Titel:
Elferratssitzungen erfüllen die gleichen kulturellen Aufgaben wie Theater in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft
Normenketten:
UStG § 4 Nr. 20 lit. a S. 1, S. 2
AO § 171 Abs. 10 S. 1
Leitsätze:
1. Eine Faschingsgesellschaft die Elferratssitzungen veranstaltet hat einen Anspruch auf die Erteilung einer Bescheinigung, mit der sie von der Umsatzsteuerpflicht befreit wird, weil sie die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in § 4 Nr. 20 lit. a S. 1 UStG bezeichneten Einrichtungen juristischer Personen des öffentlichen Rechts erfüllt. (Rn. 16 – 43) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 lit. a S. 2 UStG ist ein Grundlagenbescheid iSv § 171 Abs. 10 S. 1 AO. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch wenn die Kernaufgabe aller in § 4 Nr. 20 lit. a S. 1 UStG aufgeführten Einrichtungen das öffentliche Zugänglich machen von Kultur ist, reicht dies allein für eine Steuerbefreiung nicht aus. (Rn. 23 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Programm der Elferratssitzungen erfüllt die gleichen kulturellen Aufgaben wie Theater in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft. (Rn. 26 – 35) (redaktioneller Leitsatz)
5. Dass Elferratssitzungen als Teilaspekt (auch) der Brauchtumspflege der Fastnacht dienen und mithin eine weitere bedeutende kulturelle Aufgabe erfüllen, ist unschädlich, da hierfür allein keine Umsatzbefreiung nach § 4 Nr. 20 lit. a UStG gewährt wird. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bescheinigung für Umsatzsteuerbefreiung, Umsatzsteuerbefreiung für Faschingsgesellschaft, gleiche kulturelle Aufgaben wie in § 4 Nr. 20 Buchst. a) Satz 1 bezeichnete Einrichtungen juristischer Personen des öffentlichen Rechts, Theater, Elferratssitzungen, Faschingsgesellschaft, Gleichartigkeitsbescheinigung, Umsatzsteuerbefreiung, kulturelle Aufgaben
Fundstelle:
BeckRS 2023, 40047
Tenor
I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids der Regierung von Niederbayern vom 1. März 2023 dazu verpflichtet, der Klägerin rückwirkend ab dem 1. Januar 2015 eine Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a) UStG für die Veranstaltung von Elferratssitzungen auszustellen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin, eine Faschingsgesellschaft, begehrt die Ausstellung einer Gleichartigkeitsbescheinigung zur Umsatzsteuerbefreiung.
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1. Am 10. Februar 2023 beantragte die Klägerin eine Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG für ihre Elferratssitzungen.
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In einem Telefonat am 16. Februar 2023 teilte die Regierung von Niederbayern der Klägerin mit, Elferratssitzungen würden nicht unter den § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG fallen, da es sich um kein Theater bzw. keine Theateraufführung wie sie von einer Einrichtung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts durchgeführt würde, handle. Für eine Veranstaltung könne keine Bescheinigung erteilt werden, sondern nur für die Solisten und Ensembles, die auftreten würden. Das Auftreten der Faschingsgarde sei nicht vergleichbar mit den Tänzen/Ballett, welche unter den § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG fielen, und die auftretenden Musikensembles (R.-K.-O., welches zum Schunkeln auffordere) seien Partybands. Die Musik sei nicht Hauptzweck der Veranstaltung und liefere den musikalischen Rahmen, um sich unterhalten, zu feiern und zu tanzen. Ordensverleihungen fielen auch nicht unter den § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG. Der Klägerin wurde Gelegenheit gegeben sich dazu zu äußern. Sie hielt ihren Antrag aufrecht.
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2. Mit Bescheid vom 1. März 2023 lehnte die Regierung von Niederbayern die Erteilung einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a) Satz 1 (gemeint wohl Satz 2) UStG für die Klägerin ab (Nr. 1). Der Klägerin wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt und eine Gebühr i. H. v. 100,00 EUR festgesetzt (Nr. 2).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Auftritte im Rahmen der Elferratssitzungen der Klägerin würden nicht die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG genannten Orchester, Kammermusikensembles und Chöre der öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften erfüllen. Diese würden sich bei Veranstaltungen typischerweise in Form von Konzerten an die breite Öffentlichkeit wenden, wobei die musikalischen Darbietungen den Hauptzweck der jeweiligen Veranstaltung bilden würde. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein anderer Unternehmer die gleichen kulturellen Aufgaben erfülle, sei es deshalb nicht ausreichend, dass überhaupt kulturelle Aufgaben wahrgenommen würden. Nach dem erkennbaren Sinn der Vorschrift sei vielmehr darauf abzustellen, ob in vergleichbarer Weise regelmäßig öffentlich zugängliche musikalische Veranstaltungen durchgeführt würden. Die musikalische Darbietung müsse dabei den Hauptzweck darstellen. Dies sei bei den Elferratssitzungen aber nicht der Fall. Für die Teilnahme an den Elferratssitzungen sei vielmehr das Interesse, sich allgemein zu unterhalten, zu schunkeln oder beim Tanzen zu vergnügen, ausschlaggebend. Auch die dargebotenen Aufführungen der Tanzgarde würden nicht die Voraussetzungen einer Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG erfüllen. Die im Antrag angegebenen Aufführungen (wie z. B. das R.-K.-Orchester mit der Schunkelfolge, der Gardeauftritt, die Ordensverleihung) seien lediglich Leistungen, die nur eine dem Veranstaltungszweck dienende Funktion hätten. Es handle sich hierbei ebenfalls um ein Unterhaltungsprogramm. Von Körperschaften des öffentlichen Rechts würden solche Einrichtungen zur allgemeinen Unterhaltung nicht betrieben. Bei den Elferratssitzungen würden daher nicht gleiche, sondern andere kulturelle Aufgaben erfüllt.
