Titel:
Kein Schadensersatz aufgrund Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen wegen Verjährung
Normenketten:
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
BGB § 199 Abs. 1, § 823 Abs. 2, § 826, § 852
Leitsätze:
1. In Dieselfällen genügt es für den Beginn der Verjährung gemäß § 199 Abs. 1 BGB, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis vom Diesel- bzw. Abgasskandal im Allgemeinen, von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern naturgemäß beim Geschädigten vorhanden ist. Hierbei kann davon ausgegangen werden, dass der Käufer spätestens mit dem Aufspielen eines Software-Updates auf Grundlage eines verpflichtenden Rückrufs des Kraftfahrtbundesamtes von allen anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat, bzw. ihm insofern grob fahrlässige Unkenntnis vorzuwerfen ist. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Restschadensersatzanspruch gegen den Motorenhersteller Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen scheidet mangels konkreter Vermögensmehrung des Motorenherstellers aus. Dieser hat allenfalls einen wirtschaftlichen Vorteil aus der Herstellung und Veräußerung des Motors erlangt. Durch das spätere Inverkehrbringen des nicht von ihm entwickelten und hergestellten Fahrzeugs, in das der Motor eingebaut wurde, hat der Motorenherstellers hingegen nichts erlangt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
illegale Abschalteinrichtung, Verjährung, Rückruf, Restschadensersatzanspruch, Abgasskandal
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Urteil vom 31.03.2023 – 41 O 1803/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 39340
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 31.03.2023, Az. 41 O 1803/22 Die, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 08.01.2024.
Gründe
1
Dem Hinweis des Senats liegt folgender Sach- und Streitstand zugrunde:
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Der Kläger macht gegen die beiden Beklagten Schadensersatzansprüche wegen des Kaufs eines von der Diesel-Abgasaffäre betroffenen PKWs geltend.
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Die Klagepartei erwarb am 03.05.2016 von der Firma A das Gebrauchtfahrzeug ... Touareg 3.0 V6 TDI 193 kW (EU6) mit der Fahrzeugidentifikationsnummer FIN ... zu einem Kaufpreis in Höhe von 53.300,00 € brutto. Der Motor im streitgegenständlichen Fahrzeug wurde durch die Beklagte entwickelt und hergestellt. Die Laufleistung des Fahrzeugs betrug zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages 9.500 Kilometer. Zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung belief sich die Laufleistung auf 95.067 Kilometer.
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Das streitgegenständliche Fahrzeug unterliegt einem verpflichtenden Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA). In dem Rückrufbescheid geht das KBA davon aus, dass zwei unzulässige Abschalteinrichtungen in dem Fahrzeug verbaut sind, so dass softwarebedingt im Prüfstand eine im Vergleich zum normalen Fahrbetrieb erhöhte Rückführung von Abgasen erfolgte. Das vom KBA angeordnete Software-Update wurde am 19.06.2018 aufgespielt.
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Der Kläger begehrt einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Schadensersatz in Höhe von mindestens 15% des Kaufpreises, also mindestens 7.995,00 € nebst Zinsen. Er stützt seine Ansprüche vor allem auf § 826 BGB i. V. m. § 31 BGB.
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Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, die Beklagte habe in der Motorsteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeugs illegale Abschalteinrichtungen verwendet, um die geltenden Abgasnormen zu umgehen. Weiter bringt der Kläger vor, das Update habe verschiedene negative Auswirkungen auf das Fahrzeug, das Fahrverhalten und den Verbrauch. Er hätte das Fahrzeug in Kenntnis des Vorhandenseins der unzulässigen Abschalteinrichtung und der daraus resultierenden Mangelhaftigkeit nicht erworben.
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Die Beklagte beantragte die Klageabweisung. Sie erhebt die Einrede der Verjährung. Der Kläger habe spätestens im Jahr 2018 von der Betroffenheit seines Fahrzeugs von dem verpflichtenden Rückruf des KBA Kenntnis erlangt. Im Jahr 2018 seien die Beanstandungen des KBA bei V-TDI-Motoren in allen Medien omnipräsent gewesen. Zudem seien bereits im Jahr 2017 Pressemitteilungen dazu sowohl der Beklagten als auch des KBA erfolgt. Auch habe die Beklagte auf ihrer Internetseite eine FIN-Abfrage bereitgestellt, mit der die Betroffenheit des Fahrzeugs habe ermittelt werden können. Die Halter der Fahrzeuge seien in der 8. Kalenderwoche 2018 über den angeordneten Rückruf und das Erfordernis eines Updates informiert worden.
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Mit dem Endurteil vom 30.03.2023 wies das Landgericht die Klage ab, da es einen Anspruch auf Schadenersatz nach § 826 BGB als verjährt ansah.
