Inhalt

OLG München, Beschluss v. 30.11.2023 – 20 U 3012/23 e
Titel:

Verjährung von Schadensersatzansprüchen im Zusammenhang mit dem Motor EA 897 (hier: Porsche-Fahrzeug)

Normenketten:
BGB § 199 Abs. 1, § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2022, 21374; BeckRS 2023, 15119; BeckRS 2023, 38290; KG BeckRS 2023, 33393; OLG Celle BeckRS 2023, 34908; OLG München BeckRS 2023, 32991; OLG Saarbrücken BeckRS 2022, 34471; OLG Bamberg BeckRS 2023, 31419 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG München BeckRS 2022, 36080 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Wurde am Fahrzeug des Käufers aufgrund der Rückrufaktion AJ07 ein Software-Update durchgeführt, wobei er sich mit Hilfe der Rückrufdatenbank des KBA über den Gegenstand der genannten Rückrufaktion hätte informieren können und dort als Beschreibung die Angabe: „Entfernung unzulässiger Abschalteinrichtungen bzw. der unzulässigen Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems“ gefunden hätte, hätte sich ihm aufdrängen müssen, dass Schadensersatzansprüche gegen den Hersteller des Motors bestehen können. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB verjährt einheitlich und nicht bezüglich jeder einzelnen (unterstellten) Abschalteinrichtung gesondert. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi, Porsche, 3,0 Liter-Motor, EA 897, unzulässige Abschalteinrichtung, Software-Update, Verjährung, grob fahrlässige Unkenntnis
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 12.06.2023 – 27 O 475/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 39334

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München vom 12.06.2023, Aktenzeichen 27 O 475/23, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 61.749,51 € festgesetzt.