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Hiergegen ließ die Klägerin am 29. März 2023 Klage erheben und zur Begründung im Wesentlichen vortragen, sie habe einen Anspruch auf die Erteilung einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 a) UStG. Sie sei ein nichts rechtsfähiger Verein, dessen Vereinsgegenstand die Brauchtumspflege der Fränkischen Fastnacht und der Fränkischen Mundart sei. Dieser Zweck werde durch die jährlich wiederkehrende Veranstaltung von Elferratssitzungen erreicht. Hierbei würden karnevalstypische Darbietungen in Form von Büttenreden, Tanz- und Gesangseinlagen sowie Laientheaterspiel aufgeführt. Dabei werde die Veranstaltung von einer Sitzungskapelle begleitet und unterstützt. Dem Ganzen käme eine künstlerische Qualität zu, welche durch zahlreiche Auszeichnungen des Fastnachts-Verbands-Franken bestätigt werde, welche nur langjährigen, um die Brauchtumspflege äußerst verdienten Mitgliedern zuteil würden. Auch trete mit M. M. regelmäßig ein herausragender Künstler der fränkischen Fastnacht im Rahmen der Elferratssitzungen auf. Die Elferratssitzungen würden nicht lediglich der allgemeinen Unterhaltung, dem Vergnügen und dem Tanz dienen, sondern kulturellen Zwecken. Sie würden daher die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllen wie diejenigen Veranstaltungen, welche von den Theatern, Orchestern, Kammermusikensembles und Chören der öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften angeboten und durchgeführt würden. Hauptzweck der Veranstaltung sei entgegen der Annahme des Beklagten nicht die „allgemeine Unterhaltung“. Insoweit könne nicht allein die musikalische Darbietung der Maßstab sein, da kein Theater musikalische Darbietungen als Hauptzweck habe, sondern der Schwerpunkt auf künstlerisch-schauspielerischem Gebiet liege. Das Programm der Elferratssitzungen enthalte überwiegend künstlerische Elemente, welche weder dazu dienen noch dazu einladen würden, zu schunkeln oder zu tanzen. Allein während Umbauarbeiten auf der Bühne bzw. zur Überbrückung von Unterbrechungen zwischen einzelnen Auftritten würde auch geschunkelt. Keinesfalls während der einzelnen Auftritte. Diese „Pausenfüller“ könnten der Veranstaltung jedoch nicht ihr maßgebliches Gepräge als Mischung aus Laientheater und Gesangs-, Tanz- bzw. Schauspieldarbietungen nehmen. Falsch sei ferner, dass die Veranstaltungen der Klägerin nicht regelmäßig stattfinden würden. Seit 1966 – mit Ausnahme von 1991 wegen des Irak-Kriegs und coronabedingt 2021 und 2022 – seien während der Faschingszeit stets karnevalistische, der Brauchtumspflege der fränkischen Fastnacht dienende Veranstaltungen abgehalten worden. Es sei der Klägerin – insbesondere in Hinblick auf den der Brauchtumspflege dienenden Veranstaltungszweck – nicht anzulasten, dass entsprechende Veranstaltungen nur während der Faschingszeit und nicht ganzjährig dargeboten würden. Es sei die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu berücksichtigen, nach der zu den in § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG nicht näher beschriebenen Umsätzen der Theater nur Leistungen gehören würden, die für den Betrieb eines Theaters typisch seien. Nach dem BFH sei der Tatbestand nicht erfüllt, wenn sich ein Leistungsbündel aus künstlerischer Unterhaltung und kulinarischer Versorgung der Gäste in der Gesamtschau eines Durchschnittsverbrauchers als einheitlicher (komplexer) Umsatz darstelle. Eine derartige Leistung unterliege der Regelbesteuerung auch dann, wenn die Qualität der Darbietung höher sei als die Qualität der Speisen. Sie sei daher der Ansicht, dass dies den Umkehrschluss zulasse, dass künstlerische Unterhaltung und kulinarische Versorgung theatertypisch seien, solange sich das Leistungsbündel in der Gesamtschau eines Durchschnittsverbrauchers nicht als einheitlicher (komplexer) Umsatz darstelle. Dann sei der Tatbestand des § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG erfüllt bzw. anwendbar. Dies sei vorliegend der Fall. Die künstlerischen Leistungen seien der Hauptbestandteil der Veranstaltung. Die Bewirtungsleistungen seien allenfalls Nebenleistungen – wie bei anderen Theater- oder Kulturveranstaltungen üblich – weil die künstlerischen Leistungen den eigentlichen Zweck der Veranstaltung bilden würden. Niemand komme allein zum Essen zu der Veranstaltung. Es sei Besuchern zudem möglich nur die künstlerischen Leistungen in Anspruch zu nehmen, weil mit dem Kauf der Eintrittskarte neben der Eintrittsberechtigung – anders als im vom BFH entschiedenen Fall – nicht zugleich auch die Berechtigung zum Verzehr vom Speisen und Getränken erworben würde. Letztere müssten – sofern gewünscht – gesondert gewählt und gekauft werden. Ein Leistungskomplex aus untrennbar miteinander verbundenen kulinarischen und kulturellen Leistungen liege daher nicht vor. Dass die künstlerische Leistung Hauptleistung und die Bewirtung Nebenleistung sei, werde auch dadurch belegt, dass die Bewirtung aus der Veranstaltung entfernt oder weggedacht werden könne, ohne dass sich am eigentlichen Programm etwas ändere. Zudem gingen die Bewirtungsleistungen – aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers – vollständig in der künstlerischen Leistung auf. Die Klägerin betreibe daher eine dem Theater gleichartige Einrichtung, die die gleichen kulturellen Aufgaben erfülle.
