Titel:
Akteneinsicht in Asylakten der Kinder
Normenketten:
VwGO § 42 Abs. 1
VwVfG § 29 Abs. 1 S. 1
IFG § 1 Abs. 1 S. 1, § 7 Abs. 1, § 13
Leitsätze:
1. Beim Akteneinsichtsbegehren nach § 29 VwVfG und dem Anspruch aus § 1 Abs. 1 S. 1 IFG handelt es sich um zwei unterschiedliche Begehren und damit um zwei unterschiedliche Klagegegenstände, nicht nur um zwei unterschiedliche Rechtsgrundlagen für das gleiche Begehren. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Beteiligter iSd § 13 VwVfG ist derjenige, der bereits zu dem Verfahren hinzugezogen worden ist, nicht hingegen derjenige, der lediglich einen Anspruch auf Hinzuziehung als Beteiligter hat. Dieser muss daher zunächst die behördliche Hinzuziehung durchsetzen, bevor Akteneinsicht nach § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG verlangt werden kann. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nicht fristgerechte Umstellung einer Anfechtungsklage auf eine Versagungsgegenklage., Ein Anspruch auf Akteneinsicht muss mit einer Verpflichtungsklage geltend gemacht werden, wenn die Behörde das Akteneinsichtsgesuch zuvor durch einen Verwaltungsakt abgelehnt hat., Verhältnis zwischen Informationsfreiheitsgesetz und § 29 Abs. 1 Satz 1 VwVfG analog außerhalb des Verwaltungsverfahrens., Akteneinsicht, Asylakten der Kinder, Verwaltungsakt, Verpflichtungsklage, nicht fristgerechte Umstellung einer Klage, Anspruch nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz, Anspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz, keine analoge Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes, Beteiligter, berechtigtes interesse
Fundstelle:
BeckRS 2023, 40468
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt Akteneinsicht in die Asylakten seiner Kinder.
2
Der im Libanon lebende libanesische Kläger ist seit … mit der … geborenen …, die wohl die syrische und die libanesische Staatsangehörigkeit besitzt, verheiratet. Sie sind die Eltern zweier gemeinsamer Kinder, der … geborenen … und der … geborenen … Am 27. August 2020 reiste die Familie gemeinsam in den Urlaub nach Frankreich. Der Kläger kehrte am 1. September 2020 alleine in den Libanon zurück. Die Ehefrau des Klägers blieb mit den Kindern in Europa und gelangte über Österreich und die Schweiz im Mai 2021 nach Deutschland. Nachdem Österreich zunächst einen von der Ehefrau und den Kindern gestellten Asylantrag abgelehnt hatte, wurde der Ehefrau des Klägers am 1. Februar 2022 und den Kindern am 26. April 2022 von der Beklagten subsidiärer Schutz gewährt.
3
Mit Schreiben vom 22. Februar 2022 beantragte der Klägerbevollmächtigte gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtling (Bundesamt), dem Kläger Einsicht in die dort geführten Verfahrensakten zu gewähren. Zur Begründung führte er aus, der Kläger habe inzwischen vor dem Familiengericht im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt, ihm das Recht der Aufenthaltsbestimmung für seine Kinder vorläufig zu übertragen und die Kinder an ihn herauszugeben. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Asylverfahren seiner Ehefrau bzw. die Begründung ihres Asylgesuchs erhebliche Auswirkungen auf die Entscheidung des Familiengerichts haben könnte. Das Akteneinsichtsrecht ergebe sich aus § 29 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 13 Abs. 2 Satz 1 VwVfG. Vorsorglich bat der Klägerbevollmächtigte darum, den Kläger als Beteiligten des Asylverfahrens anzuerkennen. Die rechtlichen Interessen des Klägers seien durch das Asylverfahren berührt, so sei etwa die Ehefrau des Klägers ohne Zustimmung des Klägers gem. § 1687 Abs. 1 BGB nicht berechtigt, Asylanträge für die Kinder zu stellen, unabhängig von der Verfahrensvorschrift des § 12 Abs. 3 AsylG. Ersatzweise sei der Kläger auch damit einverstanden, ihm den Asylantrag mit Begründung, die Niederschrift über die Anhörung nach § 25 AsylG und alle evtl. ergangenen Entscheidungen in Kopie zu übersenden.
