Inhalt

VG München, Urteil v. 29.11.2023 – M 9 K 20.1741
Titel:

Baugenehmigung, Bauvorlagen, insbesondere Bezeichnung des Baugrundstücks, Abgrenzung Innen- und Außenbereich, Maßstabsbildende Bebauung, Bebauungsakzessorische Nutzung

Normenketten:
BayBO Art. 64 Abs. 2 S. 1
BauVorlV § 1 Abs. 3
Schlagworte:
Baugenehmigung, Bauvorlagen, insbesondere Bezeichnung des Baugrundstücks, Abgrenzung Innen- und Außenbereich, Maßstabsbildende Bebauung, Bebauungsakzessorische Nutzung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 39234

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Zweifamilienhauses an das bestehende Wohnhaus sowie den Ausbau des Dachgeschosses des Bestandsgebäudes, laut Bauantrag jeweils auf dem Grundstück Fl.-Nr. …11, Gemarkung P* … (i.F. Vorhabengrundstück).
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Mit Bauantrag vom 25. November 2019 beantragte der Kläger die Baugenehmigung für das oben genannte Vorhaben. Das gemeindliche Einvernehmen wurde seitens der Beigeladenen erteilt.
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Mit Bescheid vom 23. März 2020 lehnte der Beklagte die Erteilung der begehrten Baugenehmigung ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der zur Bebauung vorgesehene Teil des Grundstücks Fl.-Nr. …11, Gemarkung P* …, liege im Außenbereich nach § 35 BauGB. Die Grenze zum Innenbereich liege dort, wo der Bebauungszusammenhang ende. Dies sei grundsätzlich hinter dem letzten noch zum Bebauungszusammenhang gehörenden Wohnhaus der Fall. Das Vorhaben solle nördlich des bestehenden Wohnhauses errichtet werden. Dort sei keine Wohnbebauung mehr vorhanden, sondern nur Grünflächen. Östlich des Standortes befänden sich nur Nebengebäude bzw. landwirtschaftliche Gebäude, die für die Beurteilung nicht relevant seien. Insgesamt orientiere sich die Bebauung entlang der Straße nicht in zweiter Reihe. Es handele sich nicht um ein privilegiertes Vorhaben. Öffentliche Belange seien beeinträchtigt. Die Landschaft verlöre ihre natürliche Eigenart. Die Entstehung, Verfestigung und Erweiterung einer Splittersiedlung sei zu befürchten. Das Vorhaben sei somit nicht genehmigungsfähig. Im Übrigen wird auf den Bescheid Bezug genommen.
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Hiergegen ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 23. April 2020, eingegangen bei Gericht am 24. April 2020, Klage erheben und beantragt,
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Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung. Das Vorhaben sei insbesondere nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zulässig. Es liege innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils und füge sich ein. Der Bauort werde bereits durch die auf gleicher Höhe auf den östlichen Nachbargrundstücken Fl.-Nrn. 523 und 519 vorhandene Bebauung geprägt. Die Siedlungsstruktur entlang der R* … Straße sei durch landwirtschaftliche Hofstellen geprägt. Von dem Bebauungszusammenhang seien all diejenigen Gebäude erfasst, die in einem räumlichen und funktionalen Zusammenhang zu der jeweiligen Hofstelle stünden. Dies seien insbesondere die Gebäude auf dem Grundstück Fl.-Nr. 523; die Bebauung bilde augenscheinlich ein bauliches Ensemble. Der Abstand zwischen der Bebauung im vorderen und rückwärtigen Bereich betrage nur wenige Meter; es bestehe eine Verbindung durch die Bodenbefestigung. Entsprechendes gelte für die Bebauung auf dem Grundstück Fl.