Titel:
Voraussetzungen der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB (Vorinstanz zu BayObLG, Beschluss vom 15.01.2024, 207 StRR 440/23, aufgehoben)
Normenkette:
StGB § 130 Abs. 3, GG Art. 5 Abs. 1
Leitsatz:
Die entscheidende Rechtsfrage wurde rechtsfehlerhaft entschieden und das Urteil durch die Revisionsinstanz aufgehoben. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Volksverhetzung, Meinungsfreiheit, Auslegung
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 15.01.2024 – 207 StRR 440/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 39517
Tenor
1. Die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck vom 06.07.2022 werden mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die Tagessatzhöhe auf 30,00 € festgesetzt wird.
2. Die durch die Berufung der Staatsanwaltschaft veranlassten Kosten und notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last. Im Übrigen hat der Angeklagte die Kosten des Berufungsverfahrens und seine Auslagen zu tragen.
Entscheidungsgründe
1
I. Mit Urteil des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck vom 06.07.2022 war der Angeklagte der Volksverhetzung schuldig gesprochen und deswegen zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 60,00 € verurteilt worden.
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Gegen dieses Urteil haben die Generalstaatsanwaltschaft und der Angeklagte jeweils form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Die Berufung der Staatsanwaltschaft war mit der Einlegung auf das Strafmaß beschränkt worden.
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II. Die statthaften Berufungen sind zulässig, §§ 312, 314 Abs. 1 StPO. In der Sache hatte die Berufung der Staatsanwaltschaft keinen Erfolg. Die Berufung des Angeklagten war ebenfalls überwiegend erfolglos, sie führte lediglich zu einer Reduzierung der Tagessatzhöhe.
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III. Die Berufungsverhandlung hat ergeben:
1. Persönliche Verhältnisse:
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Der Angeklagte wurde am 18.01.1971 in Bietigheim-Bissingen geboren, zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung war er 52 Jahre alt. Der Angeklagte wuchs bei seinen Eltern auf und erlangte die allgemeine Hochschulreife. Er studierte Betriebswirtschaftslehre, schloss dieses Studium allerdings nicht ab. In der Folge arbeitete er für viele Jahre im Vertrieb in der IT-Industrie.
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Aktuell ist der Angeklagte wegen Knieoperationen arbeitsunfähig.
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Im September 2022 begann der Angeklagte eine geförderte Umschulungsmaßnahme zum Mediengestalter. Diese wird mit monatlich 1.700 € gefördert.
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Der Angeklagte ist seit zehn Jahren verheiratet und hat eine 12jährige Tochter, die mit den Eltern im Haushalt lebt. Seine Ehefrau ist in Vollzeit als Sekretärin tätig und verdient gute 2.000 € im Monat.
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Der Angeklagte und seine Familie wohnen zur Miete und müssen hierfür 2.200 € (einschließlich Nebenkosten) aufbringen.
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Schulden bestehen in Höhe von 50.000 € aus dem Erwerb eines Baugrundstücks.
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Der Angeklagte war in der letzten Legislaturperiode für drei Monate als Nachrücker für die AfD Mitglied des Bundestages. Aktuell ist er noch Mitglied im Kreistag.
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Strafrechtlich ist der Angeklagte nicht vorgeahndet.
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Der Angeklagte veröffentliche am 06.12.2021 auf seinem öffentlich einsehbaren Facebook-Account „derJaeger.afd“ um 18:46 einen Kommentar mit einem Video.
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Der Text des schriftlichen Kommentars lautet:
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Im Herbst 1938 entlud sich in der Pogromnacht ein sogenannter Volkszorn gegen Juden im Deutschen Reich. Jüdische Geschäfte wurden geplündert, Synagogen in Brand gesteckt und unzählige Juden wurden misshandelt und ermordet. Jedoch war dieser „Volkszorn“ nicht so spontan ausgebrochen, wie die nationalsozialistische Propagandamaschinerie behauptete. Aktuell wird nach bekanntem Muster ein Sündenbock für das katastrophale Politikversagen der Regierenden gesucht und Söder hat ihn gefunden. Es ist der „Ungeimpfte“.