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Mit Schreiben vom 16. März 2022 teilte das Bundesamt mit, dass die begehrte Akteneinsicht nicht gewährt werden könne. Der Kläger könne sich nicht auf das Akteneinsichtsrecht aus § 29 Abs. 1 Satz 1 VwVfG berufen, da er weder Beteiligter i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG sei noch als Beteiligter i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 VwVfG anerkannt werden könne. Er könne deshalb nicht als Beteiligter anerkannt werden, weil er kein rechtliches Interesse am Ausgang des Verfahrens habe, da seine Ehefrau hinsichtlich des Asylverfahrens die gemeinsamen Kinder nach § 12 Abs. 3 AsylG alleine vertrete. Asylangelegenheiten und Sorgerechtsstreitigkeiten würden unterschiedliche Zwecke verfolgen, sodass ein Bezug zum Verfahrensgegenstand des Asylverfahrens nicht bestehe. Der Kläger solle außerdem mitteilen, ob das Schreiben vom 22. Februar 2022 als Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) gewertet werden solle, was allerdings ein Drittbeteiligungsverfahren mit sich ziehe.
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Mit Schreiben vom 23. März 2022 teilte der Klägerbevollmächtigte mit, dass der Kläger an seinem Akteneinsichtsgesuch festhalte. Der Kläger begehre keine Einsicht in die Asylakten seiner Ehefrau, sondern nur in diejenigen seiner Kinder. Der Kläger sei mit dem gestellten Asylantrag nicht einverstanden. Ihm sei in § 12 Abs. 3 AsylG die Möglichkeit eingeräumt, eine „abweichende Entscheidung des Familiengerichts“ herbeizuführen, um auf das Verfahren Einfluss zu nehmen. Um eine solche abweichende Entscheidung herbeizuführen, bedürfe es zwingend einer Einsicht in die Asylakten.
6
In einem mit Rechtsbehelfsbelehrungversehenem Bescheid vom 8. April 2022, zugegangen am 14. April 2022, lehnte das Bundesamt das Akteneinsichtsgesuch ab. Es berief sich weiterhin darauf, dass der Kläger kein Beteiligter i.S.d. § 13 VwVfG sei. Der Grundsatz der gemeinschaftlichen Vertretung der Kinder durch die Eltern aus § 1687 BGB werde durch § 12 Abs. 3 AsylG durchbrochen. Sollte außerdem das Familiengericht der Ansicht sein, dass die Asylakten zur Entscheidung des anhängigen Rechtsstreits notwendig seien, so könne das Familiengericht die Akten im Wege der Amtshilfe beiziehen und der Kläger im Rahmen des Akteneinsichtsrechts aus § 13 Abs. 1 FamFG umfassend Einsicht nehmen.
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Mit Schreiben vom 9. Mai 2022 erhob der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 8. April 2022.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 2022, dem Klägerbevollmächtigten nach eigenen Angaben am 1. August 2022 zugestellt, wies das Bundesamt den Widerspruch zurück und legte dem Kläger auf, die Kosten des Widerspruchverfahrens zu tragen. Der angegriffene Verwaltungsakt sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Zur Begründung verwies das Bundesamt auf die Begründung des Bescheids. Außerdem seien die Asylverfahren der Ehefrau und der Kinder des Klägers inzwischen bereits abgeschlossen, das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 Abs. 1 VwVfG bestehe jedoch nur während eines laufenden Verwaltungsverfahrens.
