Inhalt

OLG München, Hinweisbeschluss v. 11.09.2023 – 8 U 719/23 e
Titel:

Kein Schadensersatzanspruch des Erwerbers eines Diesel-Fahrzeugs mit Thermofenster und behaupteter Fahrkurvenerkennung

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Leitsatz:
Eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems, die im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise wie im Fahrbetrieb auf der Straße arbeitet, ist nicht mit einer Umschaltlogik gleichzusetzen. Dies ist auch dann noch der Fall, wenn die Abgasrückführung nur bei Außentemperaturen zwischen 15° C und 33° C in vollem Umfang stattfindet und außerhalb dieser Bedingungen deutlich reduziert wird, und selbst dann noch, wenn nur unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen  die Rate der AGR im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand entspricht. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, sittenwidrige Schädigung, Schutzgesetz, Kfz-Hersteller, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, EA 288, Thermofenster, Fahrkurvenerkennung, Verbotsirrtum
Vorinstanz:
LG München II, Endurteil vom 20.01.2023 – 2 O 3062/22
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 24.10.2023 – 8 U 719/23 e
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38948

Tenor

1.1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 20.01.2023, Az. 2 O 3062/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht für die Klagepartei Gelegenheit zur Stellungnahme bis 29.09.2023.
1.3. Binnen derselben Frist können beide Seiten zum Streitwert des Berufungsverfahrens Stellung nehmen, den der Senat beabsichtigt auf bis zu 40.000,00 € festzusetzen.

Entscheidungsgründe

A.
1
Die Klagepartei erwarb am 30.05.2018 in D. einen neuen VW Tiguan für 42.900 €. Das Fahrzeug ist mit dem Motor EA 288 ausgestattet.
2
Die Klagepartei trägt schriftsätzlich vor, der von der Beklagten entwickelte Motor sei mit verschiedenen unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen, insbesondere mit einem sog. Thermofenster, einer Lenkwinkelerkennung etc. Die Organe der Beklagten hätten entsprechende Kenntnis vom Einsatz der nach Ansicht der Klagepartei illegalen Software gehabt. Die Beklagte treffe in diesem Zusammenhang eine sekundäre Darlegungslast dahingehend, wann welche Organe, insbesondere Mitglieder des Vorstands der Beklagten Kenntnis vom Einsatz der Software hatten.
3
Die Beklagte unterliege deshalb einer deliktischen Haftung nach §§ 826, 831, 166, 31 BGB.
4
Die Beklagte bestreitet jegliche Art von unzulässiger Abschalteinrichtungen und weist ergänzend darauf hin, dass das streitgegenständliche Fahrzeug auch nicht von einem Rückruf des KBA betroffen sei. Die entsprechenden Manipulationen seien bereits nicht substantiiert dargelegt. Bei einem sog Thermofenster handle es sich im übrigen auch nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung, da diese nicht nur auf dem Prüfstand, sondern ständig in Betrieb sei.
5
Die Klagepartei hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 42.900,00 € nebst näher bezeichneten Zinsen und abzüglich einer Nutzungsentschädigung von 3.260,40 € zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen PKW.
6
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Für eine deliktische Haftung fehle es an einem substantiierten Sachvortrag, wann welche Organe, insbesondere Vorstandsmitglieder der Beklagten, Kenntnis von der Verwendung bzw. dem Einsatz einer Software hatten. Die Beklagte treffe insoweit auch keine sekundäre Darlegungslast. Es sei vielmehr Aufgabe der jeweiligen Klagepartei, substantiiert im einzelnen vorzutragen, inwieweit Manipulationen unzulässiger Art im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaut seien. Allein die Behauptung, auch in einem weiteren Modell der Beklagten, dem VW T 6 seien unzulässige Einrichtungen verbaut, was zu einem Rückruf geführt habe, reiche für einen schlüssigen Vortrag nicht aus. Das Landgericht schließe sich insoweit zahlreichen oberlandesgerichtlichen Entscheidungen, die von der Beklagten zitiert worden seien, an. Es fehle an konkreten Anknüpfungstatsachen für die klägerischen Behauptungen. Der Sachvortrag werde vielmehr in wesentlichen Teilen auf Umstände gestützt, die im Zusammenhang mit der Untersuchung anderer Motoren der Beklagten bzw. anderer Hersteller festgestellt worden seien. Bei dem sog. Thermofenster sei nach ständiger Rspr. des BGH eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nicht zu bejahen.
7
Mit der Berufung verfolgt die Klagepartei ihre erstinstanzlich gestellten Anträge weiter.
B.
8
Die Berufung ist offensichtlich unbegründet. Das angegriffene Urteil hält den von der Berufung erhobenen Einwendungen ausgehend von der aktuellen Rechtsprechung des BGH jedenfalls im Ergebnis stand. Die Berufung konnte nicht aufzeigen, dass die Entscheidung des Landgerichts auf einer entscheidungserheblichen Rechtsverletzung gem. §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO beruht oder dass nach § 529 ZPO zugrunde zulegende Tatsachen im Ergebnis eine andere Entscheidung rechtfertigen würden.
I.
