Titel:
unzulässiger Asylantrag (Irak)
Normenketten:
AsylG § 26a, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 34 Abs. 1, § 71a Abs. 1, Abs. 4
Asylverfahrens-RL und Art. 2 lit. q, Art. 33 Abs. 2 lit. d
Rückführungs-RL Art. 5
Leitsatz:
Art. 33 Abs. 2 lit. d Asylverfahrens-RL gilt nicht nur Folgeanträge, die in demselben Mitgliedstaat gestellt werden wie die jeweiligen Erstanträge; die Richtlinie geht vielmehr von der Möglichkeit einer Mitgliedstaats übergreifenden Anwendung des Konzepts des Folgeantrags aus. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Irak, unzulässiges Asylverfahren in der Bundesrepublik, Deutschland, Zweitantrag, abgeschlossenes Asylverfahren in Griechenland, Abschiebungsverbote (verneint), Abschiebungsandrohung in den Irak bei noch anhängigem Asylverfahren eines minderjährigen Kindes, unzulässiges Asylverfahren, Folgeantrag, Kindeswohl
Fundstelle:
BeckRS 2023, 40520
Tenor
I. Die Klage wird mit der Maßgabe abgewiesen, dass eine Abschiebung der Kläger in den Irak bzw. einen anderen aufnahmebereiten Staat erst dann vollzogen werden darf, wenn über den Asylantrag des am ... 2023 geborenen Sohnes (...) der Kläger bestandskräftig entschieden bzw. eine gegen ihn erlassene Abschiebungsandrohung sofort vollziehbar geworden ist.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Kläger wenden sich mit ihrer Klage gegen die Behandlung ihres Asylantrags in der Bundesrepublik Deutschland als unzulässig und begehren hilfsweise die Verpflichtung, festzustellen, dass Abschiebungsverbote bezüglich des Iraks bzw. eines aufnahmebereiten Staats vorliegen.
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Der am ... 1980 in ... (Irak) geborene Kläger zu 1, die ebenfalls am ... 1982 in ... (Irak) geborene Klägerin zu 2 sind irakische Staatsangehörige mit arabischer Volkszugehörigkeit und muslimisch-sunnitischem Glauben.
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Die Kläger zu 3 bis 6 sind die in den Jahren 2007, 2014, 2016 und 2020 geborenen Kinder der Kläger zu 1 und 2.
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Die Kläger reisten am 30. Juli 2022 erstmalig in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie unter dem 12. September 2022 Asylanträge stellten.
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Aufgrund der für die Kläger vorliegenden EURODAC-Treffer konnte festgestellt werden, dass die Kläger am 23. November 2015 in Österreich und am 26. Oktober 2018 in Griechenland erkennungsdienstlich registriert wurden.
6
Am 29. September 2022 fand beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) eine Anhörung der Kläger nach § 25 Asylgesetz (AsylG) statt. Dort trug der Kläger zu 1 vor, er habe am 9. Juni 2022 eine Ablehnung seines Asylgesuchs in Griechenland erhalten. Weiter gab er an, dass er immer noch die gleichen Gründe geltend mache, wie in Griechenland. Diese Gründe würden auch für seine Kinder gelten. Er habe Griechenland verlassen, da er nach der Ablehnung keine Leistungen mehr erhalten habe. Er habe in Griechenland eine Abschiebungsandrohung in den Irak erhalten. Österreich hätten er und seine Familie freiwillig verlassen, da sie in der Unterkunft von einer dritten Person diskriminiert worden seien.
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Auf den weiteren Vortrag des Klägers zu 1 bei der persönlichen Anhörung wird auf die vom Bundesamt hierüber gefertigte Niederschrift verwiesen.
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Die Klägerin zu 2 verwies ebenfalls auf die vom Kläger zu 1 angeführten Gründe. Sie machte geltend, keine eigenen Asylgründe zu haben. Auch ihre älteste Tochter (Klägerin zu 3) habe keine eigenen Asylgründe.
