Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 02.11.2023 – Au 5 K 22.1926
Titel:

Erfolglose Klage der Nachbarn gegen isolierte Befreiung für Mobilfunkanlage

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BauNVO 1990 § 14 Abs. 2 S. 2
BauGB § 1 Abs. 7
Leitsätze:
1. Da Mobilfunkanlagen städtebauliche Auswirkungen haben, dürfen die Gemeinden mit den Mitteln der Bauleitplanung Festsetzungen über ihre räumliche Zuordnung treffen. Den Gemeinden steht es frei, die Städtebaupolitik zu betreiben, die ihren städtebaulichen Ordnungsvorstellungen entspricht. (Rn. 62) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Gemeinden haben bei einer Standortplanung für Mobilfunkanlagen zur Vermeidung eines Abwägungsfehlers zu beachten, dass ein hohes öffentliches Interesse an einer flächendeckenden, angemessenen und ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Dienstleistungen des Mobilfunks besteht. (Rn. 70) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein sog. Ewigkeitsmangel eines Bebauungsplans ist (nur) anzunehmen, wenn die Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit überschritten sind, wenn also eine fehlerfreie Nachholung der erforderlichen Abwägung schlechterdings nicht zum selben Ergebnis führen könnte. (Rn. 73) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eventuell von der Funkstrahlung einer Mobilfunkanlage ausgehende schädliche Einwirkungen auf die menschliche Gesundheit sind aufgrund der Spezialität des Standortbescheinigungsverfahrens von der Bauaufsichtsbehörde nicht zu prüfen. (Rn. 79) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage gegen eine Mobilfunkanlage, Reines Wohngebiet, (unwirksamer) Ausschluss von Nebenanlagen im Bebauungsplan, fernmeldetechnische Nebenanlage, Ausnahmefähigkeit gegeben, Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt, kein Anspruch des Nachbarn auf Durchführung des „richtigen“ Verwaltungsverfahrens, Standortplanung von Gemeinden, Ewigkeitsmangel, Standortbescheinigung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 40518

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen.
 II.    Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger als Gesamtschuldner zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.    Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Kläger wenden sich mit der Klage gegen eine der Beigeladenen von der Beklagten erteilte isolierte Befreiung für die Errichtung einer Sende- und Empfangsstation für Mobilfunk als Dachaufbau.
2
Die Kläger sind Eigentümer des mit einem Reihenhaus bebauten Grundstückes Fl.Nr. ... der Gemarkung ....
3
Die Beklagte hat der Beigeladenen mit Bescheid vom 8. Oktober 2021, Az., eine isolierte Befreiung für die Errichtung einer Sende- und Empfangsstation für Mobilfunk als Dachaufbau auf dem fünfgeschossigen Wohngebäude auf dem Grundstück Fl.Nr. ... erteilt.
4
Der Bescheid wurde den Klägern nicht förmlich zugestellt.
5
Die Kläger erfuhren nach ihren Angaben von dem streitgegenständlichen Bescheid durch eine Akteneinsichtnahme einer Bürgerinitiative, die sich gegen die Mobilfunkanlage gebildet hatte, im August 2022.
6
Der Standort der Mobilfunkanlage auf dem Dachgeschoss des Wohngebäudes ist, durch eine Straße getrennt, ca. 30 m von dem Wohngebäude der Kläger entfernt.
7
Das Baugrundstück und das Grundstück der Kläger liegen im Umgriff des Bebauungsplanes Nr. ... „Südlich der ...-...-Straße“, in Kraft getreten am 30. Dezember 1993. Der Bebauungsplan setzt für beide Grundstücke ein Reines Wohngebiet (WR) fest. § 3 Abs. 1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplanes regelt zur Art der baulichen Nutzung: „Zulässig sind Wohngebäude. Alle anderen nach der Baunutzungsverordnung 1990 (im Folgenden BauNVO) ausnahmsweise zulässigen Nutzungen sind ausgeschlossen“. § 4 Abs. 6 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplanes zum Maß der baulichen Nutzung trifft folgende Festsetzung: „Nebenanlagen nach § 14 BauNVO sind mit Ausnahme von Gerätehäusern mit einer Nutzfläche von bis zu 6 m2, Pergolen und Mülltonnenboxen nicht zulässig“.
8
Die Kläger haben mit Schreiben vom 28. September 2022, eingegangen bei Gericht am 4. Oktober 2022, Klage erhoben und beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober 2021 aufzuheben.
10
Die Kläger haben die Klage mit dem Schreiben vom 28. September 2022 im Wesentlichen wie folgt begründet.
11
Der Bescheid sei bereits wegen fehlender Bestimmtheit rechtswidrig. Er sei ausdrücklich unter der Bedingung ergangen, dass die laut Bescheinigung der Bundesnetzagentur erforderlichen, standortbezogenen Sicherheitsabstände eingehalten würden, die Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse gewahrt würden und nicht mit Belästigungen oder Störungen im Sinne des § 15 BauNVO zu rechnen sei. Der Bescheid erwecke den Eindruck, dass er trotz offener Vorfragen erlassen worden sei. Unklarheiten gingen aber insoweit zu Lasten der Behörde.
12
Die Erteilung einer isolierten Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes sei ebenfalls rechtswidrig. Sie liege im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde. Aus dem Bescheid ergebe sich aber weder, dass der Beklagten bewusst gewesen sei, dass ihr ein Ermessen eröffnet sei, noch, dass sie ein solches ausgeübt habe.
13
Die Befreiung sei auch deshalb rechtswidrig, weil durch sie Grundzüge der Planung berührt würden. Das Grundkonzept der Beklagten, nach dem Nebenanlagen in dem festgesetzten Wohngebiet ausgeschlossen würden, sei nach wie vor gültig. Ob die Beklagte angesichts der heutigen Bedeutung der Mobilfunktechnik an dieser Entscheidung festhalten wolle, sei keine Frage der (damaligen) Planungskonzeption, sondern der etwaigen Überarbeitung des Bebauungsplanes.
14
Schließlich sei die Mobilfunkanlage auch rücksichtslos, da ihr optisch eine erdrückende Wirkung zukomme, sie bauplanungsrechtlich bewältigungsbedürftige Spannungen erzeuge und für das Grundstück der Kläger verkehrswertmindernd sei.
15
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 14. Oktober 2022 beantragt,
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die Klage abzuweisen.
17
Zur Begründung des Antrages auf Klageabweisung hat die Beklagte in dem Schreiben vom 14. Oktober 2022 im Wesentlichen Folgendes ausgeführt.
18
Der Bescheid sei hinreichend bestimmt. Die Kläger könnten im Übrigen eine eventuell unzureichende inhaltliche Bestimmtheit des Bescheides nur geltend machen, wenn nicht sichergestellt sei, dass das genehmigte Vorhaben allen dem Nachbarschutz dienenden Vorschriften entspreche. Eine Unbestimmtheit des Bescheides ergebe sich insbesondere nicht aus der Formulierung unter Nr. II des Bescheides. Soweit darin ausgeführt werde, dass die Befreiung unter der Voraussetzung, dass die laut Bescheinigung der Bundesnetzagentur erforderlichen, standortbezogenen Sicherheitsabstände eingehalten würden, die Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse gewahrt würden und nicht mit Belästigungen oder Störungen im Sinne des § 15 BauNVO zu rechnen sei, erteilt werde, sei gemeint, dass die Befreiung nach Vorliegen bzw. Prüfung der genannten Voraussetzungen habe erteilt werden können. Der Wille der Behörde sei insoweit gegebenenfalls im Rahmen einer entsprechenden Auslegung vollständig zum Ausdruck gekommen und für die Beteiligten des Verfahrens objektiv erkennbar. Im Übrigen ergebe sich dies auch aus den in der Bauakte befindlichen Stellungnahmen des Stadtplanungsamtes und des Umweltamtes.
