Titel:
Erfolgreiche Klage gegen die Einstellung eines Asylverfahrens wegen Nichtbetreibens
Normenkette:
AsylG § 15 Abs. 2 Nr. 1, § 33 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Für eine Klage gegen die Einstellung eines Asylverfahrens besteht trotz der Möglichkeit, einen Wiederaufnahmeantrag zu stellen, ein Rechtsschutzbedürfnis. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Stellt der Ausländer während des Asylverfahrens erbetene Informationen nicht zur Verfügung, die aber für den Ausgang des Verfahrens von vornherein keine Bedeutung haben können, löst dies die Vermutung des Nichtbetreibens des Verfahrens nach § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 nicht aus. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nichtbetreiben des Verfahrens: Einstellung des Asylverfahrens (rechtswidrig), Aufforderung zur Vorlage von für den Asylantrag wesentlichen Informationen, Asylverfahren, Nichtbetreiben, Einstellung, Rechtsschutzbedürfnis, Wiederaufnahmeantrag, wesentliche Information, Vermutungswirkung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 39253
Tenor
I. Der Bescheid des Bundesamts für ... vom 11. Oktober 2023 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen eine Entscheidung des Bundesamts für ... (im Folgenden: Bundesamt), mit der ihr Asylverfahren eingestellt wurde.
2
Die Klägerin ist nach den Feststellungen der Beklagten afghanische Staatsangehörige, vom Volke der Hazara und Schiitin, sie reiste am 11. Juli 2021 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 27. Juli 2021 einen Asylantrag.
3
Ihre persönlichen Anhörungen erfolgten am 27. Oktober 2021 und am 10. Mai 2022.
4
Auf die Niederschriften über die Anhörungen wird im Einzelnen verwiesen.
5
Mit Schreiben vom 24. August 2023 forderte die Beklagte den Bevollmächtigten der Klägerin auf, in Ergänzung zu den persönlichen Anhörungen am 27. Oktober 2021 und 10. Mai 2022 eine schriftliche Stellungnahme zur Beantwortung von vier Fragen durch die Klägerin an das Bundesamt bis zum 8. September 2023 vorzulegen. Sollte dies nicht möglich sein, werde darum gebeten, dies mit entsprechender Begründung nebst Belegen unverzüglich, spätestens vor Ablauf der vorgenannten Frist, mitzuteilen, da sonst bei Fristversäumnis nach Aktenlage entschieden werden könne. Es werde darauf hingewiesen, dass die Klägerin zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 AsylG verpflichtet sei. Hierzu gehöre auch die Vorlage einer Stellungnahme nach Aufforderung. Bei Nichtvorlage werde hingegen vermutet, dass das Verfahren im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 AsylG nicht betrieben werde, was eine Einstellung des Verfahrens zur Folge habe. Nach Vorlage der Stellungnahme könne das Verfahren unmittelbar entschieden werden.
6
Auf das Schreiben vom 24. August 2023 wird im Einzelnen verwiesen.
7
Mit Bescheid vom 11. Oktober 2023, als Einschreiben zur Post gegeben am 12. Oktober 2023, entschied das Bundesamt, dass das Asylverfahren eingestellt ist.
8
Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylG stelle das Bundesamt das Verfahren ein oder lehne den Asylantrag nach angemessener inhaltlicher Prüfung ab, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibe. Die Klägerin sei der Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 AsylG nicht nachgekommen. Daher werde vermutet, dass sie das Verfahren im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 AsylG nicht betreibe. Ein Nachweis, dass das oben genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen gewesen sein, auf welche die Klägerin keinen Einfluss gehabt habe, sei bis zur Entscheidung nicht eingereicht worden. Das Verfahren werde daher gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AsylG eingestellt. Hinreichende Erkenntnisse für eine ablehnende Entscheidung nach angemessener inhaltlicher Prüfung lägen nicht vor.
9
Auf den Bescheid vom 11. Oktober 2023 wird im Einzelnen verwiesen.