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2. Mit Schriftsatz vom 4. Mai 2023 erwiderte die Regierung von Niederbayern im Wesentlichen, die Klage sei unbegründet, da der Ablehnungsbescheid vom 1. März 2023 rechtmäßig sei. Sie wiederholte die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und führte weitergehend aus, das bloße Vorliegen einer kulturellen Veranstaltung reiche alleine nicht aus, um die Voraussetzungen des § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG zu erfüllen. Dies zeige schon die Tatsache, dass für kulturelle Veranstaltungen (u. a. Karnevalsveranstaltungen) eine ermäßigte Umsatzsteuer von 7% gem. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a) UStG gelte, wenn die kulturelle Veranstaltung im Rahmen eines Zweckbetriebs aufgeführt werde. Es sei im Rahmen der Bewertung, ob eine kulturelle Aufgabe im Sinne des § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG vorliege, daher auch unerheblich, ob die künstlerische Qualität durch Auszeichnungen nachgewiesen worden sei, wenn die ausgeübte Tätigkeit nicht den Voraussetzungen des § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG entspreche. Der Umkehrschluss der Klägerin aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 10. Dezember 2020 – V R 39/18 sei unzutreffend. Das bloße Vorliegen von trennbaren Leistungsbestandteilen (hier künstlerische Leistung einerseits und Bewirtschaftungsleistung andererseits) führe nicht zu einer automatischen Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG. Vielmehr sei es in einem solchen Fall lediglich möglich eine Umsatzsteuerbefreiung zu erteilen, wenn die Voraussetzungen des § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG für die künstlerische Leistung vorlägen.
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3. Mit weiterem Schreiben vom 12. Mai 2023 ließ die Klägerin entgegnen, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Beklagte die Veranstaltung der Klägerin einzig mit solchen der Orchester, Kammermusikensembles und Chöre öffentlich-rechtlicher Gebietskörperschaften messe und vergleiche. Die Veranstaltung der Klägerin sei überwiegend schauspielerisch-künstlerisch geprägt und daher mit dem ebenfalls in § 4 Nr. 20 a) UStG aufgeführten „Theater“ vergleichbar. Nur weil die musikalischen Darbietungen im Rahmen der Veranstaltung nicht im Mittelpunkt stünden, führe dies nicht dazu, dass sie die Voraussetzungen des § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG nicht erfüllen würden. Ferner könne kein Zweifel daran bestehen, dass sich die Veranstaltung der Klägerin an eine breite Öffentlichkeit wende, so werde sie z.B. in der lokalen Presse und über die Homepage öffentlich beworben. Dazu, dass es sich nicht um eine reine Vergnügungsveranstaltung zum Unterhalten, Tanzen und Schunkeln handle, legte die Klägerin mehre Presseberichte vor und verwies auf weitere auf ihrer Homepage veröffentlichte Artikel. In diesen sei nirgends auch nur ansatzweise die Rede davon, dass die Veranstaltung primär dem Tanz oder dem Schunkeln gedient hätte. Der Verweis auf die Rechtsprechung des FG RhPf (U.v. 27.5.2010, Az. 6 K 1104/09) gehe fehl. Eine Besteuerung – auch mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz – sei überhaupt nur dann denkbar, wenn die Veranstaltung nicht die Voraussetzungen des § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG erfülle. Letzteres sei eine Einzelfallentscheidung. Wenn der der Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz zugrundeliegenden Karnevalsveranstaltung die Umsatzsteuerbefreiung bzw. die Erteilung der Bescheinigung zu versagen gewesen sei, sei die Besteuerung mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz konsequent. Indes gelte es die Prüfungsreihenfolge zu beachten. Wenn eine Bescheinigung nach § 4 Nr. 20a UStG zu erteilen sei, erfolge überhaupt keine Besteuerung, auch nicht mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz, weshalb das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vorliegend keine Relevanz habe.
4. Der Beklagte trug mit Schriftsatz vom 7. November 2023 ergänzend vor, auch wenn man die Gleichartigkeit am Maßstab von Theatern vornehme, könne dies eine Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG nicht tragen. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Elferratssitzungen als öffentliche Vereinsveranstaltungen geselliger Art dem Tatbestandsmerkmal des „Theaters“ i. S. d. § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG unterfallen würden. Die Aufgabe eines Theaters bestehe – neben der Unterhaltungsfunktion – darin, der Öffentlichkeit Theaterstücke in künstlerischer Form nahezubringen. Es fehle an der Interpretation eines Werks mit dramatischer Handlung, das die Grundlage für eine gedankliche Auseinandersetzung des Publikums bilden könnte. Vielmehr würden vielfältige Darbietungen aneinandergereiht, deren unterhaltender Charakter den „roten Faden“ bilde, was eher den Nummern eines Varieté- oder Zirkusprogramms ähnele als der szenischen Darstellung eines Theaterstücks. Selbst wenn man Veranstaltungen wie die Elferratssitzungen als vom Theaterbegriff des § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG umfasst sähe, würde die Umsatzsteuerbefreiung jedenfalls an der von der Norm geforderten Erfüllung gleicher Aufgaben scheitern, wie entsprechende Einrichtungen juristischer Personen des öffentlichen Rechts sie erfüllen. Denn die Abhaltung karnevalistischer Veranstaltungen stelle keine öffentliche Aufgabe dar, mit der ein Vergleich angestellt werden könne. Landesweit würden kulturelle Veranstaltungen dieser Art vom ehrenamtlichen Engagement zahlreicher Karnevals-, Fastnachts- und Faschingsvereine getragen, nicht von der öffentlichen Hand im Sinne einer „kulturellen Daseinsvorsorge“.
