Inhalt

OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss v. 15.02.2023 – 8 U 2488/22
Titel:

Voraussetzungen einer zulässigen Berufung im Streit um Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung

Normenketten:
BGB § 280 Abs. 1, § 249
ZPO § 520 Abs. 3, § 522 Abs. 1, § 531 Abs. 2, § 533
VVG § 203
Leitsätze:
1. Die Berufung ist unzulässig, soweit die Klagepartei ihr mittels Stufenklage verfolgtes und durch das Ersturteil abgewiesenes Auskunftsbegehren vollständig fallen lässt und mit ihrer Berufungsbegründung erstmals konkrete Feststellungsanträge sowie einen bezifferten Leistungsantrag formuliert, ohne die Umstände zu bezeichnen, aus denen sich nach ihrer Ansicht die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Die Erweiterung oder Änderung der Klage kann nicht alleiniges Ziel der Berufung sein, sondern nur auf der Grundlage eines zulässigen Rechtsmittels verwirklicht werden. (Rn. 9 – 13)
2. Zum Anspruch auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten im Streit um Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung. (Rn. 31 – 46)
Ist der Schuldner bekanntermaßen zahlungsunwillig und erscheint der Versuch einer außergerichtlichen Anspruchsdurchsetzung auch nicht aus sonstigen Gründen erfolgversprechend, sind die Kosten einer außergerichtlichen Rechtsverfolgung nicht zweckmäßig (Anschluss an BGH BeckRS 2022, 12034). (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
private Krankenversicherung, Beitragsanpassung, Stufenklage, Berufung, Zulässigkeit, Klageerweiterung, außergerichtliche Rechtsanwaltskosten
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Endurteil vom 28.07.2022 – 8 O 6639/21
Fundstellen:
BeckRS 2023, 3952
LSK 2023, 3952
r+s 2023, 553
NJOZ 2023, 364

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28.07.2022, Az. 8 O 6639/21, soweit sie die Berufungsanträge zu 1), zu 2) und zu 3) aus der Berufungsbegründung vom 02.11.2022 (vgl. dort, S. 2) betrifft, gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen.
2. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28.07.2022, Az. 8 O 6639/21, hinsichtlich des Berufungsantrags zu 4) aus der Berufungsbegründung vom 02.11.2022 (betreffend außergerichtliche Anwaltskosten) gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung insoweit offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
3. Es wird Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung eingeräumt.

Entscheidungsgründe

A. Zum Sachverhalt
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit mehrerer Beitragsanpassungen im Rahmen einer privaten Krankenversicherung, die der Kläger bei der Beklagten unterhält.
2
Gegenstand der Klage in erster Instanz waren – stichwortartig verkürzt – folgende Sachanträge, die vom Kläger in einem Stufenverhältnis gemäß § 254 ZPO miteinander verknüpft waren (vgl. Klageschrift S. 5 ff.: „II. Zulässigkeit der unbezifferten Klageanträge (Stufenklage)“):
1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerseite Auskunft über alle Beitragsanpassungen in den Jahren 2013 bis 2021 zu erteilen …
2. Es wird festgestellt, dass die nach Erteilung der Auskunft noch genauer zu bezeichnenden Neufestsetzungen der Prämien unwirksam sind …
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen nach Erteilung der Auskunft noch zu beziffernden Betrag … zu zahlen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, Nutzungen und Zinsen daraus in nach Erteilung der Auskunft noch zu beziffernder Höhe herauszugeben …
5. Verurteilung zur Freistellung von Anwaltskosten in Höhe von 1.054,10 € Über diese Sachanträge hat das Landgericht mit Endurteil vom 28.07.2022 („Die Klage wird abgewiesen“) im Einzelnen wie folgt entschieden (vgl. LGU 4): „Die Klageanträge zu 2 bis 4 sind bereits unzulässig. Im Übrigen (Klageanträge zu 1 und zu 5) ist die Klage unbegründet.“
3
Hierbei hat das Landgericht darauf abgestellt, dass die Stufenklage wegen fehlender Konkretisierungen unzulässig sei (LGU 5), in der Sache aber auch keine Auskunftsrechte des Klägers bestünden, weshalb der Sachantrag zu 1. nach Umdeutung (der unzulässigen Stufenklage) in ein selbständiges Auskunftsbegehren unbegründet sei (LGU 5-10) und auch kein Anspruch auf Erstattung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten bestehe (LGU 10).