19
Die Mobilfunkstation der Beigeladenen hätte im Hinblick auf ihren Rechtscharakter und die Festsetzungen des Bebauungsplanes keiner isolierten Befreiung nach § 31 Abs. 2 Baugesetzbuch (BauGB) bedürft, vielmehr wäre eine Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB ausreichend gewesen. Die Mobilfunkstation sei sowohl als Teil einer gewerblichen Hauptanlage, als auch als fernmeldetechnische Nebenanlage im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO anzusehen. Sie decke, bezogen auf das gesamte Versorgungsnetz, nur einen begrenzten Bereich ab und sei laut Schreiben der Beigeladenen vom 23. März 2021 für die Versorgung des Gebietes mit mobiler Datenübertragung und Sprachübertragung erforderlich. Es sei deshalb davon auszugehen, dass sie lediglich der Lückenschließung des Versorgungsnetzes diene. Da die Mobilfunkanlage als fernmeldetechnische Nebenanlage im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO anzusehen sei, könne sie unter erleichterten Voraussetzungen in einem Reinen Wohngebiet ausnahmsweise nach § 31 Abs. 1 BauGB zugelassen werden. Eine auf § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO, § 31 Abs. 1 BauGB gestützte Ausnahme könne nur dann nicht erteilt werden, wenn in dem Bebauungsplan in abschließender Weise Flächen für die von § 14 Abs. 2 BauNVO erfassten Nebenanlagen festgesetzt worden seien oder diese in dem Bebauungsplan nach § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauNVO ausgeschlossen seien. Dafür bedürfe es aber gewichtiger städtebaulicher Argumente, die sich gegenüber dem Allgemeininteresse an diesen Nebenanlagen nicht durchsetzen könnten. In dem maßgeblichen Bebauungsplan seien weder abschließend Flächen für Anlagen nach § 14 Abs. 2 BauNVO festgesetzt, noch vollständig ausgeschlossen worden. Der Bebauungsplan schließe zwar zum einen in § 4 Abs. 6 der textlichen Festsetzungen Nebenanlagen nach § 14 BauNVO mit wenigen Ausnahmen aus. Die städtebauliche Konzeption der nur begrenzten Zulassung der Nebenanlagen im Sinne des § 14 BauNVO diene nach Nr. 4.10 der Begründung des Bebauungsplanes aber lediglich dazu, dass die relativ kleinen Gärten ausschließlich der Naherholung der Wohnbevölkerung dienten. Die Festsetzung in § 4 Abs. 6 der textlichen Festsetzungen sei daher unter Berücksichtigung von Nr. 4.10 der Begründung des Bebauungsplanes so auszulegen, dass damit nur eine Aussage zu den typischen, untergeordneten Nebenanlagen nach § 14 Abs. 1 BauNVO getroffen werden sollte. Zudem würden in § 9 Abs. 4 der textlichen Festsetzungen Solaranlagen wieder explizit zugelassen. Diese fielen aber, wie die fernmeldetechnischen Nebenanlagen, unter § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO. Auch § 9 der textlichen Festsetzungen zu den Dächern der Gebäude enthalte keine Festsetzungen oder Einschränkungen in Bezug auf fernmeldetechnische Nebenanlagen. Im Rahmen der Erteilung einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB komme es für die Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der in § 14 Abs. 2 BauNVO genannten Anlagen aber gerade nicht auf deren Gebietsverträglichkeit an. Zwar habe der Gesetzgeber, um eine ungewollte Häufung derartiger Anlagen zu vermeiden, eine Einzelfallprüfung für die ausnahmsweise Zulassung vorgesehen. Diese erfolge jedoch nicht auf der Ebene des Gebietserhaltungsanspruchs, sondern habe eine Prüfung des Rücksichtnahmegebots zum Gegenstand.
20
Die Mobilfunkanlage verstoße nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Eine erdrückende oder einmauernde Wirkung entfalte der Mobilfunkmast ersichtlich nicht. Eine bloße optische Beeinträchtigung werde durch das Baurecht nicht geschützt. Hinzu komme, dass sich der Mobilfunkmast nördlich des Anwesens der Kläger befinde, die Aufenthaltsbereiche im klägerischen Anwesen hingegen nach Süden ausgerichtet seien. Im Übrigen zählten Mobilfunkmasten auch in Wohngebieten inzwischen zu einem alltäglichen Anblick. Eine Rücksichtlosigkeit ergebe sich auch nicht aus einer möglicherweise in Betracht kommenden Standortalternative. Der Nachbar habe keinen Anspruch, dass ein Bauherr sein Vorhaben für den Nachbarn optimal platzieren müsse.
21
Soweit die Kläger eine nicht näher substantiierte Wertminderung ihres Grundstückes befürchteten, sei festzustellen, dass die Auswirkungen eines (zulässigen) Vorhabens auf den Verkehrswert eines Nachbargrundstückes grundsätzlich unbeachtlich seien.
22
Bei der Ausübung des Ermessens könnten im Rahmen der Erteilung einer Ausnahme nur städtebauliche Gründe berücksichtigt werden. Da solche nicht vorlägen, sei das Ermessen vorliegend auf Null reduziert.
23
Gehe man nicht davon aus, dass § 4 Abs. 6 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplanes nur Regelungen zu Nebenanlagen nach § 14 Abs. 1 BauNVO treffen wolle, verstoße die Mobilfunkanlage gegen diese Festsetzung und mache die Erteilung einer isolierten Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB erforderlich. Mit der Festsetzung solle sichergestellt werden, dass das Konzept einer Gartenstadt gewahrt bleibe. Hierbei handle es sich jedoch um rein städtebauliche Zielsetzungen, die mit einem wechselseitigen Austauschverhältnis zwischen Nachbarn nichts zu tun hätten. § 4 Abs. 6 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplanes habe danach keine nachbarschützende Wirkung. Gehe man dagegen von einer nachbarschützenden Festsetzung aus, seien jedenfalls durch die Befreiung nicht die Grundzüge der Planung berührt. In Nr. 4.10 der Begründung des Bebauungsplanes werde ausgeführt, dass das Gebiet den Charakter einer stadtnahen Wohnsiedlung, einer Gartenstadt, haben solle. Unter Nr. 3.3 der Begründung des Bebauungsplanes werde erläutert, dass als Struktur- und Gestaltungsmerkmale Straßen, Plätze, Gärten und das Baugebiet gliedernde Grünanlagen dem Ortsteil einen typischen und selbständigen Charakter gäben. Bei der Gestaltung der einzelnen Wohnbereiche werde auf ein Durchdringen von öffentlichem und privatem Grün besonderer Wert gelegt. Inwieweit nun eine auf einem Dach installierte Mobilfunkanlage der dargestellten Grundkonzeption einer Gartenstadt zur überwiegenden Wohnnutzung und den aufgeführten Gestaltungsmerkmalen zuwiderlaufen solle, erschließe sich nicht. Der Plangeber habe die wesentlichen Merkmale zur Gestaltung des Gebietes explizit genannt, die Gestaltung der Wohngebäude selbst tauche jedoch dort nicht auf. Die Mobilfunkstation widerspreche den unter Nr. 4.10 aufgeführten Punkten nicht, da sie auf die Gartenbereiche keinerlei Einfluss habe. Hinzu komme, dass unter Nr. 4.11 der Begründung ausgeführt werde, dass das Anbringen von Solaranlagen zugelassen werde.
