Inhalt

OLG München, Endurteil v. 13.12.2023 – 7 U 3979/22
Titel:

Kein Schadensersatz gegen den Motorenhersteller wegen der Verwendung eines Thermofensters

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Im Falle einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems, das nicht bereits im Ausgangspunkt danach differenziert, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet, ist der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber dem Motorhersteller nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für ihn handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV knüpft an die Erteilung einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung durch den Fahrzeughersteller an. Ein nicht mit dem Fahrzeughersteller identischer Motorhersteller kann deshalb, weil er die Übereinstimmungsbescheinigung nicht ausgibt, nach den allgemeinen und durch Unionsrecht unangetasteten Grundsätzen des deutschen Deliktsrechts weder Mittäter einer Vorsatztat des Fahrzeugherstellers noch mittelbarer (Vorsatz-)Täter hinter dem (gegebenenfalls fahrlässig handelnden) Fahrzeughersteller sein, weil ihm nicht die hierzu erforderliche Sonderpflicht obliegt. (Rn. 64) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
EA 288, Abgasrückführung, AdBlue, Motorhersteller, unzulässige Abschalteinrichtung
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 02.06.2022 – 20 O 15764/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38796

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 02.06.2022, Az. 20 O 15764/21, wird hinsichtlich der Berufungsbeklagten zu 2) als unzulässig verworfen und im Übrigen zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil sowie das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann eine Vollstreckung der Berufungsbeklagten zu 2) durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Berufungsbeklagte zu 2) Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren für die Zeit bis 02.10.2023 auf 19.355,24 €, für die Zeit von 03.10.2023 bis 11.12.2023 auf 23.645,24 € und für die anschließende Zeit auf 3.571,43 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

A.
1
Die Parteien streiten um Schadensersatz – zuletzt nurmehr in der Form eines behaupteten Zinsschadens und vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten – wegen der behaupteten Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug.
2
Der Kläger erwarb am 03.03.2020 von der BA F. GmbH in H. den streitgegenständlichen, von der jetzigen Beklagten zu 2) hergestellten Audi A4 Avant, 2,0 TDI, FIN: …823, zu einem Preis von 28.600 € als Gebrauchtfahrzeug. Das Fahrzeug wurde im Juli 2016 erstzugelassen. Es wies im Zeitpunkt des Kaufs durch den Kläger eine Laufleistung von 62.600 km auf. Der Kläger veräußerte das Fahrzeug sodann am 05.03.2023 für einen Preis in Höhe von 18.000 €. Im Zeitpunkt der Veräußerung durch den Kläger wies das Fahrzeug eine Laufleistung von 169.100 km auf.
3
In dem streitgegenständlichen PKW ist ein von der in erster Instanz allein verklagten Beklagten zu 1) hergestellter Dieselmotor des Typs EA 288 mit der Schadstoffklasse Euro 6 und 140 kw Leistung verbaut. Die Abgasreinigung des streitgegenständlichen Fahrzeugs findet durch eine Kombination aus einerseits einer innermotorischen Abgasrückführung (AGR-Rate) und andererseits einer nachgelagerten Abgasreinigung durch SCR-Katalysator mit AdBlue-Einspritzung statt.
4
Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) betroffen.
5
Der Kläger behauptete, die Beklagte zu 1) habe auch bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug, wie bereits zuvor bei den von ihr hergestellten Motoren der Baureihe EA 189, in sittenwidriger Weise getäuscht. Das Fahrzeug sei so programmiert, dass es den NEFZ-Prüfzyklus erkenne. Die Stickoxide würden in dem Prüfzyklus „anders und besser“ reduziert als im Normalbetrieb. Das Fahrzeug habe eine Aufheizstrategie, die dazu führe, dass der SCR-Katalysator im Prüfzyklus früher zugeschaltet werde. Auch werde bei dem SCR-Katalysator im Prüfzyklus eine größere Menge AdBlue eingespritzt, während im Normalbetrieb die eingespritzte Menge deutlich zu gering sei. Der tatsächliche Verbrauch an AdBlue sei unplausibel zu niedrig. Sodann bleibe die Abgasrückführungsrate im Prüfstandsmodus hoch, während im Normalbetrieb nach Erreichen der für das wirksame Funktionieren des SCR-Katalysators erforderlichen Temperatur die Abgasrückführungsrate verringert werde. Das Fahrzeug befinde sich entweder im Normalbetrieb, oder im Prüfstandsmodus. Das KBA habe hiervon keine Kenntnis gehabt. Die Umschaltfunktion habe sodann entfernt werden müssen, die Beklagte zu 1) habe diese jedoch in veränderter Form mindestens bis zur Kalenderwoche 4/2018 beibehalten.
6
Der Kläger beantragte in erster Instanz:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 19.355,24 € (Kaufpreis abzüglich der bereits als möglich berechenbaren Nutzungsentschädigung mit Kilometerstand vom 10.05.2021) abzüglich einer weiter zu berechnenden, vom Gericht auf Basis einer Gesamtlaufleistung von zumindest 300.000 km zu schätzenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Zugrundelegung des Kilometerstandes zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz zzgl. Zinsen aus dem sich dadurch ergebenden Klageforderungsbetrag in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A4 Avant mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …823.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.375,88 € freizustellen.
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Die Beklagte zu 1) beantragte, die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte zu 1) erwiderte, dass in dem betroffenen Motor, insoweit anders als in dem Vorgängermotor EA 189, keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei.
