Titel:
Erhöhtes Risiko vorzeitiger krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit begründet keinen ausreichenden gesundheitlichen Eignungsmangel
Normenketten:
BeamtStG § 23 Abs. 3 Nr. 2
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2, § 88, § 113 Abs. 1 S. 1, § 122 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die prognostische Beurteilung, ob ein Beamtenbewerber den gesundheitlichen Anforderungen der jeweiligen Laufbahn voraussichtlich genügen wird, ist aufgrund einer fundierten medizinischen Tatsachengrundlage zu treffen; daher muss in aller Regel ein Mediziner eine fundierte medizinische Tatsachenbasis für die Prognose auf der Grundlage allgemeiner medizinischer Erkenntnisse und der gesundheitlichen Verfassung des Beamtenbewerbers erstellen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die amtsärztliche Feststellung, dass das Risiko krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit erhöht sei, rechtfertigt nicht die Entlassung aus dem Probeverhältnisses mangels gesundheitlicher Eignung, denn der Maßstab der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Eintritt der vorzeitigen dauernden Dienstunfähigkeit ist nicht bereits dann erfüllt, wenn – wie vorliegend – der Amtsarzt "lediglich" von einem erhöhten Risiko krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit ausgeht; in einem solchen Fall ist die Schwelle der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nicht erreicht. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt, Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe, Gesundheitliche (Nicht)-Eignung, Lehrerin, Entlassungsbescheid, Widerspruch, Anfechtungsklage, gesundheitliche (Nicht)-Eignung, erhebliche Morbidität im psychosomatischen Bereich, Schwerbehinderung, beamtenrechtliche Probezeit, Prognose
Fundstelle:
BeckRS 2023, 40037
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage der Antragstellerin vom … Dezember 2023 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom … August 2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom … November 2023 wird wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 14.495,38 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die 1974 geborene Antragstellerin stand bis … September 2023 als Lehrerin in Diensten des Antragsgegners. Sie wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit ihrer Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe.
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Die Antragstellerin wurde mit Wirkung zum ... Januar 2003 in das Beamtenverhältnis auf Probe zur Lehrerin zur Anstellung berufen und einer Hauptschule zugewiesen. Vom ... Februar 2006 bis … November 2008 befand sich die Antragstellerin in Elternzeit und im Anschluss bis … Januar 2023 in familienpolitischer Beurlaubung. Zum 1. Februar 2023 wollte die Antragstellerin ihren Dienst in Teilzeit wieder antreten. Allerdings war die Antragstellerin bis Schuljahresende durchgehend dienstunfähig erkrankt.
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Aus diesem Grund ordnete der Antragsgegner eine amtsärztliche Untersuchung der Antragstellerin an, die am ... März 2023 bei dem Gesundheitsamt K.. … durchgeführt wurde. Auf Grundlage dieser Untersuchung nahm Medizinaloberrat S. am … April 2023 zu der Frage der gesundheitlichen Eignung der Beamtin für das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit Stellung. In dieser Stellungnahme kam der Amtsarzt zu dem Untersuchungsergebnis, dass bei der Antragstellerin eine erhebliche Morbidität im psychosomatischen Bereich bestünde. Bei der Beamtin liege eine seit Jahren andauernde psychosomatische Erkrankung mit Chronifizierungstendenz vor, die aus medizinischer Sicht die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Schwerbehinderung erfülle. Die Erkrankung sei grundsätzlich einer Behandlung zugänglich und die Beamtin sei diesbezüglich auch motiviert. Weiter heißt es wörtlich: „Eine Aufnahme der Diensttätigkeit ist aus amtsärztlicher Sicht auch günstig, um die Erkrankung positiv zu beeinflussen. Die Schwere der Symptomatik lässt allerdings die Aufnahme einer Diensttätigkeit zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu. Mit einer Aufnahme der Diensttätigkeit kann frühestens zum neuen Schuljahr gerechnet werden. Dennoch dürfte auch unter günstigen Umständen die Erkrankung nicht zur Gänze verschwinden, so dass durchaus auch in Zukunft mit Fehlzeiten zu rechnen wäre. Das Risiko krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit ist erhöht.“ Eine Aussage zur gesundheitlichen Eignung für die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit enthielt die Stellungnahme des Amtsarztes nicht.