Gründe

1
Der Kläger begehrt nach dem Kauf eines Fahrzeugs mit Dieselmotor Schadensersatz.
2
Der Kläger hat mit Kaufvertrag vom 11.09.2014 den Pkw ..., FIN: erworben. In diesem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor vom Typ EA 897, Schadstoffklasse EU 6 verbaut.
3
Hinsichtlich der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstands wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München vom 12.06.2023 Bezug genommen.
4
Das Landgericht hat die Klage insgesamt wegen Verjährung abgewiesen, wogegen sich der Kläger mit seiner Berufung vom 12.07.2023 wendet. Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger vor:
5
Ihm stehe wegen der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung der Beklagten Schadensersatz gemäß § 826 BGB zu. Bereits der Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung reiche aus, um das Verhalten der Beklagten als sittenwidrig einzustufen. Dieser Anspruch sei nicht verjährt. Ein grob fahrlässiges Verhalten des Klägers gemäß § 199 Abs. 1, Nr. 2 BGB sei nicht gegeben. Insbesondere habe der Kläger nicht bereits 2018 erkennen können, dass die Beklagte Schuldnerin des Schadensersatzanspruchs sein könne. Er sei davon ausgegangen, dass die P. AG, die eine eigene Motorenentwicklung unterhält, den Dieselmotor selbst entwickelt habe. Er sei davon ausgegangen, dass wo ... draufsteht, auch ... drin ist. Jedenfalls habe der Kläger 2018 noch keine Kenntnis über alle verbauten Abschalteinrichtungen gehabt; diesbezügliche beginne die Verjährung jedenfalls später. Darüber hinaus stehen dem Kläger auch Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.v.m. der EG-FGV zu.
6
Der Kläger beantragt,
Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts zu erkennen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 61.749,51 € (Kaufpreis abzüglich der Nutzungsentschädigung mit Kilometerstand zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz) abzüglich einer weiter zu berechnenden vom Gericht auf Basis einer Gesamtlaufleistung von zumindest 350.000 km zu schätzenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Zugrundelegung des Kilometerstandes zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs ... Macan S Diesel mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ...
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu Ziffer 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Kosten für die Rechtsverfolgung in Höhe von 2.147,83 € freizustellen.
7
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
8
Der Senat hat mit Beschluss vom 05.10.2023 darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Der Kläger hat hierzu in der Gegenerklärung vom 16.11.2023 Stellung genommen.
9
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München vom 12.06.2023, Aktenzeichen 27 O 475/23, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
10
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 05.10.2023 Bezug genommen.
11
Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung vom 16.11.2023 geben zu einer Änderung keinen Anlass.
12
1. Inwieweit die Voraussetzungen des § 826 BGB vorliegend erfüllt sind, kann dahinstehen. Entsprechende Ansprüche sind mit Ablauf des 31.12.2022 verjährt. Die Verjährung konnte daher durch die Erhebung der Klage (Einreichung: 13.01.2023; Klagezustellung: 13.02.2023) nicht mehr gehemmt werden. Die Verjährung eines (unterstellten) Schadensersatzanspruchs gegen die Beklagte begann gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit Ende des Jahres 2019. Dem Kläger war spätestens ab Januar 2019 aus grober Fahrlässigkeit nicht bekannt, dass es sich bei der Beklagten um den Hersteller des hier verbauten Motors handelt.
13
a) Ein grob fahrlässiges Verhalten setzt dabei einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus (BGH Urteil vom 15.03.2016 – ZR 122/14).
14
b) Der Kläger hatte aus der Medienberichterstattung grundsätzlichen Kenntnis vom Dieselskandal (Angaben des Klägers, Protokoll vom 24.04.2023, S. 3). Aufgrund eines Halteranschreibens der P. GmbH vom Mai 2018 hatte er auch positive Kenntnis von dem Umstand, dass sein Fahrzeug vom Dieselskandal betroffen ist (Klageerwiderung, S. 3). Aus der Bestätigung, die er nach Durchführung des Updates erhielt (Anlage K 2), ergibt sich ebenfalls eindeutig, dass das Kraftfahrtbundesamt (künftig: KBA) bezüglich des streitgegenständlichen Fahrzeugs Nebenbestimmungen auferlegt hat, die im Rahmen des Updates umgesetzt wurden.
15
