Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 22.11.2023 – Au 6 K 23.635
Titel:

Erfolglose Klage gegen die Nichtbewilligung von Corona-Überbrückungshilfen (Überbrückungshilfe IV) und die Rückforderung der Abschlagssumme

Normenkette:
GG Art. 3 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Gewährung von gesetzlich nicht geregelten Leistungen richtet sich allein nach der tatsächlichen Verwaltungspraxis; maßgeblich dafür sind insbesondere hierzu erlassene Verwaltungsvorschriften, aber auch von der Verwaltung zur Verfügung gestellte FAQ können berücksichtigt werden (Anschluss an VG Würzburg ). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwendung öffentlicher Mittel erfordert regelmäßig die Antragsablehnung, wenn die Antragsberechtigung nicht rechtzeitig belegt ist. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Überbrückungshilfe IV, Versagung, Rücknahme und Rückforderung, keine Beantwortung mehrfacher Nachfragen zur Arbeitgebereigenschaft, Versagung wegen fehlender Mitwirkung am Nachweis der Antragsberechtigung, Corona, Förderrichtlinien, Außenwirkung, Gleichbehandlung, Nachweis der Antragsberechtigung, Mitwirkungsobliegenheit
Fundstelle:
BeckRS 2023, 39040

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen einen seinen Antrag ablehnenden Bescheid der Beklagten über die Gewährung einer Billigkeitsleistung des Bundes als Corona-Überbrückungshilfe nach der Richtlinie für die Gewährung von Überbrückungshilfen des Bundes für kleine und mittelständische Unternehmen – Phase 5 (Überbrückungshilfe IV) – des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie, die darin ausgesprochene Rücknahme eines Bescheids über eine Abschlagszahlung und die Rückforderung der ausbezahlten Abschlagssumme. Er begehrt eine Förderung im Umfang von 8.426,21 Euro.
2
Der Kläger betreibt nach den Angaben seines prüfenden Dritten in seinem Antrag einen „Einzelhandel mit sonstigen Gütern an Verkaufsständen und auf Märkten“. Er gab die Zahl der Mitarbeiter des Klägers mit einer Person und einen Umsatzeinbruch an, denn von Januar bis März 2022 seien fast alle Märkte abgesagt gewesen (Behördenakte Bl. 1 ff.).
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Die Beklagte stellte aber durch Datenabgleich mit der Finanzverwaltung fest, das Unternehmen werde nicht im Haupterwerb geführt, ein vorangegangener Antrag auf Überbrückungshilfe III sei als Solo-Selbstständiger gestellt und ein Nachweis über Beschäftigte (1,0 VZÄ) nicht erbracht worden (Behördenakte Bl. 26).
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Mit Bescheid vom 3. Mai 2023 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Abschlagszahlung auf eine Billigkeitsleistung in Höhe von 4.213,11 Euro unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und der endgültigen Festsetzung in einem Schlussbescheid (Behördenakte Bl. 41 ff.).
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Zwecks unionsrechtlicher Fristwahrung erließ die Beklagte einen vorläufigen Bescheid vom 16. Juni 2022 über eine Billigkeitsleistung dem Grunde nach zur Sicherung der beihilferechtlichen Zulässigkeit einer etwaigen späteren Auszahlung angesichts des Auslaufens des befristeten Beihilferahmens am 30. Juni 2022 und unter dem Vorbehalt der vollständigen Prüfung des Antrags (Behördenakte Bl. 48).
6
Sie hat zu ihren Feststellungen, dass das Unternehmen nur ein Nebenerwerb und für die vorangegangene Überbrückungshilfe der Antrag als Soloselbständiger ohne Beschäftigte gestellt worden sei sowie zur Ursache des Umsatzeinbruchs – unter Verweis auf die fehlende Betroffenheit des Klägers von Schließungsanordnungen – mehrfach konkret nachgefragt (26. August 2022, 5. September 2022, 26. September 2022, und 15. November 2022), aber in gesetzter Frist keine Antworten erhalten.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 29. März 2023 (ebenda Bl. 56 ff.) lehnte die Beklagte den Antrag auf Überbrückungshilfe IV ab (Nr. 1 des Bescheids), ersetzte durch diesen Bescheid vollständig den vorläufigen Bescheid vom 16. Juni 2022 (Nr. 2), nahm den unter dem Vorbehalt der vollständigen Antragsprüfung und endgültigen Festsetzung in einem Schlussbescheid ergangenen Bescheid vom 3. Mai 2022 über eine Abschlagszahlung für die Überbrückungshilfe zurück (Nr. 3), setzte den zu erstattenden Betrag auf 4.213,11 Euro und die Erstattungsfrist bis zum 29. April 2023 fest (Nr. 4) und verzichtete bis dahin auf dessen Verzinsung (Nr. 5).