10
Am 25. Oktober 2023 ließ die Klägerin hiergegen Klage erheben und beantragen,
11
I. Den Bescheid der Beklagten vom 11. Oktober 2023, zugestellt am 13. Oktober 2023, Az., aufzuheben.
12
II. Der Klägerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Unterzeichners zu bewilligen.
13
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Nachdem die Klägerin trotz der durchgeführten Anhörungen bis zum August 2023 keinerlei weitere Nachricht erhalten habe, habe sie den Unterzeichner beauftragt. Mit Schreiben vom 18. August 2023 sei der Sachstand bei der Beklagten erfragt und auf die lange überschrittene Frist gemäß § 75 VwGO bzw. § 24 Abs. 4 AsylG aufmerksam gemacht worden. Die Beklagte habe hierauf mit Schreiben vom 24. August 2023 reagiert. Die in diesem Schreiben von der Beklagten nachgereichten Fragen seien von der Klägerin allesamt bereits im Rahmen ihrer Anhörungen beantwortet worden respektive würden für die Bescheidung des Asylantrags der Klägerin keine Rolle spielen. Es dränge sich der Verdacht auf, dass das Schreiben der Beklagten ausschließlich der Vorbeugung der angedrohten Klage aufgrund der Untätigkeit der Beklagten gedient habe. Zumindest aber handele es sich nicht um für den Antrag wesentliche Informationen. So habe etwa die Frage, wie die Klägerin ihren Alltag in Deutschland gestalte, nichts mit ihrem Verfolgungsschicksal und einer Bedrohung bei Rückkehr nach Afghanistan zu tun. Angesichts des Geschehensablaufs und der Angaben, welche die Klägerin bereits in ihren mündlichen Anhörungen gemacht habe, sei die hiesige Einstellungsverfügung rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten. Lediglich aus Gründen der anwaltlichen Vorsorge werde ein kurzes Antwortschreiben der Klägerin auf die Fragen der Beklagten vom 24. August 2023 vorgelegt. Relevante Angaben enthalte dieses Schreiben nicht.
14
Auf die Klagebegründung wird im Einzelnen verwiesen.
15
Die Beklagte beantragt,
17
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Im Rahmen des Anerkennungsverfahrens obliege dem Bundesamt (§ 5 i.V.m. §§ 15 und 24 Abs. 1 Satz 1 AsylG) die Einschätzung, ob der Sachverhalt ausreichend zur Entscheidung geklärt worden sei. Ein Antragsteller sei zur Mitwirkung verpflichtet. Mit Schreiben vom 24. August 2023 sei der Bevollmächtigte der Klägerin aufgefordert worden, eine schriftliche Stellungnahme bis zum 8. September 2023 vorzulegen. In diesem Schreiben seien vier Fragen formuliert gewesen, deren Antwort für eine vollumfassende materielle Entscheidung erforderlich gewesen sei. Die Fragen hätten darauf abgezielt, die Zumutbarkeit einer Rückkehr nach Afghanistan vor dem Hintergrund der Machtübernahme durch die Taliban zu prüfen. Somit hätten sich die Fragen auf wesentliche Informationen i.S.v. § 33 Abs. 2 Alt. 1 AsylG bezogen. Auf die Folgen der Verletzung der Mitwirkungspflichten gemäß § 33 AsylG sei im Schreiben ebenfalls hingewiesen worden. Die Klägerin sei der Aufforderung nicht nachgekommen und das Asylverfahren sei dementsprechend eingestellt worden. Es seien keine Gründe ersichtlich, das Versäumnis der nicht fristgerechten Vorlage der Stellungnahme, der Klägerin nicht zuzurechnen.
18
Auf die Klageerwiderung wird im Einzelnen verwiesen.
19
Mit Beschluss vom 8. November 2023 wurde der Klägerin unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten Prozesskostenhilfe gewährt und der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
20
Mit Schriftsätzen vom 13. November 2023 respektive 17. November 2023 erklärten die Parteien den Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
21
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die von der Beklagten vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
22
Aufgrund des Einverständnisses der Parteien kann das Gericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
23
1. Die Klage ist zulässig. Es fehlt auch nicht deshalb an einem Rechtsschutzbedürfnis, weil der Klägerin neben der Anfechtungsklage auf Aufhebung des streitigen Bescheids zudem die Möglichkeit eines Wiederaufnahmeantrags nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG zur Verfügung steht. Diese Möglichkeit besteht gemäß § 33 Abs. 5 Satz 5 Nr. 2 AsylG nur einmal; wenn die erstmalige Einstellung zu Unrecht erfolgt ist, bliebe der Klägerin diese einmalige Möglichkeit zur Heilung eines eigenen Fehlverhaltens verwehrt (vgl. auch m.w.N. BeckOK Ausländerrecht, 38. Edition, 01.07.2023, § 33 AsylG Rn. 39 f.).
24
2. Die Klage ist auch begründet. Der streitige Bescheid vom 11. Oktober 2023 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt des § 77 Abs. 1 AsylG rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
25
Die Beklagte hat zu Unrecht entschieden, das Asylverfahren der Klägerin einzustellen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 AsylG).