9
Nach Angaben des Klägerbevollmächtigten habe der Kläger bereits Verfahren zur Sorgerechtsübertragung für die Kinder, die Herausgabe der Kinder und die Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts geführt. Diese Klagen seien abgewiesen worden. Zwischenzeitlich sei auch eine Scheidungsklage seiner Ehefrau am Amtsgericht … anhängig. Außerdem sei ein Verfahren am Amtsgericht … anhängig, mit dem seine Ehefrau die Zustimmung des Klägers zu einer Passbeantragung der Kinder erreichen wolle.
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Am 1. September 2022 erhob der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage beim Verwaltungsgericht Ansbach und beantragte zunächst, den Bescheid in Form des Widerspruchbescheids aufzuheben. Am 25. Oktober 2022 ergänzte der Kläger seinen Antrag und beantragte nun, die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die beantragte Akteneinsicht in die Asylakte seiner Ehefrau … und der gemeinsamen Kinder … und … zu gewähren. Der Kläger werde durch den Widerspruchsbescheid in seinen Rechten verletzt. Er habe ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht. Für das anhängige familiengerichtliche Verfahren sei der ausländerrechtliche Status der Ehefrau wichtig, weshalb Akteneinsicht benötigt werde. Der Kläger gehe davon aus, dass sich seine Ehefrau den Aufenthalt in Deutschland erschlichen habe.
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Zuletzt beantrage der Kläger sinngemäß,
den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Form des Widerspruchbescheides vom 28. Juli 2022 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die beantragte Akteneinsicht in die Asylakte seiner Kinder … und … zu gewähren.
12
Die Beklagte beantragt,
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Die mit Schriftsatz vom 1. September 2022 erhobene Anfechtungsklage sei nicht statthaft und daher bereits unzulässig. Die mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2022 erhobene Verpflichtungsklage sei hingegen verfristet und ebenfalls unzulässig.
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Im Übrigen wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Behördenakte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die allein auf die Gewährung von Akteneinsicht nach § 29 Abs. 1 Satz 1 VwVfG gerichtete Klage ist unzulässig.
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1. Der Kläger hat seine Klage allein auf die Gewährung von Akteneinsicht nach § 29 Abs. 1 Satz 1 VwVfG gerichtet und hierauf beschränkt. Nur hierauf war sein Antrag im Behördenverfahren gerichtet und nur diesen hat und konnte er im Klageverfahren weiterverfolgen. Das Bundesamt hat den Kläger mehrmals darauf hingewiesen, dass ihm die Möglichkeit eines Antrags auf Akteneinsicht nach dem IFG offenstehe (vgl. Schreiben des Bundesamts vom 16.3.2022 und 8.4.2022), wovon der Kläger bewusst keinen Gebrauch gemacht hat.
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Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG hat nach Maßgabe der Vorschriften des IFG jeder gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Aus § 7 Abs. 1 IFG ergibt sich, dass vor einer Klage zunächst ein Antrag bei der Behörde gestellt werden muss (Sicko in BeckOK Informations- und Medienrecht, 41. Edition Stand 1.5.23, § 7 IFG Rn. 4).
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Einen solchen hat der Kläger gegenüber dem Bundesamt nicht gestellt. Das Bundesamt hat den Kläger mehrmals darauf hingewiesen, dass ihm die Möglichkeit offenstehe, sein Begehren durch einen Antrag nach dem IFG zu verfolgen, dabei sei allerdings ein Drittbeteiligungsverfahren, § 8 IFG, durchzuführen sei (vgl. Schreiben des Bundesamts vom 16.3.22 und 8.4.22). Hierauf wurde von Klägerseite nicht reagiert und lediglich der Anspruch aus § 29 Abs. 1 Satz 1 VwVfG weiterverfolgt, weshalb das Begehren des Klägers im Behördenverfahren daher so auszulegen ist, dass die Durchsetzung eines Anspruchs nach IFG mit dem durchzuführenden Drittbeteiligungsverfahren gerade nicht gewollt und beantragt war.