9
Auf Anfrage des Bundesamts teilte die Hellenistische Republik Griechenland dem Bundesamt unter dem 29. September 2022 mit, dass das Verfahren der Kläger zur Prüfung eines Antrages auf internationalen Schutz in Griechenland erfolglos abgeschlossen worden sei. Die Asylanträge der Kläger seien in Griechenland mit Bescheid vom 25. November 2020 abgelehnt worden. Die von den Klägern hiergegen eingelegte Klage sei erfolgslos geblieben. Sie sei am 9. Mai 2022 abgewiesen worden.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 21. September 2023 (Gz. ...) lehnte das Bundesamt die Asylanträge der Kläger als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids) und stellt in Nr. 2 fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 u. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen. In Nr. 3 des Bescheids wurden die Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde den Klägern die Abschiebung in den Irak bzw. einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht. Nr. 4. des Bescheids ordnet das Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristet es auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
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Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Bundesamt u.a. aus, dass die Anträge unzulässig seien, da die Voraussetzungen für die Durchführung von weiteren Asylverfahren nicht vorlägen. Ein Asylantrag sei unzulässig, wenn im Falle eines Zweitantrages nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen sei (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Ein weiteres Asylverfahren gem. § 71a Abs. 1 AsylG sei nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) erfüllt seien. Zugunsten der Kläger müssten daher Wiederaufgreifensgründe vorliegen. Die Kläger hätten keine Gründe vorgetragen, die zu der Annahme führten, dass eine Änderung der Sachlage vorliegen, die zum Erfolg ihrer Asylanträge führen würden. Die geschilderten Geschehnisse hätten sämtlich vor der Ausreise der Kläger aus dem Irak stattgefunden. Somit sei der Asylantrag gem. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abzulehnen. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen im Irak führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung der Kläger eine Verletzung des Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) vorliege. Die hierfür vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Die Abschiebungsandrohung sei gem. § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 34 Abs. 1 AsylG und § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde gem. § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Diese Befristung sei vorliegend angemessen. Die Kläger verfügten über keine wesentlichen persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Bindungen, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen gewesen seien.
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Auf den weiteren Inhalt des Bescheids des Bundesamts vom 21. September 2023 wird ergänzend verwiesen.
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Der vorbezeichnete Bescheid wurde den Klägern mit Postzustellungsurkunde am 26. September 2023 bekanntgegeben.
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Die Kläger haben mit Schreiben vom 28. September 2023 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragen zuletzt,
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Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Gz. ...) vom 21. September 2023, zugestellt am 26. September 2023, wird aufgehoben.
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Die Beklagte wird verpflichtet, für die Kläger in der Bundesrepublik Deutschland ein Asylverfahren durchzuführen bzw. hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Iraks vorliegen.
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Zur Begründung wurde auf die Angaben im Verwaltungsverfahren Bezug genommen.
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Das Bundesamt ist für die Beklagte der Klage mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2023 entgegengetreten und beantragt,
20
Zur Begründung wurde auf die mit der Klage angegriffene Entscheidung Bezug genommen. Das Bundesamt hat seine Ausführungen mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2023 ergänzt und vertieft und insbesondere darauf hingewiesen, dass das Bundesamt mit der ganz überwiegenden Rechtsprechung der Meinung sei, dass § 71 AsylG mit Unionsrecht vereinbar sei. Der Zweitantrag sei als transnationaler Folgeantrag nach der Rechtsauffassung des Bundesamts mit Unionsrecht kompatibel und auf der Grundlage des § 71a AsylG vom Bundesamt zu prüfen.
21
Auf die weiteren Ausführungen im Schriftsatz vom 12. Oktober 2023 wird ergänzend Bezug genommen.
22
Auf einen von den Klägern gestellten Antrag vorläufigen Rechtsschutzes (Az. Au 9 S 23.30924) wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 4. Oktober 2023 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids vom 21. September 2023 angeordnet. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird verwiesen.
23
Am ....... 2023 wurde ein weiteres Kind der Kläger geboren (...). Über dessen Asylantrag (Gz. des BAMF ...) ist noch nicht entschieden worden.
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Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 12. Oktober 2023 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
25
Am 30. November 2023 fand die mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung, in der die Kläger zu 1 bis 3 informatorisch angehört wurden, wird auf das hierüber gefertigte Protokoll Bezug genommen.
26
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Beklagten vorgelegte Verfahrensakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
27
Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage der Kläger verhandeln und entscheiden, ohne dass sie Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 30. November 2023 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beklagte ist zur mündlichen Verhandlung vom 30. November 2023 form- und fristgerecht geladen worden.
28
Die zulässige Klage bleibt weitgehend ohne Erfolg. Lediglich in Bezug auf den am ....... 2023 geborenen Sohn (...) der Kläger zu 1 und 2 und dessen vom Bundesamt noch nicht verbeschiedenen Asylantrag war auszusprechen, dass eine Abschiebung der Kläger erst nach bestandskräftiger Ablehnung des Asylantrags bzw. sofort vollziehbarer Abschiebungsandrohung des am ....... 2023 geborenen Sohnes der Kläger zulässig ist.
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1. Im Übrigen bleibt die Klage der Kläger ohne Erfolg. Das Bundesamt hat deren in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrag vom 12. September 2022 zutreffend als Zweitantrag gemäß § 71a AsylG behandelt und dessen Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ausgesprochen. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts ist in Nr. 1 rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Gericht folgt der zutreffenden und ausführlichen Begründung des streitgegenständlichen Bescheids (§ 77 Abs. 3 AsylG), macht sie sich zu eigen und führt ergänzend aus:
30
a) Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist dann, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt (Zweitantrag), ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen. Andernfalls ist der Antrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abzulehnen und gemäß § 31 Abs. 3 AsylG eine Entscheidung über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu treffen.