-Nr. 519. Hierbei handele es sich um eine aktive Hofstelle. Insbesondere befinde sich dort im nördlichen Bereich ein in aktiver Nutzung stehender Kuhstall, der mindestens auf Höhe des Vorhabenstandortes liege. Die gesamte Bebauung auf den Grundstücken Fl.-Nrn. 523 und 519 nehme am Bebauungszusammenhang teil. Die Prägung erfasse auch den Vorhabenstandort. Westlich bzw. nordwestlich werde er durch die Bebauung auf den Grundstücken Fl.-Nrn. 539 und 541 geprägt; es bestehe ebenfalls eine enge räumliche Verklammerung. Davon abgesehen zähle der Vorhabenstandort wegen seiner bebauungsakzessorischen Nutzung als Hausgarten zum Innenbereich. Unabhängig davon sei der Bauort auch wegen der topographischen Verhältnisse dem Innenbereich zuzuordnen. Etwa auf Höhe der Grenze der Grundstücke Fl.-Nrn. 631/11 sowie 523 und dem Grundstück Fl.-Nr. 631 befinde sich eine Böschung, die eine markante Zäsur in der Topographie darstelle und eine Einbeziehung zum Innenbereich rechtfertige. Gestützt werde der Befund dadurch, dass es sich bei dem Grundstück Fl.-Nr. 631 offensichtlich um eine selbständige Fläche im Außenbereich handele, die im Süden und Westen an Wohngrundstücke anschließe. Die entsprechenden unterschiedlichen Nutzungen seien in der Natur wahrnehmbar und sprächen ebenfalls für eine Zuordnung des Bauorts zum Innenbereich. Untermauert werde die Zäsur durch einen in diesem Bereich verlaufenden Feldweg, der in der Natur deutlich wahrnehmbar sei. Es sei daher von einem unbeplanten Innenbereich auszugehen. Das Vorhaben füge sich nach allen Kriterien des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Dies gelte unzweifelhaft hinsichtlich Art und Maß der baulichen Nutzung. Es füge sich auch hinsichtlich der Grundfläche, die überbaut werden soll, ein. Es ließen sich weder eine faktische Baugrenze noch eine faktische Bebauungstiefe feststellen. Im Übrigen wird auf den Schriftsatz Bezug genommen.
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Der Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
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Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass kein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung bestehe. Der zur Bebauung vorgesehene Teil des Grundstücks Fl.-Nr. 631/11, Gemarkung P* …, liege im Außenbereich nach § 35 BauGB. Der Bebauungszusammenhang ende mit dem auf dem Grundstück stehenden Wohngebäude R* … Str. 12. Dahinter befinde sich lediglich ein Hausgarten. Die klägerseits angeführten landwirtschaftlichen Gebäude auf den Nachbargrundstücken änderten daran nichts. Zum Bebauungszusammenhang zählten grundsätzlich nicht Gebäude wie Scheunen oder Gewächshäuser, die ledigliche eine einer Hauptnutzung dienende Hilfsfunktion hätten und deshalb nicht zu einer organischen Siedlungsstruktur beitragen könnten. An dieser grundlegenden Aussage des Bundesverwaltungsgerichts ändere auch die klägerseits zitierte Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes nichts. Aus den gleichen Gründen seien die Nebengebäude auf den Grundstücken Fl.-Nrn. 539 und 541 nicht relevant. Aus einer Hausgarteneigenschaft könne zudem nur die Zulässigkeit von Nebenanlagen abgeleitet werden. Auch lägen keine topographischen oder geographischen Besonderheiten vor, die zu einer Zuordnung zum Innenbereich führen würden. Böschung und Feldweg träten kaum in Erscheinung und hätten keine abgrenzende Wirkung. Von dem Bauvorhaben als sonstigem Vorhaben seien öffentliche Belange i.S.v. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 5 und 7 BauGB beeinträchtigt. Im Übrigen wird auf den Schriftsatz Bezug genommen.