9
Der bloße Verbau einer Prüfstandserkennung sei nicht unzulässig.
10
Die Abgasrückführung des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei in einem Temperaturbereich zwischen -24° C und 70° C zu 100% aktiv, eine Abrampung finde nicht statt. Bei Temperaturen unterhalb von -24° C und oberhalb von 70° C sei die Deaktivierung der Abgasrückführung zum Schutz des Motors erforderlich.
11
Das KBA habe ab Oktober 2015 Fahrzeuge mit Motoren des Typs EA 288 intensiv auf das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen untersucht und das Nichtvorhandensein mehrfach bestätigt.
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Mit Endurteil vom 02.06.2022, Az. 20 O 15764/21 wies das Landgericht München I die Klage ab.
13
Zur Begründung führt das Landgericht aus, der Kläger habe die geltend gemachten Ansprüche nicht ausreichend substantiiert vorgetragen. Darüber hinaus seien auch die tatbestandlichen Voraussetzungen eines deliktischen Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB nicht erfüllt. Die Tatsache allein, dass es im Bereich des V.-Konzerns zum Einsatz von unerlaubten Abschalteinrichtungen gekommen sei, führe nicht dazu, dass der Kläger bezüglich des konkreten Fahrzeuges bzw. Motorenmodells nicht mehr konkret darlegen müsse, weshalb in seinem Fall konkrete Anhaltspunkte für eine unzulässige Abschalteinrichtung bestünden. Zudem sei auch ein Vorsatz der Beklagten zu 1) nicht dargelegt. Ansprüche aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB scheiterten an der fehlenden Stoffgleichheit, ein Schadensersatzanspruch aus §§ 823 Abs. 2, 6, 27 EG-FGV bestehe nicht, da die Vorschriften der EG-FGV keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB seien. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils wird im Übrigen Bezug genommen.
14
Mit seiner am 04.07.2022 eingelegten und mit Schriftsatz vom 01.09.2022, korrigiert durch Schriftsatz vom 02.09.2022, innerhalb verlängerter Frist begründeten Berufung verfolgt der Kläger zunächst sein erstinstanzliches Klageziel weiter.
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Mit Schriftsatz vom 02.10.2023 beantragt der Kläger zunächst hinsichtlich der Beklagten zu 1) hilfsweise für den Fall, dass das Gericht davon ausgeht, dass der Klagepartei lediglich ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zusteht, die Zahlung des Differenzschadens in Höhe von mindestens 4.290,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
16
Gleichzeitig erweitert der Kläger mit dem Schriftsatz vom 02.10.2023 die Klage hinsichtlich der Beklagten zu 2) und beantragt, diese zu verurteilen, an den Kläger 4.290,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Der Kläger führt hierzu aus, der Unterschied zwischen der Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) bestehe nur darin, dass es sich bei der Beklagten zu 1) um die Motorherstellerin handelt, während es sich bei der Beklagten zu 2) um die Fahrzeugherstellerin handelt. Der Kläger nimmt zu dem behaupteten Anspruch gegen die Beklagte zu 2) ergänzend Bezug auf sein bisheriges Vorbringen und benennt zum Beweis für die Tatsache, „dass die Beklagte zu 2) bzw. ihre Mitarbeiter sich darüber im Klaren waren, dass im Motor, den die Beklagte zu 1) hergestellt hat, unzulässige Abschaltvorrichtungen vorhanden sind“ „Zeugnis N.N.“ (Schriftsatz vom 02.10.2023, dort S. 3, Bl. 680 d.A.).
17
Dieser Schriftsatz wurde der Beklagten zu 2) am 09.10.2023 zugestellt. Die Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 2) haben der Klageerweiterung jeweils nicht zugestimmt (Schriftsatz vom 06.10.2023, S. 2, Bl. 685 d.A.).
18
Mit Schriftsatz vom 11.12.2023 führt der Kläger sodann und schließlich aus, das Fahrzeug sei am 05.03.2023 zu einem Preis von 18.000 € verkauft worden. Die Laufleistung im Verkaufszeitpunkt habe 169.100 km betragen. Die Summe aus dem auf Basis einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km zu errechnenden Nutzungsersatz (12.830,23 €) und dem erzielten Verkaufserlös übersteige den ursprünglich bezahlten Kaufpreis. Der geltend gemachte Schaden sei daher weitestgehend durch den Verkauf nachträglich entfallen. Die Beklagten schuldeten aber Prozesszinsen für den Zeitraum zwischen Rechtshängigkeit und Verkauf des Fahrzeugs.
19
Der Kläger beantragt,
I.1. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerschaft Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit bis zum 04.03.2023 aus 24.696,71 € zu zahlen.
I.2. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.375,88 € freizustellen.
II. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an die Klägerschaft Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit bis zum 04.03.2023 aus 4.290,00 € zu zahlen.
20
Die Beklagte zu 1) beantragt die Berufung zurückzuweisen.
21
Die Beklagte zu 2) beantragt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen sowie vorsorglich Klageabweisung.