31
Das Bundesamt konnte seine Entscheidung auf § 71a AsylG stützen, da diese Vorschrift mit EU-Recht, insbesondere mit Art. 33 Abs. 2 Buchst. d und Art. 2 Buchst. q der RL 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie), in Einklang steht. Der Einzelrichter schließt sich im hier vorliegenden Hauptsacheverfahren – so wie schon im Eilverfahren angedeutet – der überwiegend in der Rechtsprechung (vgl. z.B. NdsOVG, B.v. 28.12.2022 – 11 LA 280/21 – juris Rn. 13 m.w.N.) und Literatur (Dickten in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1.7.2023, § 71a AsylG Rn. 1 b m.w.N.; a.A: Stern in Huber/Mantel, AufenthG/AsylG, 3. Aufl. 2021 Rn. 2) vertretenen Auffassung an.
32
Die Regelung in Art. 33 Abs. 2 Buchst. d, die es den Mitgliedstaaten unter den dort geregelten Voraussetzungen erlaubt, Folgeanträge nach einer ersten Prüfung als unzulässig zu betrachten, gilt nach Wortlaut, Systematik und Regelungszweck offenkundig nicht nur Folgeanträge, die in demselben Mitgliedstaat gestellt werden wie die jeweiligen Erstanträge. Nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der RL 2013/32/EU können die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig betrachten, wenn es sich um einen Folgeantrag handelt, bei dem keine neuen Umstände oder Erkenntnisse zu der Frage erkennbar sind, ob der Antragsteller nach Maßgabe der RL 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist. Nach der Begriffsbestimmung des Art. 2 Buchst. q der Asylverfahrensrichtlinie bezeichnet der Begriff des „Folgeantrags“ einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, der nach Erlass einer bestandskräftigen Entscheidung über einen früheren Antrag gestellt werde. Eine Beschränkung darauf, dass der Folgeantrag in demselben Mitgliedstaat gestellt werden muss, enthält diese Legaldefinition nach ihrem Wortlaut nicht. Auch aus Art. 40 der RL 2013/32/EU kann nicht hergeleitet werden, dass Folgeanträge im Sinne dieser Richtlinie nur Anträge sind, die im selben Mitgliedstaat wie der frühere Antrag gestellt wurden. Vielmehr zeigt die Bestimmung in Art. 40 Abs. 7 der RL 2013/32/EU eindeutig, dass die Richtlinie von der Möglichkeit einer mitgliedstaatsübergreifenden Anwendung des Konzepts des Folgeantrags ausgeht. Eine Beschränkung des unionsrechtlichen Begriffs „Folgeantrag“ auf solche Folgeanträge, die in demselben Mitgliedstaat gestellt werden, widerspricht überdies dem Sinn und Zweck des mit den unionsrechtlichen Vorschriften zum Asylrecht angestrebten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Dieses soll einerseits gewährleisten, dass ein in einem Mitgliedstaat gestellter Antrag auf internationalen Schutz von den Behörden eines Mitgliedstaats geprüft wird. Andererseits soll aber auch sichergestellt werden, dass diese Prüfung im Rahmen des einheitlichen Asylsystems nur einmal erfolgt. Eine weitere Prüfung ist nur angezeigt, wenn neue Umstände vorliegen, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten. Mit dieser Zielsetzung ist unvereinbar, wenn ein Mitgliedstaat einen Folgeantrag, der nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat gestellt werde, nur deshalb erneut vollumfänglich prüfen muss, weil das vorangegangene Asylverfahren nicht in seiner Zuständigkeit durchgeführt wurde. So hat auch der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof in seiner Stellungnahme vom 18. März 2021 im Rahmen des Verfahrens C-8/20 ausgeführt, dass nach einer abschließenden negativen Entscheidung über einen früheren Antrag, ein von demselben Antragsteller in einem beliebigen Mitgliedstaat gestellter Antrag als „Folgeantrag“ angesehen werden kann (zitiert nach NdsOVG, B.v. 28.12.2022 – 11 LA 280/21 – juris Rn. 15 ff.). Er führt aus, dass der EuGH zwischen der Unzulässigkeitsfeststellung nach der Dublin III-VO und der Unzulässigkeitsentscheidung nach der Asylverfahrensrichtlinie RL 2013/32 unterscheidet. Ist ein anderer Mitgliedstaat zur Wiederaufnahme nach der Dublin III-VO verpflichtet, so entscheidet er auch über einen nach bestandskräftiger Erstentscheidung gestellten Folgeantrag. So ist in Art. 40 Abs. 7 der RL 2013/32 geregelt, dass bei einem Antragsteller, gegen den ein Überstellungsgesuch zu vollstrecken ist, nur der Mitgliedstaat über einen Folgeantrag entscheidet, der zur Wiederaufnahme nach der Dublin III-VO verpflichtet ist. Ist eine Wiederaufnahme nach der Dublin III-VO jedoch nicht (mehr) möglich, ist die Dublin III-VO für die Frage der Zuständigkeit des Folgeantrags nicht mehr anwendbar und der nun zuständig gewordene Mitgliedstaat, kann den Folgeantrag nach Art. 33 Abs. 2 Buchstabe d RL 2013/32 für unzulässig erklären. Diese Regelung trägt dem Ziel der Verhinderung von sekundären Migrationsbewegungen zwischen den Mitgliedstaaten Rechnung, denen durch die Dublin III-VO und die Asylverfahrensrichtlinie 2013/32 gerade vorgebeugt werden soll. Andernfalls wären Antragsteller, denen gegenüber eine negative Entscheidung ergangen ist, versucht, vermehrt ähnliche Anträge in anderen Mitgliedstaaten zu stellen, um eine vollständige neue Prüfung ihrer Situation zu erreichen. Das brächte eine sekundäre Migrationsbewegung mit sich, die den Zielen sowohl der Dublin-III-Verordnung als auch der RL 2013/32 zuwiderliefe.
