Titel:
Kein Anspruch auf experimentelle Heilversuche
Normenkette:
AVB § 1 Abs. 1, Abs. 2, § 4 Abs. 1
Leitsätze:
1. Für die Beurteilung der Frage der medizinischen Notwendigkeit einer Heilbehandlung gem. § 1 Abs. 2 AVB muss ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab angewandt werden. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Medizinisch notwendig ist eine Heilbehandlung grundsätzlich, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3. Vertretbar ist die medizinische Notwendigkeit einer Heilbehandlung, wenn sie sowohl in begründeter und nachvollziehbarer wie fundierter Vorgehensweise das zugrunde liegende Leiden diagnostisch hinreichend erfasst und eine ihm adäquate, geeignete Therapie anwendet. Dies ist im Allgemeinen der Fall, wenn eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode zur Verfügung steht, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen, zu bessern oder zu lindern. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
4. Alternative Behandlungsmethoden sind dann als medizinisch notwendig anzusehen, wenn sich die Methode in der Praxis als Erfolg versprechend bewährt hat und sie in ihrer Wirksamkeit den von der Schulmedizin gebilligten Methoden gleichzustellen ist. Beurteilungsgrundlage bildet auch insoweit die Schulmedizin. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
5. Bei unheilbaren Erkrankungen können geringere Anforderungen an den Nachweis der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlung zu stellen sein. Dies ist im Ergebnis aber nur der Fall, wenn zur Behandlung der unheilbaren Krankheit keine allgemein anerkannten Therapien zur Verfügung stehen. Nur dann, wenn es eine allgemein anerkannte und geeignete Behandlungsmethode nicht gibt, kommt es darauf an, ob die Behandlung nach medizinischen Erkenntnissen im Zeitpunkt ihrer Vornahme als wahrscheinlich geeignet angesehen werden konnte, auf eine Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung oder zumindest auf deren Verlangsamung hinzuwirken, wobei dann – aber auch nur dann – unerheblich ist, ob die Geeignetheit von schulmedizinischen Erwägungen abhängt oder auf Erkenntnissen der alternativen Medizin aufbaut, sofern die Methode auf einem nach medizinischen Erkenntnissen nachvollziehbaren Ansatz beruht. (Rn. 35 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Lungentumor, Leitlinie, alternative Heilbehandlung, Wirksamkeit, unheilbare Erkrankung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38622
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger macht Ansprüche auf Erstattung von ihm bezahlter Heilbehandlungskosten gegen seine private Krankenversicherung geltend. Er unterhält bei der Beklagten unter der Versicherungsnummer ... eine private Krankenversicherung. Hinsichtlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) und Tarifbedingungen wird auf die Anlage BLD1 Bezug genommen.
2
In § 1 Abs. 2. der AVB heißt es insoweit:
„Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen.“
3
Der Kläger leidet unter einem nicht kleinzelligen Adenokarzinom der Lunge Stadium 4A, welches im Januar 2021 diagnostiziert wurde. Es handelt sich hierbei um eine nicht heilbare Erkrankung.
4
Er unterzog sich zur Behandlung der Erkrankung sog. Maintrac-Untersuchungen, welche dazu dienen sollen, minimalinvasiv festzustellen, ob und in welchem Umfang peripher zirkulierende Tumorzellen auf eine Therapie ansprechen. Zudem soll durch diese eine erneute Tumoraktivität angezeigt werden, um frühzeitig wieder therapeutisch einzugreifen.
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Zudem wurde dem Kläger intravenös Artesunat 500 mg zur Steigerung der Immunabwehr verabreicht.
6
Weiter wurde der Kläger mit dem Wirkstoff Curcumin behandelt, welcher die Bildung von Fernmetastasen verhindern solle.
7
Die Praxis Dr. P stellte dem Kläger mit Rechnung vom 04.02.2021 einen Betrag in Höhe von 548,07 € sowie mit Rechnung vom 04.02.2021 einen Betrag in Höhe von 1.589,00 € in Rechnung (vgl. Anlagen K4 und K5).
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Die Beklagte leistete ausweislich der Leistungsaufstellung vom 17.02.2021 auf diese ihr vorgelegten Rechnungen nicht (vgl. Anlage K6).
9
Der Heilpraktiker H stellte dem Kläger mit Rechnung vom 26.02.2021 für die Behandlung mit Artesunat und Curcumin einen Betrag in Höhe von 1.877,03 € in Rechnung (vgl. Anlage K7).
10
Die Beklagte erstattete hierauf die Kosten für die Behandlung mit Artesunat und Curcumin ebenfalls nicht. Der nicht erstattete Betrag beläuft sich diesbezüglich auf 1.317,00 € (vgl. Anlage K8).