9
Vorauszuschicken ist, dass der Senat, soweit die Berufungsbegründung Vorbringen enthält, das sich im Ersturteil so nicht findet, davon ausgehen muss, dass es im Berufungsverfahren neu ist und schon mangels entsprechender Berufungsrüge i.S.v. § 520 Abs. 3 Nr. 4 ZPO dort nicht mehr gem. § 531 Abs. 2 ZPO zugelassen werden kann und deshalb auch nicht mehr zugelassen wird. So werden etwa erstmals unter Bezugnahme auf Unterlagen der Firma B. weitere unzulässige Abschalteinrichtungen moniert. Diese Unterlagen seien erst am 17.11.2022 von der DUH veröffentlicht worden. Weshalb derartiges dann aber nicht noch in erster Instanz (Landgerichtsurteil vom 20.01.2023 aufgrund mündlicher Verhandlung vom 12.12.2022) vorgebracht werden konnte, wird nicht vorgetragen und ist auch nicht ersichtlich. Weiter sind pauschale Bezugnahmen auf erstinstanzlichen Vortrag bekanntermaßen unzulässig (vgl. z.B. BGHZ 35, 103; BGH NJW 1998, 155; Thomas/Putzo ZPO 25. Aufl., Rn. 2 vor § 284 ZPO). Was die Klagepartei erstinstanzlich wo konkret zu den im übrigen von ihr behaupteten diversen Abschalteinrichtungen substantiiert vorgetragen haben will, ist der Berufungsbegründung indessen nicht zu entnehmen.
10
Unabhängig davon ist die Berufung auch sonst erfolglos.
II.
11
Die Beklagte haftet nicht gem. §§ 826, 31 BGB bzw. § 831 BGB.
12
Der Senat hat bereits vielfach im Einklang mit der obergerichtlichen Rspr. entschieden, dass entsprechende Schadensersatzansprüche von Käufern von Fahrzeugen mit einem Motor EA288 weder in der Ausführung Euro 5 noch in der Ausführung Euro 6, sei es mit NOx-Speicher-Katalysator (NSK) oder SCR-Katalysator (SCR), in Betracht kommen. Diese Rspr. der Oberlandesgerichte ist ersichtlich vom BGH gebilligt worden (vgl. z.B. BGH, Beschlüsse vom 01.08.2022 – VIa ZR 110/21, vom 09.05.2022 – VIa ZR 303/21; BGH, Beschluss vom 21.03.2022 – VIa ZR 334/21).
13
Dass und weshalb hier anders zu entscheiden wäre, ist nicht erkennbar.
14
Eine entsprechende Haftung setzt nämlich hinreichenden Vortrag bei Aufzeigen unstreitiger oder nachgewiesener Anhaltspunkte dafür voraus, dass entweder (nachfolgend 1) eine evident unzulässige Prüfstanderkennungssoftware im Sinne einer Umschaltlogik oder (nachfolgend 2) eine andere verwaltungsrechtlich unzulässige Abschalteinrichtung verbaut war bzw. ist und im Fall einer nur verwaltungsrechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung zugleich Hinweise auf besondere Umstände i.S.d. Rspr. des BGH vorliegen, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (vgl. Senat, Hinweisbeschluss vom 01.03.2021, Endbeschluss vom 08.04.2021, Gz. 8 U 4122/20, veröffentlicht in Beck-Online und Juris, NZB BGH Az. VII ZR 453/21 zurückgenommen).
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Nach höchstrichterlicher Rspr. (Urt. v. 13.07.2021 – VI ZR 128/20) darf dabei zwar eine Partei selbst von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat. Ein auf Vermutungen gestützter Sachvortrag ist aber dann unbeachtlich, wenn ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt werden, wobei bei der Annahme von Willkür Zurückhaltung geboten ist und eine solche i.d.R. nur bei Fehlen von jeglichen tatsächlichen Anhaltspunkten vorliegen wird (BGH, Urt. v. 18.05.2021 – VI ZR 401/19; v. 25.04.1995 – VI ZR 178/94).
16
Danach fehlt es vorliegend an dem gebotenen Vortrag der Klagepartei. Selbst wenn diese die von ihr beanstandeten Funktionen hinreichend beschrieben hätte, fehlen jedenfalls jegliche greifbaren Anhaltspunkte für deren Vorliegen in dem unstreitig mit einem Motor EA288 ausgestatteten Fahrzeug.
17
1. Soweit die Berufung das Vorhandensein einer Umschaltlogik, vergleichbar der im Motor EA189, d.h. den Verbau einer evident unzulässigen Abschalteinrichtung, behaupten will, ist schon der diesbezügliche Vortrag unzureichend bzw. unschlüssig.
18
a) Das gerügte Thermofenster stellt keine solche dar.
19
Die Berufung moniert nunmehr das Vorhandensein eines Thermofensters, durch welches bei einer Außentemperatur von 20 bis 30 Grad Celsius die Abgasrückführung zu 100% durchgeführt werde, während außerhalb dieses definierten Temperaturbereiches die Abgasrückführung iterativ reduziert und schließlich ganz abgeschaltet werde.
20
Eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems, die im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise wie im Fahrbetrieb auf der Straße arbeitet, ist nach höchstrichterlicher Rspr. nicht mit einer solchen gleichzusetzen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19). Dies ist auch dann noch der Fall, wenn die Abgasrückführung nur bei Außentemperaturen zwischen 15°C und 33°C in vollem Umfang stattfindet und außerhalb dieser Bedingungen deutlich reduziert wird, und selbst dann noch, wenn nur unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand etc.) die Rate der AGR im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand entspricht (BGH, Beschluss v. 09.03.2021 – VI ZR 889/20). Weshalb für das hier verbaute Thermofenster, zu dessen warum und wie angenommenen Auslegung und damit Unzulässigkeit ohnehin substantiierter Vortrag der Berufung fehlt, etwas anderes gelten sollte, erschließt sich nicht.
21
b) Darüber hinaus behauptet die Berufung das Vorhandensein einer Fahrkurvenerkennung.
22
Schließlich werden noch verspätet bei Bezugnahme auf Unterlagen der Firma Bosch weitere unzulässige Abschalteinrichtungen moniert, die in Abhängigkeit von externen Parametern die Leistung des Emissionskontrollsystems massiv reduzieren und im Realbetrieb überwiegend aktiv sein sollen.
23
Insoweit fehlt es – schlüssigen Vortrag zu einer Funktionsweise unterstellt, die einer Prüfstanderkennungssoftware mit Umschaltlogik gleichzusetzen wäre – jedenfalls an greifbaren Anhaltspunkten für deren Vorliegen, handelt es sich also diesbezüglich um bloße Behauptungen ins Blaue hinein.