4
Dagegen richtet sich die – ansonsten form- und fristgerecht erhobene – Berufung des Klägers. Mit den Berufungsanträgen wird ausweislich der Berufungsbegründung vom 02.11.2022 nunmehr – wiederum stichwortartig verkürzt – geltend gemacht („unter Abänderung des Urteils vom 28.07.2022“):
1. Es wird festgestellt, dass folgende Neufestsetzungen der Prämien unwirksam waren:
a) im Tarif M… die Erhöhung zum 01.01.2014 b) im Tarif M… die Erhöhung zum 01.01.2016 c) im Tarif M… die Erhöhung zum 01.01.2018
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 3.195,84 € nebst Zinsen … zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, Nutzungen und Zinsen herauszugeben …
4. Verurteilung zur Freistellung von Anwaltskosten in Höhe von 1054,10 €
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Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers als unzulässig zu verwerfen.
B. Zum Hinweis gemäß § 522 Abs. 1 ZPO (Tenorziffer 1.)
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Der Senat hält die Berufung des Klägers, soweit sie die Berufungsanträge zu 1), zu 2) und zu 3) aus der Berufungsbegründung vom 02.11.2022 (vgl. dort, S. 2) betrifft, für unzulässig.
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Der Senat vertritt damit im Ergebnis die Rechtsauffassung, die auch der von Beklagtenseite in der Berufungserwiderung (vgl. dort S. 3,4) zitierten Entscheidung des OLG Hamm (Beschluss vom 29.11.2022 – 20 U 218/22, vgl. Anl. B 15) in einem – soweit ersichtlich – vergleichbaren Parallelfall zu Grunde liegt.
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1. Der Kläger lässt sein in erster Instanz verfolgtes Auskunftsbegehren vollständig fallen. In der zweiten Instanz stellt der Kläger in seiner Berufungsbegründung erstmals einen bezifferten Zahlungsantrag sowie mehrere Feststellungsbegehren.
9
Eine solche Berufung ist jedenfalls dann unzulässig, wenn – wie hier – ungeachtet einer gegebenenfalls fortwirkenden Beschwer der Rechtsmittelführer in der Berufungsbegründung nicht die Umstände bezeichnet, aus denen sich nach seiner Ansicht die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 12.10.2021 – VI ZB 76/19, juris Rn. 4). Die Berufungsinstanz dient den Parteien grundsätzlich nur noch zur Kontrolle und Beseitigung von Rechtsfehlern (vgl. BT-Drs. 14/4722, S. 61).
10
Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen in dem angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen.
11
Hieraus folgt, dass ein Rechtsmittel nur dann zulässig ist, wenn der Rechtsmittelkläger mit ihm die Beseitigung einer in dem angefochtenen Urteil liegenden Beschwer erstrebt und wenn er hierfür aus sich heraus verständliche Gründe (vgl. BGH, Beschluss vom 07.10.2021 – III ZB 50/20, juris Rn. 11) angibt.
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Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels setzt eine Beschwer des Rechtsmittelklägers voraus, die nicht allein im Kostenpunkt bestehen darf, sowie das Bestreben, diese Beschwer mit dem Rechtsmittel zu beseitigen. Das vorinstanzliche Begehren muss also zumindest teilweise weiterverfolgt werden; es darf nicht ausschließlich ein neuer Anspruch geltend gemacht werden (Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl., vor § 511 Rn. 10 m.w.N. und § 520 Rn. 33).