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5. In der mündlichen Verhandlung am 10. November 2023 beantragte der Klägerbevollmächtigte für die Klägerin,
der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids der Regierung von Niederbayern vom 1. März 2023 verpflichtet, der Klägerin rückwirkend ab dem 1. Januar 2015 eine Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a) UStG für die Veranstaltung von Elferratssitzungen auszustellen.
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Der Beklagtenvertreter beantragte,
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6. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist begründet, da die Klägerin einen Anspruch auf die Erteilung der begehrten Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a) Satz 2 UStG für die Veranstaltung ihrer Elferratssitzungen hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Die Klage ist als Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage (§ 42 Abs. 1 Halbsatz 2 Alt. 1 VwGO) bezüglich der beantragten Bescheinigung statthaft, weil sich die Erteilung der Bescheinigung als selbständiger Verwaltungsakt darstellt (vgl. BFH, U.v. 3.5.1989 – V R 83/84 – juris Rn. 15) und auch im Übrigen zulässig.
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Die Klage ist begründet.
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Der Bescheid der Regierung von Niederbayern vom 1. März 2023 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO).
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Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung der von ihr begehrten Bescheinigung, da sie mit der Veranstaltung ihrer Elferratssitzungen die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in § 4 Nr. 20 Buchst. a) Satz 1 UStG bezeichneten Einrichtungen juristischer Personen des öffentlichen Rechts erfüllt.
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Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG unterliegen die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt, der Umsatzsteuer. Unternehmer ist, wer gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird (§ 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 UStG).
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Nach § 4 Abs. 1 Nr. 20 Buchst. a) Satz 1 UStG sind von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallenden Umsätzen die Umsätze bestimmter Einrichtungen des Bundes, der Länder und der Gemeinden oder der Gemeindeverbände (u.a. Theater, Orchester, Kammermusikensembles und Chöre) steuerfrei. Gemäß § 4 Nr. 20 Buchst. a) Satz 2 UStG gilt das Gleiche für die Umsätze gleichartiger Einrichtungen anderer Unternehmer, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in Satz 1 bezeichneten Einrichtungen erfüllen.
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Für das Bescheinigungsverfahren für Theater, Orchester, Kammermusikensembles und Chöre, botanische und zoologische Gärten sowie Tierparks ist in Bayern die Regierung von Niederbayern zuständig (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Zuständigkeitsverordnung – ZustV – vom 16. Juni 2015, BayRS 2015-1-1-V).
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Die Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a) Satz 2 UStG ist ein Grundlagenbescheid im Sinne von § 171 Abs. 10 Satz 1 AO. Die zuständige Landesbehörde prüft dabei allein, ob der andere Unternehmer die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in § 4 Nr. 20 Buchst. a) Satz 1 UStG bezeichneten Einrichtungen erfüllen – hier insbesondere die eines Theaters einer juristischen Person des öffentlichen Rechts. Ein Handlungsermessen verbleibt ihr insoweit nicht (BVerwG, U.v. 4.5.2006 – 10 C 10/05 – juris Rn. 19). Die Beurteilung der übrigen Voraussetzungen für eine Befreiung von der Umsatzsteuer nach § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG, insbesondere, ob die Klägerin eine gleichartiger Einrichtung ist, obliegt der Finanzverwaltung, die insoweit der vollen Kontrolle der Finanzgerichte unterliegt (vgl. BVerwG, Ue. v. 11.10.2006 – 10 C 7/05 – juris Rn. 21 ff., – 10 C 4/06 – juris Rn. 14ff., 10.5.2006 – 10 C 10/05 – juris Rn. 13 f. m.w.N.; BayVGH, B.v. 18.9.2007 – 21 B 06.978 – juris Rn. 4). Vorliegend ist daher allein die Frage der Erfüllung der gleichen kulturellen Aufgaben streitgegenständlich.
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Die Klägerin erfüllt nach Überzeugung des erkennenden Gerichtes durch die Veranstaltung ihrer Elferratssitzungen die gleichen kulturellen Aufgaben wie insbesondere ein Theater der in § 4 Nr. 20 Buchst. a) Satz 1 UStG bezeichneten Gebietskörperschaften.
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Auch wenn § 4 des UStG keine Definition des Begriffs „gleichen kulturellen Aufgaben“ enthält, ist dieser nicht unbestimmt. Im Steuerrecht ist dem Erfordernis der Normenklarheit, mithin, dass grundrechtsrelevante Vorschriften in ihren Voraussetzungen und ihrem Inhalt so klar formuliert sind, dass die Rechtslage für den Betroffenen erkennbar ist und er sein Verhalten danach einrichten kann, genügt, wenn der Gesetzgeber die wesentlichen Bestimmungen über die Steuer mit hinreichender Genauigkeit trifft. Da sich angesichts der Vielgestaltigkeit und Kompliziertheit der zu erfassenden Vorgänge die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe nicht vermeiden lässt, ist dem Erfordernis der Normenklarheit Rechnung getragen, wenn auftauchende Zweifelsfragen sich mit Hilfe anerkannter Auslegungsregeln beantworten lassen (vgl. BVerwG, U.v. 11.10.2006 – 10 C 4/06 – juris). Dies ist hier der Fall. Für die Frage, wann andere Einrichtungen die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllen, wurden – in Bezug auf die einzelnen in § 4 Nr. 20 Buchst. a) Satz 1 UStG benannten Einrichtungen – verschiedene Kriterien entwickelt.