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Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
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Das Gericht hat am 29. November 2023 Beweis erhoben über die örtlichen und baulichen Verhältnisse durch Einnahme eines Augenscheins. Wegen der bei dem Augenschein getroffenen Feststellungen wird auf das Protokoll Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29. November 2023, die vorgelegte Behördenakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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A. Die Klage hat keinen Erfolg, da sie zwar zulässig, aber unbegründet ist. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 23. März 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Denn zum einen fehlt es schon an einem ordnungsgemäßen Bauantrag mit zugehörigen Bauvorlagen (I.), zum anderen stehen dem streitgegenständlichen Bauvorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind, Art. 68 Abs. 1 Satz 1, Art. 59 Satz 1 BayBO (II.).
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I. Vorliegend fehlt es mangels Bezeichnung aller Baugrundstücke schon an einem ordnungsgemäßen Bauantrag mit zugehörigen Bauvorlagen nach Art. 64 BayBO, der Voraussetzung für die Erteilung einer Baugenehmigung und damit auch für eine gerichtliche Verpflichtung zur Erteilung der Baugenehmigung ist. Nach Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO sind mit dem Bauantrag „alle für die Beurteilung des Bauvorhabens erforderlichen Unterlagen“ einzureichen. Die Einzelheiten, welche Bauvorlagen beizufügen sind, ergeben sich aus der Verordnung über Bauvorlagen und bauaufsichtliche Anzeigen (Bauvorlagenverordnung – BauVorlV). Mängel der Bauvorlagen gehen zu Lasten des Bauherrn (st. Rspr., vgl. nur BayVGH, U.v. 26.9.2002 – 26 ZB 99.1925 – juris Rn. 14).
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Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 BauVorlV ist auf dem vorzulegenden Auszug aus dem Katasterwerk (Ausschnitt aus der Flurkarte) das Baugrundstück zu kennzeichnen. Ebenso ist die Bezeichnung des Baugrundstücks auf dem einheitlichen Bauantragsvordruck vorgesehen (dort unter Nr. 3.), der nach § 1 Abs. 3 BauVorlV infolge der entsprechenden amtlichen Bekanntmachung zu verwenden ist und damit ebenfalls den notwendigen Inhalt eines Bauantrags näher konkretisiert (näher hierzu Gaßner/Reuber in Busse/Kraus, BayBO, 151. EL August 2023, Art. 64 Rn. 29 und 32). Hintergrund dieses Erfordernisses ist, dass das Baurecht grundstücksbezogen und eine baurechtliche Prüfung der Zulässigkeit eines Vorhabens ohne Angabe des konkreten Baugrundstücks bzw. der konkreten Baugrundstücke schlechterdings unmöglich ist. Eine entsprechende Baugenehmigung – d.h. eine Genehmigung ohne Bezug zu einem oder mehreren eindeutig bezeichneten Baugrundstück(en) – wäre jedenfalls nicht hinreichende bestimmt i.S.d. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG.
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Vorliegend ist auf dem Bauantragsvordruck nur das Grundstück Fl.-Nr. 631/11, Gemarkung P* …, als Baugrundstück angegeben. Entsprechend ist auch nur dieses Grundstück auf dem Auszug aus dem Katasterwerk als Baugrundstück gekennzeichnet (mittels einer gefetteten gestrichelten Linie). Das nördlich angrenzende Grundstück Fl.-Nr. 631, Gemarkung P* …, ist nicht angegeben bzw. gekennzeichnet. Allerdings soll ein – wenn auch kleiner – Teil des Vorhabens, nämlich der Bereich im nordwestlichen Teil des Neubaus, auf diesem Grundstück liegen. Daher ist auch das Grundstück Fl.-Nr. 631, Gemarkung P* …, Baugrundstück im Sinne des Bauordnungsrechts und hätte damit jedenfalls auf dem Bauantragsformular als solches bezeichnet und im Lageplan als solches gekennzeichnet werden müssen. Daran fehlt es vorliegend.
