Titel:
Nachbarklage gegen Baugenehmigung für „Flexi-Heim“, ... Bebauungsplan Nr. ..., (Baugebietsübergreifender) Gebiets(prägungs-)erhaltungsanspruch (verneint);, Gebot der Rücksichtnahme (Verletzung verneint);, Wohngebäude;, Anlage für soziale Zwecke;, Bestimmtheit der Bauvorlagen in nachbarrechtlicher Hinsicht
Normenketten:
BauGB § 34
BauNVO 1962 § 3
BauNVO § 15
Schlagworte:
Nachbarklage gegen Baugenehmigung für „Flexi-Heim“, ... Bebauungsplan Nr. ..., (Baugebietsübergreifender) Gebiets(prägungs-)erhaltungsanspruch (verneint);, Gebot der Rücksichtnahme (Verletzung verneint);, Wohngebäude;, Anlage für soziale Zwecke;, Bestimmtheit der Bauvorlagen in nachbarrechtlicher Hinsicht
Fundstelle:
BeckRS 2023, 39233
Tenor
I. Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen gesamtverbindlich zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist für die Beklagte ohne, für die Beigeladene gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Kläger begehren die Aufhebung einer der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung zur Errichtung eines „Flexi-Wohnheims“, welches der zeitlich befristeten Unterbringung von bis zu 66 akut wohnungslosen Personen dient.
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Die Kläger sind Erbpachtnehmer des Anwesens … Str. 3, Fl.Nr. …, Gem. …, welches gegenwärtig mit einem Wohnhaus bebaut ist (im Folgenden: Nachbargrundstück).
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Das Baugrundstück … Str. 1, Fl.Nr. …, Gem. … grenzt im Westen an das Nachbargrundstück.
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Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … der Beklagten – „…- …“ – rechtsverbindlich seit 23. Mai 1966 (im Folgenden: Bebauungsplan). Der Bebauungsplan setzt für das Baugrundstück u.a. „WR“, zwei Vollgeschosse, eine GFZ von 0,65 sowie einen Bauraum durch vordere, rückwärtige und seitliche Baugrenzen fest. Im Bauraum findet sich u.a. die Bezeichnung „Läden“.
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Das Nachbargrundstück liegt im Geltungsbereich eines einfachen, übergeleiteten Bauliniengefüges in einem Gebiet, das im Norden durch die … Straße, im Osten durch das überplante Gebiet, im Süden durch die …straße und im Westen durch die … Straße begrenzt wird.
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Vgl. zur Lage der Grundstücke und ihrer Bebauung anliegenden Lageplan im Maßstab 1 : 1000, der eine Darstellung des Vorhabens enthält (nach dem Einscannen möglicherweise nicht mehr maßstabsgerecht):
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Mit Bauantrag vom 25. Oktober 2021 nach PlanNr. … beantragte die Beigeladene bei der Beklagten die bauaufsichtliche Erlaubnis zum Neubau eines „Flexi-Wohnheims“ mit 66 Betten (28 Wohneinheiten) und Tiefgarage. Laut der den Bauvorlagen beigefügten Betriebsbeschreibung vom 4. Oktober 2021 dient das „Flexi-Heim“ im Wesentlichen der zeitlich befristeten Unterbringung akut wohnungsloser Einzelpersonen und Paare (u.a. anerkannter Flüchtlinge) zur Abklärung ihrer Wohnperspektive und zur sicherheitsrechtlichen Unterbringung als kommunale Pflichtaufgabe. Die Unterbringung erfolgt in „abgeschlossenen Apartmenteinheiten“, deren Belegung in der Regel mit zwei Personen – entweder mit einem Pärchen oder mit zwei weiblichen bzw. zwei männlichen Personen – erfolgt. Laut den zur Genehmigung gestellten Bauzeichnungen sind insgesamt 28 Einheiten geplant. Hierbei handelt es sich zum Teil um Einheiten mit einem Schlafzimmer mit zwei Betten, zum Teil um solche mit zwei Schlafzimmern mit jeweils zwei Betten. Darüber hinaus finden sich auch zwei rollstuhlgerechte Einheiten mit nur einem Bett. Alle Apartments verfügen über eigene sanitäre Anlagen und Küchenzeilen. In das Gebäude integriert sind Räume für die Hausverwaltung, deren Bürozeiten laut Betriebsbeschreibung in der Regel werktags von Montag bis Donnerstag in