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Das Rechtsmittel ist mithin unzulässig, wenn mit ihm lediglich im Wege der Klageänderung ein neuer, bislang nicht geltend gemachter Anspruch zur Entscheidung gestellt wird; vielmehr muss zumindest auch der in erster Instanz erhobene Klageanspruch wenigstens teilweise weiterverfolgt werden. Die Erweiterung oder Änderung der Klage kann nicht alleiniges Ziel des Rechtsmittels sein, sondern nur auf der Grundlage eines zulässigen Rechtsmittels verwirklicht werden. Deshalb muss nach einer Klageabweisung das vorinstanzliche Begehren zumindest teilweise weiterverfolgt werden. Eine Berufung, welche die Richtigkeit der vorinstanzlichen Klageabweisung nicht in Frage stellt und ausschließlich einen neuen – bisher noch nicht geltend gemachten – Anspruch zum Gegenstand hat, ist unzulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 29.09.2011 – IX ZB 106/11, juris Rn. 7 m.w.N.).
14
2. Dem wird die vorliegende Berufungsbegründung des Klägers vom 02.11.2022 nicht gerecht.
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Mit dem angefochtenen Urteil wurden die von der Klagepartei ausschließlich erstinstanzlich gestellten Auskunftsbegehren zu Einzelheiten des Vertragsverhältnisses über eine private Krankenversicherung abgewiesen.
16
Die Berufung greift dies nicht an und setzt sich nicht mit der Richtigkeit dieser Entscheidung auseinander. Es wird lediglich behauptet, das Landgericht habe die Klage zu Unrecht abgewiesen. Aus welchen Gründen dies hinsichtlich der zurückgewiesenen Auskunftsansprüche falsch ist, wird nicht dargestellt. Der Rechtsmittelführer beschränkt sich – soweit seine Darlegungen zu einer Rechtsverletzung durch das Erstgericht betroffen sind – auf die Formulierungen, dass das Urteil „in dem hier angegriffenen Umfang einer rechtlichen Prüfung nicht stand (hält)“ und dass es an materiellen Fehlern leidet (Seite 7 der Berufungsbegründung). Weitere und aus sich heraus verständliche Angaben zur Darlegung einer Rechtsverletzung durch das Erstgericht enthält die Berufungsbegründung nicht. Insbesondere wird nichts dazu ausgeführt, weswegen das die Klageanträge 2) bis 4) betreffende Prozessurteil unrichtig sein soll. Verfahrensfehler werden in der Berufung nicht gerügt. Die materiell-rechtlichen Ausführungen in der Berufungsbegründung betreffen lediglich das Bestehen von erstinstanzlich nicht zur Entscheidung gestellten und daher nicht geprüften Ansprüchen und stehen daher nicht in Bezug zu den Gründen der klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung. Die formelhaften Sätze, wonach das Urteil in vollem Umfang der Überprüfung unterstellt und auf den Sachvortrag im Rahmen der ersten Instanz Bezug genommen werde, genügen für eine ausreichende Begründung, wie oben ausgeführt, nicht.
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3. Die Frage der Zulässigkeit der in der Berufungsbegründung erklärten Klageänderung stellt sich nicht, wenn bereits keine zulässige Berufung gegeben ist.
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Entscheidend ist, dass auch eine sachdienliche Klageänderung in der Berufungsinstanz eine zulässig eingelegte Berufung voraussetzt. Erst und nur dann kommt es auf die Zulässigkeit einer Klageänderung an. Auch der Bundesgerichtshof knüpft die Möglichkeit einer Klageerweiterung einschließlich des Übergangs von der Feststellungszur Leistungsklage an die Bedingung, dass der im ersten Rechtszug ganz oder teilweise unterlegene Kläger zulässigerweise Berufung eingelegt hat (vgl. BGH, Urteil vom 06.11.1986 – IX ZR 8/86, juris Rn. 32; vgl. hierzu auch Gerken in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 520 Berufungsbegründung, Rn. 89).