24
Zwar ist als Hinweis auf das Vorhandensein einer solchen Umschaltlogik im Fahrzeugmotor nicht zwingend ein Rückruf des KBA wegen einer Prüfstanderkennungssoftware bzw. einer sonst unzulässigen Abschalteinrichtung erforderlich (BGH, Beschluss vom 28.01.2020; VIII ZR 57/19). Fehlt es aber an einem solchen Rückruf müssen entsprechende Anhaltspunkte in anderer Weise dargelegt werden.
25
Ein entsprechender Rückruf liegt hier auch nicht vor. Der Verweis auf die Rückrufe zum Motor EA288 im Modell T6 („Bully“) ist insoweit nicht zielführend. Ausweislich der allgemein zugänglichen Rückrufdatenbank des KBA erfolgte dieser Rückruf wegen einer Konformitätsabweichung. Die Beklagte hat hierzu ausgeführt, dass derartige Konformitätsabweichungen häufig vorkämen und diese nichts mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu tun hätten und verweist insoweit auf die Webseite des KBA (Anlage B4). Dem Senat ist insoweit auch aus Parallelverfahren bekannt, dass das KBA bestätigt hat, dass unzulässige Abschalteinrichtungen für die betroffenen Fahrzeugvarianten nicht festgestellt worden seien (Amtliche Auskunft des KBA vom 11.02.2021 gegenüber dem OLG Oldenburg für VW T6 2.0l, 110 kw, EU6, Az. 14 U 322/19, S. 2, Anlage B 32). Im übrigen wäre ein derartiger Rückruf eines T6 (Nutzfahrzeug) ohnehin nicht auf das streitgegenständliche Fahrzeug übertragbar. Insoweit gilt, dass die Darlegung einer unzulässigen Abschalteinrichtung konkret motorbezogen sein muss (vgl. u.). Angesichts der vielfachen Überprüfungen könnte einem von allen VW Modellen nur den T6 betreffenden Rückruf – selbst wenn dieser, wie nicht, auf dem Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung beruhte – keine Aussagekraft für das Vorliegen einer solchen im vorliegenden VW Tiguan zukommen.
26
Dies gilt hier umso mehr, als bekanntermaßen umfassende Prüfungen des streitgegenständlichen Motors EA288 durch das KBA stattgefunden haben. Wie von der Beklagten anhand amtlicher Auskünfte des KBA gegenüber verschiedenen Gerichten belegt, hat dieses aber weder Nebenbestimmungen angeordnet, noch besteht ein behördlich angeordneter Rückruf aufgrund als unzulässig eingestufter Abschalteinrichtungen (vgl. amtliche Auskunft des KBA vom 16.05.22 gegenüber dem LG Aschaffenburg, Az. 14 O 65/21 bzgl. Eine VW Tiguan, EU6, 140 km, Anlage BE 122; amtliche Auskunft des KBA vom 15.12.2020 gegenüber dem LG Bayreuth, Az. 21 O 367/20, Anlage B 15; Anlagenkonvolut B 40 zu amtlichen Auskünften des KBA für das Aggregat EA288 EU6 mit SCR, EA288 EU6 mit NSK und EA288 EU5).
27
Die demgemäß erforderlichen Anhaltspunkte für den Verbau einer evident unzulässigen Prüfstanderkennungssoftware mit Umschaltlogik im Motor ihres Fahrzeugs hat die Klagepartei bzw. Berufung aber nicht aufgezeigt.
28
(1) Insbesondere reicht als zureichender Anhaltspunkt nicht, dass es sich bei dem VW Euro-6-Diesel-Motor EA 288 um den EA189-Nachfolgemotor handelt.
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Die Darlegung einer angeblich „unzulässigen Abschalteinrichtung“ muss nämlich grundsätzlich auf den im streitgegenständlichen Fahrzeug konkret verbauten Motor gerichtet sein. Denn es geht nicht an, alle Fahrzeuge eines Herstellers quasi „über einen Kamm zu scheren“, indem man behauptet, die Beklagte habe – wie andere Hersteller – Fahrzeuge mit illegalen Abschalteinrichtungen verkauft, das KBA habe auch für Fahrzeuge der Beklagten einen Zwangsrückruf angeordnet und deshalb sei auch das streitgegenständliche Fahrzeug von den Manipulationen betroffen. Eine solche „Vermutung“ sieht der Senat nicht, schon weil damit sämtliche Motoren einer Motorenfamilie bzw. einer Baureihe ohne Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen technischen Merkmale und ohne Berücksichtigung der möglicherweise äußerst unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen (z.B. EU 6 statt EU 5) dem Generalverdacht einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterworfen werden würden (vgl. Senat, Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19, WM 2019, 1937, Nichtzulassungsbeschwerde vom BGH mit Besch. V. 15.09.2020 – VI ZR 389/19, ohne weitere Begründung zurückgewiesen). Aus dem Umstand, dass es sich bei dem Motor EA189 um den Vorgängermotor zum Motor EA288 handelt, kann daher nicht geschlossen werden, dass auch in dem Nachfolgemodell eine entsprechende unzulässige Abschalteinrichtung enthalten ist (vgl. auch OLG Nürnberg, Urt. v. 22.09.2021 – 12 U 4034/20, juris Rn.21).
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(2) Die dargelegten Messwerte sind dabei kein Anhalt dafür, dass im Motor des klägerischen Fahrzeugs eine Prüfstanderkennungssoftware mit Umschaltlogik oder eine sonstige evident unzulässige Abschalteinrichtung implementiert wäre.