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b) Die Voraussetzungen des § 71a Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 2 VwVfG liegen nicht vor, so dass der Asylantrag rechtmäßig nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG i.V.m. § 71a AsylG als unzulässig abgelehnt wurde.
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aa) Nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Falle eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. § 71a AsylG geht von einer Zweistufigkeit der Prüfung von Zweitanträgen aus. Bei der Beachtlichkeits- oder Relevanzprüfung geht es zunächst – im ersten Prüfungsschritt – darum, festzustellen, ob das Asylverfahren wiederaufgegriffen werden muss, also die erforderlichen Voraussetzungen für die Durchbrechung der Bestandskraft der Erstentscheidung nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt sind, wobei § 51 Abs. 3 VwVfG wegen der vom EuGH (U.v. 9.9.2021 – C-18/20 – juris) festgestellten Unionsrechtswidrigkeit nicht anzuwenden ist.
35
Ein weiteres Asylverfahren ist daher nur dann durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen (§ 71a Abs. 1 AsylG). Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 2 VwVfG müsste sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten der Kläger geändert haben (Nr. 1) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe nach § 580 ZPO bestehen (Nr. 3). § 51 Abs. 1 VwVfG fordert, wie oben schon ausgeführt, einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung (Art. 16a GG) oder zur Zuerkennung des internationalen Schutzes (§§ 3 ff., 4 AsylG) zu verhelfen. Es genügt schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe (dazu BVerfG, B. v. 3.3.2000 – 2 BvR 39/98 – juris Rn. 32).
36
bb) Es liegt ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren der Kläger in Griechenland vor.
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Ein erfolgloser Abschluss des in einem sicheren Drittstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig – d.h. ohne die Möglichkeit einer Wiederaufnahme auf Antrag des Asylbewerbers – eingestellt worden ist. Dabei muss sich das im sicheren Drittstaat erfolglos abgeschlossene Asylverfahren auch auf die Gewährung des unionsrechtlichen subsidiären Schutzes beziehen. Maßgeblich für die entsprechende Beurteilung ist die Rechtslage in dem betreffenden sicheren Drittstaat (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 29 ff.). Diese Voraussetzungen müssen feststehen, bloße Mutmaßungen genügen nicht. Ist dem Bundesamt der aktuelle Stand des Verfahrens in dem sicheren Drittstaat nicht bekannt, muss es diesbezüglich zunächst weitere Ermittlungen anstellen, insbesondere im Rahmen der für den Informationsaustausch vorgesehenen Regelung über den sog. Info- Request (vgl. Art. 34 Dublin III -VO; BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris Rn. 39 ff.; U.v. 13.10.2016 – 20 B 15.30008 – juris Rn. 42 ff.). Die Klärung des Vorliegens eines erfolglosen Abschlusses des Asylverfahrens im sicheren Drittstaat ist aber nicht nur Sache des Bundesamts, sondern auch des Ausländers, den gemäß §§ 15, 25 Abs. 2 Satz 2 AsylG eine Mitwirkungspflicht trifft (Dickten in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1.7.2023, § 71a AsylG Rn. 3).
38
Nach diesem Maßstab liegt ein endgültig erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in Griechenland vor. Dieser ergibt sich aus der auf die Anfrage des Bundesamts erfolgten Antwort der griechischen Migrationsbehörde vom 29. September 2022, wonach das Verfahren der Kläger zur Prüfung eines Antrages auf internationalen Schutz in Griechenland erfolglos abgeschlossen worden sei. Die Asylanträge der Kläger seien in Griechenland mit Bescheid vom 25. November 2020 abgelehnt worden. Auch die von den Klägern hiergegen eingelegte Klage sei erfolglos geblieben. Sie sei unter dem 25. Mai 2022 abgewiesen worden. Diese Aussage der griechischen Asylbehörde deckt sich im Übrigen abgesehen von den divergierenden Daten mit den Angaben der Kläger im Verfahren.
