Titel:
Gerichtsstandsbestimmung im selbstständigen Beweisverfahren
Normenkette:
ZPO § 36, § 60, § 32
Leitsätze:
Zur Zuständigkeit des bestimmenden Gerichts bei ausländischem (Wohn-)Sitz eines Streitgenossen
1. Eine Bestimmung des zuständigen Gerichts kann in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auch für ein selbstständiges Beweisverfahren vorgenommen werden. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Bestimmung des einheitlich zuständigen Gerichts ist – trotz Bestehens eines gemeinsamen Gerichtsstands – auch dann statthaft, wenn das angerufene und zuständige Gericht bereits zu erkennen gegeben hat, dass es seine örtliche Zuständigkeit für das Verfahren gegen einen der Streitgenossen verneinen möchte. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für Klagen aus Delikt ist ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Parteien und ihren Wohnort die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gegeben, wenn entweder der Handlungs- oder der Erfolgsort im Inland liegt. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gerichtsstandsbestimmung, selbständiges Beweisverfahren, Delikt, internationale Zuständigkeit, Vereinigtes Königreich, Großbritannien
Vorinstanz:
AG München vom -- – 251 H 19341/21
Fundstellen:
DAR 2023, 262
BeckRS 2023, 403
NJW-RR 2023, 353
LSK 2023, 403
Tenor
Als (örtlich) zuständiges Gericht wird das Amtsgericht München bestimmt.
Gründe
1
I. Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2021 bei dem Amtsgericht München ein selbständiges Beweisverfahren gegen die Antragsgegnerin zu 1) eingeleitet. Mit weiterem Schriftsatz vom 21. März 2022 hat er seinen Antrag gegen die Antragsgegnerin zu 2), der er zunächst nur den Streit verkündet hatte, erweitert. Die Antragsgegnerin zu 1), eine Fahrzeugherstellerin, ist im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland ansässig. Die Antragsgegnerin zu 2), ein Autohaus, hat ihren Sitz im Bezirk des Amtsgerichts München.
2
Der Antragsteller ist Eigentümer des von der Antragsgegnerin zu 1) hergestellten Pkws …, Fahrzeug-Identifizierungsnummer: …, den er 2016 als Neufahrzeug von der Antragsgegnerin zu 2) erworben hat. Anfang 2021 informierte ihn die Antragsgegnerin zu 1) darüber, dass sein Fahrzeug von einem „freiwilligen schadstoffbezogenen Rückruf“ betroffen sei. In dem Informationsschreiben heißt es unter anderem, dass „einige Software- und Hardware-Aktualisierungen“ durchgeführt werden sollten. Der Antragsteller ließ die Rückrufaktion „…“ am 18. Februar 2021 bei der Antragsgegnerin zu 2) durchführen. Etwa zwei Wochen später stellte er fest, dass „die Navigation“ und die Bluetooth-Anbindung außer Betrieb waren. Am 16. März 2021 reklamierte er dies gegenüber der Antragsgegnerin zu 2) und übergab ihr das Fahrzeug zur Mangelbeseitigung. Die Antragsgegnerin zu 2) teilte dem Antragsteller mit, dass bei der Rückrufaktion lediglich Motoröl und Ölfilter ausgewechselt worden seien. Nach der Rückgabe des Fahrzeugs stellte der Antragsteller fest, dass nunmehr der Bildschirm der Radioempfängerbaugruppe im „Bootloop“ hängenblieb und immer wieder neu startete; Sitzheizung, Einparkhilfe, Radio, Telefon, Navigation und Menüs für Einstellungen funktionierten nicht mehr. Die Antragsgegnerin zu 2) veranschlagte die Kosten für die Beseitigung der vorgenannten Mängel auf 1.610,50 € brutto. Der Antragsteller wandte sich daraufhin wegen der nach dem Software-Update aufgetretenen Mängel an der Bluetooth-Verbindung und dem Navigationssystem an die A. Deutschland GmbH. Diese teilte ihm in ihrer Antwort vom 3. Dezember 2021 (nach Bl. 19 d. A.) unter anderem mit, dass er, sofern er an dem (scil.: beabsichtigten) Beweissicherungsverfahren festhalten wolle, sie als zustellungsbevollmächtigt ansehen dürfe.