der Zeit von 9:00 bis 17:00 Uhr und freitags von 9:00 bis 14:00 Uhr liegen, sowie Büroräume, welche der sozialpädagogischen Betreuung der „untergebrachten Haushalte“ nach in der Regel individueller Terminvereinbarung dienen. Weiterhin finden sich Gemeinschafts- und Besprechungsräume, welche für Besprechungen und Angebote sowie für Feiern und Veranstaltungen genutzt werden sollen. Einzelveranstaltungen sind nach der Betriebsbeschreibung auch in den Abendstunden und selten an Wochenenden möglich. Im Erdgeschoss ist eine Pforte vorgesehen, welche laut Betriebsbeschreibung täglich 24 Stunden besetzt ist. In der Einrichtung werden voraussichtlich sechs bis acht Mitarbeiter beschäftigt sein. Die vorgesehenen sechs Stellplätze befinden sich in einer Tiefgarage, die vom Osten her an der südlichen Grenze des Baugrundstücks über eine Pkw-Hebeanlage befahren werden kann. Gemäß dem zur Genehmigung gestellten Freiflächengestaltungsplan sind an der Westsowie Südwestseite des Baukörpers eine Terrasse mit ca. 24,6 m² Fläche (errechnet) sowie zwei Gemeinschafts- und Kinderspielbereiche von jeweils 60 m² Fläche vorgesehen.
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Mit Baugenehmigung vom 22. Februar 2022 genehmigte die Beklagte den Bauantrag als Sonderbau u.a. mit der Nebenbestimmung, dass für das Vorhaben sechs Stellplätze plangemäß herzustellen seien. Überdies wurde eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 Baugesetzbuch wegen Überschreitung der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenze mit einem Teil des Baukörpers, Fahrradabstellplätzen, einer Müllsammelstelle, Lichtschächten, einer Terrasse und einem Kinderspielplatz erteilt. Weiterhin wurden Befreiungen wegen Überschreitung der im Bebauungsplan festgesetzten Höhenentwicklung um ein Vollgeschoss sowie Überschreitung der festgesetzten GFZ von 0,65 auf 1,24 erteilt. Zudem erteilte die Beklagte eine Befreiung wegen Abweichung von der im Bebauungsplan festgesetzten Art der Nutzung. Zur Begründung hierfür wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Bebauungsplan „WR“ mit der besonderen Zweckbestimmung „Läden“ festsetze. Bei der geplanten Unterbringung von Flüchtlingen und Wohnungslosen handele es sich um eine nicht störende, wohnähnliche Nutzung. Das Vorhaben liege im öffentlichen Interesse. Die Abweichung sei daher auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar.
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Mit Schriftsatz vom 22. März 2022, bei Gericht eingegangen am selben Tag, haben die Kläger durch ihren Bevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben. Sie beantragen,
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Die Baugenehmigung der Beklagten vom 22.02.2022, Az. …, Anlage K1, wird aufgehoben.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Eigenart der näheren Umgebung, in der das Nachbargrundstück liege, einem WR entspreche. Das streitgegenständliche Bauvorhaben widerspreche der Festsetzung des Bebauungsplans hinsichtlich der Art der Nutzung. Die nur vorübergehende Unterbringung von obdachlosen Personen entspreche nicht einer auf Dauer angelegten, wohnähnlichen Nutzung. Es handele sich vielmehr um eine Anlage für soziale Zwecke, welche im reinen Wohngebiet nicht zulässig sei. Die konkrete Anlage sei mit dem Gebietscharakter nicht vereinbar, da von ihr nach ihrer typischen Nutzungsweise Störungen ausgingen, welche Unruhe in das Gebiet brächten. Zwar sei kein Anspruch auf plangebietsübergreifende Wahrung des Gebietscharakters gegeben, das Vorhaben halte jedoch die gebotene Rücksichtnahme nicht ein. Es komme bei dem Betrieb durch die Unterbringung einer Vielzahl von Menschen auf einem kleinen Baugrundstück – und insbesondere durch die Nutzung der Freiflächen – zu unzumutbaren Lärmbelästigungen, insbesondere auch am Wochenende. Auflagen, um die Lärmbelästigung zu minimieren, seien nicht erteilt worden.