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Da es sich beim Akteneinsichtsbegehren nach § 29 VwVfG und dem Anspruch aus § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG um zwei unterschiedliche Begehren und dadurch um zwei unterschiedliche Klagegegenstände handelt und nicht nur um zwei unterschiedliche Rechtsgrundlagen für das gleiche Begehren, ist das Gericht an den so eingeschränkten Antrag des Klägers gebunden und darf darüber nicht hinaus gehen, § 88 VwGO. Da eine entsprechende Antragstellung beim Bundesamt nicht erfolgt ist und ein Drittbeteiligungsverfahren demzufolge nicht durchgeführt worden ist, könnte eine hierauf gerichtete Klage auch keinen Erfolg haben. Es wäre bereits das Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen (Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, 2. Auflage 2016, § 9 IFG Rn. 90 m.w.N.).
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2. Die Klage auf Akteneinsicht nach § 29 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ist mangels Einhaltung der Klagefrist bereits unzulässig.
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Die erstmals mit Schriftsatz von 25. Oktober 2022 erhobene und im Wege der Klageänderung geltend gemachte Verpflichtungsklage wurde entgegen § 74 Abs. 2, Abs. 1 VWGO nicht innerhalb von einem Monat nach Bekanntgabe des ablehnenden Bescheids erhoben.
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Da die Beklagte mit Schreiben vom 8. April 2022 das klägerische Begehren auf Einsicht in die streitgegenständlichen Asylakten in der Form eines als Verwaltungsakt zu qualifizierenden Bescheides abgelehnt hat und auch das den Widerspruch abweisende Schreiben vom 28. Juli 2022 als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist und der Kläger den diesbezüglichen Actus Contrarius der Gewährung von Akteneinsicht begehrt, ist die Klage als Verpflichtungsklage in Gestalt der Versagungsgegenklage, § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO (VG Würzburg, U.v. 24.9.2020 – W 3 K 19.265 – juris; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 113 Rn. 40), statthaft.
23
Die von der Beklagten vorgenommene ausdrückliche Ablehnung der Gewährung von Akteneinsicht mittels Prüfung von deren gesetzlichen Voraussetzungen und der getroffenen Ermessensausübung ist ein Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG, da das Bundesamt als Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts eine Entscheidung getroffen hat, die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. So vertritt das Bundesverwaltungsgericht die Ansicht, dass schon in der Ablehnung einer bloßen Auskunftserteilung, welche regelmäßig ein Minus zur Akteneinsicht darstellt, ein Verwaltungsakt vorliegt, der mit der Verpflichtungsklage auf Verpflichtung der Behörde zur Erteilung anzugreifen ist (BVerwG, U.v. 25.2.1969 – I C 65.67 – juris insb. Rn. 40). In diesem Sinne führt auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof explizit zur Akteneinsicht (U.v. 5.9.1989 – 25 B 88.01631 – NVwZ 1990, 775 (776)) aus: „Eine Behörde jedoch, die Akteneinsicht verweigert, regelt, d. h. entscheidet, durchaus einen Vorgang.“ Eine solche Regelung sei zugleich ein Verwaltungsakt „mit den in § 35 S. 1 VwVfG, Art. 35 S. 1 BayVwVfG geforderten Merkmalen dann, wenn mit ihr eine Rechtssache potentiell bestandskräftig entschieden werden soll“.
