der BFH lege das Prinzip der europaweiten Antragsgleichstellung weit aus. Zu berücksichtigen seien jegliche Anträge, die der Antragsteller oder ein sonstiger Berechtigter in Rumänien gestellt habe, sofern der Antrag im zeitlichen Geltungsbereich der VO 883/2004 gestellt worden sei und dieser vor Ablauf der Sechsmonatsfrist gestellt worden sei. Darunter fielen auch Anträge, die zum Zeitpunkt der Geburt eines Kindes im EU-Ausland gestellt worden seien. Im hier streitgegenständlichen Verfahren sei das Kind A nach in Kraft treten der VO 883/2004 geboren worden. Der Kläger beziehe rumänische Familienleistungen, was zeige, dass er bei Geburt einen Kindergeldantrag in Rumänien gestellt habe. Dieser Antrag sei noch vor Ablauf der Sechsmonatsfrist nach § 66 Abs. 3 EStG gestellt worden und müsse daher aufgrund der europäischen Antragsgleichstellung auch in Deutschland fortwirken. Nach Ansicht des BFH sei lediglich eine fortwirkende Antragstellung in einem europäischen Land nötig, um den Kindergeldanspruch in selben zeitlichen Umfang auch in Deutschland auszulösen.
14
Der Kläger beziehe in Rumänien aufgrund des zur Geburt gestellten Kindergeldantrags fortlaufende Familienleistungen. Das bedeute, dass er in Deutschland für den gleichen Zeitraum Anspruch auf Familienleistungen habe, für den er auch in Rumänien Anspruch auf Zahlungen gehabt habe. Eine Begrenzung könne damit lediglich noch durch die deutschen Verjährungsregeln, nicht aber durch die Auszahlungsbeschränkung des § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG entstehen.
15
Es sei nicht davon auszugehen, dass der BFH in seiner Entscheidung III R 28/21 eine Meldung des grenzüberschreitenden Bezugs bei der Behörde des Heimatstaates innerhalb der Sechsmonatsfrist nach § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG fordere. Die Antragslast werde bei einer solchen Auslegung des Urteils nur ins Heimatland verschoben, das Risiko der Verfristung aber in gleichem Maße fortbestehen. In dem Fall würde es keine Rolle spielen, ob der grenzüberschreitende Sachverhalt im Heimatland oder in Deutschland gemeldet worden wäre, in jedem Fall trüge der Kläger das Risiko einer verspäteten Antragstellung. Das Urteil des BFH vom 14.07.2022 könne daher nur so verstanden werden, dass auch Anträge, die vor dem Bekanntwerden des grenzüberschreitenden Sachverhalts im Heimatland gestellt wurden, Wirkung in einem anderen Mitgliedstaat entfalten können. Nur dann könne von einer einheitlichen, gleichberechtigten und unkomplizierten europaweiten Antragstellung gesprochen werden.
16
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 14.12.2020 und die Einspruchsentscheidung vom 07.04.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, an ihn Kindergeld für das Kind A für den Zeitraum von Januar 2018 bis Oktober 2018 in Höhe von monatlich 194 € abzüglich rumänischer Familienleistung i. H. v. monatlich 200 Lei zu bezahlen.
17
Die Familienkasse beantragt,
die Klage abzuweisen.
18
Sie ist der Ansicht, dass der in Rumänien anlässlich der Geburt des Kindes gestellte Antrag auf Kindergeld aus Sicht der Beklagten nicht als Antrag auf deutsches Kindergeld für die Zeit von Januar 2018 bis Oktober 2018 gewertet werden könne, und verweist darauf, dass dem rumänischen Träger der grenzüberschreitende Sachverhalt vom Kläger oder seiner Ehefrau nicht angezeigt worden sei.
19
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 90 Abs. 2 FGO einverstanden erklärt.
20
Auf den Inhalt der im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze sowie der dem Senat vorliegenden elektronischen Kindergeldakte wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

21
Die Klage ist unbegründet.
I.
22
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Festsetzung von Differenzkindergeld für den Streitzeitraum von Januar 2018 bis Oktober 2018, da nach § 66 Abs. 3 EStG a. F. eine rückwirkende Festsetzung nur noch für sechs Monate vor dem Monat der Antragstellung möglich ist.
23
1. Das Kindergeld wird nach § 66 Abs. 3 EStG a.F. rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats gezahlt, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist.
24
a) § 66 Abs. 3 EStG i. d. F. des Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz – StUmgBG – vom 23.06.2017, BGBl I 2017, 1682) betrifft nicht das Erhebungs-, sondern das Festsetzungsverfahren und begrenzt die Festsetzung von Kindergeld auf einen Zeitraum von sechs Monaten vor Antragstellung (vgl. BFH-Urteile vom 19.02.2020 III R 66/18, BStBl II 2020, 704; vom 19.02.2020 III R 26/19, BFH/NV 2020, 1062; vom 09.09.2020 III R 37/19, BFH/NV 2021, 449; vom 26.05.2021 III R 50/19, juris).