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Die Beklagte beantragt,
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Sie äußerte sich in der Sache nicht.
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Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
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Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass die Kläger keinen Gebietserhaltungsanspruch geltend machen könnten. Das Vorhaben sei nicht rücksichtslos. Grundsätzlich bestehe kein Abwehranspruch gegenüber den mit gleichwertigem Wohnen verbundenen Immissionen. Die von den Bewohnern ausgehenden Lebensäußerungen seien wohngebietstypisch. Auch bei Anlagen für soziale Zwecke gelte die TA Lärm nicht. Unzumutbare Verkehrsimmissionen seien nicht zu erwarten. Die Stellplätze befänden sich in einer Tiefgarage.
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Das Gericht hat am 26. Juni 2023 Beweis durch Augenscheinseinnahme erhoben. Auf das Protokoll dieses Augenscheins wird ebenso Bezug genommen wie auf das Protokoll der am 3. Juli 2023 durchgeführten mündlichen Verhandlung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des schriftsätzlichen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Die Baugenehmigung vom 22. Februar 2022 verletzt keine im einschlägigen Genehmigungsverfahren nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 i.V.m. Art. 60 BayBO zu prüfende, (auch) die Kläger schützende öffentlich-rechtliche Vorschriften, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Baugenehmigung ist insbesondere weder in nachbarrechtlich relevanter Weise unbestimmt, noch verletzt sie zulasten der Kläger den Anspruch auf Erhaltung der Gebietsart oder das Gebot der Rücksichtnahme.
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1. Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. BayVGH, B.v. 21.7.2020 – 2 ZB 17.1309 – juris Rn. 4). Für den Erfolg eines Nachbarrechtsbehelfs genügt es daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren auch keine umfassende Rechtskontrolle statt, vielmehr hat sich die gerichtliche Prüfung darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch vermitteln, verletzt werden. Die Baugenehmigung muss dabei gegen eine im Baugenehmigungsverfahren zu prüfende Vorschrift verstoßen. Auf Bauordnungsrecht beruhende Nachbarrechte können durch eine Baugenehmigung nur dann verletzt werden, wenn diese bauordnungsrechtlichen Vorschriften im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind.
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2. Die Baugenehmigung ist nicht in nachbarrechtlich relevanter Weise unbestimmt, denn der Inhalt der Baugenehmigung steht mit nachbarrechtlich hinreichender Bestimmtheit fest, Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG.
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Zunächst ist festzustellen, dass ein Nachbar keinen materiellen Anspruch darauf hat, dass dem Bauherrn nur inhaltlich hinreichend bestimmte Baugenehmigungen erteilt werden. Nachbarrechte können nur dann verletzt sein, wenn infolge der Unbestimmtheit einer Baugenehmigung Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt werden können und deshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass das genehmigte Vorhaben gegen nachbarschützendes Recht verstößt (vgl. BayVGH, U.v. 20.5.1996 – 2 B 94.1513 – BayVBl. 1997, 405 f.; B.v. 5.12.2001 – 26 ZB 01.1775 – juris Rn. 11 m.w.N.; B.v. 25.7.2019 – 1 CS 19.821 – juris Rn. 14; VGH BW, B.v. 23.11.2017 – 3 S 1933/17 – juris Rn. 8). Wie weit das nachbarrechtliche Bestimmtheitserfordernis im Einzelnen reicht, beurteilt sich dabei nach dem jeweils anzuwendenden materiellen Recht (vgl. BVerwG, B.v. 15.11.2007 – 4 B 52.07 – juris Rn. 6; OVG NW, U.v. 6.6.2014 – 2 A 2757/12 – juris Rn. 73; OVG SH, B.v. 11.8.2014 – 1 MB 18.14 – juris Rn. 9; NdsOVG, B.v. 26.1.2012 – 1 ME 226/11 – juris Rn. 22).