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Eine entsprechende Bezeichnung bzw. Kennzeichnung ist auch nicht ausnahmsweise entbehrlich, wenn das Vorhaben – wie hier – nur zu einem sehr kleinen Teil auf einem weiteren Grundstück liegt. Denn die exakte Bestimmung aller von dem Vorhaben in Anspruch genommenen Grundstücke ist beispielsweise für die Fragen, welche Grundstücke die benachbarten Grundstücke i.S.d. Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind oder ob die Abstandsflächen auf dem Grundstück – gemeint ist das Baugrundstück – selbst liegen (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO), von entscheidender Bedeutung. Dabei kommt es gerade nicht darauf an, ob das Vorhaben nur in geringem Maße oder aber signifikant auf einem konkreten Grundstück liegt.
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II. Das Vorhaben ist darüber hinaus nicht genehmigungsfähig, da es bauplanungsrechtlich unzulässig ist.
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1. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich vorliegend nach § 35 BauGB, da es im planungsrechtlichen Außenbereich verwirklicht werden soll. Der Vorhabenstandort liegt nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Das Vorhaben nimmt an dem geplanten Standort nicht an dem Bebauungszusammenhang teil.
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Ein Bebauungszusammenhang im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist nach ständiger Rechtsprechung anzunehmen, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden. Der Bebauungszusammenhang endet regelmäßig am letzten Baukörper. Bebauung im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist nicht jede beliebige Anlage. Den Bebauungszusammenhang selbst herstellen oder zu seiner Entwicklung beitragen können nur Bauwerke, die optisch wahrnehmbar sind und ein gewisses Gewicht haben, so dass sie geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten Charakter zu prägen. Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Baulichkeiten, die nur vorübergehend genutzt werden oder in einem weiteren Sinn „Nebenanlagen“ zu einer landwirtschaftlichen, (klein-)gärtnerischen oder sonstigen Hauptnutzung sind, sind in aller Regel keine Bauten, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellen (vgl. BVerwG, B.v. 16.7.2018 – 4 B 51.17 – NVwZ 2018, 1651; B.v. 5.4.2017 – 4 B 46.16 – ZfBR 2017, 471; B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15; U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14; U.v. 19.4.2012 – 4 C 10.11 – BauR 2012, 1626; B.v. 2.4.2007 – 4 B 7.07 – BauR 2007, 1383; B.v. 2.3.2000 – 4 B 15.00 – BauR 2000, 1310; U.v. 14.9.1992 – 4 C 15.90 – NVwZ 1993, 985; BayVGH, B.v. 6.4.2018 – 1 ZB 16.2599 – juris Rn. 5; B.v. 9.12.2017 – 1 ZB 16.1301 – juris Rn. 5). Im Einzelfall können es örtliche Besonderheiten ausnahmsweise rechtfertigen, dem Bebauungszusammenhang noch bis zu einem Geländehindernis, einer Erhebung oder einem Einschnitt (Damm, Böschung, Graben, Fluss o.ä.) ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind oder trotz des Vorhandenseins von Baulichkeiten sonst nicht zur Prägung der Siedlungsstruktur beitragen. Maßgeblich ist dabei, ob diese besonderen topografischen oder geografischen Umstände den Eindruck der Geschlossenheit bzw. Zugehörigkeit einer Fläche zum Bebauungszusammenhang vermitteln (vgl. BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – ZfBR 2016, 67 m.w.N.). Für die Begrenzung des Bebauungszusammenhangs kommt es auf die Grundstücksgrenzen nicht an (vgl. BVerwG, B.v. 22.7.1993 – 4 B 78.93 – juris Rn. 3). Die Grenzlinie zwischen Innen- und Außenbereich muss nicht gradlinig verlaufen, sondern darf grundsätzlich auch vor- und zurückspringen (vgl. BVerwG, B.v. 4.7.1990 – 4 B 103.90 – NVwZ 1990, 962).