24
Mit Schreiben vom 3. November 2022 traten die Kläger den Ausführungen der Beklagten im Wesentlichen wie folgt entgegen.
25
Es werde daran festgehalten, dass der Bescheid keine Ermessensausübung erkennen lasse. Unverständlich sei, dass das Ermessen auf Null reduziert sei. Die allgemeinen Ausführungen zur Einordnung als Haupt- oder Nebenanlage gingen an der Zielsetzung der Bauleitplanung vorbei, wonach das Wohngebiet kompromisslos von Nebenanlagen freigehalten werden solle. Die Mobilfunkanlage werfe sehr wohl gestalterische Probleme auf, zumal sie der erste derartige Mobilfunkmast sei, dem negative Vorbildwirkung zukomme.
26
Mit Beschluss vom 12. Dezember 2022, Az.: Au 5 S 22.1927, hat das Gericht einen Antrag der Kläger auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt. Mit weiterem Beschluss vom 12. Dezember 2022, Az.: Au 5 E 22.1937, hat das Gericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt. Auf die Gründe der Beschlüsse wird Bezug genommen.
27
Mit Schreiben vom 27. Oktober 2023 ergänzten die Kläger ihre bisherigen Ausführungen im Wesentlichen wie folgt.
28
Den Klägern stehe ein Gebietserhaltungsanspruch zu, da die Mobilfunkanlage nicht in das städtebauliche Grundkonzept des Bebauungsplanes passe. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB lägen nicht vor. Durch das Vorhaben werde die Freihaltung des Wohngebietes von gewerblichen und sonstigen ausnahmsweise zulässigen Nutzungen sowie der Erhalt einer möglichst großen, tatsächlichen und optischen Wohnruhe in Frage gestellt und würden dadurch die Grundzüge der Planung berührt. Zu den Grundzügen der Planung gehöre die Entscheidung des Satzungsgebers, durch den Ausschluss von Nebenanlagen derartige Anlagen von dem festgesetzten Wohngebiet fernzuhalten. Ob die Beklagte angesichts der heutigen Bedeutung der Mobilfunktechnik an dieser Entscheidung festhalte, sei keine Frage der Planungskonzeption, sondern der etwaigen Überarbeitung des Bebauungsplanes. Zudem entfalte die Zulassung des Mobilfunkmastens Vorbildwirkung für andere Grundstücke.
29
Am 2. November 2023 fand die mündliche Verhandlung vor Gericht statt.
30
Ergänzend wird auf die vorgelegte Akte, die Gerichtsakte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

31
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
32
1. Die Klage ist zulässig.
33
1.1 Die nach § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis ist gegeben.
34
Das Grundstück der Kläger grenzt zwar nicht unmittelbar an das Baugrundstück an. Das Baugrundstück liegt unmittelbar nördlich der ...-...-Straße. Etwas schräg versetzt davon liegt das Grundstück der Kläger unmittelbar südlich der ...-...-Straße. Auch wenn die beiden Grundstücke nicht unmittelbar aneinander angrenzen, sondern voneinander durch die ...-...-Straße, eine ca. 7 m breite Wohn- bzw. Anliegerstraße, getrennt sind, ist danach nicht von vorneherein auszuschließen, dass das Grundstück der Kläger durch das Vorhaben der Beigeladenen in öffentlich-rechtlich geschützten Belangen berührt werden kann.
35
1.2 Die Klagefrist ist eingehalten.
36
Der Bescheid vom 8. Oktober 2021 wurde den Klägern nicht nach § 66 Abs. 1 Satz 4 Bayerische Bauordnung (BayBO) zugestellt. Eine öffentliche Bekanntmachung nach Art. 66 Abs. 2 Satz 4 BayBO erfolgte nach Aktenlage nicht.
37
1.2.1 Geht man davon aus, dass der Bescheid den Klägern nach Art. 66 Abs. 1 Satz 4 BayBO hätte zugestellt werden müssen, ist die dann maßgebliche Klagefrist des § 58 Abs. 2 VwGO eingehalten.
38
Nach Art. 66 Abs. 1 Satz 4 BayBO ist einem Nachbarn, der dem Bauvorhaben nicht zugestimmt hat oder dessen Einwendungen nicht entsprochen wurde, eine Ausfertigung der Baugenehmigung zuzustellen.
39
Benachbart i.S.d. Art. 66 Abs. 1 Satz 1 und Satz 4 BayBO sind nicht nur unmittelbar angrenzende Grundstücke, sondern auch Grundstücke, die in nachbarrechtlich relevanter Weise im Einwirkungsbereich des Bauvorhabens liegen, soweit sie belastenden Auswirkungen potenziell ausgesetzt sein können (vgl. BayVGH, B.v. 28.9.2021 – 9 ZB 21.901 – juris Rn. 8).
40
Wäre danach eine erforderliche Zustellung unterblieben und ist damit auch eine Rechtsbehelfsbelehrungnach § 58 Abs. 1 VwGO nicht erteilt worden, ist nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Erhebung der Klage innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung des Verwaltungsaktes zulässig.
41
In diesem Fall wurde die am 4. Oktober 2022 bei Gericht eingegangene Klage gegen den Bescheid vom 8. Oktober 2021 innerhalb der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO erhoben.
42
1.2.2 Ungeachtet dessen ist auch die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO eingehalten, nach dem die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes erhoben werden muss.
43
Nach Art. 43 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) wird ein Bescheid gegenüber demjenigen, der von ihm betroffen ist, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Nach Art. 41 Abs. 1 BayVwVfG ist ein Verwaltungsakt bekannt gegeben, wenn er auf eine Weise in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass die Kenntnisnahme durch den Empfänger möglich und unter normalen Umständen zu erwarten ist (vgl. Tegethoff in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl. 2021, § 41 Rn. 8a).
44
Die Kläger werden laut vorgelegter Vollmacht seit dem 16. September 2022 durch ihren Bevollmächtigten vertreten. Dieser vertrat seit 15. Juni 2022 im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben bereits andere Mandanten in einem Verfahren auf Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von Akteneinsicht, das u.a. auch beim Verwaltungsgericht Augsburg unter dem Az. Au 9 E 22.1457 geführt wurde. In diesem Verfahren teilte der Bevollmächtigte dem Gericht mit Schreiben vom 26. Juli 2022 mit, dass er die elektronische Akte nunmehr übermittelt bekommen und gesichtet habe. Der Bevollmächtigte der Kläger hatte also spätestens seit dem 26. Juli 2022 Kenntnis von dem streitgegenständlichen Bescheid. Für die Bekanntgabe an die Kläger ist aber nach Aktenlage auf die Vollmacht vom 16. September 2022 als frühesten Zeitpunkt der Kenntnisnahme i.S.d. Art. 41 Abs. 1 BayVwVfG durch die Kläger abzustellen.
45
Danach ist bei Eingang der Klage am 4. Oktober 2022 auch die Monatsfrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO gewahrt.