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Aus diesem Grunde forderte die Regierung von Oberbayern mit E-Mail vom … Mai 2023 den Amtsarzt auf, eine Aussage zur gesundheitlichen Eignung für die Übernahme der Beamtin in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit abzugeben. Mit E-Mail vom 24. Mai 2023 teilte der Amtsarzt S. mit, bei der Beamtin liege eine ungünstige Kombination von Art der Erkrankung und den Anforderungen und Belastungen, die im Lehrerberuf gestellt würden, vor. Der Lehrerberuf erfordere beispielsweise die Interaktion mit Schülern und Lehrern. Es sei aufgrund der Art der Erkrankung zu bezweifeln, dass die Beamtin für die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit geeignet sei. Der Amtsarzt wies dabei insbesondere auf eine Auflistung aller Arztkontakte hin, die die Beamtin ihm im Nachgang der Untersuchung habe zukommen lassen. Der Umfang dieser Arztkontakte sei erheblich und habe das übliche, erwartbare Maß um ein Vielfaches überstiegen.
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Mit weiterer E-Mail vom … Mai 2023 bat die Regierung von Oberbayern um Stellungnahme zu der Frage, ob mit dem vorzeitigen Eintritt dauernder Dienstunfähigkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gerechnet werden müsse. Mit E-Mail vom … Juni 2023 gab der Amtsarzt ohne weitere Begründung an, dass anhand der vorliegenden Unterlagen mit dem vorzeitigen Eintritt dauernder Dienstunfähigkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gerechnet werden müsse.
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Nach vorheriger Anhörung sowie unter Hinweis darauf, dass die Antragstellerin die Mitwirkung der Personalvertretung beantragen könne – was die Antragstellerin nicht wahrnahm –, erließ der Antragsgegner am … August 2023, zugestellt an die Antragstellerpartei am … August 2023, folgenden Bescheid:
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„1. Sie werden mit Ablauf des … September 2023 wegen fehlender gesundheitlicher Eignung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe entlassen.
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2. Die Nummer 1 dieses Bescheides wird für sofort vollziehbar erklärt.“
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Die auf § 23 Abs. 3 Nr. 2 des Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz/BeamtStG) gestützte Entlassungsverfügung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe wurde im Wesentlichen darauf gestützt, dass sich die Antragstellerin in gesundheitlicher Hinsicht nicht bewährt habe. Es sei mit der vorzeitigen Dienstunfähigkeit der Beamtin zu rechnen. Zur Begründung verwies der Antragsgegner auf die ergänzende Stellungnahme des Amtsarztes vom … Juni 2023 zum Gesundheitszeugnis vom ... April 2023, in der dieser den vorzeitigen Eintritt dauernder Dienstunfähigkeit prognostizierte. Einzig die Entlassung sei ermessensgerecht, da sich aus der amtsärztlichen Stellungnahme ableiten lasse, dass in absehbarer Zeit die Feststellung der gesundheitlichen Eignung für das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit nicht zu erwarten sei. Die Verlängerung der Probezeit als milderes Mittel scheide aus, da die Beamtin eine chronische Erkrankung aufweise, deren Besserung nicht zu erwarten sei.