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Zwar ist der Klagepartei zuzugeben, dass in der Betriebsbeschreibung vom 4. Oktober 2021 von „ca. 62 Personen in 31 Apartmenteinheiten“ ausgegangen wird, während die Baugenehmigung für ein „Flexi-Wohnheim mit 66 Betten (28 WE) und Tiefgarage“ erteilt wurde. Allerdings liegt hierin kein nachbarrelevanter Widerspruch, da Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung ohne Weiteres auch für die Nachbarn eindeutig festgestellt werden können. Zum einen geht die Betriebsbeschreibung lediglich von einer „ca.-Angabe“ aus, zum anderen ist durch Auslegung des Bauantrags, insbesondere den zur Genehmigung gestellten Bauzeichnungen eindeutig auszumachen, dass insgesamt 66 Personen in 28 Einheiten untergebracht werden können und sollen. Überdies würde das Vorhaben auch bei einer Belegung von 62 Personen (also weniger als genehmigt) nicht gegen Nachbarrechte verstoßen.
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3. Die angefochtene Baugenehmigung verstößt nicht gegen drittschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts.
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3.1. Die Baugenehmigung verstößt nicht zulasten der Klagepartei gegen den Anspruch auf Gebietserhaltung. Ebenso wenig verletzt das Vorhaben einen Anspruch auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung eines Baugebiets (Gebietsprägungs(erhaltungs) anspruch, vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2002 – 4 B 86.01 – juris), soweit letzterer überhaupt anzuerkennen ist (vgl. BayVGH, B.v. 9.10.2012 – 2 ZB 11.2653 – juris; B.v. 8.1.2019 – 9 CS 17.2482 – juris Rn. 16; B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris, Ls u. Rn. 9 ff.).
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Der Gebietserhaltungsanspruch des Nachbarn setzt voraus, dass das Baugrundstück und das Nachbargrundstück innerhalb desselben festgesetzten oder in einem faktischen Baugebiets (§ 34 Abs. 2 BauGB) liegen (vgl. BayVGH, U.v. 28.6.2012 – 2 B 10.788 – juris Rn. 24 m.w.N.). Er ist im Ergebnis darauf gerichtet, Vorhaben zu verhindern, die nach Art der baulichen Nutzung weder regelmäßig noch ausnahmsweise in diesem Gebiet zulässig sind (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – juris Rn. 13). Da das Baugrundstück in einem Bebauungsplangebiet und das Nachbargrundstück außerhalb desselben liegen, scheidet ein Gebietserhaltungsanspruch aus.
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Weder dem Bebauungsplan noch seiner Begründung lässt sich eine Absicht der Plangeberin, Plangebietsexternen einen gebietsübergreifenden Gebietserhaltungsanspruch gewähren zu wollen, entnehmen (vgl. hierzu: BVerwG, B.v. 10.1.2013 – 4 B 48.12 – BauR 2013, 934 = BeckRS 2013, 46322, Rn. 5; BayVGH, B.v. 18.2.2020 – 15 CS 20.57 – juris Rn. 18 m.w.N.)
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3.2. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass der Bebauungsplan unwirksam sein sollte und das Baugrundstück mit dem Nachbargrundstück einem nach § 34 Abs. 2 BauGB zu beurteilenden einheitlichen Gebiet zuzurechnen wäre, scheidet ein Gebietserhaltungsanspruch aus. Unabhängig davon, ob man das Vorhaben bauplanungsrechtlich als Wohngebäude, Wohngebäude, das ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege seiner Bewohner dient oder als sonstige Anlagen für soziale Zwecke einstufen wollte, wäre es nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. der Baunutzungsverordnung in der derzeit gültigen Fassung sowohl im (faktischen) reinen Wohngebiet als auch im (faktischen) allgemeinen Wohngebiet entweder allgemein oder ausnahmsweise zulässig, § 3 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2, Alt. 1., Abs. 4 BauNVO, § 4 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3, Alt. 3 BauNVO.