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Antragsablehnung sei mangels Antragsberechtigung gerechtfertigt. Der prüfende Dritte habe auf mehrfache Nachfragen nicht geantwortet, so dass der Kläger seiner Mitwirkung nicht nachgekommen sei. Damit seien die Voraussetzungen für die Gewährung der beantragten Überbrückungshilfe nicht erfüllt. Es entspreche daher der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens, den Antrag insoweit abzulehnen.
Die im Bescheid vom 16. Juni 2022 vorbehaltene Prüfung der Antragsberechtigung sei nun erfolgt, so dass der vorliegende Bescheid an die Stelle des vorläufigen Bescheids vom 16. Juni 2022 trete.
Die Rücknahme des Bescheids über die Abschlagszahlung vom 3. Mai 2022 stütze sich auf Art. 48 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BayVwVfG und erfolge in einer Ermessensentscheidung, da keine Antragsberechtigung vorliege. Bei Erlass des Bescheids über die Abschlagszahlung und der Anordnung der Auszahlung sei es der Bewilligungsstelle auch nicht möglich, fehlerhafte Angaben festzustellen, weil dieses Stadium des Verwaltungsverfahrens weitestgehend automatisiert ablaufe und der unter Vorbehalt der vollständigen Prüfung des Antrags festgesetzte Bescheid über die Abschlagszahlung und die damit verbundene Auszahlung automatisch nach Antragstellung erfolge, soweit die Angaben des Antrags nach bestimmten, festgelegten Kriterien plausibel erschienen.
Der Bescheid beruhe demnach gemäß Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG auf unrichtigen Angaben, so dass von keinem schutzwürdigen Vertrauen ausgegangen werde; er sei damit rechtswidrig. In Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens über die Rücknahme des Bescheids mit Wirkung für die Vergangenheit werde dem öffentlichen Interesse an einer sparsamen und zweckgerichteten Verwendung von Haushaltsmitteln Vorrang gegeben. Es entspreche daher der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens, den überzahlten Betrag aus der Abschlagszahlung ermessensgerecht zurückzufordern.
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Am 29. April 2023 ließ der Kläger Klage erheben und beantragen,
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den Bescheid über die Gewährung der Überbrückungshilfe IV in Gestalt des Ablehnungs-, Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides vom 29. März 2023 aufzuheben.
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Eine Klagebegründung wurde angekündigt, aber nicht vorgelegt. Auch auf einen ausführlichen gerichtlichen Hinweis mit fristgebundener Aufforderung zur Stellungnahme erfolgte keine Äußerung.
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Die Beklagte trat der Klage entgegen und beantragt,
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Die Klage wird abgewiesen.
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Zur Begründung vertieft sie ihre Bescheidsbegründung. Der Kläger habe auf mehrfache Rückfrage nicht dargelegt, dass er antragsberechtigt und die angegebenen Umsatzeinbußen coronabedingt entstanden seien. Nach der Verwaltungspraxis der Beklagten sei auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt habe die Beklagte aufgrund der fehlenden Mitwirkung des Klägers im Förderverfahren den Förderantrag ablehnen müssen, denn er sei seiner substantiierten Darlegungslast nicht nachgekommen. Auch ein Nachschieben für die Ermessensausübung relevanter Tatsachen erst im Klageverfahren sei zu spät.
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Die Beteiligten verzichteten mit Schreiben vom 16. Oktober 2023 und vom 14. November 2023 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über welche auf Grund des allseitigen Verzichts der Beteiligten ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), erweist sich als unbegründet.
I.
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Die Klage ist unbegründet, weil die Antragsablehnung nicht rechtswidrig ist (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Satz 2 VwGO) und daher kein Anspruch auf Aufhebung, erst recht nicht auf Gewährung oder Neuverbescheidung besteht. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids (§ 117 Abs. 5 VwGO) und ergänzend ausgeführt:
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1. Die Rechtmäßigkeit der Antragsablehnung richtet sich allein nach der tatsächlichen Verwaltungspraxis. Maßgeblich dafür sind insbesondere die Richtlinien für die Gewährung von Hilfen sowie die FAQ (dazu VG Würzburg, U.v. 24.10.2022 – W 8 K 21.1263 – juris Rn. 28 ff. m.w.N.).
19
Maßgeblicher Zeitpunkt für die hier begehrte Ermessensentscheidung ist nach der geübten und gerichtsbekannten Verwaltungspraxis der Beklagten der Zeitpunkt des Bescheidserlasses (vgl. BayVGH, B.v. 2.2.2022 – 6 C 21.2701 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 27.2.2023 – 22 ZB 22.2554 – juris Rn. 14). Die gerichtliche Prüfung erstreckt sich demnach nur auf Ermessensfehler, die dem Bescheid zu entnehmen sein müssen (§ 114 VwGO). Über bloße Erläuterungen des bisherigen Vorbringens hinausgehender Vortrag neuer Tatsachen und die Vorlage neuer, nicht bis zum Bescheidserlass vorgelegter Unterlagen sind daher unbeachtlich (vgl. VG Augsburg, U.v. 21.12.2022 – Au 6 K 22.955 – Rn. 41 mit Verweis auf VG Würzburg, U.v. 29.11.2021 – W 8 K 21.982 – BeckRS 2021, 42720 Rn. 16 m.w.N.).