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Mit Schreiben vom … August 2023 erhob die Antragstellerin Widerspruch gegen den Entlassungsbescheid vom … August 2023. Den Widerspruch begründete die Widerspruchsführerin damit, dass der Bescheid auf falschen Tatsachen beruhe. Dieser gehe davon aus, dass die Höchstdauer der Probezeit bereits ausgeschöpft gewesen sei. Dies sei jedoch nicht der Fall. Der Entlassungsbescheid stelle lediglich auf die fehlende gesundheitliche Eignung der Beamtin ab und berufe sich auf die Stellungnahme vom ... April 2023 sowie weitere Ergänzungen. Diese stellten keine hinreichende Grundlage für die Feststellung der gesundheitlichen Nichteignung dar. In der Stellungnahme vom … April 2023 heiße es lediglich, dass das Risiko für eine krankheitsbedingte Dienstunfähigkeit erhöht sei. Der Amtsarzt lasse jedoch offen, in welchem Maße das Risiko erhöht sei und ob ein überwiegendes Risiko bestehe. In der ergänzenden E-Mail vom … Mai 2023 würden lediglich Zweifel an der gesundheitlichen Eignung geäußert. Solche reichten gerade nicht aus, um die Beamtin zu entlassen. Die fehlende Nachweisbarkeit der gesundheitlichen Nichteignung gehe zu Lasten des Dienstherrn. Die weitere E-Mail des Amtsarztes S. vom … Juni 2023 enthalte zwar eine negative Prognose; diese werde jedoch nicht begründet. Eine solche Begründung wäre insbesondere aus dem Grund erforderlich gewesen, da sie im Widerspruch zu den Aussagen in den vorherigen Stellungnahmen stehe. Im Übrigen sei der Antragsgegner der ihm obliegenden Suchpflicht nicht nachgekommen.
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Mit Schriftsatz vom ... Oktober 2023 hat der Bevollmächtigte für die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und zur Begründung auf die Ausführungen im Verwaltungsverfahren verwiesen. Ergänzend wird vorgetragen, es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entlassungsverfügung. Eine Vollziehung des Bescheids führe zu unbilligen Härten, weshalb das Suspendierungsinteresse der Antragstellerin das staatliche Vollziehungsinteresse überwiege.
12
Die Antragstellerpartei hat beantragt,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom … August 2023 gegen den Bescheid der Regierung von Oberbayern vom … August 2023 wiederherzustellen [richtig anstelle: anzuordnen/herzustellen].
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Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom … Oktober 2023 beantragt,
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den Antrag abzulehnen [richtig anstelle: abzuweisen].
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Die Entlassungsverfügung sei unanfechtbar und zudem rechtmäßig. Die Antragstellerin habe sich in gesundheitlicher Hinsicht nicht bewährt. Es liege eine negative Prognose im Hinblick auf den Eintritt der vorzeitigen Dienstunfähigkeit vor. Da die fehlende gesundheitliche Eignung während der Probezeit feststehe, komme eine Verlängerung der Probezeit nicht in Betracht.
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Mit Widerspruchsbescheid vom … November 2023 wies die Widerspruchsbehörde den Widerspruch der Antragstellerin vom … August 2023 gegen den Bescheid der Regierung von Oberbayern vom … August 2023 zurück. Zur Begründung wird vorgetragen, die gesundheitliche Nichteignung der Antragstellerin für das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit stehe aufgrund der gutachterlich gestellten Prognose, wonach mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit dem vorzeitigen Eintritt der Dienstunfähigkeit zu rechnen sei, fest. Eine Versetzung in den Ruhestand habe nicht erfolgen können, da nach amtsärztlichen Angaben die Erkrankung grundsätzlich einer Behandlung zugänglich sei und die Aufnahme der Diensttätigkeit günstig sei, um die Erkrankung positiv zu beeinflussen.
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Die Klagepartei hat am 8. Dezember 2023 Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom … November 2019 erhoben (M 5 K 23.5850).
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten in diesem Verfahren verwiesen.