22
Die Beklagte zu 1) verteidigt das Urteil des Landgerichts. Der Kläger habe eine sittenwidrige Täuschung nicht substantiiert dargelegt. Fahrzeuge mit dem Motorentyp EA 288 seien Gegenstand einer intensiven Prüfung durch das KBA gewesen. Das KBA habe mehrfach bestätigt, dass das Vorhandensein einer Fahrkurve keine unzulässige Abschalteinrichtung begründe. Die Messungen des KBA hätten zudem gezeigt, dass das bei den Motoren des Typs EA 288 verwendete Abgasnachbehandlungssystem auch bei variierten Prüfbedingungen bei voller Funktionsfähigkeit aller abgasbehandelnden Bauteile die gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte einhalte. Die Beklagte verwende zur Einhaltung der Grenzwerte auch keine unterschiedliche Strategie zur Dosierung des AdBlue. Eine je nach Motortemperatur unterschiedliche Menge an AdBlue sei erforderlich, weil das SCR-System erst ab einer Temperatur von ca. 200° C seine volle Wirksamkeit entfalte. Die AdBlue-Dosierung sei im streitgegenständlichen Fahrzeug nicht an das Erkennen des Prüfzyklus geknüpft. Die in Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA 288, SCR-Katalysator und Produktionsstart vor der Kalenderwoche 47/2015 ursprünglich vorhandene Fahrkurvenerkennung und die daran geknüpfte konstant hohe AGR-Rate im Prüfstandmodus habe wenn, dann erst im letzten Teil des Fahrzyklus Bedeutung, da erst dann die Motortemperaturen ein Niveau erreiche, bei dem im Normalbetrieb die Abgasrückführungsrate verringert werde. Die Funktion habe daher keine über Messstreuungen hinausgehende Auswirkung gehabt. Bei Neufahrzeugen und Modellpflegen ab der Kalenderwoche 47/2015 und auch bei Feldfahrzeugen könne die Fahrkurve daher ersatzlos entfallen.
23
Mit einem weiteren Schriftsatz vom 16.11.2023 (Bl. 704 d.A.) führen die Beklagten sodann aus, es könne auch innerhalb des weiten Temperaturfensters von -24° C bis 70° C dazu kommen, dass durch in der Motorsteuerung vorgesehene Korrekturen der AGR-Rate die Außentemperatur mittelbar die AGR-Rate beeinflusse.
24
Die Beklagte zu 2) wendet sich gegen die Zulässigkeit der Parteierweiterung in zweiter Instanz. Sie stimme der Parteierweiterung nicht zu. Die Verweigerung ihrer Zustimmung sei nicht rechtsmissbräuchlich. Ihr werde durch die Parteierweiterung eine Tatsacheninstanz genommen und der gegen die Beklagte zu 1) spruchreife Prozess werde verzögert. Die Parteierweiterung sei daher auch nicht sachdienlich.
25
Der Senat hat am 13.12.2023 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2023, die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.
B.
26
Soweit sich die Berufung gegen die Beklagte zu 2) richtet, war sie als unzulässig zu verwerfen.
27
Durch Schriftsatz vom 02.10.2023 erweitert der Kläger die bis zu diesem Zeitpunkt allein gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Klage auf die Beklagte zu 2) und zwar zunächst mit dem Begehren, die Beklagte zu 2) zu verurteilen, an den Kläger 4.290,00 € nebst Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Damit verfolgt der Kläger gegen die Beklagte zu 2) einen Anspruch, der nach dem Wortlaut dieses Schriftsatzes und nach der ausdrücklichen Erklärung des Klägervertreters auf die entsprechende Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2023 (Protokoll S. 2 unten, Bl. 728 d.A.) nicht gesamtschuldnerisch geltend gemacht, sondern kumulativ und zusätzlich zu dem weiterhin gegen die Beklagte zu 1) gerichteten Zahlungsanspruch verlangt wird.
28
Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Parteierweiterung in der Berufungsinstanz erfolgen kann, ist umstritten. Während Teile der Literatur eine Parteierweiterung in der Berufungsinstanz mit dem Argument als stets unstatthaft ablehnen, dass bis zu der Parteierweiterung zwischen dem Kläger und der neuen Beklagten kein Prozessrechtsverhältnis und infolgedessen auch kein mit der Berufung angreifbares Urteil erster Instanz besteht (so namentlich Hüßtege in Thomas/Putzo, 44. Aufl. vor § 50 Rn. 26) kommt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Ausdehnung des Rechtsstreits auf einen weiteren Beklagten erst in der Berufungsinstanz ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der neue Beklagte zustimmt oder die Verweigerung der Zustimmung rechtsmissbräuchlich ist (BGH, Urteil vom 18.03.1997, XI ZR 34/96, juris Rz. 24 sowie – für den Parteiwechsel – BGH, Urteil vom 08.07.2022, V ZR 202/21, juris Rz. 27). Bereits nach diesen Grundsätzen erweist sich die von der Klagepartei angestrebte Parteierweiterung als unzulässig.