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Für dieses Ergebnis spricht auch, dass die Funktion der Berufung nach dem Willen des Gesetzgebers seit der ZPO-Novelle zum 01.01.2002 nicht mehr – wie bislang – in einer im Wesentlichen uneingeschränkten und rechtsstaatlich nicht gebotenen Eröffnung einer umfassenden zweiten Tatsacheninstanz zu erblicken ist, sondern unter grundsätzlicher Bindung an die in erster Instanz getroffenen Tatsachenfeststellungen in erster Linie eine Fehlerprüfung gewährleisten soll (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drs. 14/4722, S. 94). Um die Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils auf die korrekte Anwendung des materiellen Rechts und die Beseitigung etwaiger Fehler (vgl. Musielak/Voit/Ball, ZPO, 19. Aufl., vor § 511 Rn. 8) geht es aber nicht, wenn die erstinstanzliche Klageabweisung bereits nicht in zulässiger Art und Weise angegriffen wird.
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4. Vor diesem Hintergrund kommt es deshalb nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, dass noch ein weiterer Umstand die Unzulässigkeit der Berufungsanträge zu 1) bis 3) – jedenfalls für den Fall der Annahme einer nach § 533 ZPO zu behandelnden Klageänderung (vgl. insoweit zur Begrenzung des Tatsachenstoffs: MüKo-ZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl., § 533 Rn. 14) – begründet.
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Soweit der Kläger nämlich nun konkrete Vertragsänderungen in einem speziellen Versicherungstarif zu benannten Zeitpunkten angreift und zur gerichtlichen Überprüfung anträgt, handelt es sich bei diesem Vortrag um neuen Sachvortrag in der Berufungsinstanz. Dies macht es aber erforderlich, in der Berufungsbegründung gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO die Tatsachen vorzutragen, aufgrund derer das neue Vorbringen nach Ansicht des Berufungsführers zuzulassen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12.10.2021 – VI ZB 76/19, juris Rn. 6; Zöller/Heßler, a.a.O., § 520 Rn. 37 jeweils m.w.N.).
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An diesem Vorbringen in der Berufungsbegründung fehlt es hier jedoch.
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Unerheblich ist in diesem Zusammenhang auch, ob die fraglichen Beitragsanpassungen in den Jahren 2014, 2016 und 2018 im Tarif „M…“ als tatsächlich durchgeführte Vertragsänderungen zwischen den Parteien womöglich außer Streit stehen und diese ausschließlich um deren rechtliche Wirksamkeit streiten.
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Dass im Berufungsrechtszug nicht (mehr) bestrittene oder unstreitig gestellte Tatsachen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht als neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO behandelt werden und damit der Präklusion entzogen sind, macht es nicht entbehrlich, in der Berufungsbegründung gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO die Tatsachen vorzutragen, aufgrund derer das neue Vorbringen nach Ansicht des Berufungsführers zuzulassen ist. Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung ist davon auszugehen, dass es sich bei neuem tatsächlichen Vorbringen des Rechtsmittelführers, mit dem das erstinstanzliche Urteil zu Fall gebracht werden soll, um ein neues Angriffsmittel im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO handelt. Wird die Berufung ausschließlich hierauf gestützt, sind deshalb die in § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO genannten Angaben erforderlich. Fehlen diese, kann die Berufung ohne weiteres nach § 522 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen werden. Dass das neue Vorbringen kein neues Angriffsmittel (mehr) wäre, wenn es von der Gegenseite nicht bestritten wird, ist in diesem Verfahrensstadium nicht relevant. Das Gericht ist auch nicht gehalten, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Der Berufungskläger hat keinen Anspruch darauf, dass allein wegen der Möglichkeit, dass das neue Vorbringen im Verlauf des Berufungsrechtszuges unstreitig wird, von der in § 522 Abs. 1 ZPO vorgesehenen Möglichkeit einer Verwerfung der Berufung durch Beschluss abgesehen wird (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 7).