26
a) Ausweislich § 33 Abs. 1 AsylG stellt das Bundesamt das Verfahren ein oder lehnt den Asylantrag nach angemessener inhaltlicher Prüfung ab, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Sofern das Bundesamt das Verfahren einstellt, entscheidet es nach Aktenlage, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt. Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 AsylG oder einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist (Nr. 1), er untergetaucht ist (Nr. 2) oder er gegen die räumliche Beschränkung seiner Aufenthaltsgestattung gemäß § 56 AsylG verstoßen hat, welcher er wegen einer Wohnverpflichtung nach § 30a Abs. 3 AsylG unterliegt (Nr. 3). Die Vermutung gilt nicht, wenn der Ausländer innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung nach Absatz 1 nachweist, dass das in Satz 1 Nr. 1 genannte Versäumnis oder die in Satz 1 Nrn. 2 und 3 genannten Handlungen auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte, § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG. Führt der Ausländer diesen Nachweis, ist das Verfahren nach § 33 Abs. 2 Satz 3 AsylG fortzuführen. Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer auf die sich aus Absatz 1 ergebende Rechtsfolge schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen (vgl. zum Ganzen BeckOK Ausländerrecht, 38. Edition, 01.07.2023, § 33 AsylG Rn 6 ff.).
27
b) Hiervon ausgehend stellt sich die auf § 33 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 AsylG gestützte Einstellungsentscheidung als rechtswidrig dar.
28
Zwar wurde die Klägerin im Nachgang zu ihren persönlichen Anhörungen aufgefordert, bis zum 8. September 2023 die erbetene schriftliche Stellungnahme vorzulegen. Diese Aufforderung entspricht – an und für sich – der in § 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylG geregelten allgemeinen Mitwirkungspflicht, wonach ein Ausländer gehalten ist, die erforderlichen Angaben gegenüber dem Bundesamt mündlich und nach Aufforderung auch schriftlich zu machen. Die Klägerin hat der Aufforderung – soweit nach Aktenlage ersichtlich – auch nicht fristgerecht Folge geleistet.
29
Die Vorlage der erbetenen schriftlichen Stellungnahme stellt jedoch zur Überzeugung des Einzelrichters unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Einzelfalls keine für den Asylantrag der Klägerin „wesentlichen Informationen“ im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 AsylG dar (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Wesentlich bedeutet insoweit zum einen, dass es sich um eine für den Asylantrag der Klägerin möglicherweise erhebliche Information handelt, zum anderen, dass die Information nicht auch ohne nennenswerten Aufwand anderweitig beschafft werden kann (vgl. VG Göttingen, B.v. 27.2.2019 – 4 B 26/19 – juris Rn. 8 m.w.N.). Ein Unterbleiben von Informationen, die für den Ausgang des Verfahrens von vornherein keine Bedeutung haben können, lösen demzufolge nicht die Vermutungswirkung aus. Nicht wesentlich sind daher zum Beispiel etwa solche Informationen, die schon zuvor sicher feststehen oder erst nach Abschluss des Asylverfahrens Bedeutung erlangen können (vgl. im Einzelnen BeckOK Ausländerrecht, 38. Edition, 01.07.2023, § 33 AsylG Rn. 15; BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 16. Edition, 15.07.2023, § 33 AsylG Rn. 20.1 jeweils m.w.N.).
30
Die erste Frage im Schreiben der Beklagten vom 24. August 2023 erweist sich nach obigem Maßstab als von vornherein unbehelflich für den Ausgang des Asylverfahrens, jedenfalls standen – infolge der beiden persönlichen Anhörungen – die sich aus einer etwaigen Beantwortung ergebenden Informationen schon zuvor sicher fest. Denn die am ... 1996 geborene Klägerin war sechs Jahre alt, als sie gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern nach Pakistan gegangen ist. Die Klägerin ist damit überwiegend in Pakistan aufgewachsen. Zum Alltag in Afghanistan im Sinne der an sie adressierten Frage hinsichtlich einer Berufstätigkeit/ Haushaltsführung etc. vermag sie bei einer lebensnahen Würdigung (kleines Kind) keine Angaben zu machen, zumal sie dies auch in ihren Anhörungen bereits (sinngemäß) angegeben hat. In Bezug auf Pakistan hat die Klägerin ihren Alltag dort dahingegen im Rahmen ihrer persönlichen Anhörungen geschildert (vgl. dazu etwa Bl. 80, 92, 125 ff., 172 ff. der Behördenakte).