3
Zur Begründung seines Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens trägt der Antragsteller vor, aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs sei davon auszugehen, dass die zunächst aufgetretenen Mängel durch die Rückrufaktion verursacht worden seien. Auf Geheiß der Antragsgegnerin zu 1) habe die Antragsgegnerin zu 2) als deren Erfüllungsgehilfin eine fehlerbehaftete Maßnahme an seinem Fahrzeug durchgeführt. Entweder sei das von der Antragsgegnerin zu 1) zur Verfügung gestellte Software-Update fehlerhaft programmiert gewesen oder die Antragsgegnerin zu 2) habe bei dem Aufspielen des Software-Updates Fehler gemacht. Weitere Fehlfunktionen habe das Fahrzeug aufgewiesen, nachdem die Antragsgegnerin zu 2) offenbar versucht habe, die direkt nach der Rückrufaktion gerügten Fehlfunktionen durch ein weiteres Software-Update zu beseitigen. Der Schaden sei in der Münchener Werkstatt der Antragsgegnerin zu 2) entstanden, weshalb das Amtsgericht München nach § 32 ZPO örtlich zuständig sei.
4
Der Antragsteller beantragt die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu folgenden Beweisbehauptungen: Die Bluetooth-Anbindung zur Radioempfängerbaugruppe, das Navigationssystem, die Sitzheizung, die Einparkhilfe, das Radio sowie das Menü für Einstellungen seien ohne Funktion; die Radioempfängerbaugruppe lasse sich überhaupt nicht mehr starten (vgl. Antrag zu Ziff. I, 1 bis 7). Ursache der Schäden sei die von der Antragsgegnerin zu 1) initiierte Rückrufaktion „…“, in deren Rahmen von der Antragsgegnerin zu 2) Arbeiten und Veränderungen am Fahrzeug durchgeführt worden seien (Antrag zu Ziff. II). Zur fachgerechten Beseitigung der bezeichneten Mängel sei ein Kostenaufwand in Höhe von mindestens 1.610,50 € brutto erforderlich (Antrag zu Ziff. III).
5
Die Antragsgegnerin zu 1) beantragt, den Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zurückzuweisen. Sie rügt die fehlende örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts München; örtlich zuständig sei wohl das Amtsgericht Königstein im Taunus. Außerdem bestreitet sie, dass die A. Deutschland GmbH ihre Zustellungsbevollmächtigte sei, weshalb erst durch die Bestellung ihrer Prozessbevollmächtigten eine ordnungsgemäße Zustellung der Antragsschrift erfolgt sei.
6
In der Sache wendet die Antragsgegnerin zu 1) ein, zwischen ihr und dem Antragsteller bestünden keine vertraglichen Beziehungen. Mit der „faktischen Durchführung“ der Arbeiten am Fahrzeug des Antragstellers habe sie nichts zu tun. Der Antragsteller verkenne das Wesen einer Rückrufaktion mit Zurverfügungstellung eines Updates. Ihm sei die Möglichkeit geboten worden, eine Problematik, die zu Nutzungseinschränkungen oder Schäden führen könne, mit Hilfe eines Updates zu beheben. Dieses Angebot habe der Antragsteller offenbar in Anspruch genommen und die Antragsgegnerin zu 2) beauftragt, eine entsprechende Aktualisierung durchzuführen. Der Betrieb, der die Update-Maßnahme durchgeführt habe, sei im Auftrag des Antragstellers tätig geworden. Der Antragsteller erkläre nicht, dass die Antragsgegnerin zu 1) in irgendeiner Weise in sein Eigentum eingegriffen hätte. Keiner ihrer Mitarbeiter habe „irgendetwas auf das System des Klägers aufgespielt“.