39
cc) Die Kläger können sich nicht auf einen neuen Sachverhalt berufen, der zur Wiederaufnahme des Asylverfahrens führt.
40
§ 51 Abs. 1 VwVfG fordert einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung (Art. 16a GG) oder zur Zuerkennung des internationalen Schutzes (§ 3 und § 4 AsylG) zu verhelfen. Es genügt schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufgreifensgründe (dazu BVerfG, B.v. 3.3.2000 – 2 BvR 39/98 – juris Rn. 32). Liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens dagegen nicht vor, ist kein weiteres Asylverfahren durchzuführen. Da § 71a Abs. 1 AsylG die Regelung in § 51 Abs. 5 VwVfG nicht für anwendbar erklärt, besteht auch kein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung über die Eröffnung eines neuen Asylverfahrens nach den §§ 48, 49 VwVfG (BVerwG; U.v. 15.12.1987 – 9 C 285.86 – juris Rn. 21).
41
Die Kläger haben zur Begründung ihres neuerlichen Asylantrags in der Bundesrepublik Deutschland keine in diesem Sinne rechtlich relevante neue Gründe vorgetragen. Vielmehr hat der Kläger zu 1 in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er in der Bundesrepublik Deutschland die gleichen Gründe geltend mache, wie im griechischen Asylverfahren. Insoweit wurde lediglich auf Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetscher im griechischen Asylverfahren, der angeblich aus dem Jemen gestammt habe, verwiesen. Dass der Kläger zu 1 im Irak als Polizist tätig gewesen sei, wäre von diesem im griechischen Asylverfahren vorzutragen gewesen. Auch im griechischen Asylverfahren wäre der Kläger zu 1 verpflichtet gewesen, sämtliche fluchtauslösenden Gründe geltend zu machen. Sofern er dies im griechischen Asylverfahren versäumt haben sollte, geht dies zu seinen Lasten. Über dies verweist das Gericht darauf, dass die bloße Eigenschaft als Polizist im Irak in der Bundesrepublik Deutschland ebenfalls nicht geeignet wäre, schutzbegründend zu wirken. Insoweit ist bereits nicht ersichtlich, dass ein solcher Vortrag an die asylrechtlich relevanten Merkmale in den § 3, 3b AsylG anknüpfen würde. Zur Überzeugung des Einzelrichters liegen daher unter keinem Gesichtspunkt Umstände vor, die ein Wiederaufgreifen des in Griechenland bereits abgeschlossenen Asylverfahrens rechtfertigen könnten.
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2. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor.
43
a) Gründe für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind nicht erkennbar. Das Gericht schließt sich auch insoweit der umfassenden und ausführlichen Begründung im streitgegenständlichen Bescheid an. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich mittlerweile um eine insgesamt 7-köpfige Familie handelt.
44
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) – EMRK – ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Eine Verletzung des Art. 3 EMRK kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei „nichtstaatlichen“ Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein „verfolgungsmächtiger Akteur“ (§ 3c AsylG) fehlt, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Situation und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung sind (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris Rn. 12). Das für Art. 3 EMRK erforderliche „Mindestmaß an Schwere“ (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris Rn. 13) kann erreicht sein, wenn die Personen ihren existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern können, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten. Die Unmöglichkeit der Sicherung des Lebensunterhalts kann auf der Verhinderung eines Zugangs zum Arbeitsmarkt oder auf dem Fehlen staatlicher Unterstützungsleistungen beruhen (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 11). In seiner jüngeren Rechtsprechung stellt der Gerichtshof der Europäischen Union darauf ab, ob sich die betroffene Person „unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not“ befindet, „die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre“ (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 – juris Rn. 90). Im Ergebnis kommt es auf eine Würdigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls an (EGMR, U.v. 5.11.2019 – 32218/17- NVwZ 2020, 538 Rn. 40; BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 11), wobei neben der Bewertung der tatsächlichen Lage in der Heimatregion des Rückkehrers zahlreiche weitere Faktoren zu berücksichtigen sind, etwa dessen Alter, Geschlecht, Bildungsstand, Gesundheitszustand, Familienanschluss und mögliche beziehungsweise zu erwartende Unterstützungsleistungen. Maßstab für die im Rahmen der Prüfung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK anzustellende Gefahrenprognose ist grundsätzlich, ob der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer nach seiner Rückkehr, gegebenenfalls durch ihm gewährte Rückkehrhilfen, in der Lage ist, seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum zu befriedigen. Nicht entscheidend ist hingegen, ob das Existenzminimum eines Ausländers in dessen Herkunftsland nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist (BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10.21 – Rn. 25).