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Vorliegend gibt es auch keinen Grund zu der Annahme, dass das Vorhaben – bezogen auf den Gebietscharakter des Baugebietes, in dem es verwirklicht werden soll – aufgrund seiner typischen Nutzungsweise störend wirkt und deswegen i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO gebietsunverträglich ist, so dass offenbleiben kann, ob sich ein Nachbar überhaupt darauf berufen kann (vgl. zum Streitstand zum sog. „Gebietsprägungs(erhaltungs) anspruch“: BayVGH, U.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 9 ff; B.v. 4.3.2021 – 15 ZB 20.3151 – juris Rn. 16). Seit dem Inkrafttreten der BauNVO 1990 können insbesondere sonstige Anlagen für soziale Zwecke sogar in reinen Wohngebieten als Ausnahmen zugelassen werden, auch wenn sie nicht der Versorgung des Gebiets oder den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienen, also Anlagen, die ohne direkten Bezug zu dem Gebiet in allgemeiner Weise öffentlichen Interessen dienen (Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: 148. EL Oktober 2022, § 3 BauNVO, Rn. 79f). Die Unterbringung von bis zu 66 Menschen in 28 Wohneinheiten widerspricht nicht (wie die Klagepartei meint) der Zweckbestimmung eines reinen Wohngebiets, geschweige denn der Zweckbestimmung eines allgemeinen Wohngebiets. Den Bewohnern stehen jeweils ca. 13 bis 16 m2 (errechnet) je Nutzungseinheit zur Verfügung. Eine wohngebietsuntypische Dichte bzw. Überbelegung liegt nicht vor, der Nutzungsgrad des 1090 m² großen Grundstücks entspricht im Gegenteil dem eines großen Mehrparteienhauses. Die Zweckbestimmung des Baugebiets wird hierdurch nicht gefährdet.
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Soweit die Klagepartei von „störender Unruhe“ spricht, die das Vorhaben in das Wohngebiet hineintragen soll, ist darauf hinzuweisen, dass von dem Vorhaben kein wohngebietsuntypisches Störpotenzial ausgeht. Insbesondere menschliche Lebensäußerungen sind untrennbar mit dem Wohnen verbunden und elementarer Bestandteil eines Wohngebiets. Sie sind auch in solchen Wohngebieten hinzunehmen, die durch eine andere homogene Wohnbevölkerung geprägt sind, zumal das allgemeine Bauplanungsrecht keinen “Milieuschutz” gewährleisten kann und soll (BVerwG, U.v. 23.8.1996 – 4 C 13/94 – NVwZ 1997, 384).
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3.3. Das Vorhaben verstößt nicht zulasten der Klagepartei gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme. Es kann dahinstehen, ob sich dieses im vorliegenden Fall aus dem Begriff des „Einfügens“ des § 34 Abs. 1 BauGB oder aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V. m. § 15 Abs. 1 BauNVO ableitet, da im Ergebnis dieselbe Prüfung stattzufinden hat (BayVGH, B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 3).
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Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an (BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – juris, Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4). Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17).
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Eine unzumutbare Beeinträchtigung ist nicht ersichtlich. Dies gilt zum einen hinsichtlich der vom Vorhaben ausgehenden Lärmimmissionen. Die Kammer verkennt nicht, dass das Wohngebäude der Klagepartei direkt an das Baugrundstück angrenzt und sich die Außenbereiche des Vorhabens mehrheitlich an der Westseite auf Höhe des nachbarlichen Hausgartens befinden. Hinsichtlich der Lebensäußerungen der Bewohner ist jedoch gleichwohl darauf hinzuweisen, dass das planungsrechtliche Rücksichtnahmegebot keinen Abwehranspruch gegenüber wohngebietstypischen Lebensäußerungen vermittelt. Wohngeräusche bzw. Wohnimmissionen sind in Wohngebieten regelmäßig hinzunehmen (BayVGH, B.v. 14.4.2014 – 15 ZB 13.205 – juris Rn. 6). Eine außergewöhnliche Lärmkonfliktlage ist nicht erkennbar.