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Unter diesem Text befindet sich ein Videofenster, das vor dem Start des Videos ein Bild zeigt, das großflächig in rot und in Frakturschrift den Text „Wann beginnt der Volkszorn?“ zeigt (Unterstreichung original). Die Schrift ist mit einem Schwarz-weiß-Foto hinterlegt, das einige Menschen, teilweise in Uniform, zeigt, sowie ein Schild oder ein Plakat, das in Frakturschrift folgenden Text enthält: „Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“
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Wenn das Video gestartet wird, zeigt der Film den sprechenden Angeklagten im Brustbild, wie er folgenden Text spricht:
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Als im Herbst 1938 in der Reichspogromnacht jüdische Geschäfte geplündert, Synagogen in Brand gesteckt und Juden misshandelt und ermordet wurden, sprach die nationalsozialistische Propaganda davon, dass sich in dieser Nacht ja der Volkszorn, der berechtigte Volkszorn gegen die Juden spontan entzündet hätte. Das war relativ klar, dass dieser sogenannte Volkszorn weitaus weniger spontan war als die nationalsozialistische Propaganda verkündet hat, und es war sehr schnell in der Geschichte dann vom organisierten Volkszorn die Rede. Was das mit dem Thema in unserem Land zu tun hat, das erfahrt ihr in 10 Sekunden.
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Es folgt eine kurze, schnell geschnittene und mit Musik unterlegte Videosequenz, die u.a. den Angeklagten bei verschiedenen Anlässen zeigt, auch kurze Sequenzen von AfD-Wahlplakaten, Filmsequenzen vom Brandenburger Tor und der schwarz-rot-goldenen Flagge. Die Sequenz schließt mit einer kurzen Einblendung des oben beschriebenen Eingangsbildes mit der Aufschrift „Wann beginnt der Volkszorn?“
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Das weitere Video zeigt den Angeklagten wieder im Brustbild, wie er folgenden Text spricht (wobei die Absätze in der Niederschrift die Textpausen des Angeklagten bedeuten):
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Bei der Vorbereitung auf dieses Video hab ich bei Google den Suchtext „Wut auf Ungeimpfte“ eingegeben. Vor ein, zwei Tagen waren das genau 16.000 Treffer. Wenn ich jetzt schau, sind's schon 16.400, und da sind ganz, ganz wunderbare Überschriften dabei. Etwa ein Artikel einer Zeit-Redakteurin, die schreibt: Wut auf Ungeimpfte, meine innere Radikalisierung. Die Stuttgarter Zeitung: Wut auf Ungeimpfte, wenn das Verständnis aufhört. T-Online berichtet: Verschobene OPs machen Patienten wütend. Schuld daran natürlich auch die Ungeimpften. Das ZDF berichtet von einer Umfrage. Geimpfte haben kaum mehr Verständnis für Ungeimpfte. Und natürlich wird immer wieder auch die Ikone der deutschen Linken zitiert, Sleepy Joe Biden, der sagt: „Meine Geduld mit den Ungeimpften ist jetzt vorbei.“
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Wer sich ein wenig in der Geschichte auskennt, der erinnert sich an Joseph Goebbels, der dereinst mitgeteilt hat: „Unsere Geduld mit den Juden geht zu Ende. Wir werden ihnen bald das freche Lügenmaul stopfen.“ Reden wir über Markus Söder. Markus Söder wird nicht müde, von einer Pandemie der Ungeimpften zu reden. Was ist die Botschaft der Pandemie der Ungeimpften? Die Botschaft ist, jede Maßnahme, jede Einschränkung, jede Einschränkung der Grundrechte, jede Maske, die ihr tragen müsst, jede verschobene OP, all das ist Schuld der Ungeimpften, nicht der Politik.
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Natürlich wissen wir, dass der Ungeimpfte an der Pandemie genauso wenig schuld war wie früher die Juden daran schuld waren, dass das Reich in einer wirtschaftlich desolaten Verfassung war. Aber die Politik ist damals wie heute am Ende. Sie steht mit dem Rücken zur Wand und es gibt für diese Leute wie Söder, wie Spahn, jetzt Lauterbach als Nachfolger, es gibt kein Zurück mehr. The point of no return ist erreicht. Die können nicht mehr zurück. Sie können nicht einfach sagen: „Was wir gemacht haben, war ein Fehler“, weil die wirtschaftlichen Schäden zu hoch sind. Weil wir hier von, von Impfschäden und Nebenwirkungen reden. Weil wir von eingeschränkten Freiheitsrechten reden. Weil wir von einem desolaten Zustand reden, in den diese Politik auch unsere Demokratie gebracht hat. Es gibt für diese Politiker kein Zurück mehr. Also muss ein Schuldiger gefunden werden. Und dieser Schuldige ist für Markus Söder natürlich nicht Markus Söder. Es muss der Ungeimpfte sein. Und das ist genau die Methode, mit der ein sogenannter Volkszorn erzeugt wird.