23
Verallgemeinernd kann festgestellt werden, dass die Kernaufgabe aller in § 4 Nr. 20 Buchst. a) Satz 1 UStG aufgeführten Einrichtungen juristischer Personen des öffentlichen Rechts, Kultur öffentlich zugänglich zu machen, ist (vgl. Frye in Rau/Dürrwächter, UStG, 206. Lfg., 10/2023, § 4 Rn. 174). Erfüllen Einrichtungen anderer Unternehmen dieses Gemeinwohlinteresse ebenfalls, kann dies eine Umsatzsteuerbefreiung entsprechend den Einrichtungen der öffentlichen Hand rechtfertigen (vgl. Wäger in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, 188. Ergänzungslieferung 11/2023, § 4 Nr. 20 Rn.111).
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Allein, Kultur öffentlich zugänglich zu machen, ist jedoch nicht bereits ausreichend, da § 4 Nr. 20 Buchst. a) Satz 1 UStG nicht allgemein alle kulturelle Einrichtungen der öffentlichen Hand von der Umsatzsteuerpflicht befreit, sondern konkretisiert, welche speziellen kulturellen Einrichtungen unter die Befreiung fallen. Auch wenn der Begriff der gleichen kulturellen Aufgaben in § 4 Nr. 20 Buchst. a) Satz 2 UStG keinen ausdrücklichen Bezug zu Theateraufführungen oder zu der Aufgabenerfüllung durch die sonstigen Einrichtungen, die in dieser Vorschrift genannt sind, enthält (BayVGH, U.v. 18.9.2007 – 21 B 06.978 – juris LS), kann er daher gleichwohl nicht vollkommen losgelöst von den jeweiligen in Satz 1 benannten Einrichtungen juristischer Personen des öffentlichen Rechts ausgelegt und angewandt werden. Nur durch Ermittlung der kulturellen Aufgaben dieser Einrichtungen kann festgestellt werden, ob die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllt werden.
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Als Theater im Sinne des § 4 Nr. 20 Buchst. a) Satz 1 UStG wird in der Rechtsprechung die Gesamtheit der darstellenden Künste, insbesondere durch Schauspiel, Oper, Ballett, Operette und Musical verstanden. Die Frage, ob ein Theater die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllt wie die entsprechenden Theater der Gebietskörperschaften, ist insbesondere unter Berücksichtigung der Programmgestaltung, der Zielsetzung und des Wirkungsbereichs des jeweiligen Theaters zu beantworten. Theater ist also der Sammelbegriff der für Zuschauer bestimmten Darstellungen eines in Szene gesetzten Geschehens, also jede szenische Darstellung eines äußeren oder inneren Geschehens und die künstlerische Kommunikation zwischen Darstellern und Zuschauern. Theater erfüllt sich in der Menschengestaltung der Schauspieler, bewegt die Gefühle und Gedanken der Zuschauer. Dies zu gewähren, stellt daher die kulturelle Aufgabe von Theatern i. S. d. § 4 Nr. 20 Buchst. a) Satz 1 UStG dar. Dabei ist es ausreichend, dass ernst zu nehmende Aufführungen geboten werden (vgl. BayVGH U.v. 18.9.2007 – 21 B 06.978 – juris). Kennzeichnend für die Erfüllung der gleichen kulturellen Aufgaben ist weiterhin, dass sie sich in der Regel an eine unbestimmte Zahl von Zuschauern wenden und die Aufgabe haben, der Öffentlichkeit Theaterstücke in einer Form und auf einer Ebene nahezubringen, die eine Auseinandersetzung mit dem aufgeführten Stück erlaubt, zum Nachdenken anregt und unterhält. Das künstlerische Niveau muss dabei nicht den professionell ausgebildet Mitwirkenden öffentlich-rechtlicher Theater entsprechen. Darüber hinaus ist von einer gleichen kulturellen Aufgabenerfüllung auszugehen, wenn ein gleicher oder ähnlicher Zuschauerkreis im öffentlichen Raum erreicht wird (vgl. BVerwG B.v. 31.7.2008 – 9 B 80/07- juris).
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Unter Zugrundelegung dieser Kriterien erfüllen die von der Klägerin zweimal jährlich veranstalteten Elferratssitzungen nach Überzeugung des Gerichts im streitgegenständlichen Einzelfall die gleichen kulturellen Aufgaben wie Theater in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft.
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Das Programm der Elferratssitzungen der Klägerin besteht aus einer, in ein jährlich wechselndes Thema eingebetteten, Aneinanderreihung mehrerer Laientheaterstücke, Büttenreden sowie Tanz- und Gesangseinlagen und wird – insbesondere in den (Umbau) Pausen zwischen den verschiedenen Darbietungen – von einer Sitzungskapelle begleitet. Da auch bei einer Aneinanderreihung kürzerer, für Zuschauer bestimmter Darstellungen eines äußeren oder inneren Geschehens zu einem längeren thematischen Programm eine künstlerische Kommunikation zwischen Darstellern und Zuschauern erfolgen kann, die eine Auseinandersetzung mit dem Aufgeführten erlaubt und zum Nachdenken anregt und unterhält, können und werden auch hierdurch die gleichen kulturellen Aufgaben wie von Theatern der öffentlichen Hand erfüllt.