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Der Antrag ist gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO entsprechend dem Begehren der Antragstellerin dahingehend auszulegen, dass nicht wie in der Antragsschrift vom 4. Oktober 2023 die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs, sondern der Anfechtungsklage begehrt wird. Denn nach dem zwischenzeitlich ergangenen Widerspruchsbescheid vom … November 2019 und der hiergegen erhobenen Anfechtungsklage vom ... Dezember 2023 ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die gerichtliche Herbeiführung der aufschiebenden Wirkung der Klage, nicht des Widerspruchs zu begehren (vgl. NdsOVG, B.v. 24.9.2021 – 12 ME 45/21 – BauR 2022, 76, juris Ls. 1).
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Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO ist auch begründet.
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Hinsichtlich der in Nr. 2 des Bescheides vom … August 2023 angeordneten sofortigen Vollziehung war die aufschiebende Wirkung der Klage bezüglich der Nr. 1 des Bescheids vom … August 2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ... November 2023 wiederherzustellen, da die Entlassungsverfügung voraussichtlich rechtswidrig ist.
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1. Gemäß § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt jedoch, wenn die Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten angeordnet hat.
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Gegen die behördlich angeordnete sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts kann der Betroffene gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO beim Gericht der Hauptsache die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragen.
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Das Gericht trifft eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat dabei abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessensabwägung.
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2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze war antragsgemäß zu entscheiden, weil sich die in Nr. 1 des Bescheids vom … August 2023 enthaltene Entlassung der Antragstellerin aus dem Beamtenverhältnis auf Probe nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als rechtswidrig darstellt und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt, so dass die hiergegen erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich Erfolg haben wird (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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a) Der Antragsgegner stützt die Entlassung der Antragstellerin auf § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz/BeamtStG). Danach können Beamtinnen und Beamte auf Probe entlassen werden, wenn sie sich in der Probezeit nicht bewährt haben. Der Entlassungstatbestand steht im Zusammenhang mit § 10 Satz 1 BeamtStG, wonach in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit nur berufen werden darf, wer sich in der Probezeit hinsichtlich Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bewährt hat (BayVGH, B.v. 15.4.2011 – 3 CS 11.5 – juris). Steht die fehlende Bewährung fest, ist der Beamte zu entlassen (Art. 12 Abs. 5 LlbG, vgl. BVerwG, U.v. 31.5.1990 – 2 C 35/88 – BVerwGE 85, 177; BayVGH, B.v. 29.7.2014 – 3 CS 14.917 – juris; BayVGH, B.v.16.3.2011 – 3 CS 11.13 – juris; BayVGH, B.v. 16.12.2015 – 3 CS 15.2220 – juris).
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Der Begriff der Eignung umfasst insbesondere die gesundheitliche und charakterliche Eignung. Geeignet ist nur derjenige, der dem angestrebten Amt in körperlicher, psychischer und charakterlicher Hinsicht gewachsen und für die angestrebte Laufbahn uneingeschränkt verwendungsfähig ist.
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b) Die Voraussetzungen, denen ein Beamtenbewerber in gesundheitlicher Hinsicht genügen muss, ergeben sich dabei aus den körperlichen Anforderungen, die er als Beamter erfüllen müsste, um die Ämter einer Laufbahn wahrnehmen zu können. Welche Anforderungen an die gesundheitliche Eignung für eine angestrebte Laufbahn zu stellen sind, bestimmt der Dienstherr im Rahmen seiner Organisationsgewalt. Dabei steht ihm ein weiter Einschätzungsspielraum zu, bei dessen Wahrnehmung er sich am typischen Aufgabenbereich der Ämter der Laufbahn zu orientieren hat. Diese Vorgaben bilden den Maßstab, an dem die individuelle körperliche Leistungsfähigkeit eines Beamtenbewerbers zu messen ist. Auf ihrer Grundlage ist festzustellen, ob ein Beamtenbewerber, dessen Leistungsfähigkeit (z.B. wegen eines chronischen Leidens) gemindert ist, den Anforderungen gewachsen ist, die die Ämter einer Laufbahn für die Dienstausübung stellen.