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Ich weiß nicht, wie das in diesem Land weitergehen wird, wenn man sich die Verwünschungen durchliest, die in sozialen Medien bereits gegen, gegen Ungeimpfte geäußert werden, die, die, ja Gewaltphantasien, die Internierungsphantasien, Isolationsphantasien. Ein, ein Justizminister in NRW schreibt von Berufsverboten. All diese Dinge. Dann ist der Schritt von der klassischen Diskriminierung bis zu tatsächlich gewalttätigen Ausbrüchen nicht mehr groß. Und das, das ist der Grund, warum wir den Mund aufmachen müssen.
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Es gibt die Geschichte aus dem alten Rom, als im Gespräch war, dass Sklaven doch durch eine bestimmte Kleidung sofort erkennbar sein sollten. Ein weiser Mann hat dann davon abgeraten und gesagt: „Macht das nicht, sonst wissen sie, wie viele sie sind.“
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Politik und Medien reden immer von einer ganz, ganz kleinen Minderheit, die unser Land in Geiselhaft hält. Die Schuld ist an allem Übel dieser Welt aktuell. Ich glaube, so klein ist diese Minderheit gar nicht. Wir sehen sie nur nicht, weil wir uns im Zweifelsfall vielleicht verschämt zurückhalten, weil wir ja müde sind, diese Diskussionen zu führen, weil wir ja müde sind, uns diskriminieren zu lassen, weil wir müde sind, uns als Sündenbock für die Politik hernehmen zu lassen. Durchbrechen wir das. Reden wir mit den Menschen. Leisten wir Widerstand. Gehen wir auf die Straße. Und vor allem: Halten wir zusammen. Es gibt nichts, absolut nichts, wofür wir uns schämen müssten, weil wir uns entscheiden, an einer fragwürdigen medizinischen Maßnahme nicht teilzunehmen.
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Die Geschichte dieser sogenannten Pandemie ist noch nicht zu Ende erzählt. Und wir haben es in der Hand, wie sie ausgeht.
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Der Angeklagte spricht den kompletten Text in sachlichem und ruhigem Tonfall.
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Das Video dauert 6 Minuten und 45 Sekunden. Es wurde 2.954 Mal „geliked“, erhielt 530 Kommentare und wurde 2.309 Mal geteilt.
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Die Kommentare sind ihrer Aussage teilweise zustimmend, teilweise kritisch.
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Dem Angeklagten war bewusste, dass der Inhalt seines Facebook-Posts und des Videos geeignet war, die während der Herrschaft des Nationalsozialismus systematisch durchgeführte Verfolgung und Tötung von Juden zu verharmlosen, indem der Angeklagte dieses Vorgehen und diese Handlungen mit den Maßnahmen und Äußerungen gegenüber ungeimpften Personen verglich.
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Dem Angeklagten war weiter bewusst, dass sein Video geeignet war, den öffentlichen Frieden zu stören.
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Der Angeklagte nahm all dies zumindest billigend in Kauf.
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a) Der Angeklagte hat eingeräumt, das Video eingestellt zu haben.
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Er führte aus, er halte es für bemerkenswert, dass ihm eine Breitenwirkung unterstellt werde und das Video mit etwas anderem als legitimem Protest in Verbindung gebracht werde.
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Es sei völlig absurd, dass ein möglicher Vergleich eine Bagatellisierung darstellen sollte. Vielmehr sei, was den Juden im Dritten Reich widerfahren sei, nicht zu vergleichen mit den Maßnahmen gegenüber Ungeimpften. Wenn man jedoch – als Fiktion – davon ausgehe, dass eine Regierung derartiges inszeniere, dann müsse es erlaubt sein, derartige Vergleiche zu ziehen. Das habe er mit dem Video zum Ausdruck gebracht. Er habe nicht die Vorgänge in der Pogromnacht mit den (Corona-)Maßnahmen vergleichen, sondern den Weg menschenverachtender Propaganda aufgezeigt.