7
Nachdem das Amtsgericht München Bedenken in Bezug auf seine örtliche Zuständigkeit geäußert hatte, hat der Antragsteller seinen Antrag gegen die Antragsgegnerin zu 2) erweitert und hilfsweise beantragt,
die Akten zur Bestimmung des zuständigen Gerichts an das Bayerische Oberste Landesgericht abzugeben.
8
Die Antragsgegnerin zu 1) beantragt, den Antrag auf gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit zurückzuweisen.
9
Sie ist der Ansicht, die Erweiterung des selbständigen Beweisverfahrens auf die Antragsgegnerin zu 2) diene allein dem Zweck, eine gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung herbeizuführen, was nicht Sinn und Zweck von § 36 ZPO sei. Im Übrigen sei der Antrag gegen die Antragsgegnerin zu 2) unzulässig, weil ausgeschlossen sei, dass diese als „Haftungsgegner“ in Frage komme. Der Antragsteller trage nicht einmal vor, dass zwischen ihm und der Antragsgegnerin zu 2) ein Werkvertrag geschlossen worden sei. Unklar bleibe auch, worin das eigene schadensersatzpflichtige Fehlverhalten der Antragsgegnerin zu 2) liegen solle, zumal der Antragsteller diese als Erfüllungsgehilfin der Antragsgegnerin zu 1) ansehe.
10
Die Antragsgegnerin zu 2) hat sich weder in der Sache noch zu dem Antrag auf gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit geäußert.
11
Mit Verfügung vom 9. Mai 2022 hat das Amtsgericht München die Akten dem Bayerischen Obersten Landesgericht vorgelegt mit der Bitte, gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO das (örtlich) zuständige Gericht zu bestimmen. Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus: Die Antragsgegnerin zu 2) habe ihren allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk des Amtsgerichts München. Der Sitz der Antragsgegnerin zu 1) liege im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland; eine Niederlassung bestehe in K. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts München gemäß § 32 ZPO für das Verfahren gegen die Antragsgegnerin zu 1) habe der Antragsteller nicht schlüssig dargelegt. Er habe gerade nicht vorgetragen, dass eine deliktische Handlung eines Mitarbeiters der Antragsgegnerin zu 1) stattgefunden habe, sondern dass als Ursache des behaupteten Schadens an seinem Pkw das Aufspielen einer vermeintlich fehlerhaften Software „und/oder“ das Fehlverhalten eines Mitarbeiters der Antragsgegnerin zu 2) beim Aufspielen in Betracht komme.
12
Im Bestimmungsverfahren haben sich der Antragsteller mit Schriftsatz vom 10. Juni 2022 und die Antragsgegnerin zu 1) mit Schriftsatz vom 23. Juni 2022 geäußert. Auf den Inhalt der vorgenannten Schriftsätze wird verwiesen.
13
II. Auf den zulässigen Antrag bestimmt der Senat das Amtsgericht München als das für die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens örtlich zuständige Gericht.
14
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist das nach § 36 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 9 EGZPO für das Bestimmungsverfahren zuständige Gericht.
15
a) Gemäß § 36 ZPO wird das zuständige Gericht durch das im Rechtszug nächsthöhere Gericht bestimmt. Ist das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof, so wird das zuständige Gericht durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört (§ 36 Abs. 2 ZPO). An die Stelle eines danach zuständigen bayerischen Oberlandesgerichts tritt gemäß § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht.
16
Das im Rechtszug übergeordnete Gericht ist nach dem Gerichtsverfassungsgesetz zu bestimmen, weil sich der Instanzenzug für das selbständige Beweisverfahren nach den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten richtet.
17
b) Im vorliegenden Fall ist das im Rechtszug nächsthöhere gemeinschaftliche Gericht für beide Antragsgegnerinnen der Bundesgerichtshof.
18
a) Die Antragsgegnerin zu 2) hat ihren Sitz in München und damit ihren allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 17 Abs. 1 ZPO) im Bezirk des Amtsgerichts München. Im Rechtszug übergeordnet sind deshalb zunächst das Landgericht München I und sodann der Bundesgerichtshof.