30
Einem Beamtenbewerber fehlt die gesundheitliche Eignung für die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, er werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Die gesundheitliche Eignung fehlt auch, wenn er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze über Jahre hinweg regelmäßig krankheitsbedingt ausfallen und deshalb eine erheblich geringere Lebensdienstzeit aufweisen wird (BVerwG, U.v. 30.10.2013 – 2 C 16/12 – juris Rn. 26).
31
Die beamtenrechtliche Probezeit soll dem Beamten die Möglichkeit geben, während des gesamten Laufs der Probezeit seine Eignung und Befähigung zu beweisen. Die Entscheidung des Dienstherrn darüber, ob sich der Beamte bewährt hat, ist vom Grundsatz her ein Akt wertender Erkenntnis eines für die Beurteilung zuständigen Organs, die von den zahlreichen Anforderungen des konkreten Aufgabengebiets sowie von der Beurteilung der Persönlichkeit des Beamten abhängt. Dabei genügen bereits begründete ernstliche Zweifel des Dienstherrn, ob der Beamte die Eignung und Befähigung besitzt und die fachlichen Leistungen erbringt, die für die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit notwendig sind, um eine Bewährung zu verneinen (Baßlsperger in Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: Juli 2023, § 23 BeamtStG Rn. 136 m.w.N.). Diese Entscheidung ist gerichtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Begriff der mangelnden Bewährung und die gesetzlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums verkannt worden sind, ob der Beurteilung ein unrichtiger Sachverhalt zugrunde liegt und ob allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt worden sind (BVerwG, U.v. 18.7.2001 – 2 A 5/00 – ZBR 2002, 184, juris Rn. 15).
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Dem Dienstherrn ist allerdings kein Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Frage eröffnet, ob der Beamtenbewerber den laufbahnbezogenen festgelegten Voraussetzungen in gesundheitlicher Hinsicht genügt. Über die gesundheitliche Eignung haben letztverantwortlich die Verwaltungsgerichte zu entscheiden, ohne an tatsächliche oder rechtliche Wertungen des Dienstherrn gebunden zu sein (BVerwG, U.v. 30.10.2013 – 2 C 16/12 – BVerwGE 148, 204, juris Rn. 19). Die Entscheidung über die gesundheitliche Eignung für das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit ist ohne Beurteilungsspielraum gerichtlich voll überprüfbar (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.2013 – 2 C 16/12 – juris Rn. 11/17 ff. zu § 31 BBG a.F.). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung der gesundheitlichen Eignung ist der Ablauf der Probezeit, nicht der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung. In die Entscheidung dürfen nur solche Umstände Eingang finden, die während der Probezeit bekannt geworden sind oder die zwar nach Ablauf dieser Zeit eingetreten sind, aber Rückschlüsse auf die Bewährung des Beamten in der laufbahnrechtlichen Probezeit zulassen (vgl. erneut BVerwG, U.v. 30.10.2013 – 2 C 16/12 – juris Rn. 12 und 14 m.w.N.).