C. Zum Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 ZPO (Tenorziffer 2.)
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1. Der Kläger hat seinen vom Landgericht in erster Instanz abgewiesenen Sachantrag zu den außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 1.054,10 € unverändert als Berufungsantrag zu 4) anhängig gemacht. Damit ist evident, dass der Kläger eine formelle Beschwer aus dem Ersturteil – die auch für sich genommen die Erwachsenheitsgrenze gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO überschreitet – zum Gegenstand seines Rechtsmittels gemacht hat.
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Die Berufungsbegründung des Klägers vom 02.11.2022 lässt – bei der gebotenen interessengerechten Auslegung ihrer diesbezüglichen Ausführungen (vgl. dort, S. 15-16) – in gerade noch ausreichendem Maße erkennen, dass sie die dem Ersturteil insoweit zu Grunde liegende Auffassung, es stehe „die Verpflichtung der Beklagten zur Leistung von Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung einer aus dem Versicherungsverhältnis folgenden Pflicht“ nicht fest und deshalb könne der Kläger den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nicht verlangen (LGU 10), für falsch hält und angreift.
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Werden nur die erstinstanzlichen Rechtsausführungen angegriffen, dann muss die eigene Rechtsansicht dargelegt werden; es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstrichters als falsch oder die Anwendung einer bestimmten Vorschrift als irrig zu rügen und dabei lediglich auf den erstinstanzlichen Vortrag zu verweisen (vgl. Zöller/Heßler, a.a.O., Rn. 37).
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Allein schon aus der Berufungsbegründung sollen Gericht und Gegner erkennen können, welche Gesichtspunkte der Berufungskläger seiner Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zugrunde legen, insbesondere welche tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des erstinstanzlichen Urteils er bekämpfen und auf welche Gründe er sich hierfür stützen will (vgl. BGH, Urteil vom 05.10.1983 – VIII ZR 224/82, juris Rn. 7).
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Die Berufungsinstanz ist keine automatische Fortsetzung der ersten Instanz (vgl. BT-Drs. 14/4722, 61). Eine pauschale Bezugnahme auf den Sachvortrag (Rechtsausführungen) in erster Instanz ist grundsätzlich keine ausreichende Berufungsbegründung, selbst wenn der Streitstoff einfach liegt und nur eine einzige Rechtsfrage zu entscheiden ist. Dagegen sind im Rahmen einer im Übrigen zulässigen Berufungsbegründung hinweisende konkrete Bezugnahmen – auch auf einzelne Schriftsätze des ersten Rechtszugs – möglich (vgl. Zöller/Heßler, a.a.O., Rn. 43 m.w.N.).
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Im vorliegenden Streitfall hat sich der Berufungsführer zwar darauf beschränkt, zum Streitgegenstand „vorgerichtliche Anwaltskosten“ die entsprechende Textpassage aus seiner ursprünglichen Klageschrift vom 27.10.2021 (vgl. dort, S. 49-50) wortgetreu und ohne jegliche Ergänzung oder Vertiefung in seine Rechtsmittelbegründungsschrift zu übernehmen mit dem formulierten Angriffsziel, entgegen der Annahme des Landgerichts liege sehr wohl eine anspruchsbegründende Pflichtverletzung der Beklagten vor. Dies ist etwas anderes als eine bloß pauschale Bezugnahme auf anderweitigen – außerhalb der Berufungsbegründung stehenden – Sachvortrag. Es genügt für die Zulässigkeitsprüfung in diesem Zusammenhang, dass hieraus erkennbar wird, dass der Berufungsführer an seiner erstinstanzlichen Auffassung zum eingeklagten Freistellungsanspruch betreffend Anwaltskosten festhält und er damit die – hier vom Landgericht auch nicht näher begründete – Ansicht zur Unbegründetheit des Anspruchs für falsch hält.