46
2. Die Klage ist nicht begründet, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
47
Die Kläger werden durch die in dem Bescheid vom 8. Oktober 2021 erteilte, isolierte Befreiung von Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. ... „Südlich der ...-...-Straße“ nicht in nachbarschützenden Rechten verletzt.
48
2.1 Die Mobilfunkanlage ist nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 5a) aa) BayBO verfahrensfrei.
49
Der Antennenmast ragt laut Planung ca. 5,50 m über den Dachfirst hinaus. Auch wenn der sichtbare Teil der Anlage eine etwas größere Höhe aufweist, weil diese nicht genau am Dachfirst, sondern etwas darunter aus der Dachhaut hervortritt, bleibt der sichtbare Teil der Anlage gleichwohl deutlich unter 10 m.
50
2.2 Bei der Mobilfunkanlage handelt es sich um eine fernmeldetechnische Nebenanlage i.S.d. Baunutzungsverordnung 1990.
51
Mobilfunkbasisstationen stellen Bestandteile eines gewerblich betriebenen Mobilfunknetzes und damit planungsrechtlich eine – nicht störende – gewerbliche Nutzung i.S.d Baunutzungsverordnung dar (vgl. BayVGH, U.v. 6.2.2014 – 2 BV 13.1039 – juris Rn. 39; BayVGH U.v. 19.5.2011 – 2 B 11.397 – BayVBl. 2011, S. 724; BayVGH, U.v. 3.11.2010 – 15 B 05.2426 – juris; BayVGH B.v. 2.8.2007 – 1 BV 05.2105 – BayVBl. 2008, S. 470; BayVGH, B.v. 22.2.2007 – 15 ZB 06.1638 – BayVBl. 2007, S. 661).
52
Eine einzelne Mobilfunkbasisstation ist darüber hinaus auch eine fernmeldetechnische Nebenanlage i.S.d. § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO (vgl. BVerwG, B.v. 3.1.2011 – 4 B 27.11 – NVwZ 2012, S. 579; BayVGH, U.v. 6.2.2014 – 2 BV 13.1039 – juris Rn. 39; BayVGH, U.v. 19.5.2011 – 2 B 11.397 – BayVBl. 2011, S. 724 m.w.N.).
53
Im Rahmen des § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO ist zudem anerkannt, dass es sich hierbei um Infrastruktursysteme handelt, deren Wirkung über die Grenzen des jeweiligen Baugebietes hinausgehen kann. Vor dem Hintergrund des § 14 Abs. 1 BauNVO hingegen hat der Begriff der Nebenanlage einen anderen Sinngehalt, nämlich den einer von dem Hauptvorhaben „ausgelagerten“ Nutzungsweise, die in ihrer Wirkung jedoch auf das jeweilige Baugebiet beschränkt ist. Mit § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO sollte aber gerade eine Spezialregelung geschaffen werden, die dazu dient, diesen speziellen Infrastruktursystemen einen erleichterten Zugang zu allen Baugebieten zu verschaffen. In diesem Zusammenhang hat der Begriff der Nebenanlage somit in erster Linie einen instrumentell-rechtstechnischen Zweck, der mit dem Begriffsinhalt, der ihm sonst in der Baunutzungsverordnung – nämlich als Pendant zum Begriff der Hauptanlage – zukommt, nicht kompatibel ist (vgl. BayVGH, U.v. 6.2.2014 – 2 BV 13.1039 – juris Rn. 39; BayVGH, U.v. 19.5.2011 – 2 B 11.397 – BayVBl. 2011, S. 274).
54
Daher kann eine Nebenanlage i.S.d. § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO zugleich Teil einer Hauptanlage sein. Entscheidend für die Einordnung als Nebenanlage i.S.d. § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO ist, ob die in Rede stehende Anlage, bezogen auf das gesamte infrastrukturelle Versorgungsnetz, eine untergeordnete Funktion hat oder von ihrer Funktion und Bedeutung so gewichtig ist, dass sie als eigenständig und damit als Hauptnutzung anzusehen ist (vgl. BayVGH, U.v. 6.2.2014 – 2 BV 13.1039 – juris Rn. 39; BVerwG, B.v. 3.1.2012 – 4 B 27.11 – NVwZ 2012, S. 579; BayVGH, U.v. 19.5.2011 – 2 B 11.397 – BayVBl. 2011, S. 724).
55
Die hier gegenständliche Anlage dient der Lückenschließung im Mobilfunknetz der Beigeladenen. Sie nimmt im Vergleich zu dem gesamten Mobilfunknetz der Beigeladenen eine untergeordnete Rolle ein.
56
Die Beigeladene hat mit Schreiben vom 23. März 2021 an die Beklagte ausgeführt, dass der Neubau des Antennenträgers zur Versorgung des Gebietes mit mobiler Datenübertragung (per Funk, UMTS und LTE) und zur Sprachübertragung (GSM) erforderlich sei. Mit E-Mail vom 31. Oktober 2023 hat die Beigeladene dem Gericht einen Übersichtslageplan zu den im Stadtgebiet der Beklagten betriebenen Mobilfunkstandorten der T. D. übersandt. Wie sich dem Übersichtslageplan entnehmen lässt, liegen im Stadtteil G., annähernd in einem Halbkreis nördlich um den streitgegenständlichen Standort, die Mobilfunkstandorte,,, ... und .... Etwa auf der Mitte der Achse dieses Halbkreises befinden sich der laut der Beigeladenen Anfang 2023 zurückgebaute Mobilfunkstandort ...weg ... sowie der Standort der streitgegenständlichen Mobilfunkanlage. Am Standort ...weg ... betrieb die T. D. nach den Angaben der Beigeladenen bis Anfang 2023 auf dem Dach des dortigen Gebäudes eine Mobilfunkanlage, die aufgrund des auslaufenden Mietvertrages aber Anfang 2023 habe zurückgebaut werden müssen. Nach dem Wegfall dieses Standortes sei ein bislang gut versorgter Bereich in G. unter- bzw. nicht mehr versorgt. Auch mit einer Erweiterung oder Optimierung der vorhandenen Standorte könne das Versorgungsziel nicht mehr erreicht werden. Daher werde der streitgegenständliche Standort benötigt, um weiterhin die Mobilfunkversorgung in diesem Bereich sicherstellen zu können. Der ausgewählte Mobilfunkstandort sei besonders geeignet, um den betroffenen Bereich des Stadtteils G. gemäß den in den Lizenzbedingungen geforderten Datenraten mit schnellen, zeitgemäßen Datendiensten versorgen zu können. Der streitgegenständliche Standort stelle die einzige Möglichkeit dar, in diesem Bereich eine zukunftsfähige Versorgung zu erhalten. Mit der E-Mail hat die Beigeladene dem Gericht auch zwei Übersichtslagepläne vorgelegt, in denen jeweils der nach dem Rückbau des bisherigen Mobilfunkstandortes ...weg ... entstehende Bereich einer unzureichenden Mobilfunkversorgung beidseits der ...-...-Straße und die nunmehr unzureichend versorgten Wohngebiete in dem Bauquartier, das von der ...-...-Straße im Norden, der Bahnlinie im Osten, der ...-...-Straße im Süden und der ... Straße im Westen begrenzt wird, dargestellt sind. Darüber hinaus hat die Beigeladene einen Übersichtslageplan vorgelegt, dem sich entnehmen lässt, dass die entstehenden Lücken in der Mobilfunkversorgung durch den streitgegenständlichen Mobilfunkstandort bis auf ein kleines Gebiet im Bereich der ...-...-Straße beseitigt werden und eine ausreichende Mobilfunkversorgung sichergestellt ist.