31
Die Klagepartei bzw. Berufung verkennt bereits grundlegend, dass die Euro-5- und Euro-6-Grenzwerte nach der früheren gesetzlichen Regelung ausschließlich auf den NEFZ-Rollenprüfstandtest bezogen waren. Ob der jeweilige Fahrzeugtyp sie einhielt, wurde nach den EU-Vorschriften ausschließlich unter NEFZ-Prüfbedingungen getestet. Dies erlaubte es den Pkw-Herstellern, ihre Emissionsstrategien auf das enge Prüfkorsett des NEFZ zuzuschneiden und entsprechend zu optimieren. Emissionen, die unter wechselnden Bedingungen im Realbetrieb der Fahrzeuge entstehen, waren nicht Prüfgegenstand im Typgenehmigungsverfahren (vgl. z.B. Weidemann, NVwZ 2020,9 (13f.), beck-online). Eine Software, die den NEFZ-Prüfbedingungen entspricht, war daher nach damaliger Rechtslage wohl rechtmäßig. Selbst wenn man dies nachträglich anders sieht, wäre eine diesbezügliche vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte zur Zeit des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs nicht ersichtlich. Denn dass die relevanten Umstände bereits damals eventuell erkennbar waren und die Beklagte sie vielleicht kennen hätte können oder müssen, würde für die Feststellung von Vorsatz nicht ausreichen, sondern nur den Vorwurf der Fahrlässigkeit rechtfertigen (BGH, Urt. v. 06.11.2015 – VI ZR 78/14, Rz.25).
32
Auch zeigen die dargelegten Messergebnisse hinsichtlich der drei dort gemessenen VW Tiguan bei einem Fahrzeug ein Einhalten der erlaubten Grenzwerte, bei den beiden weiteren Fahrzeugen VW Tiguan ist zwar eine (geringe) Überschreitung dargelegt (Faktor 1,8 und Faktor 2,3), allerdings fehlt es bereits an einer Vergleichbarkeit: bei dem einen Fahrzeug handelt es sich um ein Fahrzeug mit 110 kW (und nicht 140 kW wie vorliegend) und beide Fahrzeuge sind im Juni 2016 erstzugelassen (vorliegend erst im Jahr 2018). Eine Übertragbarkeit der Messergebnisse ist daher bereits nicht gegeben.
33
Im Übrigen ist nicht ersichtlich, unter welchen Bedingungen genau diese Messungen stattfanden. Letztlich hat das KBA bezüglich der Messungen der Untersuchungskommission Volkswagen die dabei festgestellten Werte auch in Kenntnis der „Leitlinien zur Vorgehensweise zum Aufspüren von unzulässigen Abschaltvorrichtungen“ vom 26.01.2017 ersichtlich als unauffällig bewertet.
34
Aus einer Grenzwertüberschreitung folgt zudem jedenfalls noch kein Hinweis auf eine evident unzulässige Prüfstanderkennungssoftware, d.h. eine solche wäre auch mit einer sonstigen verwaltungsrechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung erklärbar, d.h. etwa den von der Berufung in den Raum gestellten, das Emissionsverhalten auf dem Prüfstand optimierenden Funktionen.
35
(3) Auch sind keine greifbaren Anhaltspunkte dafür gegeben, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug überhaupt eine Fahrkurve, wie die Klagepartei behauptet, enthalten ist.
36
Die Behauptung der Klagepartei stellt insoweit eine bloße Behauptung ins Blaue hinein dar. Dass die Beklagte in einzelnen Verfahren auch bei später zugelassenen Fahrzeugen das Vorhandensein einer Fahrkurve einräumt – wie die Berufung vorbringt –, genügt als Anhaltspunkt insoweit nicht. Die Beklagte bestreitet dies vorliegend und legt dar, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug aufgrund des späten Produktionsstarts dieses Modelltyps bzw. der am Modelltyp durchgeführten Pflegemaßnahme eine Fahrkurvenerkennung zu keinem Zeitpunkt hinterlegt war. Bei EA288-Aggregaten mit SCR-Technologie wie dem streitgegenständlichen Fahrzeug habe dies für einen Produktionsstart ab Mitte 2015 geschehen können.
37
Dies entspricht auch der sog. Applikationsrichtlinie.
38
Aus der hinlänglich bekannten Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA288 vom 18.11.2015 ergibt sich kein greifbarer Anhaltspunkt dafür, dass der Motor des klägerischen Pkw eine Umschaltlogik bzw. Manipulationssoftware entsprechend dem VW-Diesel-Motor EA189 aufweisen würde.
39
So ist der entsprechenden Applikationsanweisung Diesel zu entnehmen: SOP vor 22/16 (für SOP, Modellpflege und KD-Master):
40
Die o.g. Umschaltungen anhand der Fahrkurven bleiben bestehen unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben für Roh- und Endrohremissionen.
41
SOP ab 22/16 (für SOP, Modellpflege): Bei neuen Freigaben sind die Fahrkurven aus der Software entfernt. Umschaltungen oder die Platzierung von Abgasnachbehandlungsevents muss auf Basis physikalischer Randbedingungen unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben für Roh- und Endrohremissionen erfolgen.
42
Danach war die Fahrkurve ab Anfang Juni 2016 in neuen Fahrzeugen entfernt. Dem entspricht daher auch, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug mit Erstzulassung in 2018, wie die Beklagte einwendet, keine Fahrkurve mehr enthalten war.
43
Aber selbst wenn wegen eines früheren Produktionszeitpunkts eine Fahrkurve, wie die Klägerin ersichtlich ins Blaue hinein behauptet, vorhanden wäre, spricht nichts dafür, dass diese tatsächlich als Prüfstanderkennungssoftware verwendet worden wäre.
44
Denn am 18.11.2015 ist bereits allgemein bekannt gewesen, dass in dem Vorgängermotor EA189 eine unzulässige Prüfstanderkennungssoftware verwendet worden war (vgl. BGH, Urteil vom 30.7.2020 – VI ZR 5/20). Weiter wurde das Vorgehen mit dem KBA ersichtlich abgestimmt. Demgemäß kann das nur so verstanden werden, dass diese Software – so vorhanden – jedenfalls nicht als unzulässige Abschalteinrichtung genutzt worden ist, bevor sie ab Anfang Juni 2016 ganz entfernt wurde.