19
b) Hinsichtlich der Antragsgegnerin zu 1) kann nicht auf ihren allgemeinen Gerichtsstand abgestellt werden, weil sie ihren Firmensitz im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland hat. In Deutschland unterhält sie keinen Sitz.
20
Abzustellen ist deshalb grundsätzlich auf die für sie im Inland eröffneten besonderen Gerichtsstände, wenn die deutsche internationale Zuständigkeit gegeben ist (zu dieser Voraussetzung vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 2013, X ARZ 65/13, NJW-RR 2013, 1399 Rn. 10; Patzina in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 36 Rn. 4).
21
Der Senat teilt zwar nicht die Auffassung des Amtsgerichts München, dass in der vorliegenden Angelegenheit der besondere Gerichtsstand der Niederlassung und damit eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Königstein im Taunus in Betracht komme, weil die Antragsgegnerin zu 1) über eine Niederlassung in K. verfüge. Dort befindet sich der Sitz der A. Deutschland GmbH, die sich mit Schreiben vom 3. Dezember 2021 für ein vom Antragsteller etwa beabsichtigtes selbständiges Beweisverfahren als Zustellungsbevollmächtigte der Antragsgegnerin zu 1) bestellt hatte. Selbst wenn der Geschäftsbetrieb der A. Deutschland GmbH in K. als Niederlassung der Antragsgegnerin zu 1) anzusehen sein sollte, wäre für etwaige Ansprüche des Antragstellers gegen die Antragsgegnerin zu 1) wegen der verfahrensgegenständlichen Mängel der besondere Gerichtsstand der Niederlassung gemäß § 21 ZPO beim Amtsgericht Königstein im Taunus nur für solche Streitigkeiten gegen den Inhaber begründet, die auf den Geschäftsbetrieb der Niederlassung Bezug haben (vgl. BGH, Urt. v. 10. Juli 1975, II ZR 56/74, NJW 1975, 2142 [juris Rn. 11]; Toussaint in BeckOK ZPO, 47. Ed. 1. Dezember 2022, § 21 Rn. 5 ff.; Schultzky in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 21 Rn. 11; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 43. Aufl. 2022, § 21 Rn. 4; Patzina in Münchener Kommentar zur ZPO, § 21 Rn. 12). Eine nur mittelbare oder ganz entfernte Beziehung zwischen Klage und Geschäftsbetrieb der Niederlassung genügt nicht (vgl. Toussaint in BeckOK ZPO, § 21 Rn. 6). Der Antragsteller hat den zu begutachtenden Pkw jedoch nicht bei der A. Deutschland GmbH in K., sondern bei der Antragsgegnerin zu 2) in München erworben. Dort sind auch die im Zuge der Rückrufaktion „…“ getroffenen Maßnahmen durchgeführt worden.
22
Aber das Amtsgericht München, bei dem das selbständige Beweisverfahren gegen beide Antragsgegnerinnen anhängig gemacht worden ist, hat bereits zu erkennen gegeben, dass es seine örtliche Zuständigkeit für das Verfahren gegen die Antragsgegnerin zu 1) verneinen möchte. Seiner Ansicht nach ist bei ihm keine Zuständigkeit eröffnet; aus seiner Sicht kommt nur eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Königstein im Taunus als Gericht der Niederlassung in Betracht. Nach dem Sinn und Zweck des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens rechtfertigen diese vom angerufenen Gericht geäußerten Zuständigkeitszweifel unabhängig davon, ob sie berechtigt oder unberechtigt sind, eine verbindliche Klärung der Zuständigkeitsfrage durch Bestimmung des (einheitlich) zuständigen Gerichts (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juni 2018, X ARZ 303/18, NJW 2018, 2200 Rn. 15). Auch für die Frage des hierfür zuständigen Gerichts kommt es mithin nicht darauf an, ob entgegen den geäußerten Zweifeln ein besonderer Gerichtsstand beim Amtsgericht München begründet ist, sondern darauf, dass aus Sicht des angerufenen Gerichts dies nicht der Fall ist und stattdessen eine Zuständigkeit nur am Gerichtsstand der Niederlassung besteht.