25
Die Regelung ist gemäß Art. 11 Abs. 2 StUmgBG am 01.01.2018 in Kraft getreten und gemäß § 52 Abs. 49a Satz 7 EStG i. d. F. des Art. 7 Nr. 6 Buchst. c StUmgBG nur auf Anträge anzuwenden, die nach dem 31.12.2017 eingehen. Durch das Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch (SozialMissbrG) vom 11.07.2019 (BGBl I 2019, 1066, BStBl I 2019, 814) wurde § 66 Abs. 3 EStG a. F. mit Wirkung ab 18.07.2019 aufgehoben. Die Vorschrift ist deshalb nach § 52 Abs. 49a Satz 7 EStG i. d. F. des SozialMissbrG auf Kindergeldanträge anzuwenden, die nach dem 31.12.2017 und vor dem 18.07.2019 eingehen (vgl. BFH-Urteil vom 26.05.2021 III R 50/19, BFHE 273, 462, BStBl II 2022, 58, Rn. 21).
26
b) Da der Kindergeldantrag bei der nach § 67 EStG zuständigen Familienkasse am 27.05.2019 eingegangen ist, hat diese zutreffend keine Kindergeldfestsetzung für die Streitmonate vorgenommen, da § 66 Abs. 3 EStG a.F. anzuwenden ist.
27
2. Es besteht auch keine Möglichkeit, den bei Geburt des Kindes in Rumänien gestellten Kindergeldantrag so zu behandeln, als wenn er damals bereits bei der beklagten Familienkasse gestellt worden wäre.
28
a) Bezieht der Wanderarbeitnehmer oder eine andere berechtigte Person laufend Familienleistungen für das betreffende Kind, genügt es für einen nach § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG zu berücksichtigenden Antrag auch, dass der Wanderarbeitnehmer oder eine andere berechtigte Person gegenüber dem zuständigen Träger des Heimatlandes innerhalb der Sechsmonatsfrist den durch die in Deutschland ausgeübte Tätigkeit entstandenen grenzüberschreitenden Sachverhalt anzeigt und hierdurch die Durchführung des Koordinierungsverfahrens ermöglicht (BFH-Urteil vom 14.07.2022 III R 28/21, BStBl II 2023, 32). Dieser Grundsatz könnte auf die Regelung des § 66 Abs. 3 EStG a. F. sinngemäß übertragen werden.
29
b) Es fehlt jedoch an einer Antragstellung in Rumänien während der sechs der Antragstellung in Deutschland vorausgehenden Monate. Aus der zweiten Antwort der rumänischen Verbindungsstelle ist dies zu entnehmen, da die Formulierung, dass man weder davon wisse, dass die Familie in Deutschland lebe, noch, dass diese dort Kindergeld beziehe, dahingehend auszulegen ist, dass das Vorliegen eines Auslandssachverhalts in Rumänien unbekannt war.
30
c) Die Stellung des Kindergeldantrages bei Geburt des Kindes ist nicht ausreichend. Der Hinweis auf das Vorliegen eines Auslandssachverhalts, der die Einleitung eines Koordinierungsverfahrens ermöglicht, muss innerhalb der Ausschlussfrist zumindest bei einem der Träger – also im In- oder Ausland – angebracht werden. Bei Abwägung des Prinzips der europaweiten Antragsgleichstellung und dem Erfordernis einer zeitnahen Einleitung des Koordinierungsverfahrens ist es dem Antragsteller zuzumuten, seine Interessen dadurch zu wahren, dass er wenigstens einem der potentiell Leistungsverpflichteten das Vorliegen eines Auslandssachverhalts offenbart. Dem Doppelbezug von Leistungen wäre ansonsten Tür und Tor geöffnet.
31
3. § 66 Abs. 3 EStG a. F. ist nicht verfassungswidrig (vgl. BFH-Urteile vom 09.09.2020 III R 37/19, BFH/NV 2021, 449, Rn. 12 f., und vom 26.05.2021 III R 50/19, BFHE 273, 462, BStBl II 2022, 58; vgl. auch Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.11.2003 2 BvR 1240/02, HFR 2004, 260).
32
Für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Ausschlussfrist des § 66 Abs. 3 EStG a. F. ist danach zu differenzieren, ob das Kindergeld als Steuervergütung dazu dient, den existenznotwendigen Bedarf des Kindes in angemessener, realitätsgerechter Höhe von der Einkommensteuer freizustellen, oder ob es einen Sozialzweck verfolgt, der in der Förderung der Familie besteht (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 06.11.2003 2 BvR 1240/02, HFR 2004, 260).
33
a) Die steuerliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes wird nach der gesetzgeberischen Konzeption des Familienleistungsausgleichs entweder durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch Kindergeld nach §§ 62 ff. EStG bewirkt (§ 31 Satz 1 EStG). Soweit das Kindergeld dafür nicht erforderlich ist, dient es der Förderung der Familie (§ 31 Satz 2 EStG). Im laufenden Kalenderjahr wird Kindergeld als Steuervergütung monatlich gezahlt (§ 31 Satz 3 EStG). Bewirkt der Anspruch auf Kindergeld für den gesamten Veranlagungszeitraum die nach § 31 Satz 1 EStG gebotene steuerliche Freistellung nicht vollständig und werden deshalb bei der Veranlagung zur Einkommensteuer die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG vom Einkommen abgezogen, erhöht sich die unter Abzug dieser Freibeträge ermittelte tarifliche Einkommensteuer um den Anspruch auf Kindergeld für den gesamten Veranlagungszeitraum (§ 31 Satz 4 Halbsatz 1 EStG).