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Daran gemessen befindet sich der Vorhabenstandort nicht innerhalb des Bebauungszusammenhangs, sondern im planungsrechtlichen Außenbereich. Denn nach dem Eindruck, den das Gericht im Rahmen des Augenscheins von den örtlichen Gegebenheiten gewinnen konnte, stellt sich die geplante Bebauung nicht als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung dar. Vielmehr endet der Bebauungszusammenhang an der nördlichen Außenwand des Bestandsgebäudes (R* … Str. 12) auf dem Vorhabengrundstück. Dass hier keine Grundstückgrenze verläuft, ist für die Beurteilung des Bebauungszusammenhangs unerheblich, da es allein auf die tatsächlich vorhandenen und wahrnehmbaren Gegebenheiten ankommt. Das Vorhaben soll im nördlichen bzw. nordöstlichen Teil des Vorhabengrundstücks verwirklicht werden, der bislang unbebaut ist und nicht Teil des Bebauungszusammenhangs ist. Denn der Vorhabenstandort ist nicht mehr durch die umliegende Bebauung, sondern von den sich anschließenden Freiflächen im Norden geprägt.
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a) Anders als die Klägerseite vorträgt, sind die Nebengebäude auf den Grundstücken im Umgriff des Vorhabengrundstücks nicht in die Betrachtung des Bebauungszusammenhangs mit einzubeziehen. Denn bei den Gebäuden auf den Grundstücken im Umgriff des Vorhabengrundstücks, die ebenso weit nördlich oder sogar nördlicher als das geplante Vorhaben liegen – insbesondere die Gebäude in den nördlichen Teilen der Grundstücke Fl.-Nrn. 523 und 519, Gemarkung P* … – handelt es sich um ehemalige oder aktuell genutzte landwirtschaftliche Nebengebäude, die nicht als maßstabsbildende Bebauung heranzuziehen sind, da sie nicht dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen, nur vorübergehend genutzt werden und in einem weiteren Sinn „Nebenanlagen“ zu einer landwirtschaftlichen oder sonstigen Hauptnutzung sind und in einer Gesamtschau keine Bauten darstellen, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element konstituieren. Vergleichbares gilt für die Nebenanlagen auf den Grundstücken Fl.-Nrn. 539 und 541, Gemarkung P* … Auch insoweit handelt es sich nicht um maßstabsbildende Bebauung. Würde man sämtliche Nebenanlagen im Umgriff des Vorhabenstandorts maßstabsbildend dem Bebauungszusammenhang zurechnen, würde sich die Bebauung mit Gebäuden zur (Wohn-)Hauptnutzung potentiell immer weiter vor allem Richtung Norden in den Außenbereich ausdehnen, da sich insoweit auch die rückwärtigen Teile etwa der Nachbargrundstücke Fl.-Nrn. 523 und 519, Gemarkung P* …, für eine Bebauung anbieten würden. Dies liefe dem Gebot der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs zuwider und hätte eben jenes unkontrollierte Ausufern der Siedlungsstruktur in den Außenbereich zur Folge, den das Bauplanungsrecht gerade verhindern möchte (vgl. zum entsprechenden beeinträchtigten Belang näher unten). Die Grenze des Innenbereichs verläuft daher vorliegend wie dargestellt an der nördlichen Außenwand des Bestandsgebäudes auf dem Vorhabengrundstück sowie – Richtung Osten – der nördlichen Außenwände der Hauptgebäude auf den Grundstücken Fl.-Nrn. 631/2, 523 und 519, Gemarkung P* …, und – Richtung Westen – der nördlichen Außenwand des Hauptgebäudes auf den Grundstücken Fl.-Nrn. 539 und 540, Gemarkung P* …, da die Nebenanlagen auf den genannten Grundstücken keine maßstabsbildende Bebauung darstellen. Der Vorhabenstandort liegt jedoch in weiten Teilen nördlich der so skizzierten Grenze.