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Die angebliche Wirkung des Videos sei herbeiphantasiert: Die Kommentare darunter stammten von der politischen Gegenseite. Kein Kommentar stamme von einem Juden, der gesagt hätte, er fühle das Leid seines Volkes herabgesetzt. Auch habe es niemand als Aufruf zum Widerstand verstanden.
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Er habe in Israel in einem Erholungsheim für Angehörige von Opfern des Holocaust gearbeitet und habe eine große Leidenschaft für Israel und das Existenzrecht Israels.
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b) Die Feststellungen beruhen – neben den Angaben des Angeklagten – im Wesentlichen auf der Verlesung und dem Augenschein der Facebook-Seite, dem Augenschein des Videos und der Verlesung der unterhalb des Videos befindlichen Kommentare von Rezipienten des Videos.
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Auf dem zu Beginn des Videos eingestellten Foto ist der rechte und untere Bereich des im Bild befindlichen Schildes, insbesondere auch die Buchstaben „Jud“ des Wortes „Juden“, durch die darübergelegte Schrift verdeckt. Sowohl aus dem historischen Zusammenhang wie aus dem Zusammenhang des Videos ergibt sich ohne Weiteres, dass das im Bild befindliche Schild diese Aufschrift hat bzw. – es handelt sich augenscheinlich um eine historische Fotografie – hatte.
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Die Verlesung des schriftlichen Kommentars und der Augenschein des Videos ergaben den im Sachverhalt wiedergegebenen Inhalt. Ebenso waren dem Augenschein der Facebook-Seite die dort aufgeführten – „Likes“ und Kommentare und die Anzahl der Weiterleitungen zu entnehmen.
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c) Dem Angeklagten war bewusst, welchen Text er im Video einsprach: Dem Sprachduktus ist zu entnehmen, dass der Text nicht spontan formuliert, sondern diesen vorbereitet hatte. Dem Angeklagten war der Inhalt seiner Ausführungen daher klar. Aus dem Text ergibt sich, dass der Angeklagte es gezielt darauf anlegte, lediglich vordergründig einen Vergleich der Methoden der Nationalsozialisten zur Erzeugung eines „Volkszorns“ gegen die jüdische Bevölkerung bei den Novemberpogromen 1938 mit den Methoden zur Erzeugung eines „Volkszorns“ gegen Ungeimpfte zu vergleichen, tatsächlich jedoch auf das Verständnis abzielte, dass der Umgang mit Ungeimpften vergleichbar sei mit den Maßnahmen, denen die jüdische Bevölkerung in Deutschland – bereits bei den Novemberpogromen 1938 – ausgesetzt war.
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Auch Rezipienten des Beitrags des Angeklagten verstanden diesen so, dass es nicht um den vorgeschobenen „Volkszorn“ geht, sondern um die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie, und dass hier ein Vergleich mit dem Völkermord an den Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gezogen wurde, wie die verlesenen Facebook-Kommentare zum Video ergeben:
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So wird unter dem Namen Pia Rau kommentiert (Orthographie bei allen Kommentaren original):
„Ich bin Ungeimpft und das ist gut so und bleibt auch so Merke jeden Tag wie man behandelt wird ich komme mir vor wie bei den Juden von daher mein Respekt an Herrn J.“
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Unter dem Namen Annett Kowitz ist kommentiert:
„Früher hat man es mit den Juden so gemacht. Und heute macht man es mit den ungeimpften so. Traurig was [hier sind zwei Wörter in der Reproduktion undeutlich, möglicherweise lauten sie: heute passiert] alle Menschen müssen auf die Strasse alle. Es wird Zeit wir wurden lange genug verarscht. Das muss beendet werden der Irrsinn.“
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Unter dem Namen Sabrina Tina Coluccelli ist kommentiert:
„Sollen die Ungeinpften in der Zukunft ein Zeichen tragen mit dem Virus Symbol auf der linken Seite als Zeichen. Damit die geimpften einen großen Bogen um Sie tätigen. So wie die Juden ein David Stern hatte. Sind die Politiker 70 Jahre zurück gefallen haben die nichts dazu gelernt. Die Politiker sind die Hirten und das geimpft Volk die lieben Schafe. Und die Ungeimpften sollen aus sortiert werden von den Hirten Hunde in die Enge getrieben werden. Sollen die ungeimpften in einem Getto leben isoliert von der Welt sollen wir vielleicht verbrat werden wie die Hexen im 12 Jahrhundert. Es reicht langsam. Es ist alles nur eine Wissenschaftliche und wirtschaftliches Experimente. (…)„(In der Folge ergeht sich die Verfasserin in Verschwörungstheorien über die Ursache von Corona.“)
Ein weiterer Kommentar unter dem Namen Sieglinde Friedrich lautet: „Es gibt keinen volkszorn, hier gibt es nur Widerstand gegen Maßnahmen, gegen die coronamasnamen. Wir sagen, es reicht. Es reicht wirklich. Und lasst unsere Kinder in Ruhe. Impft was ihr wollt, gebt euch den Dreck 10 mal. Lasst die Menschen in Ruhe die diese Impfung nicht wollen. Wir gesunde Menschen, haben bis jetzt eure Erfindung überstanden, werden wir auch weiterhin. Bloß weg mit eurer Impfung. Ihr wollt das Volk kaputt machen, ne, das wird euch nie gelingen. Dafür sind wir, das Volk zu stark. Aber denkt drann, ihr lebt von unseren steuergeldern, nicht wir von euch. Hier muss was geschehen, so geht's nicht weiter. Alles muss auf die
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Unter dem Namen Horst Näther kommentiert ein Rezipient wie folgt:
„Hallo, meinen ALLE GEIMPFTEN seien vor allem geschützt?. Mein Imunsitem ist einfach in Ordnung und werde nicht durch einen Impfstoff mich umbringen lassen.
Mengele hat das auch versucht.
Ist das jetzt Auschwitz im großen Maß.“
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Unter dem Namen Silke Schmidt wurde der Beitrag des Angeklagten wie folgt kommentiert:
„Da sollten viele Nachdenken. Lasst es nicht zu das die Politiker mit eurer Gesundheit spielt, das das Volk gespalten wird. Es kommt eine Lüge nach der anderen. Ihr eigenes Versagen wollen sie uns ungeimpften zuschieben.nur weil wir hinterfragen und nicht gehorchen. Denen nicht hinterherlaufen. Wer in der DDR zu Hitlers Zeiten grossgeworden ist sollte eigentlich wissen wie es sich dort verhalten hat: Und genau so verhält es sich jetzt gegen die Ungeimpften. Eigentlich muss der Verfassungsschutz eingreifen oder das Verfassungsgericht. Tun sie aber nicht weil sie alle mit drinstecken. Sowie die öffentlichen Medien, Presse usw. Selbst Ärzte, Staatsanwälte, Anwälte, Richter machen dort mit. Oft auch weil sie unter Druck gesetzt werden. Oder weil sie gutes Geld daran verdienen.Steht auf, für eure Kinder und Enkelkinder. Denen sollt ihr Jahre später noch in die Augen schauen können. Keiner von denen wird es euch danken wenn euch durch die Impfung was passiert. Den ist eure Gesundheit wurst. Hier geht es allein um Geld und Macht. Wacht auf.“
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Damit ist auch die Einlassung des Angeklagten widerlegt, die Kommentare stammten von der politischen Gegenseite; tatsächlich haben noch zahlreiche andere Kommentare eine zustimmende Aussage zum Video des Angeklagten.
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d) Ebenso war ihm zumindest bewusst, dass seine Ausführungen geeignet waren, den öffentlichen Frieden zu stören: Gegen des Textes ruft er ausdrücklich dazu auf, Widerstand zu leisten und „auf die Straße zu gehen“. Dass der Angeklagte damit nicht nur friedlichen Protest gegen staatlich angeordnete Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie meinte, ergibt sich bereits aus dem Zusatz, dass man sich in diesem Zusammenhang (Widerstand und „auf die Straße gehen“) für „absolut nichts“ zu schämen habe, also auch nicht für unfriedlichen Protest.
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Es liegt auf der Hand und war auch dem Angeklagten klar, dass Rezipienten des Videos dies als Aufruf zum Handeln und schlimmstenfalls sogar zur Begehung von Gewalttaten verstehen würden.
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Auch in diesem Sinne wurde der Inhalt des Videos auch von Rezipienten verstanden, wie die (verlesenen) Facebook-Kommentare unterhalb des Videos belegen:
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So kommentiert ein Rezipient unter dem Namen Markus Koop:
„Laut ZDF sind die die sich wiedersetzen und ihr Recht einfordern jetzt mit Terroristen gleichzusetzen.