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Ursprünglich erhob der Kläger mit seiner Klageschrift vom 1. September 2022 ausschließlich eine Anfechtungsklage gegen den ablehnenden Bescheid in Form des Widerspruchbescheids. Das Gericht misst dabei der Tatsache, dass der Kläger anwaltlich vertreten war eine besondere Bedeutung zu. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bei einer Rechtsmittelerklärung, die von einem Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigtem abgegeben worden ist, kein Raum für eine Umdeutung der abgegebenen Erklärung (BVerwG, U.v. 22.2.1985 – 8 C 107/83 – juris m.w.N.). Der zunächst gestellte Antrag wurde vom Bevollmächtigten als Anfechtungsklage formuliert. Der Antrag kann auch nicht nach gebotener Auslegung des klägerischen Begehrs im Sinne des § 88 VwGO in Verbindung mit der gleichzeitig eingereichten Klagebegründung und dem von den Beteiligten vorgetragenen Sachverhalt anders verstanden werden. Der Bevollmächtigte macht in der Klagebegründung zwar geltend, dass der Kläger im Behördenverfahren Akteneinsicht verlangt habe und dieses Begehren rechtswidrig abgelehnt worden sei, machte aber gerade nicht geltend, dass im Gerichtsverfahren die Verpflichtung der Behörde, dem Kläger Akteneinsicht zu gewähren, begehrt sei. In der Klagebegründung gibt es keine Anhaltspunkte, die dahingehend ausgelegt werden könnten.
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Die Klage wurde erst mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2022 auf eine Verpflichtungsklage umgestellt. Nach § 74 Abs. 2, Abs. 1 VWGO ist die Verpflichtungsklage einen Monat nach Zustellung des Widerspruchbescheids zu erheben. Wann und ob der Widerspruchsbescheid dem Kläger bzw. dessen Bevollmächtigten förmlich zugestellt wurde, ergibt sich nicht aus den Behördenakten. Allerdings legte der Klägerbevollmächtigte mit der Klageerhebung am 1. September 2022 eine Kopie des angegriffenen Widerspruchbescheids vor, sodass ihm der Bescheid jedenfalls spätestens am 1. September 2022 tatsächlich zugegangen war und spätestens zu diesem Zeitpunkt die wirksame Zustellung nach § 8 VwZG fingiert wird. Die Erhebung der Verpflichtungsklage am 25. Oktober 2022 erfolgte mehr als einen Monat nach Zustellung des Widerspruchbescheids und war daher verfristet. Gleiches gilt, wenn der Widerspruchsbescheid dem Kläger bereits am 1. August 2022, wie vom Kläger vorgetragen, tatsächlich zugegangen wäre und die Zustellungsfiktion bereits zu diesem Zeitpunkt eingetreten ist.
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3. Selbst wenn man davon ausginge, der Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht sei aufgrund bloßer Realaktsqualität der reinen Zurverfügungstellung von Akten mittels Leistungsklage zu verfolgen und der Antrag vom 25. Oktober 2022 sei als – nicht fristgebundene – allgemeine Leistungsklage auszulegen, über die neben der bereits mit Schriftsatz vom 1. September 2022 erhobenen Anfechtungsklage zu entscheiden sei, so wäre die Klage zwar nicht verfristet aber dennoch unbegründet.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Akteneinsicht.
28
a) Der Kläger hat keinen Anspruch aus § 29 Abs. 1 Satz 1 VwVfG. Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 VwVfG hat die Behörde den Beteiligten eines Verwaltungsverfahrens Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist.
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aa) Ein Anspruch des Klägers aus dieser Norm scheidet bereits aus, weil die Akteneinsicht nur während des laufenden Verwaltungsverfahrens begehrt werden kann. Das Einsichtsrecht beginnt frühestens mit der Einleitung des Verfahrens nach § 22 VwVfG und endet mit seinem Abschluss gemäß § 9 VwVfG. (BVerwG, U.v. 1.7.1983 – 2 C 42/82 – BVerwGE 67, 300-305). Die Beklagte hat den Kindern des Klägers bereits am 26. April 2022 subsidiären Schutz erteilt, nachdem die Ehefrau des Klägers am 6. Februar 2022 subsidiären Schutzstatus erhalten hatte. Nach Angaben der Beklagten sind die Bescheide inzwischen auch bestandskräftig. Zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung waren die Asylverfahren seiner Kinder bereits abgeschlossen und der Kläger hat damit keinen Anspruch aus § 29 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zur Einsicht in die entsprechenden Asylakten.