23
Abzustellen ist daher auf das Amtsgericht Königstein im Taunus, bei dem nach Ansicht des angerufenen Gerichts der besondere Gerichtsstand der Niederlassung eröffnet sein soll. Dafür spricht auch, dass sich die Zuständigkeit für ein Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO im Fall einer Teilverweisung und eines dadurch ausgelösten Zuständigkeitsstreits zwischen den Amtsgerichten München und Königstein im Taunus nach denselben Gesichtspunkten richten würde.
24
Die dem Amtsgericht Königstein im Taunus im Rechtszug übergeordneten Gerichte sind zunächst das Landgericht Frankfurt am Main und sodann der Bundesgerichtshof.
25
cc) An die Stelle des Bundesgerichtshofs als des nächsthöheren gemeinschaftlichen Gerichts tritt gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i.V. m. § 9 EGZPO in der vorliegenden Sache das Bayerische Oberste Landesgericht, weil das zuerst angerufene Gericht in Bayern liegt.
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2. Die Voraussetzungen für die Bestimmung eines gemeinsam zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.
27
a) Eine Bestimmung des zuständigen Gerichts kann in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auch für ein selbständiges Beweisverfahren vorgenommen werden (BayObLG, Beschluss vom 18. Juli 2019, 1 AR 54/19, juris Rn. 10; Beschluss vom 15. Mai 2019, 1 AR 36/19, juris Rn. 12; Beschluss vom 24. September 1991, AR 1 Z 45/91, BayObLGZ 1991, 343 [344, juris Rn. 10]).
28
b) Der hierfür gemäß § 37 Abs. 1 ZPO erforderliche Antrag („Gesuch“) liegt in der Anregung des Antragstellers an das Amtsgericht München, eine Zuständigkeitsbestimmung durch das Bayerische Oberste Landesgericht herbeizuführen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 1. Dezember 2004, 1Z AR 158/04, juris Rn. 6).
29
c) Der Gerichtsstandsbestimmung steht nicht entgegen, dass das selbständige Beweisverfahren bereits anhängig ist (BayObLG, Beschluss vom 15. Mai 2019, 1 AR 36/19, juris Rn. 13; Beschluss vom 21. August 2002, 1Z AR 82/02, juris Rn. 7), denn über den Wortlaut des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO hinaus kann eine Bestimmung auch noch nach Rechtshängigkeit erfolgen (Toussaint in BeckOK, ZPO, § 36 Rn. 19) und der Verfahrensstand steht einer Zuständigkeitsbestimmung vorliegend nicht entgegen.
30
Entgegen der Meinung der Antragsgegnerin zu 1) ist auch nichts dafür ersichtlich, dass der Antragsteller die Antragserweiterung auf die Antragsgegnerin zu 2) und in der Folge das Verfahren der Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO für nicht vom Gesetz geschützte Zwecke instrumentalisieren würde.
31
d) Die Antragsgegnerinnen sind nach dem im Bestimmungsverfahren insoweit allein maßgeblichen und auch schlüssigen Vortrag des Antragstellers hinsichtlich des Gegenstands des selbständigen Beweisverfahrens Streitgenossinnen (§§ 59, 60 ZPO).
32
Im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens genügt hierfür, dass die Antragsgegnerinnen alternativ oder kumulativ als Verursacher der Mängel in Betracht kommen. Zwar kann das Ergebnis der beantragten Begutachtung dazu führen, dass letztlich nur eine der beiden Antragsgegnerinnen verklagt wird. Solange aber nach dem Vortrag des Antragstellers beide Antragsgegnerinnen als Schadensverursacher in Betracht kommen, kann das selbständige Beweisverfahren gegen sie entsprechend § 60 ZPO als Streitgenossinnen geführt werden (vgl. BayObLG, Beschluss vom 21. August 2002, 1Z AR 82/02, juris Rn. 9; Beschluss vom 1. März 2002, 1Z AR 13/02, juris Rn. 3). Für eine Streitgenossenschaft reicht aus, dass die Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt (BGH NJW 2018, 2200 Rn. 12 m. w. N.).