Es folgt wohl den gleichen Mechanismen wie in der Vergangenheit.
Nur das es heute Aufzeichnungen gibt das nicht alle sich mit schweigen der vermeintlichen Masse anschließen. Jeder kennt unsere Geschichte daher kann sich keiner herausreden wenn Menschen zu Schaden kommen. Ich verurteile Gewalt in jeglicher Form! Aber wenn ich angegriffen werde, werde ich mich verteidigen. Mit allen Mitteln die mir zur Verfügung stehen.
Dem Staat sollte klar sein daß wir nicht schweigen werden! Wir werden Fragen stellen! Unangenehme Fragen!“
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Dem entnimmt die Kammer, dass dieser Kommentator hinsichtlich des vom Angeklagten besprochenen Themas – Maßnahmen gegen COVID-19 – die Anwendung von „allen Mitteln“ und auch von Gewalt zur „Verteidigung gegen einen Angriff für zulässig erachtet.
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Unter dem Namen Roland Stahl wird dieser Kommentar beantwortet wie folgt: „wenn wir nicht langsam wach werden und diese Drecksbande verjagen bzw. bestrafen, wird es noch schlimmer!“
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Unter dem Namen Armin Baumgärtner folgt folgender Kommentar:
„Nur mit dem Unterschied das in der heutigen Zeit die Leute nicht mehr so lange zuschauen bis die Sache ist kaliert wenn man die ungeimpften als Sündenbock hinstellt ich persönlich werde mich wehren bis zum letzten
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Unter dem Namen Marc Helmut Sauermann wird kommentiert:
„Es ist genauso richtig, wir sind im 4.Reich und wenn wir das mit dem 3.Reich vergleichen, dann merkt man das Deutschland in die Linke Katastrophe läuft, und zwar geht das solange bis es knallt. Das System BRD ist am Ende, jeder Migrant hat mehr Rechte als wir Deutschen. Terror und Gewalt regiert in diesem Land, bis zum ganz grossen Schlag.“
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Auch der oben bereits zitierte Kommentar unter dem Namen „Sieglinde Friedrich“ mit dem Schlusswort „Alles muss auf die Straßen. Alles.“ belegt dies.
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Die hier von den Kommentatoren verwendeten Formulierungen („wehren bis zum letzten Atemzug“, „bis es knallt“, „bis zum ganz großen Schlag“) belegen, dass diese Kommentatoren den Text des Angeklagten als Befürwortung eines auch unfriedlichen Widerstands verstanden haben und sich damit einverstanden erklären.
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Damit ist auch die Einlassung des Angeklagten widerlegt, niemand habe sein Video als Aufruf zum Widerstand verstanden.
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e) Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen beruhen auf den Angaben des Angeklagten und dem Auszug aus dem Bundeszentralregister.
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Der Angeklagte hat sich durch die gegenständliche Facebook-Beiträge der Volksverhetzung in Form des Verharmlosens des unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Verfolgung der europäischen Juden schuldig gemacht (§ 130 Abs. 3 StGB).
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a) Bereits die Novemberpogrome 1938 sind Teil der systematischen Verfolgung der Juden mit dem Ziel von deren Vernichtung. Hiervon wird die gesamte Bandbreite der NS-Gewalt- und Willkürmaßnahmen wie Massenvernichtungen erfasst, aber auch die Ausschreitungen um die sog. Reichspogromnacht, bei denen vom 7. bis 30.11.1938 etwas 400 Menschen ermordet oder in den Selbstmord getrieben, über 1400 Synagogen und sonstige Versammlungsräume sowie tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe zerstört wurden (Krauß in Leipziger Kommentar, 13. Aufl., 2021, Rz. 134 zu § 130 StGB m. Verw. auf VerfG MV NVwZ 2010, 958).