34
Das Kindergeld dient mithin nur der vorläufigen Freistellung des Existenzminimums während des laufenden Veranlagungszeitraums (§ 31 Satz 3 EStG). Die endgültige Freistellung erfolgt erst durch die nach Ablauf des Veranlagungszeitraums durchzuführende Günstigerprüfung nach § 31 Satz 4 EStG. Entsprechend hat die Verfassungsmäßigkeitsprüfung auch erst bei der Günstigerprüfung anzusetzen (vgl. BFH-Urteil vom 09.09.2020 III R 37/19, BFH 2021, 449, Rn. 15; Wendl in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 66 EStG Rn. 4).
35
Ein durch die Frist des § 66 Abs. 3 EStG a. F. ausgeschlossener Anspruch ist bei der Günstigerrechnung und Hinzurechnung nach § 31 Satz 4 EStG i. H. v. 0 € zu berücksichtigen. Zwar ist bei Anwendung des § 31 Satz 4 EStG auch in den Fällen des Eingreifens der Ausschlussfrist nach § 66 Abs. 3 EStG a. F. dem Grunde nach auf den Kindergeldanspruch und nicht etwa auf das gezahlte Kindergeld abzustellen. Was die Höhe des anzusetzenden Anspruchs anbelangt, ist jedoch bei verfassungskonformer Auslegung des § 31 Satz 4 EStG die materiell-rechtliche Wirkung der Ausschlussfrist auf den Kindergeldanspruch zu berücksichtigen und ein derart ausgeschlossener Kindergeldanspruch bei der Vergleichsrechnung und bei der Hinzurechnung nur i. H. v. 0 € zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 26.05.2021 III R 50/19, BFHE 273, 462, BStBl II 2022, 58).
36
b) Soweit das Kindergeld der Förderung der Familie dient (§ 31 Satz 2 EStG), ist es nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber dem Steuerpflichtigen die Obliegenheit auferlegt, Kindergeld innerhalb von sechs Monaten nach Entstehung des Anspruchs zu beantragen (vgl. BFH-Urteile vom 09.09.2020 III R 37/19, BFH/NV 2021, 449, Rn. 13; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 06.11.2003 2 BvR 1240/02, HFR 2004, 260; Urteil des FG Nürnberg vom 19.01.2022 5 K 258/21).
37
4. Der Senat kann durch Urteil entscheiden.
38
a) Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof ist nicht geboten.
39
aa) Eine Vorlageverpflichtung besteht nur für einzelstaatliche Gerichte, deren Entscheidungen nicht mehr mit innerstaatlichen Rechtsmitteln angefochten werden können. Als Instanzgericht, gegen dessen Urteil mit Nichtzulassung der Revision das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde gegeben ist, ist das Finanzgericht gemäß Art. 267 Abs. 2 und 3 AEUV zur Vorlage an den EuGH berechtigt, aber nicht verpflichtet (vgl. BVerfG-Beschluss vom 02.12.2014 2 BvR 655/14, WM 2015, 122, Rn. 18).
40
bb) Eine Vorlage an den EuGH ist außerdem nicht geboten, da nach Überzeugung des Senats die in den Streitmonaten maßgebliche deutsche Rechtslage europarechtskonform gewesen ist. Eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung von Kindergeldberechtigten aus anderen EU-Mitgliedstaaten liegt nicht vor. Die Sechsmonatsfrist des § 66 Abs. 3 EStG a. F. gilt für alle Kindergeldberechtigten, d. h. für solche mit Wohnsitz im Inland oder in anderen EU-Mitgliedsstaaten (so auch FG Nürnberg, Urteile vom 08.05.2019 3 K 193/19, juris, und vom 28.07.2021 3 K 1589/20, juris, zu § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG). Jeweils beim Wechsel der Verhältnisse hätte der im Inland ansässige Kindergeldberechtigte in gleicher Weise wie ein EU-Bürger in den Streitmonaten die Sechsmonatsfrist des § 66 Abs. 3 EStG a.F. zu beachten.
41
b) Die Zulassung der Revision ist schon deshalb nicht geboten, da es sich bei § 66 Abs. 3 EStG a. F. um ausgelaufenes Recht handelt. Rechtsfragen, die solches auslaufendes Recht betreffen, kommt regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung mehr zu (BFH-Beschluss vom 28.04.2016 IX B 18/16, BFH/NV 2016, 1173; Ratschow in Gräber, FGO, § 115 Rn. 132).
42
c) Andere finanzgerichtliche Verfahren sind grundsätzlich kein Anlass für eine Aussetzung (BFH-Beschluss vom 14.02.2006 II B 30/05, BFH/NV 2006, 1056).
43
Die Klage war daher abzuweisen.
II.
44
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.