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Denn dem klägerischen Vortrag, den vorgelegten Programmen der beiden Elferratssitzungen aus dem Jahr 2023 sowie Presseberichten lässt sich entnehmen, dass es sich insbesondere bei den Laientheateraufführungen der „Aktionsgruppe“ und den Darbietungen einzelner Darsteller um die künstlerische, szenische Auseinandersetzung mit aktuellem – (lokal) politischen und gesellschaftlichen – Geschehen handelt, welches die Zuschauer unterhält und zu einer Auseinandersetzung mit dem Aufgeführten anregt. Die „Aktionsgruppe“ führt kurze – selbst erarbeitete – Stücke auf, in denen aktuelle (lokalpolitische) Themen verarbeitet und szenisch dargestellt werden. So wurde 2020 kostümiert eine Szene im Wartezimmer des „Dr. S., der Medikuss“, in der sich u.a. der – von einem Mitglied der Gruppe dargestellte – Oberbürgermeister, nachdem er „verröchelt“ hereingeschoben wurde, sicherheitshalber wieder selbst entließ, sowie die Suche des als Fliegenpilz auf Stelzen dargestellten Oberbürgermeister nach sich selbst, bei der dieser durch den finsteren Wald irrte und dort einigen Schreckensbildern – bekannten Lokalgrößen – begegnete, aufgeführt (vgl. „Elferratssitzung in G.“ vom 10.2.2020, S. Zeitung und https://www. … zuletzt aufgerufen am 19.12.23). Dass diese Aufführungen die gleichen kulturellen Aufgaben wie die Theater der öffentlichen Hand erfüllen, ist offenkundig.
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Das Programm der Elferratssitzungen beinhaltet darüber hinaus Auftritte von Einzeldarstellern, in denen diese Darstellungen auf eine Art und Weise auf die Bühne bringen, die eine Auseinandersetzung mit dem Aufgeführten erlauben, zum Nachdenken anregen und unterhalten. So wurde beispielsweise 2020 die Visite einer Oberschwester durch die Privatstation der „S.-… K.“ inszeniert, mit schweren Fällen von Lokalpolitikern, die aus „Verlierensangst“ ihre Karriere beendeten, unter Minderwertigkeitskomplexen litten und nach Jahren als Befehlsempfänger des Oberbürgermeisters endlich eigene Ideen verwirklichen wollten, noch nicht diagnostiziert waren, aber offenbar Oberbürgermeister werden wollten oder unter unkontrollierbaren Narzissmus-Schübe litten, die sie glauben machten, ohne sie habe Bad K. keine Zukunft. Weiter wurde der graumelierte „Schönheitschirurg Prof. Dr. M.“ dargestellt, der während seines Auftritts lokalen Größen Diagnosen stellte, wie dem Stadtrat, der wegen Dauerschlafs und verlorener Widerrede an hängenden Augenlidern und Sprechstörungen leide, und der sich über die lokalen Größen inhaltlich mit lokalen Problemfällen wie einem umstrittenen Kreisverkehr, einem Pseudospatenstich zur Sanierung einer Straße bis zu den Investitions- und Bauruinen auseinandersetzte (vgl. „Elferratssitzung in G.“ vom 10.2.2020, a.a.O.).
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2023 trat ein „UNESCO-Baukontrolleur“, der Ruinen und „Fastruinen“ fand, die dem Weltkulturerbe schaden könnten, eine Corona-Vire, die von seinem Niedergang und ihrem ewigen Feind L. berichtete sowie eine Tierpflegerin des Affenhauses auf (vgl. „… … … … … … … … … …, zuletzt aufgerufen am 19.12.23).
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Hinzu kommen Büttenreden und satirische Jahresrückblicke, die sich wie die vorgenannten Auftritte von Einzeldarstellern auf humorvolle Art und Weise mit jeweils aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen auseinandersetzten (vgl. hierzu genauer die Ausführungen in den Zeitungsartikeln „G. wird zum Affenhaus“ vom 6.2.2023 und „Elferratssitzung in G.“ vom 10.2.2020, S. Zeitung) und hierdurch ebenso wie Theaterstücke ein äußeres oder inneres Geschehen in einer künstlerischen Form darboten, welche die Auseinandersetzung des Publikums mit dem Aufgeführten erlaubte und dieses sowohl zum Nachdenken anregte und es unterhielt.
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Selbst wenn man einzelnen Darbietungen, wie den Büttenreden, das szenische Element absprechen würde, würde dies nicht dazu führen, dass hierdurch nicht die gleichen kulturellen Aufgaben wie durch Theater juristischer Personen des öffentlichen Rechts erfüllt würden. Denn auch diese bieten ihrem Publikum vergleichbare satirische, kabarettistische Jahresrückblicke und erfüllen hierdurch ihre kulturellen Aufgaben. So findet sich im Programm des Stadttheater A. „T.! – Der satirische Jahresrückblick“ des Kabarettisten Ur. P. und im Programm des Deutschen Theater M. „D. A. Rückspiegel 2023“ der satirische Jahresrückblick des Kabarettisten D. A., in welchem dieser „mit bissigem Blick, urkomischen Wortwitz und wie immer energiegeladen […] die Ereignisse der letzten zwölf Monate ins Visier [nimmt]. Ob Highlights oder Riesenflops, ob Politik, Gesellschaft oder Sport – nichts wird ausgelassen, aber garniert mit den unglaublichsten Kuriositäten des Jahres. Und das Ganze kräftig gewürzt, gerne auch mal hinterhältig und erfrischend fies.“
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Hinzu kommt, dass diese Darbietungen vorliegend ebenfalls unter dem, die gesamte Elferratssitzung umfassenden, Motto stehen, welches eine gewisse szenische Einbettung bietet. Eben diese Einbettung in das übergreifende, jährlich wechselnde Thema der Elferratssitzungen besteht auch für die Auftritte der drei Garden der Klägerin (vgl. vorgelegte Programme der Elferratssitzungen des Jahres 2023; „G. wird zum Affenhaus“ vom 6.2.2023, a.a.O), die insoweit mit Tanzeinlagen beispielsweise in Musicalaufführungen vergleichbar sind, durch welche offenkundig die gleichen kulturellen Aufgaben wie durch Theater der öffentlichen Hand erfüllt werden. Diesen Aufführungen wurde durch die Presse, insbesondere der großen Garde, rhythmische und akrobatische Souveränität sowie Leichtigkeit in Perfektion attestiert (vgl. „Elferratssitzung in G.“ vom 10.2.2020, a.a.O.; „G. wird zum Affenhaus“ vom 6.2.2023, a.a.O.), sodass auch insoweit ernst zu nehmende Aufführungen geboten werden.