11
Weiter wurden durch den Heilpraktiker H weitere 1.889,60 € mit Rechnung vom 15.02.2021 sowie weitere 1.861,20 € mit Rechnung vom 18.02.2021 und weitere 1.687,56 € jeweils für die Behandlung mit Artesunat und Curcumin abgerechnet (vgl. Anlagen K9, K10, K11). Ausweislich der Leistungsaufstellung der Beklagten vom 12.04.2021 übernahm diese einen Betrag in Höhe von 4.153,58 € nicht.
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Die Praxis Dr. P stellte mit Rechnung vom 26.03.2021 für die Durchführung der MaintracBehandlung einen weiteren Betrag in Höhe von 209,78 € in Rechnung (vgl. Anlage K13), welcher seitens der Beklagten ebenfalls nicht übernommen wurde (vgl. Anlage K14).
13
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers forderte die Beklagte mit Schreiben vom 10.08.2021 auf, den Gesamtbetrag in Höhe von 7.817,43 € bis 26.08.2021 zu bezahlen. Die Beklagte verweigerte die Bezahlung unter Verweis auf die fehlende medizinische Notwendigkeit der Behandlungen. B.
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Der Kläger ist der Ansicht, dass die genannten Behandlungen medizinisch notwendig seien.
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Durch die streitgegenständlichen Therapien habe der Kläger nicht nur die bei schulmedizinischer Behandlung zu erwartende Lebenserwartung bei weitem überschritten, sondern es sei auch zu einer massiven Rückbildung bereits vorhandener Metastasen gekommen.
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Die Maintrac-Methode biete derzeit als einzige Methode die Möglichkeit, minimalinvasiv festzustellen, ob und in welchem Umfang peripher zirkulierende Tumorzellen auf die Therapie ansprechen würden. Vor allem sei aber möglich, bei einem Anstieg der Zellzahl, welcher eine erneute Tumoraktivität anzeige, wieder therapeutisch einzugreifen.
17
Das für die Behandlung von Malaria zugelassene Medikament Artesunat aktiviere den krebszellspezifischen lysomalen Zelltod.
18
Das verordnete Curcumin verhindere die Aussendung von spezifischen Signalproteinen zur Bildung von Fernmetastasen.
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Da der Kläger unter einer unheilbaren Krankheit leidet, seien verminderte Voraussetzungen an die Vertretbarkeit der medizinischen Behandlung anzusetzen. Es stünden bei dem Krankheitsbild keine Behandlungsmethoden zur Verfügung, welche eine Verschlimmerung verhindern könnten. Dem Kläger habe bei schulmedizinischer Behandlung mit Osimertinib lediglich eine Überlebenszeit von 7,5 – 8,3 Monaten, maximal bis zu 1 Jahr zur Verfügung gestanden. Es reiche daher in seinem Fall aus, dass die Behandlung mit nicht nur ganz geringer Erfolgsaussicht die Erreichung des Behandlungszieles als möglich erscheinen lasse. Auch experimentelle Methoden kämen bei dieser Sachlage in Betracht.
I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.817,43 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 27.08.2021 zu bezahlen.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 150,00 € zu bezahlen.
III. Die Beklagte wird verurteilt, an die ... Rechtsschutz-Versicherungs AG in ... zur Schadensnummer ... vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 650,39 € zu bezahlen.
21
Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte bestreitet die medizinische Notwendigkeit. Die angewandten Behandlungen seien objektiv nicht nachvollziehbar. Ein medizinischer Ansatz, welcher die Wirkungsweisen der angewandten Therapien erklären könne, sei nicht vorhanden. Es ergeben sich insoweit keinerlei Erkenntnisse aus klinischen Studien, welche einen Nutzen bei der Behandlung von Krebsleiden belegen oder auch nur wahrscheinlich erscheinen lassen. Es stünden schulmedizinisch anerkannte Behandlungen zur Verfügung, welche den angewandten ausschließlich experimentellen Methoden vorzuziehen wären.
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Auf einen konkreten Behandlungserfolg, wie er vom Kläger behauptet wird, komme es vorliegend nicht an. Tatsächlich beruhe der zuletzt gute Verlauf der Erkrankung auf der Wirksamkeit des Osimertinib, welches für diese Behandlung zugelassen ist. Für Artesunat und Curcumin längen hingegen keine vergleichbaren Wirksamkeitsnachweise bei gegebener Indikation vor.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Auf den Beweisbeschluss vom 04.11.2022 (Bl. 59/63) sowie das Gutachten des Sachverständigen Dr. M vom 30.01.2023 (Bl. 91/94) wird Bezug genommen.
25
Im Termin zur mündlichen Verhandlung wurde das Gutachten durch den Sachverständigen Dr. M unter Berücksichtigung der Einwendungen der Klagepartei aus deren Schriftsatz 21.03.2023 erläutert. Hinsichtlich der Angaben des Sachverständigen wird auf das Protokoll vom 17.08.2023 (Bl. 127/129) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet.
27
Die Klage ist zulässig.
28
Das Landgericht Kempten (Allgäu) ist sowohl sachlich gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG als auch örtlich nach § 215 Abs. 1 S. 1 VVG zuständig.