45
Eine Fahrkurven- bzw. Prüfstanderkennung ist indessen nicht unzulässig, solange sie nicht auch als Abschalteinrichtung gemäß Art.3 Abs. 10 der Verordnung (EG) 715/2007 genutzt wird. Dies hat der BGH erst jüngst bestätigt. Danach ist eine Fahrkurvenerkennung für eine Haftung gemäß §§ 826, 31 BGB nur dann relevant, wenn eine auf dem Prüfstand erkannte Fahrkurve Auswirkungen auf das Emissionsverhalten hat (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21). Auf eine entsprechende Nutzung weisen besagte Papiere dabei aber gerade nicht hin.
46
Dies wird auch durch den veröffentlichten, gerichtskundigen Bericht der Untersuchungskommission „V. “ vom April 2016 bestätigt. Danach hat das KBA diverse Fahrzeugmodelle der Beklagten mit dem Motor EA288 ausführlich getestet. Der V. -Konzern hatte hierzu die Erklärung abgegeben, dass diese Fahrzeuge nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet wären. Diese Herstelleraussage war mit höchster Priorität durch die KBA-Felduntersuchung zu verifizieren, da diese Fahrzeuge der aktuellen Produktion entsprechen (Bericht S.60). Während bei den Fahrzeugen des V. -Konzerns mit den Motoren EA189 die unzulässige Abschalteinrichtung, die bewirkte, dass die gesetzliche Prüfung auf dem Prüfstand erkannt und in einem Emissionsminderungsmodus betrieben wird, in dem die NOx-Emissionen stärker reduziert werden, in ihrer Wirkung durch Messungen nachvollzogen werden konnte, konnte bei keinem anderen Motor der V. -AG bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichtes eine vergleichbare unzulässige Abschalteinrichtung messtechnisch nachgewiesen werden (Bericht S. 119). Hinweise, die aktuell laufende Produktion der Fahrzeuge mit Motoren der Baureihe EA288 seien ebenfalls von Abgasmanipulationen betroffen, haben sich vielmehr auf Grundlage der Überprüfungen als unbegründet erwiesen (Bericht S.12).
47
Da der Bericht bereits vom April 2016 stammt, können ihm nur vor Mai 2016 produzierte Fahrzeuge und damit nur solche zugrunde gelegen haben, bei denen eine etwaige NEFZ-Erkennung vorhanden, aber nicht mehr angewandt worden war. Daher bieten die Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA288 auch für früher in Verkehr gebrachte Fahrzeuge keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer Prüfstanderkennungssoftware.
48
Dies belegen im Übrigen auch diverse von anderen Gerichten bereits erholte amtliche Auskünfte des KBA zum Motor EA288, die – soweit hier bekannt – samt und sonders ergebnislos waren (vgl. z.B. OLG Dresden, Urteil vom 04. Dezember 2020 – 9a U 2074/19 –, Rn. 31, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 07. Oktober 2020 – 4 U 171/18 –, Rn. 39, juris oder das von der Beklagten vorgelegte Anlagenkonvolut BE 40). Selbst ausgehend von einem – hier aber zweifelsfrei fehlendem – Vortrag greifbarer Anhaltspunkte für das Vorliegen einer evident unzulässigen Prüfstanderkennungssoftware, wären diese damit widerlegt.
49
(4) Bezüglich der verspätet vorgebrachten Unterlagen der Firma B. hat die Beklagte zutreffend darauf verwiesen, dass diese Unterlagen lediglich eine Auflistung von Funktionen in Produkten dieses Zulieferers enthalten, bezüglich derer teils auf eine „potentiell kritische Verwendung“ hingewiesen wurde. Dass tatsächlich eine entsprechende Bedatung erfolgt wäre, d.h. besagte Funktionen beim Motor EA288 generell oder beim streitgegenständlichen Fahrzeug auch in nicht behördenkonformer Weise zum Einsatz gekommen wären, ergibt sich daraus aber nicht (vgl. auch OLG Frankfurt a.M., Urt. V. 7.7.2023 – 4 U 283/22, BeckRS 2023, 17874 Rn. 23, 24, beck-online).
50
(5) Weiter hat der BGH in einem ergangenen Beschluss vom 21.03.22, VI a 334/21, zu einem dort unter Bezugnahme auf das Urteil des OLG Naumburg vom 09.04.2021, 8 U 68/20, erfolgten Vortrag, dass und weshalb es sich bei der prüfzyklusabhängigen NSK-Steuerung um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele, ausgeführt: Dass die Steuerung evident unzulässig wäre, woraus womöglich ohne weiteres – wie im Fall der „Umschaltlogik“ im Motor EA189 der Schluss auf ein Rechtswidrigkeitsbewusstsein der für die Beklagten handelnden Personen gezogen werden könnte, ist auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens nicht erkennbar.
51
2. Bezüglich eines, unterstellt unzulässigen, Thermofensters bzw. einer sonstigen verwaltungsrechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung, bedarf es, wie dargelegt, zusätzlich des Vorliegens besonderer Anhaltspunkte i.S.d. Rspr. des BGH (Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19), die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen.
52
Der BGH hat dies in einem Urteil v. 16.09.2021, VII ZR 190/20, bezüglich des Thermofensters bekräftigt. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit setze jedenfalls ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein der für die Beklagten handelnden Personen voraus. Eine u.U. nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genüge aber für die Feststellung der besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten nicht. Auch aus einer etwaig unterbliebenen Offenlegung der genauen Wirkungsweise des Thermofensters gegenüber dem KBA würden sich noch keine Anhaltspunkte für ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein ergeben. Sollte die Beklagte erforderliche Angaben unterlassen haben, wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz nämlich gemäß § 24 Abs. 1 S.1 und 2 VwVfG gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung zu prüfen.