29
Beide Beklagten haben die Zustimmung zur Parteierweiterung verweigert. Dies geschah von Seiten der Beklagten zu 2) auch nicht rechtsmissbräuchlich. Für die Frage eines Rechtsmissbrauchs kommt es nicht darauf an, ob der Parteiwechsel objektiv sachdienlich im Sinne des § 533 ZPO wäre; vielmehr ist darauf abzustellen, ob die Belange der neuen Klagepartei dadurch verkümmert werden, dass sie erst in der Berufungsinstanz in den Rechtsstreit hineingezogen wird, an dem sie bisher nicht beteiligt war, und dadurch eine Tatsacheninstanz verliert (vgl. BGH, Urteil vom 13.7.1956 – VI ZR 32/55, Rz. 7). Hiernach kommt die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Verweigerung der Zustimmung insbesondere in zwei Fallgestaltungen in Betracht, einmal wenn der neue Beklagte schon bisher, etwa weil von Anfang an streitig war, welche Partei verklagt war, oder weil er bisher als Nebenintervenient beteiligt war, eine enge Beziehung zum Rechtsstreit hatte, und zum anderen, wenn keine Einwendungen oder Einreden des neuen Beklagten denkbar sind, die nicht auch der bisherige Beklagte hätte geltend machen können (vgl. BGH, Urteil vom 26.2.1987 – VII ZR 58/86, Rz. 12; MünchKomm-ZPO /Becker-Eberhard, 6. Aufl., § 263 Rz. 80; Beck-OK-ZPO / Bacher, 50. Ed., § 263 Rz. 6 m.w.Nachw.). Beide Konstellationen liegen nicht vor. Weder war die Beklagte zu 2) bisher als Nebenintervenientin am Rechtsstreit beteiligt noch sind keine neuen Einwendungen der Beklagten zu 2) denkbar. Die subjektive Seite der in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen (§§ 826, 823 Abs. 2 BGB) ist für jede Partei getrennt nach dem Vorstellungsbild der jeweils haftungsrechtlich verantwortlichen Organe (§ 31 BGB) der jeweiligen Gesellschaft zu beurteilen. Bisher hatte die Beklagte zu 1) keinen Anlass, zum Vorstellungsbild der Organe der Beklagten zu 2) vorzutragen. Bereits deshalb ist ein berechtigtes Interesse der Beklagten zu 2) an der Verweigerung ihrer Zustimmung anzuerkennen.
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Vorliegend kommt hinzu, dass der Kläger gegenüber der Beklagten zu 2) bereits bei Klageerweiterung am 02.10.2023 nur einen Anspruch auf Differenzschadensersatz behauptet. Auch nach Ansicht des Klägers (s. Schriftsatz vom 11.12.2023, S. 2, Bl. 723 d.A.) überstieg jedoch jedenfalls mit dem Verkauf des Fahrzeugs am 05.03.2023 die Summe aus Nutzungsersatz und Verkaufserlös den ursprünglichen Kaufpreis. Unstreitig bestand damit bereits (spätestens) sieben Monate vor der Klageerweiterung kein Differenzschaden. Das im Prozessrechtsverhältnis zur Beklagten zu 2) bereits anfängliche Fehlen eines Schadens zeigt sich auch in der Antragstellung: Der Kläger begehrt von der Beklagten zu 2) Zinsen aus 4.290 € „seit Rechtshängigkeit bis 04.03.2023“. Rechtshängigkeit ist im Prozessrechtsverhältnis zur Beklagten zu 2) aber erst mit Zustellung der Klageerweiterung am 09.10.2023 eingetreten, sodass der Beginn der klägerseits geltend gemachten Zinsperiode nach deren Ende liegt. Ohne einen Zinszeitraum kann kein Zinsanspruch entstehen. Infolgedessen ist im Prozessrechtsverhältnis des Klägers zur Beklagten zu 2) zusätzlich auch ein Rechtschutzbedürfnis nicht erkennbar.
31
Die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage war daher als unzulässig abzuweisen. Warum der – anwaltlich vertretene! – Kläger zu einem Zeitpunkt, zu dem er nach seiner eigenen Einschätzung bereits seit mehreren Monaten keinen Schaden (mehr) hatte, ein neues Prozessrechtsverhältnis zur Beklagten zu 2) mit alldem damit verbundenen Aufwand und Kosten begründet hat, erschließt sich dem Senat nicht.
C.
32
Die gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Berufung ist zulässig aber unbegründet. Das Landgericht hat die gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat hinsichtlich des großen Schadensersatzes die Voraussetzungen eines Anspruchs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach §§ 826, 31 BGB nicht dargelegt und auch andere Anspruchsgrundlagen sind insoweit nicht ersichtlich. Hinsichtlich eines Anspruchs auf Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ist die Beklagte zu 1), die Herstellerin des Motors aber nicht Herstellerin des Fahrzeugs und auch nicht Inhaberin der EG-Typengenehmigung ist, nicht passivlegitimiert, sodass es auf die Frage, ob insoweit die weiteren Voraussetzungen dieses Anspruchs dargelegt wurden, nicht ankommt. Da gegenüber der Beklagten zu 1) bereits dem Grunde nach kein Schadensersatzanspruch besteht, schuldet die Beklagte zu 1) dem Kläger weder Zinsen, noch eine Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten. Im Einzelnen:
I.
33
Vertragliche Ansprüche gegen die Beklagte zu 1), die Herstellerin des Motors des Fahrzeugs, aber nicht Verkäuferin des Fahrzeugs ist, kommen nicht in Betracht. Anhaltspunkte für ein zwischen den Parteien bestehendes vorvertragliches Schuldverhältnis sieht der Senat nicht.
II.
34
Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Beklagte zu 1) aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) hat das Landgericht zu Recht verneint. Denn es fehlt bereits an einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten zu 1) gegenüber der Klagepartei.
35
1. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., vgl. BGH NJW 2020, 1962 Rz. 15 mwN). Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH NJW 2020, 1962 Rz. 15, BGH Urteil vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 14). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es maßgeblich darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH Urteil vom 25.10.2022, VI ZR 68/20, juris Rz. 17).