31
2. Indes ist der nämliche Ersatzanspruch zu den Rechtsverfolgungskosten aus diversen Rechtsgründen nicht gegeben und die Klageabweisung erweist sich auch insoweit als richtig.
32
a) Das Erstgericht hat ausgeführt, dass ein Verzug des Versicherers hinsichtlich der vorgerichtlich geltend gemachten Auskunftsbegehren nicht festgestellt werden könne (LGU 10). Diese Entscheidung greift die Berufung nicht in zulässiger Weise an. Weder die ursprüngliche Klageschrift noch die Berufungsbegründungsschrift enthalten hierzu Ausführungen. Das Thema „Verzugsschaden“ wird von Klägerseite nicht angesprochen, obwohl die Beklagte bereits im Rahmen der Klageerwiderung hierzu substantiiertes Verteidigungsvorbringen gebracht hatte (vgl. dort, S. 15-16). Die erstinstanzliche Replik des Klägers vom 27.04.2022 beschränkte sich diesbezüglich auf Ausführungen zur Aktivlegitimation bei bestehender Rechtsschutzversicherung (vgl. dort, S. 11). Die Frage eines Verzugsschadensersatzanspruchs des Berufungsführers ist deshalb nicht Gegenstand der Prüfung durch das Berufungsgericht.
33
b) Aber auch aus dem Gesichtspunkt einer Pflichtverletzung in Form von unzureichend begründeten und deshalb rechtsunwirksamen Beitragsänderungen steht dem Kläger bereits dem Grunde nach kein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu. Es kann deshalb offen bleiben, ob die vom Kläger zuletzt angegriffenen Beitragsanpassungen der Jahre 2014, 2016 und 2018 tatsächlich sämtlichen formalen Erfordernissen des § 203 VVG genügten.
34
Eine zum Schadensersatz führende Pflichtverletzung der Beklagten würde in der unberechtigten Geltendmachung der nicht geschuldeten Erhöhungsbeträge aus der unwirksamen Prämienanpassung bei der Beitragsabrechnung liegen. Diesem Anspruch könnte nicht entgegengehalten werden, dass der Gesetzgeber als Folge einer unzureichenden Begründung in § 203 Abs. 5 VVG allein das Nichtwirksamwerden der Prämienanpassung vorgesehen habe. Eine Vertragspartei, die von der anderen Vertragspartei etwas verlangt, das ihr nach dem Vertrag nicht geschuldet ist, verletzt ihre Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB. Wenn ein Partner eines gegenseitigen Vertrags aus diesem Vertrag Ansprüche gegen den anderen Partner ableitet, die ihm nicht zustehen, kommt daher ein Anspruch aus der Verletzung vertraglicher Pflichten aus § 280 Abs. 1 BGB in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 22.06.2022 – IV ZR 193/20, BeckRS 2022, 16215 Rn. 54 m.w.N.).
35
Zwar handelt eine Vertragspartei pflichtwidrig, die von der anderen Vertragspartei etwas verlangt, das nach dem Vertrag nicht geschuldet ist oder ein Gestaltungsrecht (hier zur Vertragsänderung in Gestalt einer Beitragsanpassung) ausübt, dass ihr so nicht zusteht. Diese Pflichtwidrigkeit hat die Vertragspartei aber nicht schon dann i.S.d. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB zu vertreten, wenn sie nicht erkennt, dass ihre Rechtsposition in der Sache nicht berechtigt ist, sondern erst, wenn sie diese Rechtsposition auch nicht als plausibel ansehen durfte (vgl. BGH, Urteil vom 16.01.2009 – V ZR 133/08, juris Rn. 19 ff.).
36
Im Streitfall durfte die Beklagte ihre den vom Kläger zuletzt angegriffenen Beitragsanpassungen der Jahre 2014, 2016 und 2018 zugrunde liegende Rechtsposition jedoch als plausibel erachten. Das Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs betreffend die formelle Rechtmäßigkeit von Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung erging erst zu einem späteren Zeitpunkt (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19, NJW 2021, 378).