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b) Durch seine Äußerung setzte der Angeklagte die – als Völkermord strafbaren – Handlungen, die während der Novemberpogrome 1938 begangen wurden, mit den Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie gleich, und verharmloste dadurch diese Handlungen. Ein Verharmlosen liegt auch in den Fällen vor, in denen die Verbrechen gegen die Juden nicht negiert werden, sondern mit der gegenwärtigen (oder eigenen) Situation verglichen werden, um die gegenwärtigen politischen Entscheidungen zu kritisieren, da die als Völkermord strafbaren Handlungen gegenüber den deutschen Juden 1938 eine ganz andere Kategorie haben als die kritisierten staatlichen Maßnahmen. Auch Personen, die COVID-19-Schutzmaßnahmen (hier insbesondere die Notwendigkeit einer Impfung in bestimmten Bereichen) ablehnen, sind nicht im Ansatz staatlichen Maßnahmen ausgesetzt, die die Zerstörung einer Gruppe iSd. § 6 Abs. 1 VStGB zum Gegenstand hätten.
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Der Beitrag und das Video des Angeklagten unterfallen dabei nicht dem Schutzbereich Meinungsfreiheit gem. Art. 5 GG:
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Der Aussagegehalt der Äußerung kann – unter Berücksichtigung aller Begleitumstände – nur so verstanden werden, dass der Angeklagte einen Vergleich zwischen den Maßnahmen bei den Novemberpogromen 1938 mit den Maßnahmen gegen „Ungeimpfte“ im Rahmen der Coronapandemie zieht:
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So stellt der Angeklagte eine Äußerung von Joe Biden „Meine Geduld mit den Ungeimpften ist jetzt vorbei“ unmittelbar gegenüber einem Zitat von Joseph Goebbels, „Unsere Geduld mit den Juden geht zu Ende“. Eine scheinbare Relativierung – die Ungeimpften seien an der Pandemie genauso wenig schuld wie früher die Juden an der wirtschaftlich desolaten Verfassung – setzt die Parallele zwischen Ungeimpften und Juden in Wahrheit fort. Hinzukommt die – augenscheinlich aus der NS-Zeit – stammende Fotografie vor dem Start des Videos, die einen nationalsozialistischen Boykottaufruf zeigt, was wiederum betont, dass der Angeklagte hier einen Vergleich mit den nationalsozialistischen Methoden mit den Maßnahmen gegen „Ungeimpfte“ zieht.
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Demgegenüber ist die Ansicht des Angeklagten, er habe nur den Weg menschenverachtender Propaganda aufzeigen wollen, unter Berücksichtigung der Begleitumstände nicht der alleinige Inhalt des Videos: Zwar äußert der Angeklagte zu Beginn, dass ein „berechtigter Volkszorn“ gegen Juden im Herbst 1938 nur inszeniert gewesen sei, und mit das Finden der Ungeimpften als Schuldigen für einen gegenwärtigen „desolaten Zustand“ die Methode sei, mit der ein sogenannter Volkszorn erzeugt werde. Der Angeklagte geht in seinem Video jedoch allenfalls durch das Goebbels-Zitat auf die Methoden nationalsozialistischer Propaganda ein, und stellt im Übrigen lediglich fest, dass damals ein „Volkszorn“ „organisiert“ worden sei. Bei den Beispielen zur Erzeugung eines „Volkszorns“ beschränkt sich der Angeklagte jedoch auf (angebliche) Beispiele aus der Gegenwart („Wut auf Ungeimpfte“; „jede Einschränkung (…) ist Schuld der Ungeimpften“; „Gewaltphantasien, Internierungsphantasien, Isolationsphantasien“). Schon aus dem Wortlaut der Äußerung ergibt sich hier kein eingehender Vergleich mit der Propaganda der NS-Zeit.
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Das Publikum, an das sich der Angeklagte – in Gestalt der Kommentatoren seines Beitrags – gewandt hat, hat beide Aussagen im Video gefunden (sowohl Vergleich der Propaganda-Methoden, als auch Vergleich der Methoden der Verfolgung und Unterdrückung).
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Im Sinne der Einlassung des Angeklagten mögen folgende Kommentare den Beitrag aufgefasst haben:
„Sie haben genau das gesagt, was es ist! Die Politikverbrecher hetzen gegen ungeimpfte und schaffen damit die Situation, die wir haben! Und wir braven Deutsche machen mit, weil wir ja dann Nazis wären !" (unter dem Namen Ulrich Grätz-Veit)
„Was heisst sich aufhetzen lassen .was tun gegen diese Hetze von den Medien und Fernsehen .Die Impfpflicht das ist ein Kapitalverbrechen jeder sollte geimpft sein .Mit Gesundheit hat das nichts zu tun .Was dann??