36
Danach liegt ein sittenwidriges Verhalten eines Motorherstellers, der nicht zugleich Hersteller des Fahrzeugs ist vor, wenn der Motorhersteller auf der Grundlage einer für sein Unternehmen getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung den Motor im eigenen Kosten- und Gewinninteresse mit einer unmittelbar auf die arglistige Täuschung des Typengenehmigungsbehörde abzielenden und eigens zu diesem Zweck entwickelten Steuerungssoftware ausstattet und diesen Motor in dem Bewusstsein in den Verkehr bringt, dass er von dem Fahrzeughersteller in ein Fahrzeug verbaut und dieses an einen arglosen Käufer veräußert werden wird (BGH Urteil vom 25.10.2022, VI ZR 68/20, juris Rz. 20). Eine unmittelbar auf die arglistige Täuschung des KBA als Typengenehmigungsbehörde abzielende Steuerungssoftware ist gegeben, wenn die zu diesem Zweck entwickelte Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden (Umschaltlogik), und die Software dadurch dem KBA wahrheitswidrig vorspiegelt, die Fahrzeuge würden die festgelegten Grenzwerte einhalten (s. BGH, Beschluss vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 17 zur entsprechenden Haftung des Fahrzeugherstellers).
37
Dabei kann im Rahmen des § 826 BGB ein Verhalten, das sich gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als sittenwidrig darstellte, aufgrund einer Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten diesem gegenüber als nicht mehr sittenwidrig zu werten sein. Eine solche Verhaltensänderung kann somit bereits der Bewertung seines Verhaltens als sittenwidrig – gerade in Bezug auf den geltend gemachten, erst später eingetretenen Schaden und gerade im Verhältnis zu dem erst später Geschädigten – entgegenstehen (BGH, Urteil vom 30.7.2020, VI ZR 5/20, juris Rz. 30 ff.).
38
Im Falle eines Emissionskontrollsystems, das – anders als die Umschaltlogik – nicht bereits im Ausgangspunkt danach differenziert, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet (BGH, Urteil vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 18), ist der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten Motorherstellerin nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem – unterstellten – Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 19). Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Urteil vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 19; Beschluss vom 9.3.2021, VI ZR 889/20, juris Rz. 28). Fehlt es daran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt.
39
2. Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Beklagte den Kläger nicht vorsätzlich und sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB geschädigt.
40
a) Soweit die Klagepartei eine der Umschaltlogik im Motor EA 189 vergleichbare Abschalteinrichtung behauptet, enthält ihr Vortrag keine greifbaren Anhaltspunkte hierzu und vermag eine Beweisaufnahme daher nicht zu rechtfertigen.
41
aa) Zwar ist es einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde oder Einblicks in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann (BGH, Beschluss vom 15.9.2021, VII ZR 2/21, juris Rz. 26 f.). Eine Behauptung ist erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können (BGH a.a.O. Rz. 28; BGH, Urteil vom 16.9.2021, VII ZR 190/20, juris Rz. 23).
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bb) Nach diesen Anforderungen verfehlen die Behauptungen der Klagepartei zu einer der Umschaltlogik des EA 189 vergleichbaren Motorsteuerung die Anforderungen an einen hinreichend konkreten Sachvortrag. Denn sie bieten angesichts der Tatsache, dass das KBA bei den dargestellten mehrfachen Überprüfungen keine Anhaltspunkte für unzulässige Abschalteinrichtungen gefunden hat, keine greifbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen einer vergleichbar unzulässigen Abschalteinrichtung.
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Der Vortrag, die gesetzlichen Abgaswerte würden im Realbetrieb anders als auf dem Prüfstand nicht eingehalten, ist kein Anhaltspunkt für das Vorliegen einer dem EA 189 vergleichbaren Umschaltlogik, da angesichts der unterschiedlichen Bedingungen im Prüfstands- bzw. Realbetrieb ein unterschiedliches Abgasverhalten auch unabhängig von einer Umschaltlogik zu erwarten war (BGH, Urteil vom 13.7.2021, VI ZR 128/20, juris Rz. 23 a.E.; Hinweisbeschluss vom 15.9.2021, VII ZR 2/21, juris Rz. 30; vgl. auch Beschluss vom 25.11.2021, III ZR 202/220, juris Rz. 17; Urteil vom 26.4.2022, VI ZR 435/20, juris Rz. 15).
44
Soweit die Klagepartei als Indiz für eine unzulässige Abschalteinrichtung auf anderweitige Messungen der DUH Bezug nimmt, dringt sie damit ebenfalls nicht durch. Das KBA hat ausweislich des Berichts zur Untersuchungskommission Diesel (Anlage B 1) Messungen bezüglich des Motors EA 288 gerade nicht nur im NEFZ, sondern auch mit einer Reihe anderer Fahrzyklen auch außerhalb des Prüfstandes vorgenommen (Anl. B 1, S. 15 ff.). Hierbei hat das KBA bezüglich des Motors EA 288 nur solche Abweichungen von den Messungen im NEFZ festgestellt, die aufgrund der abweichenden Rahmenbedingungen zu erwarten waren, aber nicht auf unzulässige Abschalteinrichtungen schließen lassen (Anl. B 1, S. 12, S. 18, S. 60). Im Unterschied dazu wurden bei vergleichbaren Messungen bezogen auf den Motor EA 189 Abweichungen festgestellt, die nur durch eine Abschalteinrichtung zu erklären waren (Anl. B 1 S. 12, S. 114). Sodann hat das KBA auch eine Straßenmessung so durchgeführt, wie es der späteren RDE-Vorschrift, basierend auf dem RDE-Vorschlag der Europäischen Kommission entspricht (a.a.O. S. 17 unten). Abweichende Messungen der DUH im „realen Fahrbetrieb“ unter anderweitigen – unklaren – Parametern sind mithin nicht aussagekräftig und stellen kein Indiz für eine Manipulationssoftware dar.