33
Die prognostische Beurteilung, ob ein Beamtenbewerber den gesundheitlichen Anforderungen der jeweiligen Laufbahn voraussichtlich genügen wird, ist aufgrund einer fundierten medizinischen Tatsachengrundlage zu treffen. Daher muss in aller Regel ein Mediziner eine fundierte medizinische Tatsachenbasis für die Prognose auf der Grundlage allgemeiner medizinischer Erkenntnisse und der gesundheitlichen Verfassung des Beamtenbewerbers erstellen. Die medizinische Diagnose muss daher Anknüpfungs- und Befundtatsachen darstellen, die Untersuchungsmethoden erläutern und ihre Hypothesen sowie deren Grundlage offenlegen. Auf dieser Basis können sich die Verwaltungsgerichte im gleichen Maße ein eigenverantwortliches Urteil über die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung des Beamtenbewerbers und über die Erfüllung der dienstlichen Anforderungen bilden wie die zuständige Behörde (BVerwG, U.v. 25.7.2013 – 2 C 12/11 – Rn. 12 ff. [Beamtenbewerber]; U.v. 30.10.2013 – 2 C 16/12 – juris Rn. 20 [Beamter auf Probe]). Lassen sich solchermaßen gesicherte Feststellungen zur gesundheitlichen Verfassung des Probebeamten nicht treffen, geht das zu Lasten des Dienstherrn (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.2013 – 2 C 16/12 – juris Rn. 10, 20, 29 unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung z.B. im U.v. 18.7.2001 – 2 A 5/00 – ZBR 2002, 184, juris). Gelangt der Dienstherr dagegen aufgrund objektiver und belastbar festgestellter Umstände zur Überzeugung, dass der Beamte nicht behebbare Eignungsmängel aufweist, so muss er ihn, ohne dass hierfür ein Ermessensspielraum verbleibt, aus dem Beamtenverhältnis auf Probe entlassen (vgl. BVerwG, U.v. 19.3.1998 – 2 C 5.97 – juris).
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c) Gemessen an diesen Grundsätzen erweist sich die Entlassungsverfügung vom … August 2023 als rechtsfehlerhaft. Der Antragsgegner hat die Entlassung ausschließlich auf die fehlende gesundheitliche Eignung der Antragstellerin gestützt und sich zur Begründung auf die amtsärztliche Stellungnahme vom ... April 2023, ergänzt durch E-Mails vom … Mai 2023 und … Juni 2023, berufen. Diesen Ausführungen des Amtsarztes sind gesicherte Feststellungen zur gesundheitlichen Verfassung der Probebeamtin nicht zu entnehmen. Denn in diesen Schreiben stellt der Amtsarzt unterschiedliche Prognosen auf, die sich teilweise widersprechen. Die in der E-Mail vom … Juni 2023 ohne weitere Begründung getroffene Prognose, es sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit dem vorzeitigen Eintritt der Dienstunfähigkeit der Antragstellerin zu rechnen, ist vor dem Hintergrund der amtsärztlichen Stellungnahme vom ... April 2023 und der E-Mail vom … Mai 2023 unplausibel. Mithin konnte der Dienstherr nicht aufgrund objektiver und belastbar festgestellter Umstände zu der Überzeugung gelangen, dass die Antragstellerin gesundheitliche Eignungsmängel aufweist.
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Der amtsärztlichen Stellungnahme vom ... April 2023 kann eine Aussage darüber, ob mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit dem vorzeitigen Eintritt der Dienstunfähigkeit der Antragstellerin zu rechnen wäre, nicht entnommen werden. In dieser zeitnah zur Untersuchung der Beamtin erlassenen Stellungnahme erläutert der Amtsarzt ausführlich ihre Krankheitsgeschichte, stellt das Untersuchungsergebnis dar und beurteilt abschließend ihre krankheitsbedingte Situation. Der Amtsarzt kommt zu der Diagnose, dass die Beamtin an einer behandelbaren Erkrankung mit Chronifizierungstendenz leide. Weiter heißt es, dass die Erkrankung auch unter günstigen Umständen nicht verschwinden werde. Die Aufnahme der Diensttätigkeit sei frühestens zum neuen Schuljahr möglich und auch in Zukunft sei mit Fehlzeiten zu rechnen. Abschließend kommt der Amtsarzt zu der Feststellung, dass das Risiko krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit erhöht sei. Zum Ausmaß dieses Risikos bzw. des Risikos eines vorzeitigen Eintritts der Dienstunfähigkeit ist dieser Stellungnahme nichts zu entnehmen.