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Dies gilt insbesondere hinsichtlich der mit der angemessenen Nutzung der Freiflächen einhergehenden Immissionen, denn auch die angemessene Nutzung der Außenwohnbereiche auf dem Baugrundstück (Grün- und Freiflächen, Terrassen und Balkone, Kinderspielplätze) gehört zum Wohnen (Hornmann in: BeckOK BauNVO, Spannowsky/Hornmann/Kämper, Stand: 15.4.2023, § 3 Rn. 81). Lebensäußerungen und Geräusche, welche mit der Nutzung der Außenanlagen des Vorhabens einhergehen, sind daher ebenso als wohngebietstypisch hinzunehmen, wie solche, die innerhalb des Gebäudes entstehen und etwa durch ein geöffnetes Fenster nach außen dringen. Das gilt insbesondere auch für die Nutzung der Freiflächen abends und am Wochenende. Die Freiflächen, welche zur Nutzung durch die Bewohner vorgesehen sind, verfügen über eine Größe von ca. 120 m2 zuzüglich einer Terrasse von ca. 24,6 m² Fläche. Dass sich sämtliche Bewohner durchweg in den Außenbereichen aufhalten, erscheint schon aufgrund der zur Verfügung stehenden Fläche lebensfremd. Eine nicht angemessene Nutzung der Freiflächen durch Einzelne wäre zudem nicht mit Mitteln des Städtebaurechts, sondern mit Mitteln des Ordnungsrechts zu reglementieren.
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Eine (für Wohnheime) übliche Belegungsdichte (eine Überbelegung liegt erkennbar nicht vor, s.o.) begründet für sich genommen zudem keine bodenrechtlich relevanten Störungen, auch wenn sich Lebensrhythmus und Gewohnheiten der Untergebrachten von denen der Ortsansässigen abheben können (VG München, U.v. 22.6.2015 – M 8 K 14.4864 – BeckRS 2016, 41276 m.w.N.). Insbesondere gibt es keinen Erfahrungssatz dergestalt, dass von dem Vorhaben aufgrund der (behaupteten) beengten räumlichen Verhältnisse oder der besonderen sozialen Situation der Bewohner für die Nachbargrundstücke unzumutbare Immissionen ausgehen, die über die in einem reinen Wohngebiet regelmäßig hinzunehmenden Geräusche hinausgehen. Das Rücksichtnahmegebot beinhaltet keinen Anspruch auf Bewahrung einer bisher günstigeren Situation im Sinne eines Milieuschutzes (BayVGH, B.v. 14.2.2019 – 15 CS 18.2487 – juris Rn. 19; U.v. 23.5.2023 – 1 B 21.2139 – juris Rn. 33). Insbesondere dient es nicht dazu, den „sozialen Frieden“ zu bewahren, zumal dieser soziologisch-abstrakte Begriff weder einer tatsächlichen, noch einer rechtlichen Bewertung zugänglich ist (vgl. den deshalb weder entscheidungserheblichen noch ansonsten behelflichen, in der mündlichen Verhandlung abgelehnten Beweisantrag Nr. 3 der Klagepartei).
38
Auch die in der Betriebsbeschreibung angesprochenen Veranstaltungen lassen keine unzumutbaren Belästigungen erwarten. Die Veranstaltungen sind zum einen laut Betriebsbeschreibung innerhalb des Gebäudes unter Nutzung der u.a. dafür vorgesehenen Gemeinschaftsräume (welche zudem durchweg zur … Straße hin angeordnet sind) geplant, zum anderen wird sich die Nutzerzahl je Veranstaltung in einem Korridor von 10 bis 20 Personen bewegen. Feiern bzw. Veranstaltungen oder Zusammenkünfte im Innern eines (Wohn-)Gebäudes mit einer solchen Besucheranzahl sind nicht ungewöhnlich und als sozialadäquat hinzunehmen.