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Auch durch die Gesangseinlagen werden die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllt. Bei diesen handelt es sich insbesondere nicht lediglich um kommerzielle Unterhaltungsmusik (vgl. hierzu VG Minden, U.v. 23.2.2005 – 11 K 7523/03 – juris). So wird zwar teilweise auf die Melodien bekannter Lieder zurückgegriffen, aber in den Texten aktuelles (lokal) politisches und gesellschaftliches Geschehen aufgegriffen und kommentiert. So wurde 2020 ein Oberbürgermeisterkandidat mit „Er muss nicht ins Rathaus rein, er ist schon drin“, der Lokalpolitiker Vogel mit „In seinem Heimatort ist es des Vögleins größter Traum“ und ein lokaler AFD-Kandidat mit „Muss das auch noch sein?“ besungen (vgl. „Elferratssitzung in G.“ vom 10.2.2020, a.a.O.) und 2023 das örtliche Geschehen u.a. in den Liedern „Ich bin der Vogel Spirk“ über den neuen Oberbürgermeister und „M. M. baut Einfamilienhaus“ (vgl. „G. wird zum Affenhaus“ vom 6.2.2020, a.a.O.) in Liedern verarbeitet. So werden äußere Geschehen künstlerisch aufbereitet. Die Aufführungen regen die Zuschauer – neben der Unterhaltung – zur Auseinandersetzung mit den angesprochenen Themen an und bewegen deren Gefühle und Gedanken. Hauptzweck der Lieder ist die kulturelle Darbietung. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass auch auf den Bühnen von Theatern juristischer Personen des öffentlichen Rechts in Musicals oder in Singspielen Gesangseinlagen geboten werden und dass die Lieder vorliegend ebenfalls in das jeweilige übergreifende Motto und Gesamtkonzept, der Elferratssitzung eingefügt sind.
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Für das künstlerische Element und, dass ernst zu nehmende Aufführungen geboten werden, sprechen auch die auf Bildern in verschiebenden Zeitungsartikeln und auf der Website der Klägerin (https://www. …html, zuletzt aufgerufen am 18.12.2023) einsehbaren, aufwändigen handgemalten Bühnenbilder, welche die Klägerin für die Elferratssitzungen anfertigt. So bildete das Bühnenbild zur Thematik „Das Grand Hotel G.“, das pompöse Foyer eines Hotels um die Jahrhundertwende mit Kronleuchter, Deckenfresko und großer Aufgangstreppe und dem Rezeptionstresen ab (vgl. Bühnenbilder für die Elferratssitzung beim … … … … … … … …, S.34), zum Thema „Planet der Affen“ zeigte es drei riesige Affenbüsten im All über der schematischen Darstellung einer Halbkugel eines Planeten, die sich jeweils Augen, Ohren oder Mund zu hielten (vgl. G. wird zum Affenhaus a.a.O.) und zum Thema „S. K. G. – Am G. Wesen mag K. genesen“, bestand es aus einer Darstellung des Gebäudes der Schwarzwaldklinik am Waldrand mit Oberkörpern eines übergroßen Arztes und eines Pflegers im Vordergrund und Wegweisern in die „Notaufnahme“ und zu den „Schweren Fällen (K.)“ (Elferratssitzung in G. vom 9.2.2020, S.-Zeitung sowie https://www. …, zuletzt aufgerufen am 18.12.2023).
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Des Weiteren richten sich die Elferratssitzungen der Klägerin an eine unbegrenzte Anzahl von Personen. Es handelt sich gerade nicht um eine rein vereinsinterne Veranstaltung, sie sind vielmehr der breiten Öffentlichkeit zugänglich, auch wenn sich die Besucher entsprechend lokalen Stadttheatern vorrangig aus lokal ansässigen Bürgern sowie Bürgern aus dem regionalen Umkreis zusammensetzen mag.