45
b) Auch die Verwendung eines SCR-Katalysators in Verbindung mit einer Fahrkurvenerkennung rechtfertigt nicht die Annahme eines besonders verwerflichen Verhaltens der Beklagten. Nach dem Vortrag der Klagepartei soll die Fahrkurvenerkennung bewirken, dass im Prüfstand anders als im Realbetrieb zum einen die Abgasrückführungsrate erhöht und zum anderen vermehrt AdBlue eingespritzt werde. Die Beklagte hat bestritten, dass im Prüfstandsmodus eine abweichende Einspritzung von AdBlue erfolge und zur Abgasrückführungsrate ausgeführt, dass Unterschiede allenfalls am Ende des Prüfzyklus auftreten könnten und sich dann im Bereich von Messstreuungen bewegten.
46
Ob der Vortrag der Klagepartei zutrifft und ob es sich dabei tatsächlich um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 handelt, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls lässt sich – anders als bei der Umschaltlogik der EA189-Motoren – nicht schon aus der Verwendung der behaupteten und – unterstellt unzulässigen – Fahrkurvenerkennung ein arglistiges Verhalten der Beklagten ableiten. Eine Fahrkurvenerkennung / Zykluserkennung ist für eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB nur dann relevant, wenn eine auf dem Prüfstand erkannte Fahrkurve relevante Auswirkungen auf das Emissionsverhalten hat (BGH, Urteil vom 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, Rz. 48). Daran fehlt es.
47
Es fehlen greifbare Anhaltspunkte dafür, dass der Einsatz der Fahrkurvenerkennung für die Einhaltung der Grenzwerte für Schadstoffemissionen durch den streitgegenständlichen Motor im Prüfstand relevant war. Das KBA hat u.a. mit Auskunft vom 25.01.2021 gegenüber dem Oberlandesgericht München (Anlage B 28) bestätigt, dass auch bei Deaktivierung der Funktion der Fahrkurvenerkennung die Grenzwerte im Prüfverfahren nicht überschritten werden.
48
Die EA-288-Motoren wurden vom KBA insgesamt dreimal überprüft: zunächst im Rahmen der Untersuchungskommission V. vom Oktober 2015 bis April 2016, sodann in den Jahren 2017 bis 2019 vor Freigabe des freiwilligen Software-Updates (im Hinblick auf das Nationale Forum Diesel) und nochmals in den Jahren 2019 und 2020. Dabei war das KBA durch die vorher bekannt gewordene, auch nach Ansicht des KBA unzulässige Umschaltlogik im Rahmen des Motors EA 189 sensibilisiert. Zudem hatte die V. AG das KBA mit Schreiben vom 29.12.015 (Anl. B 5) von der Fahrkurvenerkennung im Motor EA 288 unterrichtet. Dennoch kam das KBA bei jeder der Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht vorläge und die Grenzwerte im NEFZ auch ohne die Fahrkurvenerkennung eingehalten würden.
49
Die Implementierung einer Funktion, die vom KBA nach mehrfachen ausführlichen Untersuchungen als zulässig angesehen wurde, vermag den Vorwurf einer arglistigen Erschleichung der Typengenehmigung nicht zu tragen. Daher kommt es nicht darauf an, ob gerade im streitgegenständlichen Fahrzeug die Fahrkurvenerkennung überhaupt je enthalten war oder noch enthalten ist. Der Erholung eines Sachverständigengutachtens hierzu bedarf es insgesamt nicht. Damit kommt es ferner nicht darauf an, ob gerade im streitgegenständlichen Fahrzeug die Fahrkurvenerkennung überhaupt je enthalten war oder noch enthalten ist. Der Erholung eines Sachverständigengutachtens hierzu bedarf es nicht.
50
c) Das unstreitig vorhandene Thermofenster erfüllt den Tatbestand des § 826 BGB vorliegend ebenfalls nicht.
51
Die Abgasrückführung im streitgegenständlichen Fahrzeug ist unstreitig abhängig von der Umgebungstemperatur. Unklar sind allerdings die genauen Temperaturdaten, zu denen eine Verminderung oder Abschaltung erfolgen soll. Die Klagepartei lässt sich dazu nicht näher aus. Die Beklagte zu 1) behauptet diesbezüglich zuletzt, dass zwar die Abgasrückführung im Temperaturbereich zwischen -24°C und + 70 °C ohne Abrampung vollständig aktiv sei; dass es allerdings auch in diesem Temperaturbereich zu mittelbar durch die Umgebungstemperatur beeinflussten Änderungen der Abgas-Rückführungsrate kommen könne (Schriftsatz vom 16.11.2023, Bl. 704 ff. d.A.).
52
Der Einsatz einer derart temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems rechtfertigt die Bewertung als sittenwidriges Verhalten für sich genommen auch bei unterstellter Gesetzwidrigkeit der Applikation nicht (BGH, Beschluss vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 13.; Urteil vom 16.9.2021, VI ZR 190/20, juris Rz. 16). Denn anders als die Umschaltlogik differenziert das Thermofenster nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet (BGH vom 19.1.2021, a.a.O. Rz. 18). Bei dieser Sachlage wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem – unterstellten – Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen (BGH vom 19.1.2021, a.a.O. Rz. 19). Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und / oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH vom 19.1.2021, a.a.O. Rz. 19; Beschluss vom 9.3.2021, VI ZR 889/20, juris Rz. 28).