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Mit ihrer Berufung gegen das landgerichtliche Urteil verfolgt die Klagepartei ihre erstinstanzlichen Klageziele weiter und macht geltend, das Landgericht sei zu Unrecht von einer Verjährung ausgegangen. Anders als bei ... habe es bei der Beklagten keine Ad-hoc-Mitteilung gegeben. Erst mit den Rückrufschreiben der Beklagten 2019 und 2020 habe der Kläger Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs erlangen können. Zudem sei die temperaturabhängige Abschalteinrichtung gar nicht Gegenstand des Rückrufs durch das KBA gewesen.
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Im Übrigen wird auf den Tatbestand des Urteils des Landgerichts Ingolstadt vom 30.03.2023, 41 O 1803/22 und die gewechselten Schriftsätze der Parteienvertreter mitsamt Anlagen Bezug genommen.
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Das angefochtene Urteil des Landgerichts Ingolstadt beruht weder auf einem Rechtsfehler (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zu berücksichtigende Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO. Obwohl im streitgegenständlichen Fahrzeug, welches mit einem Motor der Beklagten ausgestattet ist, ursprünglich mindestens zwei unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut waren, hat das Landgericht die Klage gegen die Beklagten zu Recht abgewiesen.
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Ein etwaiger Anspruch aus §§ 826, 31 BGB ist jedenfalls verjährt, §§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB.
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Die Verjährungsfrist hat spätestens mit Ablauf des 31.12.2018 zu laufen begonnen (vgl. zum Motor EA 189 von VW: BGH, Urteil vom 9.5.2022, Az. VIa ZR 441/21; BGH Urt. v. 10.2.2022; Az. ZR 679/21; beck-online). Die dreijährige Verjährungsfrist endete somit am 31.12.2021. Im Zeitpunkt der Klageerhebung im Jahr 2022 war daher Verjährung eingetreten.
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1. Wie der Bundesgerichtshof bereits wiederholt entschieden hat, genügt es in Fällen der vorliegenden Art für den Beginn der Verjährung gemäß § 199 Abs. 1 BGB, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis vom „Diesel-“ bzw. „Abgasskandal“ im Allgemeinen, von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern naturgemäß beim Geschädigten vorhanden ist (BGH Urt. v. 10.2.2022 – ZR 679/21, BeckRS 2022, 4167 Rn. 22, beck-online, m.w.N.). Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht in nicht zu beanstandender Art und Weise festgestellt, dass der Kläger spätestens mit dem unstreitigen Aufspielen des Software-Updates am 19.06.2018 auf Grundlage eines verpflichtenden Rückrufs des KBA von allen anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hatte, bzw. ihm insofern grob fahrlässige Unkenntnis vorzuwerfen wäre.
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2. Soweit die Klagepartei wiederholt und ohne Bezug zu dem konkreten Fall vorbringt, Rückrufschreiben seien durch die Beklagte erst 2019 und überwiegend 2020 an die Käufer der Fahrzeuge verschickt worden, fehlt dem Sachvortrag jegliche Substanz und steht im Übrigen im Widerspruch zur Tatsache, dass schon 2018 ein verbindlicher Rückruf des KBA vorlag und schließlich auch im Juni 2018 bereits das verpflichtende Software-Update im streitgegenständlichen Fahrzeug aufgespielt wurde. Zudem lässt das Vorbringen nicht erkennen, warum Rückrufschreiben durch den Motorhersteller und nicht durch den Fahrzeughersteller erfolgt sein sollten.
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3. Soweit die Klagepartei in der Berufungsbegründung vorbringt, das Thermofenster sei nicht Gegenstand des Rückrufs des KBA gewesen, so dass die Verjährungsfrist der hierauf gestützten Schadenersatzansprüche erst später zu laufen begonnen habe und damit eine Verjährung insoweit nicht eingetreten sei, vermag auch diese Argumentation der Berufung des Klägers nicht zum Erfolg zu verhelfen.
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a) Einerseits reicht es für die Kenntnis der wesentlichen anspruchsbegründenden Umstände bereits aus, dass der Geschädigte Kenntnis von der Existenz einer den Schadenersatzanspruch begründenden unzulässigen Abschalteinrichtung erlangt hat. Unabhängig davon, wie viele unzulässige Abschalteinrichtungen tatsächlich im Fahrzeug verbaut sind, handelt es sich um einen Schadenersatzanspruch, der auch nur einen einheitlichen Streitgegenstand bildet (zum Streitgegenstandsbegriff in Dieselverfahren vgl. BGH Urt. v. 22.2.2022 – ZR 934/20, BeckRS 2022, 4978 Rn. 11, beck-online). Dementsprechend stellt es auch keine Klageänderung dar, wenn im weiteren Verlauf des Prozesses der Schadenersatzanspruch neben den ursprünglich geltend gemachten unzulässigen Abschalteinrichtungen noch auf weitere Abschalteinrichtungen gestützt wird. Vor diesem Hintergrund beginnt auch die Verjährungsfrist für den geltend gemachten Schadenersatzanspruch einheitlich und nicht in Abhängigkeit zu den einzelnen unzulässigen Abschalteinrichtungen.