37
c) Voraussetzung für einen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten ist grundsätzlich, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist und die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (vgl. BGH, Beschluss vom 25.04.2022 – VIa ZR 524/21, juris Rn. 7).
38
Ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auslöst oder als Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist, ist eine Frage des Innenverhältnisses, nämlich der Art und des Umfangs des im Einzelfall erteilten Mandats. Erteilt der Mandant den unbedingten Auftrag, im gerichtlichen Verfahren tätig zu werden, lösen bereits Vorbereitungshandlungen die Gebühren für das gerichtliche Verfahren aus, und zwar auch dann, wenn der Anwalt zunächst nur außergerichtlich tätig wird. Für das Entstehen der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG ist dann kein Raum mehr. Anders liegt es, wenn sich der Auftrag nur auf die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts beschränkt oder der Prozessauftrag jedenfalls unter der aufschiebenden Bedingung erteilt wird, dass zunächst vorzunehmende außergerichtliche Einigungsversuche erfolglos bleiben. Der Kläger hat darzulegen und im Streitfall zu beweisen, dass er seinen Prozessbevollmächtigten zunächst lediglich mit seiner außergerichtlichen Vertretung beauftragt oder ihm einen nur bedingten Prozessauftrag erteilt hat (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 15.02.2022 – 4 U 1672/21, BeckRS 2022, 4575 Rn. 49 m.w.N.).
39
Dazu liegt hier indes kein Vortrag vor.
40
d) Unabhängig vom Vorliegen eines haftungsbegründenden Tatbestandes war die Beauftragung der Klägervertreter mit der (zunächst nur) vorgerichtlichen Geltendmachung der Klageforderungen jedenfalls nicht erforderlich i.S.d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 20.12.2022 – 2 O 6964/21 juris Rn. 143).
41
Wie die Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat (vgl. Klageerwiderung vom 22.02.2022, S. 16: „von vornherein aussichtslose vorgerichtliche Tätigkeit“) und dem Senat darüber hinaus aus einer Vielzahl vergleichbarer Verfahren geläufig ist, war eine außergerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber der Beklagten (und gegenüber anderen Krankenversicherern in vergleichbaren Prämienanpassungsfällen) von vornherein aussichtslos und die dadurch verursachten Kosten nicht zweckmäßig. Da der Versuch einer außergerichtlichen Regulierung mit anwaltlicher Hilfe somit keinerlei Aussicht auf Erfolg versprach und damit kein Grund zu der Annahme bestand, eine gerichtliche Auseinandersetzung vermeiden zu können (vgl. BGH, Urteil vom 28.05.2013 – XI ZR 148/11, juris Rn. 35), wäre die Klagepartei gehalten gewesen, den Klägervertretern bereits von Anfang an einen unbedingten Klageauftrag zu erteilen; dann wären deren Tätigkeiten vor Erhebung der Klage allein unter die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG gefallen (vgl. BGH, Urteil vom 07.05.2015 – III ZR 304/14, BGHZ 205, 260 Rn. 35).
42
Der Vortrag der Klagepartei, „schon wegen der versicherungsrechtlichen Spezialmaterie“ könne „nicht von einem einfach gelagerten Fall ausgegangen werden“ und deshalb sei „die Einschaltung eines Rechtsanwalts aus Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person erforderlich und zweckmäßig“, eine „sofortige Einschaltung der klägerischen Prozessbevollmächtigten war geboten“ und deshalb seien „die durch den Versuch der außergerichtlichen Einigung entstandenen Kosten der Klägerseite gem. §§ 280, 249 BGB zu ersetzen“ (vgl. Berufungsbegründung, S. 15-16), geht an der Sache vorbei.