53
Davon ist hier nicht auszugehen. Die Rechtsfrage, ob das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt oder nicht, war hoch umstritten. Der Bericht der Untersuchungskommission V. vom April 2016 ging von der Zulässigkeit des Thermofensters aus. Daher liegt es keineswegs auf der Hand und kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Beklagte von der Unzulässigkeit des Thermofensters ausging oder die Augen hiervor bewusst verschlossen hätte (BGH v. 16.9.2021, VI ZR 190/20, juris Rz. 30). Soweit die Klagepartei dies behauptet, ist der erkennbar ins Blaue hinein gemachte Vortrag prozessual unbeachtlich.
54
Zwar könnten sich unter Umständen aus einer etwaigen Verschleierung im Typengenehmigungsverfahren, dass die Abgasrückführung (auch) temperaturabhängig ist, Anhaltspunkte für ein Bewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen, eine unzulässige Abschalteinrichtung einzusetzen, und mithin für die Täuschungsabsicht ergeben (BGH vom 9.3.2021, a.a.O. Rz. 24). Indes lässt sich aus dem Klägervortrag hier keine derartige Verschleierung ableiten, der ein solcher Indizcharakter zukäme. Eine unterbliebene Offenlegung des Thermofensters oder dessen genauer Wirkungsweise gegenüber dem KBA reichen insofern nicht aus (BGH, Hinweisbeschluss vom 15.9.2021, VII ZR 2/21, juris Rz. 15; Urteil vom 16.9.2021, VI ZR 190/20, juris Rz. 26; Urteil vom 24.3.2022, III ZR 270/20, juris Rz. 22; Urteil vom 18.9.2023, VIa ZR 1508/22, juris Rz. 22).
55
Ebenso fehlt es, worauf das Landgericht zutreffend hinweist, an substantiiertem Vortrag des Klägers zu dem für § 826 BGB erforderlichen Schädigungsvorsatz. Allein aus einer etwaigen objektiven Unzulässigkeit des Thermofensters folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer; im Hinblick auf die unsichere Rechtslage ist nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung der Klagepartei hätte aufdrängen müssen (BGH, Urteil vom 16.9.2021, VI ZR 190/20, juris Rz. 32; Beschluss vom 15.9.2021, VII ZR 2/21, juris Rz. 23).
56
d) Die Behauptungen der Klagepartei zu weiteren Abschalteinrichtungen im Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs enthalten keine greifbaren Anhaltspunkte für die Annahme der tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 826 BGB und vermögen daher eine Beweisaufnahme hierzu nicht zu rechtfertigen.
57
aa) Der Vorwurf der Klagepartei, die Beklagte habe mittels eines manipulierten On-Board-Diagnosesystems (OBD) getäuscht, rechtfertigt nicht die Annahme eines Anspruchs aus § 826 BGB. Die Annahme, dass das OBD selbst eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, wäre angesichts der Tatsache, dass Aufgabe eines Diagnosesystems nur die Anzeige von (Fehl-)Funktionen ist, fernliegend. Selbst wenn die konkrete Ausgestaltung des OBD gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen würde, ergäbe sich aus diesem Befund allein nicht der Vorwurf verwerflichen Verhaltens gegenüber der Klagepartei. Eine – unterstellte – Manipulation des OBD-Systems stellt auch kein Indiz für die Verschleierung einer im Bewusstsein der Unzulässigkeit installierte unzulässigen Abschalteinrichtung dar. Denn wenn die Beklagte eine in Rede stehende Programmierung des Abgassystems für zulässig hielt, hat sie naturgemäß dafür Sorge getragen, dass beim korrekten Arbeiten des Systems nach dieser Programmierung keine Fehlermeldung erscheint.
58
bb) Das Argument, die Motoren EA 189 und EA 288 seien parallel entwickelt worden, trägt nicht. Daraus lässt sich keineswegs ein Indiz ableiten, dass die Motoren über die gleiche Abschalteinrichtung verfügten. Zudem hat das KBA den Motor wie ausgeführt mehrfach untersucht. Dabei erfolgten die ersten Untersuchungen gerade vor dem Hintergrund der 2015 aufgedeckten unzulässigen Umschaltlogik im Rahmen des EA 189. Dennoch hat das KBA keine unzulässige Abschalteinrichtung entdeckt. Einen verpflichtenden Rückruf für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp gibt es unstreitig nicht.
59
e) . Der Senat vermag auch in der Gesamtschau der vorstehend erörterten Umstände kein den Vorwurf der Sittenwidrigkeit tragendes besonders verwerfliches Verhalten der Beklagten gegenüber der Klagepartei zu erkennen.
II.
60
Das Begehren der Klagepartei kann auch nicht auf andere Anspruchsgrundlagen gestützt werden.
61
1. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 263 StGB scheidet mangels vorsätzlichen Handelns (vgl. oben) aus. Im übrigen würde es an einer Stoffgleichheit zwischen dem von der Beklagten erstrebten Vermögensvorteil und einem Schaden der Klagepartei fehlen (vgl. BGH, Urteil vom 30.7.2020 – VI ZR 5/20, Rz. 19 ff.).
62
2. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte zu 1) auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu. Der Anspruch scheitert daran, dass die Beklagte zu 1) nicht Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs und damit auch nicht Verantwortliche für die Typengenehmigung ist.