31
Im Hinblick auf die zweite Frage im Schreiben der Beklagten vom 24. August 2023 ist insoweit in Übereinstimmung mit der Klagepartei nach den Umständen des hiesigen Einzelfalls von vornherein nicht ersichtlich, welche Relevanz der Alltag der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Verfolgungsschicksal und der befürchteten Bedrohung im Falle einer eventuellen Rückkehr nach Afghanistan hat. Etwas Anderes ergibt sich auch aus der von der Beklagten vorgelegten Behördenakte nicht, zumal im Hinblick auf die bereits gemachten Angaben in beiden persönlichen Anhörungen. Es ist zur Überzeugung des Gerichts nicht erkennbar, dass im vorliegenden Einzelfall von für den Asylantrag möglicherweise erheblichen Informationen auszugehen wäre.
32
Die dritte Frage im Schreiben der Beklagten vom 24. August 2023 hat ebenfalls keinen „wesentlichen“ Inhalt im vorgenannten Sinne. In Anbetracht dessen, dass die Klägerin von 2002 bis 2019 in Pakistan und danach im Iran gelebt hat, bis sie nach Deutschland eingereist ist (Bl. 127 a.a.O.) bzw. als kleines Kind Afghanistan verlassen hat, vermag sie keine für den Ausgang des Asylverfahrens erheblichen Angaben – wie allerdings von dieser Frage an sie adressiert – dazu zu machen, wie sich konkret ihr Leben nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan als Frau verändert hätte, wenn sie zu diesem Zeitpunkt in Afghanistan gewesen wäre. Die Klägerin hat hiervon unabhängig über ihr Verfolgungsschicksal und eine befürchtete Bedrohung im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan ausführlich vorgetragen (vgl. Bl. 125 ff., 172 ff. der Behördenakte). Im Übrigen wäre es an der Beklagten gemäß der (aktuellen) Erkenntnismittellage zur Situation der Frauen in Afghanistan nach der Machtübernahme durch die Taliban diese Frage – anhand der von der Klägerin bereits gemachten Angaben – zu beurteilen, soweit es hierauf entscheidungserheblich ankäme (vgl. z.B. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport 57: Afghanistan, Die Situation von Frauen 1996 bis 2023, Stand: Februar 2023).
33
Gleiches gilt für die vierte Frage im Schreiben der Beklagten vom 24. August 2023 zur persönlichen Ansicht der Klägerin hinsichtlich der Wertevorstellungen der Taliban. Aus einer Beantwortung der Frage ergeben sich keine für den Asylantrag möglicherweise erheblichen Informationen. Denn die als kleines Kind von Afghanistan nach Pakistan ausgereiste Klägerin hatte, soweit es der vorgelegten Behördenakte zu entnehmen ist, keine (solchen) Berührungspunkte mit den Taliban wie etwa ehemalige Angehörige des Militärs, Regierungsmitarbeiter etc. Sie hat sich außerdem aufgrund ihres Alters in Afghanistan auch in keine irgendwie geartete Opposition zu den Taliban begeben (können). Zu ihrem Verfolgungsschicksal und einer befürchteten Bedrohung im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan hat sie indessen ausführlich vorgetragen. Im Übrigen wäre es an der Beklagten gemäß der (aktuellen) Erkenntnismittellage, z.B. zur Lage der Hazara in Afghanistan nach der Machtübernahme durch die Taliban, diese Frage – anhand der von der Klägerin bereits gemachten Angaben – zu beurteilen, soweit es hierauf entscheidungserheblich ankäme (vgl. z.B. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderanalysen: Kurzinformation Afghanistan, Lage der Hazaras in Afghanistan – Update, Stand: April 2023). Dass es sich bei der dritten und vierten Frage um für den Asylantrag möglicherweise erhebliche Informationen handelt, ist demgemäß nach den Umständen des hiesigen Einzelfalls von vornherein nicht erkennbar.
34
3. Da unter Berücksichtigung des Vorstehenden bereits die Voraussetzungen des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 AsylG nicht vorliegen, braucht es keiner weiteren Klärung, ob die gesetzte Frist zur Vorlage der schriftlichen Stellungnahme angemessen war und die Klägerin auch ordnungsgemäß im Sinne von § 33 Abs. 4 AsylG belehrt wurde. Die Einstellungsentscheidung im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AsylG ist zu Unrecht ergangen. Der Bescheid war demzufolge aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
35
4. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
36
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.