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a) Die Förderrichtlinien stellen zwar keine Rechtsnormen dar, begründen aber als Verwaltungsvorschriften über den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gebot des Vertrauensschutzes (Art. 20 und Art. 28 GG) Außenwirkung in der Gestalt, die sie durch die ständige Verwaltungspraxis gefunden haben (BayVGH, B.v. 3.5.2021 – 6 ZB 21.301 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 18.5.2020 – 6 ZB 20.438 – juris Rn. 6).
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b) Gemäß Ziffer 2.1 der Richtlinie für die Überbrückungshilfe IV sind Unternehmen antragsberechtigt, die ihre Tätigkeit von einer inländischen Betriebsstätte oder einem inländischen Sitz der Geschäftsführung aus ausführen und bei einem deutschen Finanzamt für steuerliche Zwecke erfasst sind. Dazu erfolgt ein automatisierter Datenabgleich mit den Finanzbehörden (vgl. Ziffer 3.14 der FAQ). Als Unternehmen im Sinne Nr. 1 Satz 7, Nr. 2.1 Satz 1 mit Fn. 5 und Fn. 7 der Richtlinie zur Überbrückungshilfe IV gilt jede rechtlich selbständige Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform, die wirtschaftlich am Markt tätig ist und zumindest einen Beschäftigten zum Stichtag beschäftigt hat. Dies hat der Kläger in seinem Antrag behauptet, den Widerspruch zu seinem vorangegangenen Antrag aber nicht aufgelöst. Auch als Soloselbständiger wäre er nicht antragsberechtigt, da er nicht dargelegt hat, aus dieser Tätigkeit mindestens 51% seiner Einkünfte im Vergleichszeitraum des Jahres 2019 erzielt zu haben. Da hier die im Antrag angegebene Zahl der Beschäftigten mit den der bayerischen Finanzverwaltung bekannten Daten nicht übereinstimmte und der Kläger trotz mehrfacher fristgebundener Aufforderung und weiteren Zuwartens, sogar einer Aufforderung der Beklagten an den Steuerberater außerhalb des Portals am 14. Juli 2022, die hierauf gerichteten Fragen nicht beantwortet hat, ist für den maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses von seiner nicht nachgewiesenen und damit fehlenden Antragsberechtigung auszugehen und die Antragsablehnung mangels Mitwirkung im Sinne des Art. 26 VwVfG nicht zu beanstanden.
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c) Die Beklagte hat auch ermessensfehlerfrei von ihrer Ablehnungsbefugnis Gebrauch gemacht.
23
Das Gericht hat insoweit nur zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder vom Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 114 Satz 1 VwGO). Die Beklagte konnte die Ermessenserwägungen auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen (§ 114 Satz 2 VwGO). Die angeführten Ermessenserwägungen der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Die Ermessensausübung deckt sich mit ihrer Verwaltungspraxis. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Überdies erfordert der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwendung öffentlicher Mittel regelmäßig die Rücknahme rechtswidriger Subventionsbescheide, damit öffentliche Mittel sparsam und effektiv verwendet werden (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.1996 – BVerwG 3 C 22.96 – juris Rn. 16; auch HessVGH, U.v. 13.5.2014 – 9 A 2289/12 – juris Rn. 44); erst recht also die Antragsablehnung, wenn die Antragsberechtigung nicht rechtzeitig belegt ist.
24
Da der Beklagten bis zum Bescheidserlass die angeforderten Nachweise nicht vorlagen, wäre ihre Nachreichung im Klageverfahren unbeachtlich. Ohne rechtzeitig vorgelegte Nachweise zur bezweifelten Antragsberechtigung aber hat die Beklagte den Antrag nach Nr. 1 Satz 7, Nr. 2.1 Satz 1 mit Fn. 5 und Fn. 7 der Richtlinie zur Überbrückungshilfe IV zu Recht abgelehnt und die Abschlagszahlung zu Recht zurückgefordert.
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2. Auf Vertrauensschutz kann sich der Kläger wegen der offensichtlich objektiv unzutreffenden Angaben in seinem Antrag, des Prüfungsvorbehalts im vorläufigen Bescheid und seiner fehlenden Mitwirkung an der Aufklärung nicht berufen. Er unterliegt in einem automatisierten Massenverfahren wie jenem auf Corona-Hilfen – hier: Überbrückungshilfe IV – einer erhöhten Sorgfaltspflicht für die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben, sogar unter näherer Befassung mit den Antragsvoraussetzungen und vom Zuwendungsgeber zur Verfügung gestellten Informationsmaterialien (vgl. BayVGH, B.v. 26.10.2023 – 22 C 23.1609 – Rn. 11). Diese hat der Kläger nicht erfüllt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird ebenfalls auf die Begründung des angefochtenen Bescheids Bezug genommen.
II.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V. m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.