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Etwas anderes ergibt sich hinsichtlich der Bestimmung der maßstabsbildenden Bebauung auch nicht aus der seitens des Klägers zitierten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 29.7.2015 – 1 N 12.1189 – juris). Es ist aus dieser Entscheidung in einem Normenkotrollverfahren, das insbesondere zur Frage hatte, ob eine bestehende Garage noch am Bebauungszusammenhang teilnimmt, nicht erkennbar, dass von den oben dargestellten und der langjährigen ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs entsprechenden Grundsätzen zur Frage, ob eine einer landwirtschaftlichen oder sonstigen Hauptnutzung zugeordnete Nebenanlage einen Bebauungszusammenhang selbst herstellen kann, abgewichen werden soll. Vielmehr betont die zitierte Entscheidung selbst, dass die dort gegenständliche Garage als der landwirtschaftlichen Hauptnutzung zugeordnete Nebenanlage einen Bebauungszusammenhang nicht selbst herstellen kann (BayVGH, a.a.O. Rn. 14). Vorliegend müsste man jedoch die Nebenanlagen auf den im Umgriff des Vorhabengrundstücks befindlichen Grundstücken heranziehen, um den Bebauungszusammenhang erst herzustellen, wollte man diesen für den Vorhabenstandort annehmen. Dies ist nach den oben dargestellten Grundsätzen jedoch gerade grundsätzlich nicht möglich und auch im hiesigen Einzelfall – wie dargelegt – nicht überzeugend.
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b) Soweit klägerseits weiter vorgetragen wird, dass der nördliche/nordöstliche Grundstücksbereich als wohnakzessorischer Bereich dem Bebauungszusammenhang der südlich anschließenden Wohnbebauung zuzurechnen sei, trifft das nicht zu. Zwar können Grundstücksflächen mit auf das Hauptgebäude bezogenen Nebenanlagen als bebauungsakzessorisch genutzte Grundstücksteile noch dem Innenbereich zuzurechnen sein. Dies gilt nur für hausnahe, typische Hausgärten. Bei der Abgrenzung gilt ein restriktiver Maßstab (vgl. BVerwG, U.v. 17.6.1993 – 4 C 17.91 – ZfBR 1994, 37; BayVGH, B.v. 31.3.2020 – 1 ZB 19.1961 – juris Rn. 6; B.v. 2.2.2016 – 9 ZB 12.1533 – juris Rn. 7; OVG NW, B.v. 25.2.2014 – 2 A 1295/13 – juris Rn. 18 ff.). Dabei soll es die sogenannte bebauungsakzessorische Nutzung dem Bauherrn (jedoch nur) ermöglichen, unmittelbar angrenzend an das Hauptgebäude in angemessenem Umfang untergeordnete Nebenanlagen im Sinn von § 14 Abs. 1 BauNVO, wie beispielsweise eine Terrasse oder ein Gartenhaus, unterzubringen. Dagegen ist nicht bezweckt, dass ein weiteres Hauptgebäude bzw. Wohnhaus errichtet wird (vgl. BayVGH, B.v. 29.8.2023 – 1 ZB 23.140 – juris Rn. 11; U.v. 13.4.2015 – 1 B 14.2319 – juris Rn. 20). Aus der derzeitigen Nutzung als Hausgarten folgt deshalb für den nördlichen/nordöstlichen Bereich des Vorhabengrundstücks nicht, dass dort eine Wohnbebauung zulässig ist.