63
a) Zwar hat der Bundesgerichtshof kürzlich (Urteile vom 26.6.2023, VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22) entschieden, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch gegen den Fahrzeughersteller auf Ersatz des Differenzschadens zustehen kann.
64
b) Die Sonderpflicht, eine mit den (unions-)gesetzlichen Vorgaben konvergierende Übereinstimmungsbescheinigung auszugeben, trifft jedoch den Fahrzeughersteller, nicht den Motorhersteller. Der BGH (Urteil vom 26.6.2023, VIa ZR 335/21, juris Rz. 28 ff.) hat die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 21.3.2023 – C-100/21, Rz. 78 ff., 91) auf die Erteilung einer unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung gestützt, die der Fahrzeughersteller in seiner Eigenschaft als Inhaber einer EG-Typengenehmigung gemäß Art. 18 Abs. 1 der RL 2007/46/EG jedem Fahrzeug beilegt und die gemäß Art. 3 Nr. 36 der RL 2007/46/EG nicht nur die Übereinstimmung des erworbenen Fahrzeugs mit dem genehmigten Typ, sondern auch die Einhaltung aller Rechtsakte bescheinigt. Die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV knüpft daher an die Erteilung einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung durch den Fahrzeughersteller an. Der Motorhersteller kann deshalb, weil er die Übereinstimmungsbescheinigung nicht ausgibt, nach den allgemeinen und durch Unionsrecht unangetasteten Grundsätzen des deutschen Deliktsrechts weder Mittäter einer Vorsatztat des Fahrzeugherstellers noch mittelbarer (Vorsatz-)Täter hinter dem (gegebenenfalls fahrlässig handelnden) Fahrzeughersteller sein, weil ihm nicht die hierzu erforderliche Sonderpflicht obliegt (BGH, Urteil vom 10.7.2023, VIa ZR 1119/22, juris Rz. 20).
65
c) Eine bei Sonderdelikten mögliche Beteiligung der Beklagten zu 1) als Motorherstellerin im Sinne des § 830 Abs. 2 BGB an einer durch den Fahrzeughersteller (= Beklagte zu 2) begangenen deliktischen Schädigung kommt vorliegend nicht in Betracht. Zwar kann Beihilfe auch zu Sonderdelikten geleistet werden, bei denen der Gehilfe nicht Täter sein kann. Voraussetzung ist allerdings nicht nur, dass der Gehilfe mit doppeltem Vorsatz hinsichtlich der fremden rechtswidrigen Tat und der eigenen Unterstützungsleistung gehandelt hat (vgl. BGH, Urteil vom 8.2.2018, IX ZR 103/17, juris Rz. 66). Bedingung einer Beteiligung ist vielmehr weiter eine Vorsatztat des Fahrzeugherstellers. Die vorsätzliche Förderung einer fahrlässigen Tat erfüllt die Voraussetzungen des § 830 Abs. 2 BGB nicht (BGH, Urteil vom 10.7.2023, VIa ZR 1119/22, juris Rz. 21). Vorliegend trägt die Klagepartei zu einem vorsätzlichen Handeln der für die Fahrzeugherstellerin (= Beklagte zu 2)) nach § 31 BGB verantwortlichen Personen nicht substantiiert vor. Obwohl der Senat durch Verfügung der Senatsvorsitzenden vom 1.8.2023 unter Ziffer 1.2 auf diesen Gesichtspunkt ausdrücklich hingewiesen hatte, beschränkt sich der Vortrag des Klägers hierzu auf die Angabe im Schriftsatz vom 02.10.2023 (Bl. 680 d.A.), wonach zum Beweis der Tatsache, dass die Beklagte zu 2) bzw. ihre Mitarbeiter sich darüber im Klaren waren, dass im Motor, den die Beklagte zu 1). hergestellt hat, unzulässige Abschaltvorrichtungen vorhanden sind, „Zeugnis N.N.“ angeboten wird. Damit fehlt es an substantiiertem Vortrag zu einer vorsätzlichen Haupttat, zu der Beihilfe hätte geleistet werden können.
66
Nach alledem kommt ein Schadensersatzanspruch der Klagepartei nach § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV schon dem Grunde nach nicht in Betracht.
67
Da somit insgesamt ein materieller Ersatzanspruch nicht bestand, schuldet die Beklagte zu 1) weder Zinsen, noch eine Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Es kommt deshalb auch nicht darauf an, dass der Betrag in Höhe von 24.696,71 €, dessen durchgängige Verzinsung ab Rechtshängigkeit bis 04.03.2023 der Kläger in zweiter Instanz zuletzt begehrt, höher ist, als der Schadensersatzbetrag, den der Kläger in erster Instanz zuletzt geltend gemacht hatte.
D.
68
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
69
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die aufgeworfenen Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt. Zu würdigen waren die Umstände des Einzelfalles.
70
Für den Streitwert war ab Rechtshängigkeit der gegen die Beklagte zu 2) gerichteten Klage deren Wert hinzuzurechnen, denn der Kläger hat trotz entsprechender Anregung des Senats ausdrücklich erklärt, die Ansprüche nicht gesamtschuldnerisch zu verfolgen. Da der Kläger ab 11.12.2023 nur noch Zinsen und vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten geltend macht, bestimmt sich der Streitwert ab diesem Zeitpunkt nach dem Wert dieser zuvor als Nebenforderungen verfolgten Forderungen. Für den mangels Zinszeitraums nicht berechenbaren, aber klägerseits dennoch beantragten Zinsanspruch gegen die Beklagte zu 2) setzt der Senat als Auffangwert 500 € an.