33
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Durch das selbständige Beweisverfahren soll geklärt werden, ob die verfahrensgegenständlichen Mängel des Pkws auf einem Fehler des von der Antragsgegnerin zu 1) zur Verfügung gestellten Software-Updates beruhen oder durch Fehler der Antragsgegnerin zu 2) bei dem Aufspielen dieses Updates verursacht worden sind.
34
Der Antragsteller hat die mögliche Verantwortlichkeit der Antragsgegnerin zu 1) für die verfahrensgegenständlichen Mängel auch schlüssig dargelegt. Er behauptet, dass Bluetooth-Anbindung und Navigationssystem bis zur Durchführung der Rückrufaktion „…“ ordnungsgemäß funktioniert hätten. Wenn deren Ausfall auf einen Fehler der unstreitig von der Antragsgegnerin zu 1) programmierten und der Antragsgegnerin zu 2) zur Verfügung gestellten Software zurückzuführen sein sollte, hätte die Antragsgegnerin zu 1) den am Pkw des Antragstellers aufgetretenen Schaden adäquat kausal verursacht, ohne dass es in diesem Zusammenhang darauf ankäme, dass das Software-Update nicht von ihr selbst, sondern im Auftrag des Antragstellers von der Antragsgegnerin zu 2) aufgespielt worden ist. Für eine darin liegende Eigentumsverletzung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB würde sie dem Antragsteller bei Vorliegen der weiteren anspruchsbegründenden Voraussetzungen auf Schadensersatz haften.
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Hinsichtlich der Antragsgegnerin zu 2) gilt Entsprechendes, denn der Antragsteller begründet ihre mögliche Verantwortlichkeit damit, dass ihr möglicherweise Fehler im Zuge des Aufspielens des Software-Updates unterlaufen seien.
36
Darauf, ob die tatsächlichen Behauptungen des Antragstellers zutreffen, kommt es im Verfahren der Gerichtsstandsbestimmung nicht an (vgl. BayObLG, Beschluss vom 10. Juni 2020, 1 AR 39/20, juris Rn. 33; Beschluss vom 28. Oktober 1997, 1Z AR 74/97, NJW-RR 1998, 1291 [juris Rn. 4]; Schultzky in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 36 Rn. 28). Dies gilt erst recht, wenn die Bestimmung für ein selbständiges Beweisverfahren erfolgt, wie sich § 485 Abs. 2 Satz 1 ZPO entnehmen lässt, der für die Zuständigkeit, wenn Klage noch nicht erhoben ist, den Vortrag des Antragstellers für allein maßgebend erklärt (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12. September 2022, 101 AR 105/22, juris Rn. 19).
37
e) Zwar ist am allgemeinen Gerichtsstand der Antragsgegnerin zu 2) auch der besondere Gerichtsstand des Delikts für das Verfahren gegen die Antragsgegnerin zu 1) eröffnet, mithin ein gemeinschaftlicher Gerichtsstand für das selbständige Beweisverfahren gegeben. Dies schließt eine Gerichtsstandsbestimmung im vorliegenden Fall allerdings nicht aus, denn ein anderer gemeinsamer Gerichtsstand ist jedenfalls nicht eröffnet und das angerufene - aus Sicht des Senats ohnehin zuständige - Gericht hat Zweifel an seiner Zuständigkeit in Bezug auf die Antragsgegnerin zu 1) zum Ausdruck gebracht.
38
aa) Nach dem im Bestimmungsverfahren maßgeblichen Vortrag des Antragstellers ist das Amtsgericht München für das Verfahren gegen die Antragsgegnerin zu 1) international und örtlich zuständig, weil dort der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) begründet ist.