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c) Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch nicht aus etwaigen topographischen Besonderheiten, da das Gericht im Rahmen des Augenscheins keine topographischen Elemente feststellen konnte, die eine entsprechende abweichende Entscheidung rechtfertigen könnten. Der klägerseits vorgetragene Feldweg existiert – unabhängig davon, dass ein solcher nur im Ausnahmefall geeignet sein wird, ein ausreichendes topographisches Element im oben ausgeführten Sinne zu konstituieren – nach den im Rahmen des gerichtlichen Augenscheins erfolgten Feststellungen nicht. Der Geländeverlauf, insbesondere der leicht hängige Verlauf in Teilen des für das Vorhaben vorgesehenen Bereichs und im Bereich des Übergangs des Vorhabengrundstücks zu Grundstück Fl.-Nr. 631, Gemarkung P* …, bildet vorliegend keine natürliche Grenze der im Zusammenhang bestehenden Bebauung und vermittelt dadurch nicht den Eindruck eines Abschlusses der Bebauung. Nach dem Ergebnis des Augenscheins ist ein Geländehindernis in diesem Sinne nicht gegeben. Die auf dem Vorhabengrundstück vorhandene Hängigkeit und auch der Übergang zu dem nördlich angrenzenden Grundstück weisen kein derart markantes topographisches Element auf, dass sich das Vorhabengrundstück insgesamt oder Teile davon optisch wahrnehmbar von dem sich anschließenden Außenbereich abgrenzen und daher dem Innenbereich zuordnen ließe. Insbesondere existiert keine Hangkante oder dergleichen, der trennende Wirkung gegenüber den sich anschließenden Flächen zukommen könnte. Vielmehr geht das Gelände, nachdem es auf dem Vorhabengrundstück in nördlicher bzw. leicht nordwestlicher Richtung an Höhe gewonnen hat, ohne markante topographische Zäsur in das Geländeniveau auf dem Nachbargrundstück Fl.-Nr. 631, Gemarkung P* …, und damit die landwirtschaftliche Nutzfläche über. Im nordöstlichen Bereich wird das Gelände auf dem Vorhabengrundstück selbst wieder flacher. Eine Kante oder ein ähnliches topographisches Element mit der notwendigen abgrenzenden Wirkung existiert für den Vorhabenstandort nicht. Hinzu kommt, dass sich der steilste Teil des Geländeverlaufs dort befindet, wo das Vorhaben geplant wird. Selbst wenn man von einem entsprechend markanten Geländehindernis ausginge, wäre dieses hier deshalb nicht so situiert, dass es den Vorhabenstandort gleichsam dem Innenbereich „zuordnet“, indem es eine natürliche Grenze der im Zusammenhang bestehenden Bebauung bildet. Vielmehr ist das Vorhaben so geplant, dass es mitten in dem potentiellen topograpischen Element – hier dem leichten Hang – liegen und dieses damit sogar in weiten Teilen beseitigen würde. Jenseits des Vorhabenstandorts, d.h. in Richtung des Außenbereichs und damit mit abgrenzender Wirkung zu diesem, ist hingegen keine Zäsur erkennbar, die den Vorhabenstandort dem Innenbereich zuordnen könnte. Das Gelände geht dort nach dem Ergebnis des gerichtlichen Augenscheins fließend in das (weitere) Gelände auf dem Grundstück Fl.-Nr. 631, Gemarkung P* …, und damit in den Außenbereich über.
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2. Das geplante Vorhaben ist als sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilen und als solches nicht genehmigungsfähig. Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich nicht zulässig, weil öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beeinträchtigt werden. Dies gilt mit Blick auf die umliegenden unbebauten Flächen schon hinsichtlich des Schutzes der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB). Im Übrigen ist aufgrund der – durch verbindliche Bauleitplanung nicht geordneten – Ausweitung eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils in den Außenbereich hinein ein Vorgang der städtebaulich unerwünschten unorganischen Siedlungsweise gegeben, die zu vermeiden ein öffentlicher Belang i.S.d. § 35 Abs. 2 und Abs. 3 BauGB ist (vgl. in diesem Zusammenhang BVerwG, U. v. 25.1.1985 – 4 C 29.81 – juris Rn. 9; B. v. 4.7.1990 – 4 B 103.90 – juris; BayVGH, U. v. 9.11.2001 – 1 B 00.867 – juris Rn. 22; B. v. 27.1.2010 – 9 ZB 08.37 – juris Rn. 5). Die Verwirklichung des gegenständlichen Vorhabens ließe ein Ausufern der bebauten Ortslage in den Außenbereich hinein befürchten, da es den Bebauungszusammenhang in nördlicher Richtung erweitern würde. Ein solches Ausufern der Bebauung mit Bezugsfallwirkung widerspricht auch dem Gebot der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs.
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Die Klage wird daher abgewiesen.
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B. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst, da sie keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.