(unter dem Namen Manfred Nimmervoll)
„Im Coronawahn, hat Spahn viel Geld vertan, viel Angst verbreitet, uns zu Lockdowns verleitet, Steuer-Milliarden verprasst für Spritzen Die nicht schützen und nichts nützen, Also einfach weiter spritzen Alles geht schief, nix klappt, habt Geduld:
Logisch – die 'Ungeimpften' haben schuld!
(unter dem Namen Atze Horst)
„Ja, Kretschmer betitelt nun die nicht Geimpften als Rechtsextremisten und asozial, damit hetzt er die Geimpften noch mehr auf, damit er freie Bahn hat !!!!" (unter dem Namen Ulrike Gwiasda)
„Das hat der Klaus Schwab alles in seinem Plan Dokument niedergeschrieben Ich zitiere nochmal Stellt die ungeimpften in eine Rechte Ecke und macht sie Verantwortlich für diese Pandemie.“
(unter dem Namen Chayenne Cooper)
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Das Video ist für ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum jedoch nur so zu verstehen, dass hier – jedenfalls auch – ein Vergleich zwischen den Methoden der nationalsozialistischen Judenverfolgung und den Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie gezogen wird. So belegen die bereits oben wiedergegebenen Kommentare unter den Namen Pia Rau, Annett Kowitz, Sabrina Tina Coluccelli, Sieglinde Friedrich und Horst Näther, dass zahlreiche Rezipienten das Video des Angeklagten im Sinne eines Vergleichs der Maßnahmen gegen Ungeimpfte mit den Maßnahmen zur Verfolgung und Vernichtung der deutschen Juden 1938 verstanden haben.
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Im Ergebnis unterfällt das Video des Angeklagten damit nicht der Meinungsfreiheit gem. Art. 5 GG, da bereits der Wortlaut ebenso wie die Umstände und das Verständnis von Rezipienten ergeben, dass dort – jedenfalls auch – ein Vergleich zwischen den Methoden der nationalsozialistischen Judenverfolgung und den Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie gezogen wird. Dieser Vergleich ist in tatsächlicher Hinsicht unzutreffend, so dass die Aussage des Angeklagten insoweit keine Meinungsäußerung darstellt und damit dem Schutzbereich des Art. 5 GG nicht unterfällt.
73
c) Der Angeklagte hat sich durch sein Video öffentlich geäußert, indem er es auf seinen öffentlichen Facebook-Account eingestellt hat.
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d) Das Video des Angeklagten war, wie oben dargelegt, geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören.
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e) Ein §§ 130 Abs. 8, 86 Abs. 4 StGB genannter sozialadäquater Zweck für die Äußerung liegt nicht vor.
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Bei der Strafzumessung war vom Strafrahmen des § 130 Abs. 3 StGB auszugehen.
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Zugunsten des Angeklagten wurde berücksichtigt, dass er den Sachverhalt einräumte, wobei es angesichts der Öffentlichkeit des Videos hieran wenig zu bestreiten gab.
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Zugunsten wurde auch gewertet, dass der Angeklagte das Video nach Beginn der Ermittlungen von seinem Facebook-Account entfernte.
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Zugunsten wurde weiter berücksichtigt, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist.
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Zu Lasten wurde die hohe Reichweite des Videos berücksichtigt, das mindestens 2.954 Mal angesehen wurde (denn so häufig wurde es „geliked“) und 2.309 Mal „geteilt“, also weitergeleitet wurde.
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Unter Gesamtabwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hielt auch die Kammer die vom Amtsgericht verhängte Geldstrafe von 90 Tagessätzen für tat- und schuldangemessen. Insbesondere erschien es nicht veranlasst, gegen den nicht vorbestraften Angeklagten eine Strafe zu verhängen, die in ein Führungszeugnis Eingang finden würde.
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Bei der Bemessung der Tagessatzhöhe hat die Kammer das Monatseinkommen des Angeklagten zugrunde gelegt und berücksichtigt, dass er seiner – im Haushalt lebenden Tochter – gemeinsam mit seiner Ehefrau Naturalunterhalt leistet.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 StPO. Die Berufung des Angeklagten hatte letztlich nur in sehr geringem Umfang Erfolg, so dass es nicht unbillig erscheint, ihn mit den gesamten Kosten des Berufungsverfahrens zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).