53
Stellt sich an dieser Stelle schon die Frage, ob es sich bei dem von der Beklagten beschriebenen Thermofenster sowie der von der Klagepartei behaupteten Fahrkurve überhaupt um eine Abschalteinrichtung handelt, fehlen jedenfalls jegliche Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte – wie bestritten – falsche Angaben gegenüber dem KBA gemacht oder diesbezüglich Angaben gezielt verschwiegen hätte.
54
Die Beklagte hat schon ausweislich der Applikationsrichtlinie in Abstimmung mit dem KBA gehandelt. Das KBA, das gegebenenfalls bei Unklarheiten weiter nachfragen hätte müssen, hat außerdem nach eigenen Angaben diverse Fahrzeugmodelle der Beklagten mit dem Motor EA288 ausführlich getestet und – wie dargelegt – keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt. Ein heimliches oder manipulatives Vorgehen bzw. eine Überlistung des KBA sind vor diesem Hintergrund nicht erkennbar. Dabei hat das KBA auch ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Unterlagen – entgegen den Behauptungen der Klagepartei, die sich insoweit auf Auskünfte zu Audi 3,0 l Motoren stützt – umfangreiche Untersuchungen an den Fahrzeugen vorgenommen (so etwa amtliche Auskunft des KBA in einem Parallelverfahren vor dem AG Bayreuth, Az. 21 O 367/20 vom 15.12.2020, Anlage B 1).
55
Soweit die Berufung insoweit behaupten will, die Beklagte habe das OBD-System in offenkundiger Kenntnis des Verbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung dergestalt manipuliert, dass dieses auch bei zu hohen Emissionswerten keinen Fehler der Abgasreinigung anzeige, ist auch das verfehlt. Das OBD-System ist weder eine Abschalteinrichtung noch ist es dessen Aufgabe, zwischen einer rechtlich zulässigen und einer rechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung zu unterscheiden. Arbeitet eine solche – sei sie rechtlich zulässig oder unzulässig – mithin technisch so, wie sie programmiert ist, liegt eine Fehlfunktion nicht vor, so dass eine Anzeige einer Fehlfunktion nicht veranlasst ist (BGH Urt. V. 8.12.2021 – VIII ZR 190/19, BeckRS 2021, 44235 Rn. 91).
II.
56
Ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB kommt gleichfalls nicht in Betracht. Ein solcher scheitert aus den vorstehend dargelegten Gründen schon an einer fehlenden Täuschung der Klagepartei.
III.
57
Eine Haftung der Beklagten gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ist ebenso zu verneinen.
58
Ein Anspruch auf (Rück-)Abwicklung des (mit einem Dritten geschlossenen) Kaufvertrags (sog. „großer Schadensersatz), wie hier beantragt, besteht nach diesen Normen ohnehin nicht. Nach der jüngst ergangenen Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 26.06.2023 – VIa ZR 335/21) stünde allenfalls – dies aber selbst bei einer der Beklagten nur anzulastenden Fahrlässigkeit – ein Anspruch auf Ersatz des von der Klagepartei erlittenen Differenzschadens im Raum. Auch ein solcher Anspruch besteht hier aber nicht.
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a) Bei der von der Beklagten vorgetragenen Auslegung des Thermofensters ist schon nicht davon auszugehen, dass das klägerische Fahrzeug mit einer gem. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist. Gleiches gilt hinsichtlich der behaupteten Fahrkurve, deren Vorhandensein bereits nicht substantiiert dargelegt wurde.
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(1) Ob dies der Fall ist, richtet sich nach Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 dieser Verordnung, wobei bei der Subsumtion unter Art. 3 Nr. 10 nach der Rspr. des EuGH auf die Verwendung des Fahrzeugs unter Fahrbedingungen abzustellen ist, wie sie im gesamten Unionsgebiet üblich sind. Es bedarf also für die Frage des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung nach der zitierten Rechtsprechung des BGH eines Vergleichs der Wirksamkeit des unverändert funktionierenden und derjenigen des verändert funktionierenden Gesamtsystems, und zwar jeweils unter den Bedingungen des normalen Fahrbetriebs im gesamten Unionsgebiet.
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(2) Die Beklagte hat bezüglich des unstreitig implementierten Thermofensters substantiiert vorgetragen, dass bei dem Motor EA288 die Abgasrückführung von -24°C bis +70°C voll aktiv sei und auch nicht kontinuierlich abgestuft werde. Sie hat diesbezüglich zudem auf eine vor dem Landgericht Landshut durchgeführte Beweisaufnahme verwiesen, im Rahmen derselben der Zeuge K. dies bestätigt habe. Zudem verweist die Beklagte auf verschiedenste Auskünfte in Parallelverfahren, in denen das KBA nach intensiven Untersuchungen – auch im Hinblick auf ein enthaltenes Thermofenster -keine Unzulässigkeit festgestellt hat.
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Da Temperaturen außerhalb dieses Bereichs im gesamten Unionsgebiet, d.h. etwa auch in Skandinavien, nur ganz ausnahmsweise vorkommen dürften, stellt eine Veränderung unterhalb von -24 °C und oberhalb von + 70 °C nach Auffassung des Senats schon keine (unzulässige) Abschalteinrichtung dar. Die Abgasrückführung ist vielmehr gewissermaßen stets voll funktionsfähig.
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(3) Soweit die Klagepartei behauptet, es sei im streitgegenständlichen Fahrzeug ein Thermofenster von +20 bis +30 Grad Celsius implementiert, erfolgt das Vorbringen ersichtlich lediglich „ins Blaue hinein“. Ein substantiierter Vortrag liegt daher nicht vor.