57
Auf der Grundlage der von der Beigeladenen vorgelegten Unterlagen ist es nachvollziehbar, dass die streitgegenständliche Mobilfunkanlage einerseits lediglich der Lückenschließung im vorhandenen Mobilfunknetz der T. D. dient, andererseits die Errichtung der Mobilfunkanlage gerade an dem gewählten Standort aber auch notwendig ist, um auch dort eine ausreichende Versorgung mit Dienstleistungen des Mobilfunks und anderer Datendienste zu gewährleisten.
58
Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass die streitgegenständliche Mobilfunkanlage, selbst wenn sie mit ihrer Reichweite den Rahmen der bauplanungsrechtlich maßgeblichen Umgebung überschreiten würde, im Gesamtnetz der T. D. lediglich eine untergeordnete Funktion einnimmt und der Lückenschließung dient.
59
Dem mittelbaren Beweisantrag Nr. 2 dritter Spiegelstrich der Kläger, zu der Tatsache Beweis zu erheben, dass die Beigeladene insbesondere nicht zu einem sog. Lückenschluss auf den Standort als einzigen zur Schließung einer Versorgungslücke gemäß den Lizenzauflagen angewiesen sei und es um die allenfalls verbesserte Versorgung ausschließlich oder überwiegend außerhalb des Reinen Wohngebietes gehe sowie hilfsweise zum Beweis der Tatsache, dass der Vortrag der Beigeladenen den Standort seiner Funktion nach zu einer fernmeldetechnischen Hauptanlage mache, die nicht untergeordnet sei, war danach nicht zu entsprechen. Hinzu kommt, dass die unter Beweis gestellte Tatsache, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Standort um den einzigen zu einer Lückenschließung geeigneten Standort handle, bereits nicht entscheidungserheblich ist, weil insoweit entscheidungserheblich nur sein kann, ob jedenfalls auch der gewählte Standort hierzu geeignet ist. Soweit unter Beweis gestellt wird, ob die streitgegenständliche Mobilfunkanlage allenfalls einer verbesserten Versorgung ausschließlich oder überwiegend außerhalb des Reinen Wohngebietes dient bzw. ob die Mobilfunkanlage ihrer Funktion nach eine fernmeldetechnische Hauptanlage sei, die nicht untergeordnet sei, handelt es sich mangels weitergehender Angaben der Kläger hierzu um einen unzulässigen Beweiserforschungsantrag, da durch ihn die unter Beweis gestellten Tatsachen gerade erst ermittelt werden sollen.
60
2.3 Geht man danach davon aus, dass es sich bei der streitgegenständlichen Mobilfunkanlage um eine fernmeldetechnische Nebenanlage i.S.d § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO handelt, kann diese nach § 14 Abs. 2 Satz 1 BauNVO, § 31 Abs. 1 BauGB als Ausnahme zugelassen werden und bedarf es keiner isolierten Befreiung in entsprechender Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB, Art. 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 BayBO.
61
2.3.1 Nach § 14 Abs. 2 BauNVO können in allen Baugebieten bestimmte infrastrukturelle Nebenanlagen ausnahmsweise zugelassen werden. Darunter fallen nach § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO auch die fernmeldetechnischen Nebenanlagen. Mit Ausnahme der Anlagen für erneuerbare Energien, die als energieerzeugende Anlagen eine Sonderstellung einnehmen, handelt es sich dabei um dezentrale Bestandteile öffentlicher, baugebietsübergreifender Infrastrukturen der Daseinsvorsorge. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um einen privaten oder einen öffentlich-rechtlichen Versorgungsträger handelt (vgl. Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO, 150. EL Mai 2023, § 14 Rn. 70).
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Andererseits ist eine Standortplanung für Anlagen des Mobilfunks den Gemeinden nicht grundsätzlich verwehrt, wenn hierfür ein rechtfertigender städtebaulicher Anlass besteht. Da Mobilfunkanlagen städtebauliche Auswirkungen haben, dürfen die Gemeinden mit den Mitteln der Bauleitplanung Festsetzungen über ihre räumliche Zuordnung treffen. Den Gemeinden steht es frei, die Städtebaupolitik zu betreiben, die ihren städtebaulichen Ordnungsvorstellungen entspricht (vgl. BVerwG, U.v. 30.8.2012 – 4 C 1.11 – juris Rn. 17).
63
Rechtsgrundlage für den Ausschluss fernmeldetechnischer Nebenanlagen i.S.d. § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO ist § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauNVO. Danach kann im Bebauungsplan festgesetzt werden, dass alle oder einzelne Ausnahmen, die in den Baugebieten nach den §§ 2 bis 9 BauNVO vorgesehen sind, nicht Bestandteil des Bebauungsplanes werden. Dies steht auch mit der Systematik der Baunutzungsverordnung im Einklang. Die Regelungen in den §§ 12 bis 14 BauNVO stellen Querschnittsvorschriften dar, die die Zulässigkeitsvorschriften der §§ 2 ff. BauNVO ergänzen und in den jeweils bezeichneten Baugebieten weitere Anlagen für zulässig erklären. Dies wird durch § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO bestätigt. Daher ist es folgerichtig, die in diesen Regelungen, somit auch in § 14 BauNVO normierten Ausnahmen ebenso zu behandeln wie die in den Baugebietsvorschriften vorgesehenen Ausnahmen. Die in § 14 Abs. 1 Satz 3 BauNVO ausdrücklich geregelte Möglichkeit, die Zulässigkeit von untergeordneten Nebenanlagen im Bebauungsplan einzuschränken oder auszuschließen, steht dieser Auslegung nicht entgegen (vgl. BVerwG, U.v. 30.8.2012 – 4 C 1.11 – juris Rn. 24; BVerwG, U.v. 3.12.1992 – 4 C 27.91 – BVerwGE 91, 234).
64
Rechtsgrundlage für untergeordnete Nebenanlagen einschränkende oder ausschließende Festsetzungen ist für die Baugebiete nach den §§ 2 bis 9 BauNVO § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauNVO. Wegen der großen Bedeutung der in § 14 Abs. 2 BauNVO genannten Nebenanlagen für die Daseinsvorsorge sind an den Ausschluss der Ausnahmen jedoch hohe Anforderungen zu stellen (vgl. Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO, 150. EL Mai 2023, § 14 Rn. 73). Bei einer Standortplanung für Mobilfunkanlagen werden die Gemeinden daher zur Vermeidung eines Abwägungsfehlers zu beachten haben, dass ein hohes öffentliches Interesse an einer flächendeckenden, angemessenen und ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Dienstleistungen des Mobilfunks besteht. Die Gemeinden haben danach bei der Planaufstellung gerade auch die Wertentscheidung des Verordnungsgebers einzubeziehen, die der Ergänzung durch § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO zugrunde liegt. Danach sind fernmeldetechnische Nebenanlagen denjenigen Nebenanlagen gleichgestellt worden, die ebenfalls besonders wichtige Grundbedürfnisse wie die Versorgung mit Elektrizität, Gas, Wärme und Wasser betreffen. Auch Mobilfunkanlagen fallen hierunter. Hinzu kommt, dass zwischenzeitlich die Nutzung von Dienstleistungen des Mobilfunks quantitativ und qualitativ erkennbar zugenommen hat. Insbesondere hat sich die Zahl der Dienste erhöht, die mit den Endgeräten des Mobilfunks in Anspruch genommen werden können, sodass das Gewicht des öffentlichen Interesses eher noch gestiegen ist (vgl. BVerwG, U.v. 30.8.2012 – 4 C 1.11 – juris Rn. 21, 22).