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Soweit die Beklagte vorbringt, die Elferratssitzungen würden nicht die gleichen kulturellen Aufgaben wie Theater der öffentlichen Hand erfüllen, da es sich um karnevalistische Vergnügungsveranstaltungen handle, ist dem angesichts des mit den streitgegenständlichen Elferratssitzungen verbundenen kulturellen Angebots nicht zu folgen. Es handelt sich bei den streitgegenständlichen Elferratssitzungen nicht um (rein) karnevalistische Vergnügungsveranstaltungen, die hauptsächlich der Geselligkeit und/oder dem Feiern dienen. Bei den konkreten Elferratssitzungen der Klägerin steht die Vorführung auf der Bühne im Mittelpunkt und ist der – kulturelle – Hauptzweck der Veranstaltung. Inhalt und Zweck der Elferratssitzung ist die Kommunikation und Interaktion der Darsteller auf der Bühne mit dem Publikum und die hierdurch stattfindende Unterhaltung der Besucher sowie die Anregung zur Auseinandersetzung mit der im Rahmen der Darstellung stattfindenden pointierten Kommentierung und Kritik öffentlicher Ereignisse, (lokal) politischer Größen und der Gesellschafft generell, hingegen nicht die Kommunikation des Publikums untereinander und das gemeinsame Vergnügen oder Feiern. Die in den Umbaupausen zwischen den Darbietungen durch die Sitzungskapelle gespielten Schunkelfolgen treten als Pausenfüller in den Hintergrund und vermögen der Veranstaltung kein Gepräge als (reine) Vergnügungsveranstaltung geben. Auch steht der den Aufführungen innewohnende Unterhaltungswert nicht der Erfüllung der gleichen kulturellen Aufgabe entgegen, da ein solcher auch klassisch dem Theater zuzuordnende Stücke wie Komödien oder Operretten ebenfalls innewohnt. Für all dies spricht auch, dass die Besucher der Elferratssitzungen der Klägerin nicht verkleidet erscheinen, sondern das kulturelle Ereignis durch elegante Kleidung würdigen (vgl. „Mehr Party, weniger Politik, gleicher Humor zum Fasching in G. und Bad B.“ vom 22.2.2019, S. Zeitung, https://www. …html, Ausspruch zu mehr Party aus dem Titel lediglich in Bezug auf den nicht streitgegenständlichen Faschingsumzug).
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Der Erfüllung gleicher kultureller Aufgaben steht weiter nicht entgegen, dass während der Elferratssitzungen auch Getränke und Speisen serviert werden. Die Bewirtung tritt deutlich hinter den Vorstellungen auf der Bühne zurück. Grund des Besuchs der Elferratssitzungen der Klägerin sind die Darstellungen auf der Bühne. Dass im Maße auch Getränke und Speisen angeboten werden, ist für den Besuch nicht maßgeblich. Es liegt auch kein untrennbarer Leistungskomplex aus ineinandergreifender künstlerischer Leistung und Bewirtung vor. Insbesondere wird weder durch die Entrichtung des Eintritts gleichzeitig der Verzehr erworben, noch ist ein solcher verpflichtend, es handelt sich lediglich um eine in den Hintergrund tretende Nebenleistung, die zusätzlich angeboten wird (zum gegenteiligen Fall BFH, U.v. 10.12.2020 – V R 39/18 – juris).
39
Dass die Elferratssitzungen als Teilaspekt (auch) der Brauchtumspflege der Fastnacht dienen und mithin eine weitere bedeutende kulturelle Aufgabe erfüllen, ist indes vorliegend unschädlich, da hierfür allein keine Umsatzbefreiung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG gewährt wird. Insoweit führt der Beklagten zutreffend aus, dass die in § 40 Nr. 20 Buchst. a) Satz 1 UStG aufgezählten Einrichtungen juristischer Personen des öffentlichen Rechts diese kulturellen Aufgaben nicht erfüllen. Dies steht jedoch einer gleichzeitigen Erfüllung der gleichen kulturellen Aufgaben von Theatern der öffentlichen Hand nicht entgegen, wenn durch die im Rahmen der Brauchtumspflege – wie vorliegend – aufgeführten Darbietungen für sich gleichwohl in der Sache die gleichen kulturellen Aufgaben von Theatern der öffentlichen Hand erfüllt werden. Insofern ist ebenfalls unbeachtlich, ob eine Umsatzsteuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 UStG gewährt werden könnte.
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Da die Klägerin mit den Aufführungen im Rahmen ihrer Elferratssitzungen somit die gleichen kulturellen Aufgaben wie Theater der öffentlichen Hand erfüllt ist es unbeachtlich, dass die öffentliche Hand selbst keine karnevalistischen Veranstaltungen im Sinne einer „kulturellen Daseinsvorsorge“ veranstaltet. Im Rahmen der Erteilung der Bescheinigung über die Erfüllung der gleichen kulturellen Aufgaben durch die zuständige (Kultur) Landesbehörde wird nicht geprüft bzw. ist es nicht notwendig, dass es sich bei dem Antragsteller um eine (deckungsgleiche) Einrichtung handelt, ausreichend ist insofern, dass die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllt werden.
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Die Klägerin macht daher entsprechend Theatern der öffentlichen Hand Kultur öffentlich zugänglich und erfüllt hiermit förderwürdig das diesbezügliche Gemeinwohlinteresse.
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Nach alledem ist zusammenfassend festzustellen, dass die Elferratssitzungen der Klägerin in ihrer konkreten Form die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in § 4 Nr. 20 Buchst. a) Satz 1 UStG bezeichneten Einrichtungen juristischer Personen des öffentlichen Rechts erfüllen.
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Die Bescheinigung kann auch rückwirkend für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2015 ausgestellt werden, da die in der alten Fassung des § 4 Nr. 20 Buchst. a) Satz 3 vom 8. Dezember 2010 (BGBl I S. 1768) enthaltene Begrenzung der Rückwirkung der Erteilung der Bescheinigung durch die Anordnung der entsprechenden Anwendung von § 181 Abs. 1 u. 5 AO, mit Wirkung zum 1. Januar 2015 aufgehoben wurde, § 181 Abs. 1 und 5 AO daher nicht anzuwenden sind und einer rückwirkenden Erteilung somit nicht entgegensteht.
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Nach alledem hat die Klage Erfolg.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.