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Für die Kläger drängt sich für das Gericht eine derartige Situation unter Berücksichtigung ihrer individuellen Umstände nicht auf. Dies gilt auch im Hinblick auf die Tatsache, dass es sich um eine Familie mit mittlerweile fünf Kindern handelt. Die Versorgungslage im Irak ist grundsätzlich angespannt. Die Erkenntnismittel beschreiben einen deutlichen Hilfsbedarf, aber keine flächendeckende Extremsituation in dem Sinne, dass die Menschen ihre elementarsten Bedürfnisse nicht mehr befriedigen könnten. Bei der Bewertung der Situation sind auch das Lebensmittelsubventionsprogramm des irakischen Staates für Familien mit geringem Einkommen und die internationalen Unterstützungsleistungen an Rückkehrer zu berücksichtigen (vgl. hierzu VG Berlin, U.v. 13.1.2022 – 29 K 120.17 A.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, 28.10.2022, S. 22). Der Kläger zu 1 ist erwerbsfähig und hat bereits im Irak Berufserfahrung gesammelt. So war er im Zeitraum zwischen 2006 und 2018 nach seinen eigenen Angaben als Polizist tätig. Es ist daher nicht ersichtlich, dass die Familie nicht in der Lage sein sollte, zumindest ihre elementaren Bedürfnisse trotz der im Allgemeinen schwierigen Bedingungen bei einer Rückkehr in den Irak sicherzustellen. Zumal sie, worauf das Bundesamt zutreffend hinweist, auf verschiedene Möglichkeiten einer Unterstützung durch Rückkehr- und Eingliederungshilfen im Falle einer Rückkehr zurückgreifen können (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10/21 – BVerwG 175, 227 ff.).
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b) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ebenso nicht festzustellen.
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Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
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Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind dabei Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Irak aufgrund der derzeitigen dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden, auch Gefahren durch die desolate Versorgungslage und Gefahren durch kriminelle Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen.
49
Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Diese Vorschrift setzt eine individuelle und konkrete zielstaatsbezogene Gefahr voraus (BVerwG, U.v. 25.11.1997 – 9 C 58.96 – juris Rn. 3 ff.). Die befürchtete Verschlechterung muss zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr führen, also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität erwarten lassen (vgl. BVerwG, B.v. 24.5.2006 – 1 B 118.05 – juris Rn. 4). Solange diese Grenzen nicht überschritten sind, ist es wiederrum unerheblich, wenn die medizinische Versorgung im Zielstaat nicht mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG).
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Auch die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt. Der Gesundheitssektor im Irak hat unter den Kriegen, den Sanktionen, der Korruption und den mangelnden Investitionen gelitten. Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Öffentliche Krankenhäuser berechnen niedrigere Kosten für Untersuchungen und Medikamente als der private Sektor. Allerdings sind nicht alle medizinischen Leistungen in öffentlichen Einrichtungen verfügbar und von geringerer Qualität als jene im privaten Sektor. Eine Grund- und Erstversorgung ist aber durchgehend, auch im ländlichen Bereich, gegeben (AA, Lagebericht, Stand: Oktober 2022, S. 22 f.; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Irak, 22.08.2022, S. 271 f.).
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Ausweislich der ins Verfahren eingeführten Länderinformation der BFA-Staatendokumentation aus den COI-CMS vom 9. Oktober 2023 gibt es im Irak 1.146 primäre Gesundheitszentren, die von Mitarbeitern der mittleren Ebene geleitet werden und 1.185, die von Ärzten geleitet werden. Des Weiteren gibt es im Irak 229 allgemeine und spezialisierte Krankenhäuser, darunter 61 Lehrkrankenhäuser. In einer Umfrage im Jahr 2021 gaben 33% der Befragten an, in Großstädten wie bspw. Bagdad immer Zugang zu einem Arzt (Allgemeinmediziner) zu haben. 29% der Befragten gaben an, sogar einen Zugang zu einem Facharzt zu haben, wenn dieser im Einzelfall benötigt wird. Vor diesem Hintergrund ist auch unter Berücksichtigung der im Verfahren vorgelegten fachärztlichen Stellungnahme der Kinderklinik ... am Universitätsklinikum vom 18. Dezember 2023 nicht davon auszugehen, dass die bei der Klägerin zu 3 vorliegenden Erkrankungen zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen. Der ärztlichen Stellungnahme ist insbesondere auszuführen, dass die bei der Klägerin zu 3 vorliegende Erkrankung eine dauerhafte Behandlung mit blutverdünnenden Medikamenten (Antikoagulation) bedürfe. Die hierfür erforderlichen Medikamente wie bspw. Acetylsalicylsäure, FerroSanol bzw. Paracetamol (Schmerzmittel) dürfen als allgemein gängige Medikamente auch in irakischen Großstädten wie bspw. Bagdad aus der die Kläger zu 1 bis 5 stammen durchaus erhältlich sein.