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bb) Darüber hinaus haben nach § 29 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nur die Beteiligten des jeweiligen Verfahrens einen Anspruch auf Akteneinsicht. Wer Beteiligter ist, ergibt sich aus § 13 VwVfG. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, nach § 13 Abs. 2 VwVfG zu dem Verfahren aufgrund seines rechtlichen Interesses hinzugezogen werden zu müssen und deshalb Beteiligter i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG zu sein. Nach dem Wortlaut dieser Norm ist derjenige Beteiligter, der bereits zu dem Verfahren hinzugezogen worden ist. Beteiligter ist hingegen nicht derjenige, der lediglich einen Anspruch auf Hinzuziehung als Beteiligter hat. Wer noch nicht formell am Verfahren beteiligt ist, muss daher zunächst die behördliche Hinzuziehung durchsetzen, bevor Akteneinsicht nach § 29 Abs. 1 Satz 1 VwVfG verlangt werden kann (Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 3. EL August 2022, § 29 VwVfG Rn. 51). Es kann deshalb dahinstehen, ob der Kläger einen Anspruch auf Hinzuziehung als Beteiligter gehabt hätte, da der Kläger zwar durch seinen Bevollmächtigten gegenüber der Beklagten im Behördenverfahren mit Schreiben vom 22. Februar 2022 seine Hinzuziehung als Beteiligter beantragt, dieses Recht allerdings nie durchgesetzt hat, nachdem eine formelle Beteiligung des Klägers durch das Bundesamt nicht erfolgte. Der Kläger gehört daher nicht zu dem berechtigten Personenkreis aus § 29 Abs. 1 Satz 1 VwVfG.
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b) Andere Ansprüche auf Akteneinsicht sind vorliegend nicht ersichtlich. Insbesondere kann sich ein Anspruch nicht aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO ergeben. Nach dieser Norm kann eine betroffene Person von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden (BeckOK VwVfG, 61. Edition Stand 1.10.2023, § 29 VwVfG Rn. 59a). Unabhängig davon, ob der in der DSGVO geregelte Auskunftsanspruch auch einen Anspruch auf Akteneinsicht umfasst, kann jedenfalls keine Auskunft dahingehend verlangt werden, ob personenbezogene Daten anderer Personen, in diesem Falle der Kinder des Klägers, verarbeitet werden.
32
c) Der Kläger hat auch keinen Anspruch aus § 29 Abs. 1 Satz 1 VwVfG analog. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass für den Fall, in dem ein Anspruch auf Akteneinsicht nach Art. 29 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG (und aus anderen Normen) nicht gegeben ist, die Entscheidung über die Gewährung der Akteneinsicht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde steht, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht (Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz 10. Auflage 2023, § 29 VwVfG Rn. 18; BVerwG, U.v. 16.9.1980 – I C 52.75 – BVerwGE 61, 15-24). Grundlage für diesen Anspruch ist das Grundprinzip des rechtsstaatlichen, fairen Verfahrens (BayVGH, U.v. 17.2.1998 – 23 B 95.1954 – NVwZ 1999, 889 f.)
33
aa) Für eine analoge Anwendbarkeit der Grundsätze der Akteneinsicht außerhalb des Verwaltungsverfahrens besteht im vorliegenden Fall allerdings kein Bedürfnis. Der Bundesgesetzgeber hat inzwischen mit dem IFG eine Grundlage für einen Akteneinsichtsanspruch außerhalb des Verwaltungsverfahrens geschaffen. Es besteht kein Grund, daneben wegen allgemeiner rechtsstaatlicher Gründe oder aufgrund von Treu und Glauben bei Geltendmachung eines berechtigten Interesses einen Anspruch darauf zu gewähren, dass die Behörde über ein Akteneinsichtsgesuch nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet (vgl. OVG Bln-Bgg, U.v. 22.3.2018 – OVG 12 B 5.17 – juris, welches über die Anwendbarkeit eines ungeschriebenen Akteneinsichtsanspruchs neben einem landesrechtlichen Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz entschieden hat). Insoweit besteht bereits keine ungewollte Regelungslücke des Gesetzes, die ausgefüllt werden müsste. Dem Kläger wird ein durch Akteneinsicht ermöglichtes rechtsstaatliches und faires Verfahren bereits durch das IFG gewährt. Von diesem Recht hat der Kläger bislang trotz mehrerer Hinweise des Bundesamts keinen Gebrauch gemacht.