39
(1) Sind mangels einer vorrangigen internationalen Regelung die Gerichtsstandsnormen der Zivilprozessordnung anwendbar und ist danach die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts gegeben, so besteht bei diesem Gericht aufgrund der Doppelfunktionalität der örtlichen Zuständigkeitsnormen auch die internationale Zuständigkeit; die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit (§§ 12 ff. ZPO) regeln mittelbar auch die Grenzziehung zwischen der Zuständigkeit deutscher und ausländischer Gerichte (vgl. BGH, Urt. v. 29. März 2011, VI ZR 111/10, NJW 2011, 2059 Rn. 6; Urt. v. 2. März 2010, VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 Rn. 7 f.; Urt. v. 8. Januar 1981, III ZR 157/79, BGHZ 80, 1 [juris Rn. 6]). In einem solchen Fall ist für Klagen aus Delikt ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Parteien und ihren Wohnort die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gegeben, wenn entweder der Handlungs- oder der Erfolgsort im Inland liegt (BGH NJW 2011, 2059 Rn. 7; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2020, Rn. 1500).
40
Im vorliegenden Fall werden die nationalen Zuständigkeitsvorschriften nicht durch diejenigen der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über Zivil- und Handelssachen (Brüssel-Ia-VO) verdrängt. Denn die allein in Betracht kommende Regelung des Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO ist in Bezug auf die im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland ansässige Antragsgegnerin zu 1) nicht mehr anwendbar. Die Vorschrift setzt nach ihrem Eingangssatz voraus, dass die Person auf der Passivseite des gerichtlichen Verfahrens ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat (vgl. auch Thode in BeckOK ZPO, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rn. 69). Diese Voraussetzung ist in Bezug auf die Antragsgegnerin zu 1) aufgrund des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union mit Wirkung zum 31. Januar 2020 nicht erfüllt; die vereinbarte Übergangsphase ist am 31. Dezember 2020 ausgelaufen (vgl. Staudinger in Rauscher, EuZPR - EuIPR, 5. Aufl. 2021, Einl. Brüssel Ia-VO Rn. 6h Fußnote 239). Der Antrag des Antragstellers auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens ist erst am 7. Dezember 2021 beim Amtsgericht München eingereicht worden.
41
Mit Verbalnote vom 29. Januar 2021 hat das Vereinigte Königreich mitgeteilt, dass auch das Brüsseler Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (EuGVÜ) für sein Gebiet nicht weiter gelte (vgl. BT-Drs. 19/27550 S. 2). Am 8. April 2021 hat das Vereinigte Königreich einen Antrag auf Beitritt als eigenständige Vertragspartei zum Lugano Abkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007 gestellt (vgl. a. a. O.); ein Beitritt ist aber bislang nicht erfolgt. Nach deutscher Ansicht hat mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union das deutsch-britische Abkommen über den Rechtsverkehr vom 20. März 1928 (RGBl. II S. 623) seine Wirkung zurückerlangt (vgl. BT-Drs. 19/27550 S. 2), das allerdings keine Regelung der gerichtlichen Zuständigkeit enthält, weshalb hierfür die Vorschriften des jeweiligen nationalen Rechts gelten.
42
(2) Gemäß § 32 ZPO ist für Klagen aus unerlaubter Handlung das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist. Begehungsort der deliktischen Handlung ist dabei sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort, weshalb eine Zuständigkeit wahlweise dort gegeben ist, wo die Verletzungshandlung begangen wurde, oder dort, wo in ein geschütztes Rechtsgut eingegriffen wurde (vgl. BGH, Urt. v. 2. März 2010, VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 Rn. 8).
43
Zur Begründung der Zuständigkeit nach § 32 ZPO genügt es, wenn der Kläger bzw. Antragsteller schlüssig Tatsachen behauptet, aus denen sich eine im Gerichtsbezirk begangene unerlaubte Handlung ergibt (BGH NJW 2011, 2059 Rn. 7 m. w. N.). Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt.