65
Daran gemessen enthalten die Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. ... „Südlich ...-...-Straße“ keinen wirksamen Ausschluss der nach § 14 Abs. 2 BauNVO in den Baugebieten ausnahmsweise zulässigen, fernmeldetechnischen Nebenanlagen.
66
Wie bereits ausgeführt, müssen die Modifizierungen bzw. der Ausschluss der ausnahmsweise zulässigen Nutzungen nach § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB durch jeweils hierauf bezogene, städtebauliche Gründe gerechtfertigt sein. Darüber hinaus müssen die differenzierenden Festsetzungen nach § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauNVO auch nach den Abwägungsgrundsätzen in § 1 Abs. 7 BauGB zulässig sein.
67
Das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB gebietet es, bei der Aufstellung von Bebauungsplänen die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Ein Abwägungsmangel liegt vor, wenn eine Abwägung überhaupt nicht vorgenommen worden ist oder wenn der Ausgleich zwischen den verschiedenen Belangen in einer Weise vorgenommen worden ist, der die objektive Gewichtung eines dieser Belange verfehlt (vgl. BayVGH, U.v. 11.10.2021 – 2 N 19.2383 – juris Rn. 36 unter Bezugnahme auf BVerfG, U.v. 12.12.1969 – IV C 105.66 – juris). Das Abwägungsgebot erlaubt bei einer Planungsentscheidung einen besonders flexiblen und dem Einzelfall gerecht werdenden Interessenausgleich unter maßgeblicher Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Maßgebend ist, ob nach zutreffender und vollständiger Ermittlung des erheblichen Sachverhalts alle sachlich beteiligten Belange und Interessen der Entscheidung zugrunde gelegt sowie umfassend in nachvollziehbarer Weise abgewogen worden sind (vgl. BayVGH U.v. 11.10.2021 – 2 N 19.2383 – juris Rn. 36 unter Bezugnahme auf BVerfG, B.v. 19.12.2002 – 1 BvR 1402/01 – juris).
68
Diesen Anforderungen entspricht § 4 Abs. 6 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplanes nicht.
69
Die Festsetzung in § 4 Abs. 6 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplanes, in der mit Ausnahme von Gerätehäusern mit einer Nutzfläche von bis zu 6 m², Pergolen und Mülltonnenboxen sämtliche Nebenanlagen nach § 14 BauNVO, also auch fernmeldetechnische Nebenanlagen i.S.d. § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO ausgeschlossen werden, ist abwägungsfehlerhaft. Es sind weder im Normaufstellungsverfahren ausreichende städtebauliche Gründe i.S.d. § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauNVO für den Ausschluss sämtlicher Nebenanlagen i.S.d. § 14 BauNVO erkennbar geworden, noch ergibt sich aus den vorgelegten Planunterlagen, dass die angeführten städtebaulichen Gründe in einer den Abwägungsgrundsätzen des § 1 Abs. 7 BauGB entsprechenden Weise ordnungsgemäß abgewogen worden sind.
70
Soweit die Begründung des Bebauungsplanes Ausführungen zu Nebenanlagen enthält, wird dort unter Nr. 4.10 als dem Ausschluss von Nebenanlagen zugrundeliegendes Planungsziel lediglich ausgeführt, dass dadurch der Charakter einer Gartenstadt erreicht werden solle, in dem die relativ kleinen Gärten des Gebietes ausschließlich der Naherholung der Wohnbevölkerung dienen sollten, weshalb Nebenanlagen nur in der getroffenen Auswahl „Gerätehäuser, Pergolen und Mülltonnenboxen“ zulässig sein sollen. Zu der Frage, aus welchen städtebaulichen Gründen darüber hinaus sämtliche Nebenanlagen i.S.d. § 14 BauNVO, also auch solche, die die angesprochene Zielsetzung der Freihaltung der Gärten zur Naherholung nicht tangieren, vollständig ausgeschlossen werden sollen, finden sich unter Nr. 4.10 der Begründung des Bebauungsplanes zu den Festsetzungen für Nebenanlagen auch nicht ansatzweise Ausführungen. Auch soweit in Nr. 4.11 der Begründung des Bebauungsplanes ausgeführt wird, dass Solaranlagen aus ökologischen Gründen und zur Förderung der Energieeinsparung zugelassen würden und darüber hinaus festgestellt wird, dass Antennen in großen Mengen leicht das Stadtbild beeinträchtigen könnten und deshalb empfohlen werde, für diese Sammelanlagen einzurichten, lässt dies keine Rückschlüsse darauf zu, dass die Beklagte im Umkehrschluss alle anderen Nebenanlagen aus städtebaulichen Gründen ausschließen wollte. Berücksichtigt man darüber hinaus, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 30.8.2012 – 4 C 1.11 – juris) die Gemeinden bei einer Standortplanung für Mobilfunkanlagen zur Vermeidung eines Abwägungsfehlers zu beachten haben, dass ein hohes öffentliches Interesse an einer flächendeckenden, angemessenen und ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Dienstleistungen des Mobilfunks besteht, ist bereits nicht erkennbar, dass die Beklagte diese gewichtigen öffentlichen Belange überhaupt in ihre Abwägung mit einbezogen hat. Das Gebot einer gerechten Abwägung ist daher bereits deshalb verletzt, weil in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wurde, was nach Lage der Dinge hätte eingestellt werden müssen. Jedenfalls aber wurde der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wurde, der zu objektiven Gewichtung der einzelnen Belange außer Verhältnis steht.
71
Der vorliegende Abwägungsmangel ist auch beachtlich und führt zur Unwirksamkeit des generellen Ausschlusses fernmeldetechnischer Nebenanlagen als Nebenanlagen i.S.d. § 14 BauNVO in Nr. 4.10 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplanes.
72
Zwar werden gemäß dem nach § 233 Abs. 2 Satz 2 BauGB hier maßgeblichen §§ 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB (1987) Mängel der Abwägung unbeachtlich, wenn sie nicht innerhalb von sieben Jahren seit Bekanntmachung der Satzung schriftlich gegenüber der Gemeinde geltend gemacht worden sind.
73
Ausnahmsweise führt jedoch ein Mangel im Abwägungsergebnis als qualifizierter Verstoß gegen § 1 Abs. 7 BauGB (1987) unabhängig von der Regelung in § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB (1987) zur (Teil-)Unwirksamkeit des Bebauungsplanes, wenn es sich dabei um einen sog. Ewigkeitsmangel handelt. Ein solcher ist (nur) anzunehmen, wenn die Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit überschritten sind, wenn also eine fehlerfreie Nachholung der erforderlichen Abwägung schlechterdings nicht zum selben Ergebnis führen könnte, weil andernfalls der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen würde, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht, und deshalb ohne die Möglichkeit eines „Wegwägens“ die Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit überschritten sind. Ist die Festsetzung dagegen trotz eines eventuellen Abwägungsfehlers städtebaulich vertretbar, liegt kein Ewigkeitsmangel vor. Das gilt selbst dann, wenn ein vollständiger Abwägungsausfall gegeben ist (vgl. BayVGH, B.v. 20.9.2022 – 15 ZB 21.2855 – juris Rn. 38 m.w.N. zum BauGB 2017; als nicht entscheidungserheblich offengelassen in BVerwG, U.v. 21.3.2013 – 4 C 15/11 – juris Rn. 15).