34
bb) Abgesehen davon hat der Kläger kein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht.
35
Der Kläger macht geltend, er benötige die Akteneinsicht, da der ausländerrechtliche Status seiner Ehefrau und seiner Kinder Auswirkungen im familienrechtlichen Gerichtsverfahren haben könnte. Grundsätzlich besteht nach der Rechtsprechung ein rechtliches Interesse bereits dann, wenn die Einsicht in die Akten zur Durchsetzung von Rechten oder Ansprüchen notwendig ist (BayVGH, B.v. 15.11.2010 – 3 CE 10.2390 – juris). Das hier geltend gemachte rechtliche Interesse besteht allerdings deshalb nicht, da sich aus den asylrechtlichen Verfahrensakten des Bundesamts seiner Kinder allenfalls der asylrechtliche Schutzstatus seiner Kinder, hier der subsidiäre Schutz, ergibt. Dieser Schutzstatus ist dem Kläger allerdings bereits bekannt, eine Akteneinsicht ist zur Kenntniserlangung nicht notwendig. Welche ausländerrechtlichen Konsequenzen die zuständige Ausländerbehörde hieraus gezogen hat, lässt sich den Asylakten des Bundesamts nicht entnehmen, weshalb der Kläger mit diesem Argument allenfalls Akteneinsicht gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde geltend machen müsste.
36
Hinsichtlich des Vortrags, er benötige die Akteneinsicht für das familienrechtliche Gerichtsverfahren hinsichtlich seiner Kinder, kann der Kläger außerdem darauf verwiesen werden, dass auch in familiengerichtlichen Verfahren das Gericht den Sachverhalt grundsätzlich im Rahmen der Amtsermittlung festzustellen hat, § 26 FamFG, was auch im Freibeweisverfahren möglich ist, § 30 Abs. 1 FamFG (BGH, B.v. 15.9.2021 – XII ZB 9/21 – juris Rn. 19). Wenn das Familiengericht die Asylakten der Kinder entgegen der Ansicht des Klägers nicht von sich aus beizieht, ist es ihm unbenommen einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen (vgl. BeckOK FamFG, 47. Edition, 1.8.2023, § 26 FamFG Rn. 25 ff.). Da das Familiengericht die erforderlichen Beweise in geeigneter Form erhebt und an das Vorbringen der Beteiligten nicht gebunden ist, § 29 Abs. 1 FamFG, besteht für den Kläger kein rechtliches Interesse an einer Akteneinsicht für die familiengerichtlichen Verfahren, wenn das Familiengericht die Asylakten für unbeachtlich hält.
37
Daneben beruft sich der Kläger darauf, dass sich seine Ehefrau den Aufenthalt in Deutschland für sich und die Kinder möglicherweise erschlichen habe. Den Status seiner Kinder wolle der Kläger beenden. Allerdings kann der Kläger kein berechtigtes Interesse dahin haben, den subsidiären Schutzstatus seiner Kinder zu beenden. Der Kläger wird durch den subsidiären Schutzstatus seiner Kinder nicht belastet, weil sich hieraus keine unmittelbare Verpflichtung seiner Kinder ableitet, in Deutschland bleiben zu müssen und daher die möglicherweise bestehenden Rechte des Klägers, die Kinder im Libanon aufziehen zu dürfen nicht beeinträchtigt werden. Ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers auf Aufhebung der Asylbescheide seiner Kinder besteht daher nicht.
38
Nach alledem hat der Kläger keinen Anspruch auf die begehrte Akteneinsicht.
39
3. Die Kostentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zu vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.