c) Der Kläger führt im Ausgangspunkt zutreffend aus, dass der Geschädigte im Rahmen des § 199 Abs. 1, Nr. 2 BGB grundsätzlich keine Initiative entwickeln muss, um den Schädiger zu ermitteln. Eine solche Pflicht kann sich jedoch aufgrund der Umstände des Einzelfalls ergeben (BGH a. a.O.). Vorliegend war der Kläger aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls gehalten solche Ermittlungen anzustellen. Für den Kläger musste sich spätestens mit der Aushändigung der Bestätigung vom 03.01.2019 (Anlage K 2) aufdrängen, dass ihm Schadensersatzansprüche zustehen können. Aus dieser Bestätigung ist eindeutig zu entnehmen, dass Arbeiten am Motor seines Fahrzeugs durchgeführt wurden. Das „Motorsteuergerät NOx“ und die Rückrufaktion AJ07 werden in der Bescheinigung ausdrücklich benannt. Dennoch hat er auf der Hand liegende Informationsquellen, die ohne besondere Kosten oder nennenswerte Mühen zur Verfügung stehen (BGH Urteil vom 21.02.2022 – VIa ZR 6/21) nicht genutzt, um den Adressaten potentieller Schadensersatzansprüche zu ermitteln. Es wäre dem Kläger möglich gewesen sich mit Hilfe der Rückrufdatenbank des KBA über den Gegenstand der genannten Rückrufaktion zu informieren. Dort wird als Beschreibung der Rückrufaktion AJ07 angegeben: „Entfernung unzulässiger Abschalteinrichtungen bzw. der unzulässigen Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems“. Damit musste sich dem Kläger aufdrängen, dass Schadensersatzansprüche gegen den Hersteller des Motors zu richten sind. Nach seinen eigenen Angaben hat er sich nach der Durchführung des Updates am 03.01.2019 nicht näher mit der Sache befasst (Protokoll vom 24.04.2023, S. 2). Neben der sich weiterhin aufdrängenden Nachfrage bei der (das Update durchführenden) Werkstatt hat es der Kläger auch unterlassen Informationen über die in der Bescheinigung angegebene Telefonnummer einzuholen. Darüber hinaus war auch anhand zahlreicher Veröffentlichungen in den Medien nachzuvollziehen, dass Dieselfahrzeuge der P. AG mit Motoren der Beklagten ausgerüstet sind; dieser Vortrag der Beklagten (Schriftsatz vom 14.04.2023, S. 10ff.) blieb zunächst unbestritten. Soweit der Kläger nun in der Gegenerklärung (dort S. 4) das Gegenteil behaupten lässt, stellt dies kein wirksames Bestreiten des detaillierten Vortrags der Beklagten zur Medienberichterstattung dar. Aufgrund dieser Medienberichterstattung hätte der Kläger auch seine Meinung, ... entwickle die eingesetzten Motoren selbst (Gegenerklärung, S. 3) hinterfragen müssen. Die P. AG entwickelt grundsätzlich nur Otto-Motoren (Schriftsatz vom 14.04.2023, S. 16).
16
d) Das Erscheinungsbild des Motorraums (Gegenerklärung, S. 4) lässt ein grob fahrlässiges Verhalten des Klägers nicht entfallen. Allein aus der Aufschrift auf der verbauten Plastikabdeckung kann nicht auf einen Motor der P. AG geschlossen werden. Dies lässt keinen Rückschluss auf den tatsächlichen Hersteller des Motors zu.
17
e) Der Umstand, dass der Kläger tatsächlich erst im Jahr 2020 oder 2021 erfahren hat, dass die Beklagte Herstellerin des in seinem Fahrzeug verbauten Motors ist (Protokoll vom 24.04.2023, S. 2), stellt die Annahme grober Fahrlässigkeit bereits im Jahr 2019 nicht in Frage. Die Kenntnis vom Produktionsort des verbauten Motors ist für Beginn der Verjährung unerheblich.
18
f) Entgegen den Ausführungen in der Gegenerklärung (dort S. 5/7) verjährt der Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB einheitlich und nicht bezüglich jeder einzelnen (unterstellten) Abschalteinrichtung gesondert. Es gilt der Grundsatz der Schadenseinheit nach dem der aus einem bestimmten (einheitlichen) Ereignis erwachsende Schaden als einheitliches Ganzes aufzufassen ist (Beschluss vom 15.11.2018 – ZR 61/18). In diesem Fall läuft die Verjährungsfrist einheitlich (OLG München Urteil vom 21.02.2018 – 15 U 2276/17). Entgegen der Argumentation des Klägers sind vorliegend nicht mehrere pflichtwidrige Handlungen gegeben. Schädigendes Ereignis ist der Kauf des Fahrzeugs. Der Kläger hat einen einheitlichen Kaufvertrag über das Fahrzeug abgeschlossen; auch wenn man zu seinen Gunsten unterstellt, dass es in diesem Zeitpunkt mit mehreren unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgerüstet war, bleibt es bei einem einheitlichen schädigenden Ereignis durch den Kauf. Eine Mehrzahl an pflichtwidrigen Handlungen ist nicht gegeben; es erscheint nicht nachvollziehbar, wenn der Kläger insoweit von abgrenzbaren Handlungen bei dem Einbau der einzelnen Abschalteinrichtungen ausgeht. Bei lebensnaher Betrachtung ist von einem einheitlichen Fertigungsprozess bezüglich des Motors auszugehen.
19
2. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB besteht gegen die Beklagte nicht. Es wird auf den Hinweis vom 05.10.2023 Bezug genommen. Dieser Umstand wird durch den Kläger in der Gegenerklärung nicht mehr in Frage gestellt.
20
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
21
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
22
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.