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b) Zum anderen ist vorliegend auch nicht ersichtlich, dass allein aufgrund des Sachvortrags der Klagepartei zum Thermofensters sich hier ein Schadenersatzanspruch gegen die Beklagte als Motorherstellerin ergeben könnte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az. ZR 433/19, BeckRS 2021, 847, Rn. 17) reicht der Einsatz eines Thermofensters – dessen Unzulässigkeit unterstellt – für sich genommen nicht aus, um einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB zu begründen. Hieran hält der Bundesgerichtshof auch nach dem Urteil des EuGH vom 21.03.2023 in der Rechtssache C-100/21 ausdrücklich fest (BGH, Urteil vom 26.06.23 – VIa ZR 335/21, Rn.48). Anhaltspunkte dafür, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung des Thermofensters in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen, zeigt die Klagepartei auch in der Berufungsbegründung nicht auf.
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Es besteht auch kein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf den sog. Differenzschaden gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. gemäß § 830 Abs. 2 BGB. Die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV i. V. m. Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 schützen das Vertrauen des Käufers auf die Übereinstimmung des Fahrzeugs mit allen maßgebenden Rechtsakten beim Fahrzeugkauf. Der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs fällt in den persönlichen Schutzbereich dieser Normen. Geschützt ist das Interesse, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 19, 21, 32).
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Jedoch knüpft die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV an die Erteilung einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung durch den Fahrzeughersteller an. Nur diesen, nicht den Motorhersteller, trifft die Sonderpflicht, eine mit den unions-gesetzlichen Vorgaben konvergierende Übereinstimmungsbescheinigung auszugeben. Der Fahrzeughersteller legt die Übereinstimmungsbescheinigung in seiner Eigenschaft als Inhaber einer EG-Typgenehmigung gemäß Art. 18 Abs. 1 der RL 2007/46/EG jedem Fahrzeug bei; sie bescheinigt gemäß Art. 3 Nr. 36 der RL 2007/46/EG nicht nur die Übereinstimmung des erworbenen Fahrzeugs mit dem genehmigten Typ, sondern auch die Einhaltung aller Rechtsakte. Der Motorhersteller kann deshalb, weil er die Übereinstimmungsbescheinigung nicht ausgibt, weder Mittäter einer Vorsatztat des Fahrzeugherstellers noch mittelbarer (Vorsatz-)Täter hinter dem (gegebenenfalls fahrlässig handelnden) Fahrzeughersteller sein, weil ihm nicht die hierzu erforderliche Sonderpflicht obliegt (BGH, Urteil vom 10.07.2023, VIa ZR 1119/22, MDR 2023, 1042, juris Rdnr. 20).
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Ein Restschadensersatzanspruch nach § 852 BGB im Hinblick auf den verjährten Schadenersatzanspruch scheidet hier aus.
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1. Nach § 852 Satz 1 BGB ist der Ersatzpflichtige, der durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt hat, auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus der unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift sollen demjenigen, der einen anderen durch unerlaubte Handlung schädigt und dadurch sein Vermögen mehrt, auch bei Verjährung des Schadensersatzanspruchs nicht die auf diese Weise erlangten Vorteile verbleiben (BGH, Urteil vom 10.02.2022, ZR 365/21, Rn. 26 ff.; BGH, Urteil vom 10.02.2022, ZR 692/21, Rn. 41; BGH, Urteil vom 21.02.2022, VIa ZR 8/21, Rn. 81 ff.; Urteil vom 21.02.2022, VIa ZR 57/21, Rn. 13). Ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB scheidet jedoch mangels konkreter Vermögensmehrung der Beklagten aus. Sie hat allenfalls einen wirtschaftlichen Vorteil aus der Herstellung und Veräußerung des Motors erlangt. Durch das spätere Inverkehrbringen des nicht von ihr entwickelten und hergestellten Fahrzeugs, in das der Motor eingebaut wurde, hat die Beklagte hingegen nichts erlangt.
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2. Zum anderen handelt es sich vorliegend um einen Gebrauchtwagenkauf, so dass durch den konkreten Erwerb auch der Fahrzeughersteller selbst nichts auf Kosten des Klägers erlangt hätte (vgl. BGH, NJW 2022, 1311 Rn. 30f).
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Da die Berufung nach Auffassung des Senats keine Aussicht auf Erfolg hat, stellt er dem Kläger anheim, sie aus Kostengründen zurückzunehmen. Auf Nr. 1220, 1222 KV-GKG wird Bezug genommen.
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Für den Fall der Rücknahme der Berufung ist beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren ausgehend von den klägerischen Anträgen in der Berufungsbegründung auf 7.995,00 €.