74
Ein solcher qualifizierter, schwerer Mangel in Bezug auf das Abwägungsergebnis ist vorliegend aus folgenden Gründen anzunehmen. Bereits zum Zeitpunkt der Aufstellung bzw. des Inkrafttretens des Bebauungsplanes war die technische Entwicklung des Mobilfunks so weit vorangeschritten und dessen Nutzung so weit verbreitet, dass ein hohes öffentliches Interesse an einer flächendeckenden, angemessenen und ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Dienstleistungen des Mobilfunks bestand. Das zeigt sich gerade auch darin, dass der Verordnungsgeber den § 14 Abs. 2 BauNVO (1977) in der Baunutzungsverordnung 1990 um den § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO ergänzte, nach dem nunmehr auch nach dem ausdrücklichen Willen des Verordnungsgebers fernmeldetechnische Nebenanlagen in den Baugebieten als Ausnahmen zugelassen werden können, auch soweit für sie im Bebauungsplan keine besonderen Flächen festgesetzt sind. Soweit die Beklagte – wie oben ausgeführt – in Nr. 4.10 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplanes Nebenanlagen einschließlich der fernmeldetechnischen Nebenanlagen generell ausschließt, ohne die Bedeutung und das hohe öffentliche Interesse an einer flächendeckenden, angemessenen und ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Dienstleistungen des Mobilfunks in die Abwägung mit einzustellen, überschreitet der Satzungsgeber im vorliegenden Fall die Grenzen der einschlägigen Rechtsgrundlage des § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauNVO und liegt insoweit ein qualifizierter, schwerer Fehler im Abwägungsergebnis vor. Bei dem festgesetzten Reinen Wohngebiet handelt es sich nicht um ein Gebiet, das sich von anderen, vergleichbaren Reinen Wohngebieten derart signifikant unterscheiden würde, dass es im Ergebnis aus städtebaulichen Gründen vertretbar wäre, auch fernmeldetechnische Nebenanlagen, die dem Lückenschluss und einer ausreichenden, flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung dienen, generell auszuschließen. Dass ein solches Abwägungsergebnis städtebaulich nicht vertretbar ist, zeigt sich auch gerade daran, dass im Falle eines wirksamen generellen Ausschlusses eine Zulassung fernmeldetechnischer Nebenanlagen nur über eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes gemäß § 31 Abs. 2 BauGB in Betracht käme. Der Erteilung einer solchen Befreiung stünde aber regelmäßig bereits entgegen, dass es sich bei der entsprechenden Festsetzung um einen Grundzug der Planung i.S.d. § 31 Abs. 2 BauGB handeln dürfte (vgl. BayVGH, B.v. 30.10.2018 – 1 ZB 16.1634 – juris Rn. 3 ff.; BayVGH, U.v. 3.11.2010 – 15 B 08.2426 – juris Rn. 21 ff.).
75
Soweit § 3 Abs. 1 Satz 1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplanes regelt, dass in dem festgesetzten Reinen Wohngebiet Wohngebäude zulässig sind und nach § 3 Abs. 1 Satz 2 der textlichen Festsetzungen alle anderen nach der BauNVO ausnahmsweise zulässigen Nutzungen ausgeschlossen sind, bezieht sich diese Regelung auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Satzungsgebers in Nr. 4.8 der Begründung des Bebauungsplanes ausschließlich auf den Ausschluss der nach § 3 Abs. 3 BauNVO genannten Nutzungsarten, die in einem Reinen Wohngebiet ausnahmsweise zugelassen werden können und damit eine Baugebietsvorschrift, nicht aber auf die ausnahmsweise zulässigen Nebenanlagen in § 14 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BauNVO, bei dem es sich um eine für alle Baugebietsarten anwendbare Querschnittsvorschrift handelt. Dies ergibt sich gerade auch aus dem in Nr. 4.8 der Begründung des Bebauungsplanes aufgeführten Beispiele, nach denen ausnahmsweise zulässige Nutzungen wie Tankstellen, Gartenbaubetriebe etc. ausgeschlossen werden sollen, weil sie dem gewünschten Charakter des Wohngebietes nicht entsprächen.
76
Zusammenfassend ist danach festzustellen, dass der Bebauungsplan Nr. ... „Südlich der ...-...-Straße“ die ausnahmsweise Zulässigkeit von fernmeldetechnischen Nebenanlagen i.S.d § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO nicht wirksam ausschließt.
77
2.3.2 Die Ausnahmefähigkeit der streitgegenständlichen fernmeldetechnischen Nebenanlage nach § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO ist gegeben. Sie verletzt auch keine nachbarschützenden Vorschriften.
78
2.3.2.1 Soweit sich die Kläger darauf berufen, dass von der Mobilfunkanlage gesundheitsschädigende Wirkungen ausgehen, machen sie schädliche Umwelteinwirkungen und damit immissionsschutzrechtliche Belange geltend, die im Rahmen der Prüfung der Zulassung einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB, § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO nicht zu prüfen sind.
79
Eventuell von der Funkstrahlung der Mobilfunkanlage ausgehende, schädliche Einwirkungen auf die menschliche Gesundheit sind aufgrund der Spezialität des Standortbescheinigungsverfahrens von der Bauaufsichtsbehörde nicht zu prüfen. Das Immissionsschutzrecht ordnet eine Konzentrationswirkung zugunsten der Erteilung einer Ausnahme nach Art. 63 BayBO nicht an. Auch das Bauordnungsrecht selbst enthält keine Vorschrift, die der Abweichung eine Konzentrationswirkung zuweist. Die gesundheitlichen Auswirkungen der Funkanlagen des Mobilfunkmastes auf die Nachbarschaft sind daher der speziellen bundesrechtlichen Genehmigungspflicht des § 4 der Verordnung über das Nachweisverfahren zur Begrenzung elektromagnetischer Felder (BEMVF) unterworfen (vgl. BayVGH, B.v. 19.10.2017 – 1 ZB 15.2081 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 8.6.2015 – 1 CS 15.914 – juris Rn. 13). Erst nach Erteilung der Standortbescheinigung darf nach § 4 Abs. 1 BEMFV der Betrieb einer solchen Anlage aufgenommen werden. Zuwiderhandlungen sind nach § 15a BEMFV als Ordnungswidrigkeiten zu verfolgen. Die von den Klägern geltend gemachte Gesundheitsbeeinträchtigung hat danach nicht die Bauaufsichtsbehörde, sondern die hierfür ausschließlich zuständige Bundesnetzagentur zu prüfen. Die Standortbescheinigung stellt der Sache nach eine Bescheinigung über die Zulässigkeit des Betriebes einer bestimmten Funkanlage an einem bestimmten Standort dar und hat die Funktion einer Freigabe des Betriebes. Sie darf dementsprechend nur unter den Voraussetzungen des § 5 BEMFV erteilt werden. Durch das Nebeneinander von Baugenehmigung bzw. im vorliegenden Fall der Erteilung einer isolierten Ausnahme von den Festsetzungen des Bebauungsplanes und der Standortbescheinigung entsteht auch keine Rechtsschutzlücke für betroffene Dritte, da die Standortbescheinigung einen im Wege der Nachbarklage anfechtbaren Verwaltungsakt mit Doppelwirkung darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 16.12.2021 – 1 CS 21.2410 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 30.3.2004 – 21 CS 03.1053 – juris Orientierungssatz 1. und 2.).