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In einer Gesamtschau der in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnismittel ergibt sich damit zwar, dass die humanitäre Situation im Irak und auch in der Heimatregion der Klägerin angespannt ist und ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung in prekären Verhältnissen lebt. Die Versorgungslage ist aus Sicht des zur Entscheidung berufenen Einzelrichters jedoch nicht so desolat, dass mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden muss, dass jeder Rückkehrer im Irak alsbald in existenzielle Gefahr gerät. Sie begründet insbesondere auch im Fall der Klägerin nicht die Annahme eines außergewöhnlichen Falles, in dem die Klägerin bei einer Rückkehr mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit eine humanitäre Situation erwartet, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK führt.
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c) Auch in Bezug auf die der Klägerin zu 3 attestierte Reiseunfähigkeit ist ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot für den Einzelrichter nicht erkennbar. Von einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis wegen Reiseunfähigkeit ist nur dann auszugehen, wenn die Gefahr einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung schon während der Abschiebung und der sich unmittelbar daran anschließenden Zeitspanne der Ankunft im Heimatland droht und dieser Gefahr nicht durch mögliche Vorkehrungen wie der Ausstattung mit einem Medikamentenvorrat, einer medizinischen Begleitung im Abschiebevorgang oder der Übergabe an medizinisches Personal im Heimatland begegnet werden kann (VGH B W, B.v. 30.8.2023 – 12 S 1394/23 – juris Rn. 25; BayVGH, B.v. 20.1.2022 – 19 CE 21.2437 – juris Rn. 20). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis zugunsten der Klägerin zu 3 nicht erkennbar.
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Damit liegen im Ergebnis keine Gründe vor, welche die hilfsweise beantragte Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Irak rechtfertigen.
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3. Hinsichtlich der in Nr. 3 des Bescheids getroffenen Abschiebungsandrohung in den Irak bzw. einen anderen aufnahmebereiten Staat, die vom Bundesamt auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG gestützt wurde, war im Tenor der Entscheidung auszusprechen, dass eine Abschiebung der Kläger erst in einem Zeitpunkt vollzogen werden darf, zu dem über den Asylantrag des am ... 2023 geborenen Kindes (...) der Kläger zu 1 und 2 gestellten Asylantrag bestandskräftig entschieden worden ist bzw. eine gegen das nachgeborene Kind der Kläger zu 1 und 2 ausgesprochene Abschiebungsandrohung sofort vollziehbar ist. Für den am ....... 2023 geborenen Sohn der Kläger zu 1 wurde im September 2023 ein Asylantrag gestellt (Gz. des Bundesamts ...), über den nach Aussagen des Bundesamts noch nicht entschieden worden ist.
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Die Beklagte kann die Abschiebungsandrohung im Hinblick auf das nachgeborene Kind (...) nicht auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V. m. § 59 AufenthG stützen. Dem Erlass einer Abschiebungsandrohung steht Art. 5 lit. a und b der RL 2008/115/EG vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichtlinie – RRL –) entgegen. Danach berücksichtigten die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Rückführungsrichtlinie in gebührender Weise insbesondere das Wohl des Kindes und die familiären Bindungen. Daran fehlt es hier. Die Entscheidung über den Erlass einer Abschiebungsandrohung erfolgt in Umsetzung der Rückführungsrichtlinie, vgl. Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 RRL. Bei den Klägern handelt es sich um Drittstaatsangehörige i.S.d. Art. 3 Nr. 1 RRL. Sie halten sich nach Ablehnung ihres Asylantrags durch die Beklagte illegal im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auf (vgl. dazu: EuGH, U.v. 19.6.2018 – C-181/16 – juris Rn. 37-41), da sie mangels Aufenthaltstitels nicht die Voraussetzungen für den Aufenthalt im Bundesgebiet erfüllen (Art. 3 Nr. 2 RRL, § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Wie aus Art. 9 Abs. 1 der RL 2013/32/EU – Verfahrensrichtlinie – (VRL) hervorgeht, endet die darin vorgesehene Bleibeberechtigung einer Person, die um internationalen Schutz nachsucht, wenn die zuständige Behörde den Antrag auf internationalen Schutz ablehnt. Mangels einer europarechtlichen Aufenthaltsberechtigung oder eines Aufenthaltstitels auf einer anderen Rechtsgrundlage, die es dem erfolglosen Antragsteller ermöglicht, die Voraussetzungen für die Einreise in den betreffenden Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt zu erfüllen, hat die Ablehnung des Antrags zur Folge, dass der Antragsteller danach diese Voraussetzungen nicht mehr erfüllt, so dass sein Aufenthalt nach den Maßstäben der Rückführungsrichtlinie illegal wird. Dem steht nicht entgegen, dass die im Sinne der Rückführungsrichtlinie illegal aufhältigen abgelehnten Schutzsuchenden für die Zeit des gegen die Entscheidung anhängigen Rechtsbehelfsverfahrens noch im Mitgliedstaat verbleiben dürfen und nicht abgeschoben werden können, vgl. Art. 46 Abs. 5 VRL (vgl. EuGH, U.v. 19.6.2018 – C 181/16 – Rn. 47), und dass ihnen nationalrechtlich für diese Zeit ein Aufenthaltsrecht in Form einer Aufenthaltsgestattung nach §§ 55, 67 AsylG zusteht. Diesen Rechtspositionen kommt allein eine verfahrensrechtliche Bedeutung zu, die dem Erlass einer Rückkehrentscheidung im (selben) Verfahren nicht entgegensteht.