44
Der Antragsteller behauptet, dass die an seinem Pkw aufgetretenen Mängel in der Werkstatt der Antragsgegnerin zu 2) in München verursacht worden seien. Ursache sei entweder die fehlerhafte Programmierung des von der Antragsgegnerin zu 1) zur Verfügung gestellten Software-Updates oder ein Fehler der Antragsgegnerin zu 2) bei dessen Aufspielung. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts hat der Antragsteller mit diesem Vorbringen sowohl eine mögliche Beschädigung seines Eigentums am Pkw als auch eine mögliche deliktische Haftung der Antragsgegnerin zu 1) hierfür hinreichend dargelegt. Denn eine Eigentumsverletzung kann nicht nur eigenhändig oder durch eigene Mitarbeiter begangen werden. Das mögliche, eine Schadensersatzpflicht auslösende Fehlverhalten der Antragsgegnerin zu 1) liegt nach dem Vorbringen des Antragstellers in der Bereitstellung eines fehlerhaften Software-Updates, das mit dem Aufspielen durch arglose Mitarbeiter der Antragsgegnerin zu 2) seine eigentumsschädigende Wirkung entfaltet habe.
45
Nicht zu folgen ist auch der Annahme des Amtsgerichts, der Vortrag alternativ möglicher Ursachen stehe einer schlüssigen Darlegung der Voraussetzungen einer Haftung der Antragsgegnerin zu 1) aus Delikt entgegen. Wegen der Besonderheiten des selbständigen Beweisverfahrens, das gemäß § 585 Abs. 2 Nr. 2 ZPO unter anderem gerade der Feststellung der Ursache eines Sachschadens oder -mangels dient, genügt zur Begründung des Gerichtsstands des Delikts, dass der Antragsteller die Voraussetzungen einer unerlaubten Handlung durch die Antragsgegnerin zu 1) als mögliche Schadensverursacherin nachvollziehbar vorgetragen hat.
46
bb) Eine Bestimmung des einheitlich zuständigen Gerichts ist - trotz Bestehens eines gemeinsamen Gerichtsstands - auch dann statthaft, wenn das angerufene und zuständige Gericht bereits zu erkennen gegeben hat, dass es seine örtliche Zuständigkeit für das Verfahren gegen einen der Streitgenossen verneinen möchte (vgl. BGH NJW 2018, 2200 Rn. 15; BayObLG, Beschluss vom 29. März 2021, 101 AR 16/21, juris Rn. 44; Beschluss vom 18. Juli 2019, 1 AR 52/19, NZI 2019, 732 [juris Rn. 22]; OLG Hamm, Beschluss vom 2. Januar 2019, 32 SA 60/18, juris Rn. 20; Beschluss vom 22. August 2016, 32 SA 41/16, NJW-RR 2017, 94 Rn. 14).
47
3. Die Auswahl unter den in Betracht kommenden Gerichten erfolgt nach den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und der Prozessökonomie. Auszuwählen ist grundsätzlich eines der Gerichte, an dem die Antragsgegnerinnen ihren allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 17 ZPO) haben oder, wenn sie im Inland über keinen allgemeinen Gerichtsstand verfügen, ein besonderer Gerichtsstand eröffnet ist (vgl. auch Toussaint in BeckOK, ZPO, § 36 Rn. 21, 24).
48
Der Senat bestimmt das Amtsgericht München als das für beide Antragsgegnerinnen zuständige Gericht. Dieses Gericht ist bereits aufgrund der bestehenden Zuständigkeitsnormen für das Verfahren insgesamt zuständig, denn dort hat die Antragsgegnerin zu 2) ihren allgemeinen Gerichtsstand und ist hinsichtlich der Antragsgegnerin zu 1) der Gerichtsstand des Delikts eröffnet. Die Bestimmung eines anderen Gerichts scheidet daher unabhängig davon aus, ob für die Antragsgegnerin zu 1) auch beim Amtsgericht Königstein im Taunus ein Gerichtsstand eröffnet wäre, zumal der Antragsteller eine etwaige Wahlmöglichkeit nach § 35 ZPO mit der Anrufung des Amtsgerichts München bindend ausgeübt hätte.