36
Diese Feststellungen genügen nicht den in der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an den Nachweis der gesundheitlichen Nichteignung eines Beamten für die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. Erforderlich ist, dass tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, der Beamte werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt oder mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze über Jahre hinweg regelmäßig krankheitsbedingt ausfallen und deshalb eine erheblich geringere Lebensdienstzeit aufweisen (BVerwG, U.v. 30.10.2013 – 2 C 16/12 – juris Rn. 26). Der Maßstab der überwiegenden Wahrscheinlichkeit ist nicht bereits dann erfüllt, wenn – wie vorliegend – der Amtsarzt von einem erhöhten Risiko krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit ausgeht. Denn in einem solchen Fall ist die Schwelle der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nicht erreicht. Auch der pauschale Vortrag, die Antragstellerin werde weitere Fehlzeiten aufweisen, genügt nicht der Darlegung, dass die Beamtin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze über Jahre hinweg regelmäßig krankheitsbedingt ausfallen und deshalb eine erheblich geringere Lebensdienstzeit aufweisen wird.
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Die erstmals in der ergänzenden E-Mail vom … Juni 2023 gestellte Prognose, die Beamtin werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorzeitig dienstunfähig, ist unplausibel. Denn der Amtsarzt stellt diese Prognose, ohne sie weiter zu begründen. Die Plausibilität der Prognose wird auch nicht im Wege einer Gesamtschau aller amtsärztlichen Schreiben, insbesondere der amtsärztlichen Stellungnahme vom … April 2023 und der ergänzenden E-Mail vom … Mai 2023 hergestellt. Vielmehr steht diese zuletzt erstellte Prognose im Widerspruch zu den vorherigen Stellungnahmen. So hat der Amtsarzt in der ergänzenden E-Mail vom … Mai 2023 angegeben, es sei (lediglich) zu bezweifeln, ob die Beamtin für die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe geeignet sei. Es ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen sich diese Einschätzung innerhalb von circa sechs Wochen geändert haben soll. Insbesondere ist weder vorgetragen, noch ersichtlich, dass die Beamtin in dieser Zeit erneut untersucht worden wäre beziehungsweise dass sich die medizinische Tatsachengrundlage anderweitig verändert haben sollte.
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Die Prognose ist auch vor dem Hintergrund einzelner Befund- und Anknüpfungstatsachen nicht plausibel. So hat der Amtsarzt in seiner Stellungnahme vom … April 2023 angegeben, dass die Erkrankung behandelbar sei und eine Aufnahme der Diensttätigkeit günstig sei, um die Erkrankung der Beamtin positiv zu beeinflussen. Eine hinreichende Begründung, wieso der Amtsarzt, der mit einer Aufnahme der Diensttätigkeit zum neuen Schuljahr rechnet, die Beamtin dennoch als ungeeignet für die Berufung in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit ansieht, ist den amtsärztlichen Stellungnahmen nicht zu entnehmen.
39
Soweit der Antragsgegner im Entlassungsbescheid vorträgt, dass sich aus der amtsärztlichen Stellungnahme ableiten lasse, dass in absehbarer Zeit die Feststellung der gesundheitlichen Eignung der Antragstellerin nicht zu erwarten sei, ist darauf hinzuweisen, dass der Dienstherr die vorzeitige dauernde Dienstunfähigkeit oder krankheitsbedingte erhebliche und regelmäßige Ausfallzeiten nachzuweisen hat. Lassen sich gesicherte Feststellungen zur gesundheitlichen Verfassung der Probebeamtin aus den amtsärztlichen Stellungnahmen nicht ableiten, geht dies zu Lasten des Dienstherrn (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.2013 – 2 C 16/12 – juris Rn. 10).
d) Da die Beamtin noch nicht zur Beamtin auf Lebenszeit ernannt worden ist, ist eine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe möglich, wobei auffällt, dass nach Aktenlage die Probezeit wohl mit Ablauf des … Dezember 2005 abgelaufen sein dürfte.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (ein Viertel der maßgeblichen Jahresbezüge in Höhe von 57.981,53 EUR).