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Dem Erlass einer Rückkehrentscheidung in Form der streitgegenständlichen Abschiebungsandrohung stehen das Wohl des Sohnes der Kläger und ihre familiäre Bindung zu diesem entgegen.
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Beabsichtigt die zuständige nationale Behörde den Erlass einer Rückkehrentscheidung, muss sie die Verpflichtungen aus Art. 5 RRL zwingend einhalten und den Betroffenen hierzu anhören. Angesichts des Zwecks von Art. 5 RRL, im Rahmen des mit der Richtlinie eingeführten Rückkehrverfahrens die Einhaltung u.a. der in Art. 24 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – EU-GRCharta – verankerten Grundrechte des Kindes zu gewährleisten, kann Art. 5 nicht eng ausgelegt werden (vgl. EuGH, U.v. 11.3.2021 – C-112/20 – juris Rn. 35, und v. 15.2.2023 – C-484/22 – juris Rn. 23). Gefordert ist eine umfassende und eingehende Beurteilung der Situation des betreffenden Minderjährigen. Dies gilt auch dann, wenn Adressat der Entscheidung nicht der Minderjährige, sondern – wie im vorliegenden Fall – dessen Eltern sind, sofern der Minderjährige – wie hier – über ein (zeitweiliges) Aufenthaltsrecht in dem betreffenden Mitgliedstaat verfügt (vgl. EuGH, U.v. 11.3.2021 – C-112/20 – juris Rn. 32 ff.).
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Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist festzuhalten, dass der Sohn der Kläger mit diesen in familiärer Gemeinschaft zusammenlebt. Ihre Abschiebung würde diese gelebte familiäre Gemeinschaft unzumutbar beeinträchtigen. Nationalrechtlich steht ihm für die Dauer des Asylverfahrens ein Bleiberecht in Form einer Aufenthaltsgestattung nach §§ 55, 67 AsylG zu.
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Es genügt auch nicht, den Sohn der Kläger darauf zu verweisen, dass seine familiären Belange als Gründe für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung i.S.d. § 60a Abs. 2 AufenthG der Vollstreckung der Abschiebungsandrohung entgegenstehen, seine Eltern mithin nicht abgeschoben werden dürfen. Art. 5 lit. a und b RRL steht einer nationalen Rechtsprechung entgegen, nach der die Verpflichtung, beim Erlass einer Abschiebungsandrohung das Wohl des Kindes und dessen familiären Bindungen zu berücksichtigen, als erfüllt gilt, solange die Abschiebung nicht vollzogen wird (vgl. EuGH, B.v. 15.2.2023 – C-484/22 – juris Rn. 27). Vielmehr ist das Wohl des Kindes schon vor Erlass der eine Vollstreckungsgrundlage bildenden Rückkehrentscheidung – hier der Abschiebungsandrohung der Kläger – zu berücksichtigen (vgl. EuGH, U.v. 11.3.2021 – C 112/20 – juris Rn. 43.
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Dieser europäischen Rechtsprechung war dadurch Rechnung zu tragen, dass der Vollzug der im Bescheid des Bundesamts vom 21. September 2023 in Nr. 3 ausgesprochene Abschiebungsandrohung in den Irak bzw. einen anderen aufnahmebereiten Staat bis zu dem Zeitpunkt auszusetzen war, bis über den im September 2023 gestellten Asylantrag des am ....... 2023 geborenen Kindes der Kläger zu 1 und 2 (...) bestandskräftig entschieden ist bzw. eine gegen dieses Kind erlassene Abschiebungsandrohung sofort vollziehbar ist.
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Im Übrigen bestehen gegen die einwöchige Ausreisefrist der Kläger keine rechtlichen Bedenken. Wenn unionsrechtlich die Gleichstellung von Zweitantrag und Folgeantrag geboten ist (s.o.), ist auch in Fällen des Zweitantrags das Setzen einer einwöchigen Ausreisefrist entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zum Folgeantrag (§ 71 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG entsprechend) sachgerecht und konsequent.
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4. Nach allem war die Klage daher mit der ausgesprochenen Maßgabe abzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 3, 159 VwGO. Nach § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO können einem Beteiligten die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere Beteiligte nur zu einem geringen Teil unterlegen ist. Dies ist vorliegend in Bezug auf die vom Einzelrichter ausgesprochene Maßgabe der Fall.
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Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.