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Hinsichtlich dieses pauschalen Vorbringens ist schon unklar, worauf sich die Klagepartei dabei stützt. Die Beklagte hat im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast konkret zum vorhandenen Thermofenster vorgetragen. Ein zureichender Anhalt für eine von der Darstellung der Beklagten abweichende Ausgestaltung des Thermofensters ist nicht erkennbar. Soweit die Klagepartei lediglich vorbringt, die Beklagte habe selbst in einem Parallelverfahren vorgetragen, dass in dem dort streitgegenständlichen Fahrzeug mit einem Motor EA288 ein Thermofenster mit einem Temperaturbereich von +12 bis +39 Grad Celsius enthalten sei, bei dem die Abgasrückführung voll aktiv sei, führt dies nicht weiter. Nach eigenem Vortrag der Klagepartei ist bei diesem Verfahren ein VW T6 streitgegenständlich, also das einzige Fahrzeug mit dem Motor EA288, bei dem das KBA eine Konformitätsabweichung festgestellt hat (vgl. o.) und bei dem die Beklagte das besagte anders ausgestaltete Thermofenster vorträgt. Welche Schlüsse daraus für die sonstigen Fahrzeuge mit Motor EA288 zu ziehen sein sollen, hinsichtlich derer die Beklagte bekanntermaßen stets das genannte weite Thermofenster vorbringt, ist nicht ersichtlich.
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(4) Dass eine Fahrkurvenerkennung in dem erst im Jahr 2018 erstzugelassenen Fahrzeug überhaupt verbaut ist, hat die Klagepartei bereits nicht substantiiert dargelegt (vgl.o.).
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Selbst deren Vorhandensein unterstellt ist aber auch nicht ersichtlich, dass eine solche überhaupt mit einer Funktion verknüpft ist, die die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter den Bedingungen des normalen Fahrbetriebs verringert, wie Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 dies voraussetzt. Die Berufung führt insoweit lediglich aus, es sei eine Fahrkurve verbaut. Allein in dem Vorhandensein einer Fahrkurvenerkennung liegt aber noch keine Abschalteinrichtung in diesem Sinne.
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b) Abgesehen davon erscheint die Erwerbskausalität bereits nicht nachgewiesen.
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Zwar kann sich der Erwerber des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs nach höchstrichterlicher Entscheidung grundsätzlich auf den Erfahrungssatz stützen, dass er den Kaufvertrag bei Kenntnis hiervon nicht zu dem vereinbarten Kaufpreis geschlossen hätte. Besagter Erfahrungssatz gilt aber dann nicht, wenn der Fahrzeughersteller sein Verhalten vor dem Abschluss des konkreten Erwerbsgeschäfts dahin geändert hat, dass er die Ausrüstung der Fahrzeuge mit Motoren einer dem erworbenen Fahrzeug entsprechenden Baureihe mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einer Art und Weise bekannt gegeben hat, die einem objektiven Dritten die mit dem Kauf eines solchen Kraftfahrzeugs verbundenen Risiken verdeutlichen muss.
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Hier ist bezüglich des Thermofensters und der Fahrkurvenerkennung – u.a. bei Verweis auf die Applikationsrichtlinien – davon auszugehen, dass dem KBA deren technische Funktionen in allen Motoren des Typs EA288 (Euro 5, Euro 6, NSK, SCR) spätestens seit Ende 2015 bekannt waren und über die Zulässigkeit dieser Einrichtungen eine breite öffentliche Diskussion stattfand.
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Die Klagepartei hat das Fahrzeug aber erst viel später, d.h. am 30.05.2018 gekauft.
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c) Zudem fehlt es, selbst das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterstellt, auch an dem gem. § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB (i.V.m. § 37 Abs. 1 EG-FGV) erforderlichen Verschulden der Beklagten.
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Zwar würde die fahrlässige Verletzung eines Schutzgesetzes – abweichend von obigen Ausführungen zu (a) eine solche Verletzung unterstellt – genügen. Eine Haftung gem. § 823 Abs. 2 BGB kommt insoweit aber dann nicht in Betracht, wenn feststeht, dass die für den Vollzug des Schutzgesetzes zuständige Behörde die ex post als irrtümlich erkannte Rechtsauffassung des Schädigers bestätigt hätte, selbst wenn dieser eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt haben sollte (vgl. u.a. BGH, Urt. vom 27.06.2017 – VI ZR 424/16, juris Rn.15 ff.).
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Der BGH hat dementsprechend in dem zitierten Urteil zum Differenzschaden ausgeführt, dass ein Fahrzeughersteller dann nicht schuldhaft gehandelt hat, wenn die für die EG-Typgenehmigung zuständige Behörde die konkret verwendete Abschalteinrichtung in allen für die Beurteilung nach Art.5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten in dem konkreten Motor einer bestimmten Baureihe genehmigt hätte. Aus einer bestimmten, hinreichend konkreten Verwaltungspraxis könne dabei gem. § 286 Abs. 1 ZPO auf eine hypothetische Genehmigung geschlossen werden.