80
Die danach erforderliche Standortbescheinigung zum Betrieb der streitgegenständlichen Mobilfunksendeanlage wurde am 4. März 2020 unter der Standortbescheinigungsnummer ... erteilt.
81
Die gesundheitsbezogenen Einwendungen können die Kläger danach nur im Rahmen einer Klage gegen die Standortbescheinigung klären lassen.
82
Dementsprechend war dem Beweisantrag Nr. 2 zweiter Spiegelstrich, der zum Gegenstand hat, zu der Tatsache Beweis zu erheben, dass der Mast/Funk-Schornstein hoch frequente elektromagnetische Felder emittiere, die die Immissionsbelastung in Wohnräumen der Kläger auf mindestens 25% des Grenzwertes ansteigen ließe, als nicht entscheidungserheblich nicht zu entsprechen.
83
2.3.2.2 Eine Verletzung von Nachbarrechten der Kläger kommt vorliegend auch nicht nach den Grundsätzen des Rücksichtnahmegebotes, § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO in Betracht.
84
Dem Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (vgl. BVerwG, B.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – juris Rn. 21 m.w.N.). Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 4 m.w.N.).
85
Hält ein Bauvorhaben den bauordnungsrechtlich nach Art. 6 BayBO für eine ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung erforderlichen Abstand von dem Nachbargrundstück ein, ist darüber hinaus für das Gebot der Rücksichtnahme grundsätzlich kein Raum mehr. Ein Verstoß gegen Abstandsflächenvorschriften ist vorliegend nicht erkennbar. Besondere Umstände, bei denen trotz Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vorliegt, sind zu verneinen.
86
Eine gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßende einmauernde, erdrückende oder abriegelnde Wirkung kommt dem lediglich 5,5 m über den Dachfirst hinausragenden Mobilfunkmasten angesichts der Entfernung zum klägerischen Grundstück ersichtlich nicht zu.
87
Soweit der Beweisantrag Nr. 1 erster bis fünfter Spiegelstrich letztlich darauf abzielt, einen Verstoß gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme zu begründen, war dem nicht zu entsprechen.
88
Das Gericht konnte bereits aufgrund der ihm vorliegenden Planunterlagen und Lichtbilder über die Frage, ob der Mobilfunkmast aufgrund seiner optischen Wirkungen gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt bzw., ob Wartungsarbeiten an dem Mobilfunkmasten unzumutbare Einblicke in Wohnräume der Kläger zur Folge haben, entscheiden, ohne dass es einer weitergehenden Beweiserhebung bedurft hätte. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass ein Augenscheinstermin insoweit weitergehende Erkenntnisse gebracht hätte.
89
Es ist auch nicht im Ansatz ersichtlich, dass der Zu- und Abfahrtsverkehr im Rahmen der Wartung der Mobilfunkanlage zu einer Lärmbelastung führt, die in dem Reinen Wohngebiet für die Kläger einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme zur Folge hätte. Der Vertreter der Beigeladenen hat diesbezüglich in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage mitgeteilt, dass ein Mobilfunkmast wie der streitgegenständliche üblicherweise einmal im Jahr zur Wartung angefahren werde, im Übrigen anlassbezogen bei Störungen. Dabei erfolge die Anfahrt regelmäßig mit einem normalen Kraftfahrzeug, bei Bedarf werde mit einer Hebebühne gearbeitet.
90
Dementsprechend war dem Beweisantrag Nr. 2 erster Spiegelstrich, Beweis zu erheben zu der Tatsache, dass durch betriebsbedingte An- und Abfahrten eine akustische Mehrbelastung eintrete, nicht zu entsprechen. Das Gericht konnte eine Entscheidung darüber, ob der mit der Wartung der Anlage verbundene Verkehrslärm zu einem Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme führt, bereits aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse entscheiden. Es ist nicht ersichtlich, dass eine Beweiserhebung hierzu weitergehende Erkenntnisse erbracht hätte.
91
Zusammenfassend ist danach festzustellen, dass die bereits errichtete Mobilfunkanlage als ausnahmefähige fernmeldetechnische Nebenanlage i.S.d. § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO anzusehen ist, die die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt.
92
3. Die Kläger werden auch dadurch, dass die Beklagte gleichwohl eine isolierte Abweichung in Form einer isolierten Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB erteilt hat, nicht in ihren Rechten verletzt.
93
Der einzelne kann zwar verlangen, dass seine materiellen Rechte gewahrt werden, er hat jedoch keinen Anspruch darauf, dass dies in einem bestimmten Verfahren geschieht. Er soll die Beachtung der Verfahrensvorschriften nicht um ihrer selbst Willen erzwingen können (vgl. BayVGH, U.v. 19.5.2011 – 2 B 11.397 – juris Rn. 19 m.w.N.). Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn eine Verfahrensvorschrift einem betroffenen Dritten unabhängig vom materiellen Recht eine eigene, selbstständig durchsetzbare, verfahrensrechtliche Rechtsposition gewähren will. Aus ihrem Regelungsgehalt müsste sich ergeben, dass diese Regelung des Verwaltungsverfahrens mit einer eigenen Schutzfunktion zugunsten Einzelner ausgestattet ist, und zwar in der Weise, dass der Begünstigte unter Berufung allein auf einen ihn betreffenden Verfahrensmangel, d.h. ohne Rücksicht auf das Entscheidungsergebnis in der Sache, die Aufhebung der behördlichen Entscheidung gerichtlich soll durchsetzen können (vgl. BayVGH, U.v. 19.5.2011 – 2 B 11.397 – juris Rn. 19 m.w.N.).
94
Hierfür ist nichts ersichtlich. Da durch die erteilte isolierte Befreiung keine über die ausnahmsweise Zulassung der Anlage hinausgehenden, nachbarrelevanten Vorschriften betroffen werden, besteht keine Schutzbedürftigkeit im Hinblick auf die Durchführung des „richtigen“ Verwaltungsverfahrens.
95
4. Die Kläger werden auch nicht aufgrund einer fehlenden Bestimmtheit des Bescheides, Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG, in ihren Rechten verletzt.
96
Da die streitgegenständliche Mobilfunkanlage nach § 31 Abs. 1 BauGB ausnahmefähig ist und nicht der Erteilung einer isolierten Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB bedarf, kommt bereits deshalb eine Nachbarrechtsverletzung wegen fehlender Bestimmtheit der gleichwohl erteilten Befreiung nicht in Betracht.
97
Ungeachtet dessen genügt die erteilte isolierte Befreiung dem Bestimmtheitserfordernis des Art. 37 BayVwVfG, da der verfügende Teil des Verwaltungsaktes, nämlich die Nr. 1 des Tenors des Bescheides, in dem die isolierte Befreiung erteilt wird, eindeutig und unmissverständlich formuliert ist.
98
5. Danach war die Klage insgesamt abzuweisen.
99
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
100
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht nach § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig, da sie keinen Antrag gestellt und sich nicht am Prozesskostenrisiko beteiligt hat.
101
Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.