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Von der Hausverwaltung, der Pforte und den im Haus beschäftigten Mitarbeitern der sozialen Fürsorge geht ebenso kein unzumutbares Störpotenzial aus, zumal die Bürozeiten der Hausverwaltung in der Regel werktags von Montag bis Donnerstag in der Zeit von 9:00 bis 17:00 Uhr und freitags von 9:00 bis 14:00 Uhr liegen. Ferner sind sämtliche für diese Nutzungen vorgesehene Räumlichkeiten innerhalb des Gebäudes zur Straße hin, vom Wohngebiet weg orientiert. Die Stellplätze des Vorhabens sind überdies in einer Tiefgarage untergebracht, wodurch die wesentlichen Immissionen (Rangieren, Türenschlagen, Anfahren…) vollständig abgeschirmt sind. Zudem befindet sich die Tiefgaragenabfahrt an der vom Anwesen der Klagepartei abgewandten Ostseite des Vorhabens.
40
Die Baugenehmigung verletzt auch nicht nachbarliche Rechte der Klagepartei, weil keine Auflagen zum Lärmschutz getroffen wurden. Dies gilt unabhängig davon, ob man das Vorhaben als Wohngebäude, Wohngebäude, das ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege seiner Bewohner dient oder als sonstige Anlage für soziale Zwecke einstufen wollte. Menschliche Lebensäußerungen gehören zum menschlichen Zusammenleben. Die Einhaltung und Durchsetzung der „Wohnruhe“ unterfällt jedoch insbesondere dem Ordnungsrecht (z.B. Einhaltung von Lärm- und Ruhezeiten). Das Baurecht bietet keine Möglichkeit, das „Lärm“-Verhalten von Personen zu reglementieren (soweit es nicht im Betrieb einer Anlage i.S.d. TA Lärm besteht oder dieser zugerechnet werden kann). Hinsichtlich der sozialen Einrichtungen hat dieser Gedanke Niederschlag gefunden in Ziff. 1 h) TA Lärm, wonach Anlagen für soziale Zwecke vom Anwendungsbereich ausgenommen sind. Auch derartige Umwelteinwirkungen gehören notwendig zum menschlichen Zusammenleben und sind deshalb in bestimmten Grenzen, aber weitergehender als bei anderen Verursachern zumutbar. Die Grenzen können nicht generell festgeschrieben werden. Hier ist stets eine Beurteilung im Einzelfall erforderlich (Hansmann in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: September 2022, Ziff. 1 TA Lärm, Rn. 23 m.w.N.). Dass die Nachbarn voraussichtlich gesundheitsgefährdenden Immissionen ausgesetzt sein könnten, ist nicht ansatzweise ersichtlich. Auch vor diesem Hintergrund bestand kein Anlass, den Sachverhalt i.S.d. in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags Nr. 1 der Klagepartei weiter aufzuklären.
41
Auch in Bezug auf den durch das Vorhaben ausgelösten Verkehr ist ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme nicht ersichtlich. Eine allgemeine Verkehrszunahme – auch ausgelöst von einem benachbarten Bauvorhaben – ist grundsätzlich noch nicht rücksichtslos. Vielmehr muss der An- und Abfahrtsverkehr zu einem künftigen Vorhaben einen Grad annehmen, welcher für einen das Gebot der Rücksichtnahme überschreitenden Konflikt spricht (vgl. BayVGH, U.v. 5.7.2017 – 2 B 17.824 – juris Rn. 54 m.w.N.). Dies ist vorliegend angesichts der Entfernung der Zufahrt des Baugrundstücks vom Nachbargrundstück nicht zu erwarten, zumal Bau- und Nachbargrundstück an verschiedenen Erschließungsstraßen liegen.
42
Das Vorhaben erweist sich gegenüber der Nachbarbebauung auch im Übrigen nicht als rücksichtslos, insbesondere ist eine erdrückende Wirkung hinsichtlich des Wohngebäudes der Klagepartei nicht gegeben, da das dreigeschossige Vorhaben dasselbe nicht unzumutbar überragt oder abgeriegelt und von der … Straße nach Süden zurückversetzt in einem Abstand von ca. 9 m (abgegriffen) zum Nachbargebäude errichtet werden soll.
43
4. Ein Verstoß gegen drittschützende Normen des Bauordnungsrechts, insbesondere des Abstandsflächenrechts, ist ebenso nicht gegeben.
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 159 Satz 2 VwGO.
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Es entspricht der Billigkeit, den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese einen Sachantrag gestellt und sich dadurch einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.