43
Auf die Frage, ob die streitgegenständliche Rechtsmaterie aufgrund ihrer Komplexität die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts rechtfertigt (vgl. BGH, Urteile vom 29.10.2019 – VI ZR 45/19, juris Rn. 21 f. und vom 17.09.2015 – IX ZR 280/14, juris Rn. 8), kommt es hier nicht entscheidungserheblich an. Selbst wenn man die Berechtigung der Klagepartei, einen Rechtsanwalt zur Durchsetzung etwaiger Rückforderungsansprüche heranzuziehen, nicht in Abrede stellt, ist damit über die Zweckmäßigkeit des konkret erteilten Mandates noch nichts gesagt. Da den Klägervertretern bekannt war, dass ein außergerichtliches Herantreten an die Beklagte keine Aussicht auf Erfolg versprach, hätten diese, falls dies nicht ohnehin geschehen ist (vgl. hierzu bereits die Ausführungen zu C. 2. c.) auf einen unbedingten Klageauftrag hinwirken müssen.
44
Hat der Kläger von vornherein nicht mit einer freiwilligen Leistung rechnen können, ist der Schuldner bekanntermaßen zahlungsunwillig und erscheint der Versuch einer außergerichtlichen Anspruchsdurchsetzung auch nicht aus sonstigen Gründen erfolgversprechend, sind die dadurch verursachten Kosten nicht zweckmäßig; insoweit kommt es auf die (Gesamt-)Umstände des Einzelfalls an, deren Würdigung dem Tatgericht obliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 25.04.2022 – VIa ZR 524/21, juris Rn. 8).
45
Der Kläger hat zwar nach seinem Vortrag (vgl. Klageschrift, S. 4) mit dem vorgerichtlichen Rechtsanwaltsschreiben nicht (nur) den Versuch einer gütlichen Einigung unternommen, sondern auch die Beklagte unter Setzung einer angemessenen Frist zur „Rückzahlung der aufgrund unwirksamer Prämienanpassungen gezahlten Prämienanteile einschließlich der daraus gezogenen Nutzungen“ aufgefordert.
46
Die in einem – soweit ersichtlich vergleichbaren – Parallelfall vom OLG Köln vertretene Ansicht (vgl. Urteil vom 02.09.2022 – 20 U 266/21, juris Rn. 58; vom LG Nürnberg-Fürth in der vorzitierten Entscheidung vom 20.12.2022 – 2 O 6964/21, juris Rn. 143 als „nicht lebensnah“ bezeichnet)
„Selbst wenn die Beklagte in sämtlichen Fällen zuvor nie auf vorgerichtliche Aufforderungen eingegangen war, war nicht auszuschließen, dass sie in diesem Fall – möglicherweise in Ansehung bisheriger gegen sie ergangener gerichtlicher Entscheidungen – anders reagieren würde. Ohne außergerichtliche Aufforderung und bei sofortiger Klage liefe der Versicherungsnehmer Gefahr, dass der Versicherer die Ansprüche in einem Prozess sofort anerkennt und er, der Versicherungsnehmer, die Kosten tragen muss, auch wenn er in der Sache obsiegt. Ungeachtet dessen ist es für den Senat – aus der maßgeblichen Perspektive des konkreten Versicherungsnehmers – unter dem Aspekt der Zweckmäßigkeit eine nachvollziehbare Entscheidung, einem Vertragspartner, mit dem man eine langfristige Vertragsbeziehung hat und weiterhin haben will, zunächst außergerichtlich die Möglichkeit zu geben, sich mit den gegen ihn erhobenen Forderungen auseinanderzusetzen und darauf zu reagieren.“
erscheint dem Senat zumindest bedenkenswert.
47
Der Kläger hat hierzu allerdings im Streitfall keinerlei Vortrag gehalten.
D. Schlussanregung zur Rechtsmittelrücknahme
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Da das Rechtsmittel des Klägers somit im Ganzen ohne Erfolg bleibt und eine Abänderung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung nicht herbeiführen kann, möge der Kläger im Rahmen der eingangs eingeräumten Äußerungsfrist auch prüfen, ob nicht zuletzt auch aus Kostengründen eine Rücknahme der Berufung seinen Interessen entspricht.