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Ausweislich des Urteils des EuGH vom 14.07.2022, C-134/20, genehmigte das KBA das Software-Update, das auf Fahrzeuge mit dem Motor EA189 aufgespielt wurde, obwohl es ein Thermofenster enthielt, das einen schadstoffarmen Modus nur bei einer Außentemperatur von 15°C bis 33°C und einen Fahrbetrieb unterhalb von 1.000 Höhenmetern gewährleistete. Daraus folgt, dass es ein Thermofenster im Motor EA288 ebenfalls genehmigt hätte. Die in zahlreichen „Parallelverfahren“ erteilten amtlichen Auskünfte des KBA bestätigen dies im Übrigen. Danach hat das KBA sehr umfassende Untersuchungen an Fahrzeugen mit EA288-Motoren durchgeführt und dabei – auch mit Blick auf das Thermofenster – keine Unzulässigkeit festgestellt. Mag diese Bewertung gegebenenfalls auch für inhaltlich falsch zu erachten sein, ist dies doch eindeutiger Beleg dafür, dass das KBA im Gesamttypgenehmigungsverfahren das hier verbaute Thermofenster nicht beanstandet, sondern die Typgenehmigung erteilt hätte. Nichts anderes ergibt sich aus der in diversen OLG-Entscheidungen in Bezug genommenen Auskunft des KBA vom 11.09.2020 in dem Verfahren 16a U 194/19 des OLG Stuttgart. Danach hat das KBA bestätigt, dass es um die Verwendung von Thermofenstern gewusst habe. Weiter hat das KBA erklärt, dass ihm der exakte Wirkbereich zum Zeitpunkt der Erteilung der Typgenehmigung zwar nicht bekannt gewesen sei, es die Genehmigung aber auch bei einer Angabe der konkreten Parameter erteilt hätte (vgl. u.a. OLG München, Beschluss vom 18.01.2023 – 35 U 4627/22 –, Rn. 29, juris). Auch zum streitgegenständlichen Fahrzeugtyp hat das KBA bestätigt, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz kommt (Auskunft des KBA vom 16.05.22 gegenüber dem LG Aschaffenburh, Az. 14 O 65/21; Anlage BE 122).
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Nach allem und den insoweit von Beklagtenseite vorgelegten Unterlagen hätte daher das KBA zweifelsfrei auch das hier verbaute Thermofenster in Kenntnis dessen konkreter Bedatung genehmigt. Gleiches gilt hinsichtlich einer – unterstellt – noch vorhandenen, wie nicht (s.o.), Fahrkurve. Das KBA hat, wie aus der Applikationsrichtlinie ersichtlich, das weitere Vorhandensein bis zur Produktionsumstellung akzeptiert. Dies wurde mit dem KBA abgestimmt, das KBA hat in diesem Zusammenhang umfangreich getestet und auch hinsichtlich der Fahrzeuge, in denen noch eine Fahrkurve enthalten war, keine Unzulässigkeit festgestellt (vgl. o. und z.B. Auskunft KBA gegenüber dem LG Fulda, BE 78). Ein Verschulden der Beklagten ist mithin nicht erkennbar (so auch: OLG Frankfurt, Urteil vom 22.09.2022 – 4 U 230/20, juris Rn. 38 ff.; OLG Köln, Beschluss vom 10.01.2023 – 19 U 66/22, juris Rn. 12 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 24.11.2022 – 7 U 1038/22, juris Rn. 53 ff.).
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d) Lediglich hilfsweise könnte es auch an einem Schaden der Klagepartei fehlen.
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Ein gegebenenfalls zu ersetzender Differenzschaden würde sich – wie vom BGH weiter erläutert – auf 5% bis 15% des gezahlten Kaufpreises (hier also auf 2.145 € bis 6.435 €) belaufen. Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs wären erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie dessen Wert bei Abschluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen.
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Innerhalb des vom BGH aufgezeigten Schätzungsrahmens wären hier nur 5% des ursprünglichen Kaufpreises anzusetzen. Bei dem verbauten Thermofenster hat es sich nämlich keineswegs um eine leicht erkennbare Abschalteinrichtung bzw. unzulässige oder gar evident unzulässige Abschalteinrichtung gehandelt, wie schon die diesbezügliche Bewertung des KBA und des Senats, deren Unrichtigkeit unterstellt, zeigen. Zudem drohte zu keinem Zeitpunkt eine Betriebsuntersagung, d.h. ein Rückruf ist nach wie vor trotz der zwischenzeitlich ergangenen EuGH-Rspr. nicht erfolgt. Damit wäre von einem Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags von 40.755 € auszugehen.
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Die Nutzungsvorteile sind nach der höchstrichterlich anerkannten Formel zu berechnen, wobei der Senat im Rahmen des § 287 ZPO im Einklang mit der überwiegenden Rechtsprechung bei entsprechenden Fahrzeugen regelmäßig eine Gesamtfahrleistung von 250.000 km zugrunde legt. Danach ergibt sich folgender Nutzungsvorteil: 42.900 € (Kaufpreis) x 32.510 (gefahrene Kilometer) ÷ 250.000 km (Gesamtlaufleistung) = 5.578,72 €.
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Hinzuzurechnen wäre aber noch der Nutzungsvorteil für die weiteren bis jetzt zurückgelegten Kilometer.
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Weiter wäre der Restwert des streitgegenständlichen Fahrzeugs, etwa bei Heranziehung der Internetplattform www.dat.de/gebrauchtfahrzeugwerte, zu ermitteln.
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Ob danach der Differenzschaden in Höhe von maximal 2.145 €, der hier aus den dargelegten Gründen ohnehin nicht beansprucht werden kann, zwischenzeitlich teilweise bzw. sogar ganz aufgezehrt ist, möge die Klagepartei ggf. anhand der ihr zur Verfügung stehenden Daten selbst prüfen.
C.
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1. Bei dieser Sachlage wird schon aus Kostengründen empfohlen, die Berufung zurückzunehmen. Im Fall der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren vorliegend von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
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2. Zu diesen Hinweisen kann der Berufungsführer binnen der oben gesetzten Frist Stellung nehmen. Der Senat soll nach der gesetzlichen Regelung die Berufung unverzüglich durch Beschluss zurückweisen, wenn sich Änderungen nicht ergeben. Mit einer einmaligen Verlängerung dieser Frist um maximal 3 Wochen ist daher nur bei Glaubhaftmachung konkreter, triftiger Gründe zu rechnen (vgl. OLG Rostock, OLGR 2004, 127 ff.).
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3. Der Streitwert ergibt sich aus dem bezifferten Hauptsache-Zahlungsantrag, zu dem beide Seiten binnen gesetzter Frist Stellen nehmen können.