29
I. Die Klage ist unbegründet, da dem Kläger kein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die von ihm in Anspruch genommenen Behandlungen mit Artesunat und Curcumin zusteht. Auch besteht kein Anspruch auf die Erstattung der Kosten, welche für die Anwendung der Maintrac-Methode angefallen sind. Die genannten Behandlungen waren nicht medizinisch notwendig im Sinne des § 1 Abs. 2 AVB und daher nicht erstattungsfähig nach § 1 Abs. 1, Abs. 2, § 4 Abs. 1 AVB.
30
1. Für die Beurteilung der Frage der medizinischen Notwendigkeit einer Heilbehandlung gemäß § 1 Abs. 2 AVB muss ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab angewandt werden (BGH, Urteil vom 10.07.1996 – IV ZR 133/95).
31
Medizinisch notwendig ist eine Heilbehandlung grundsätzlich, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen (vgl. BGH, Urteil vom 10.07.1996 – IV ZR 133/95; OLG München, Urteil vom 30.08.2013 – 25 U 2711/10). Vertretbar ist die medizinische Notwendigkeit einer Heilbehandlung, wenn sie sowohl in begründeter und nachvollziehbarer wie fundierter Vorgehensweise das zugrunde liegende Leiden diagnostisch hinreichend erfasst und eine ihm adäquate, geeignete Therapie anwendet (BGH, Urteil vom 12.03.2003 – IV ZR 278/01 und Urteil vom 29.11.1978 – IV ZR 175/77). Dies ist im Allgemeinen der Fall, wenn eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode zur Verfügung steht, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen, zu bessern oder zu lindern (vgl. BGH, Urteil vom 12.03.2003 – IV ZR 278/01)
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Diese objektive Anknüpfung bedeutet zugleich, dass es für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht auf die Auffassung des Versicherungsnehmers und auch nicht allein auf die des behandelnden Arztes ankommen kann (BGH, Urteil vom 10.07.1996 – IV ZR 133/95, NJW 1996, 3074, m. w. N.).
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Gegenstand der Beurteilung können vielmehr nur die objektiven medizinischen Befunde und Erkenntnisse im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung sein (BGH, Beschluss vom 17.12.2014 – IV ZR 399/13).
34
Alternative Behandlungsmethoden sind dann als medizinisch notwendig anzusehen, wenn sich die Methode in der Praxis als Erfolg versprechend bewährt hat und sie in ihrer Wirksamkeit den von der Schulmedizin gebilligten Methoden gleichzustellen ist. Beurteilungsgrundlage bildet auch insoweit die Schulmedizin (vgl. OLG Köln, Urteil vom 30.10.1996 – 5 U 88/96).
35
2. Bei unheilbaren Erkrankungen können geringere Anforderungen an den Nachweis der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlung zu stellen sein. Dies ist im Ergebnis aber nur der Fall, wenn zur Behandlung der unheilbaren Krankheit keine allgemein anerkannten Therapien zur Verfügung stehen (vgl. OLG Köln, Urteil vom 23.06.1999 – 5 U 232/98).
36
Nur dann, wenn es eine allgemein anerkannte und geeignete Behandlungsmethode nicht gibt, kommt es darauf an, ob die Behandlung nach medizinischen Erkenntnissen im Zeitpunkt ihrer Vornahme als wahrscheinlich geeignet angesehen werden konnte, auf eine Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung oder zumindest auf deren Verlangsamung hinzuwirken, wobei dann – aber auch nur dann – unerheblich ist, ob die Geeignetheit von schulmedizinischen Erwägungen abhängt oder auf Erkenntnissen der alternativen Medizin aufbaut, sofern die Methode auf einem nach medizinischen Erkenntnissen nachvollziehbaren Ansatz beruht (BGH, Urteil vom 10.07.1996 – IV ZR 133/95; OLG Köln, Urteil vom 23.06.1999 – 5 U 232/98).
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3. Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall nicht gegeben, da wissenschaftlich bestätigte Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen, welche zumindest zeitweise zu einer Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung führen können und dementsprechend die Lebensdauer und -qualität verbessern können. Eine objektive Vertretbarkeit der vom Kläger in Anspruch genommenen Behandlungen liegt nicht vor.
38
Im Unterschied zu dem der Entscheidung des BGH vom 10.07.1996 – Az.: IV ZR 133/95 zugrunde liegenden Fall steht vorliegend nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. M fest, dass eine schulmedizinische Therapiemöglichkeit für das Leiden des Klägers zur Verfügung steht, welche den vorliegend angewandten experimentellen Methoden vorzuziehen ist. Die herabgesetzten Anforderungen an den Nachweis der medizinischen Notwendigkeit, wie sie in der vorstehenden Entscheidung des BGH dargestellt sind, kommen daher nicht zum Tragen, da ausreichend erforschte Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen, welche die Krankheit zwar nicht heilen, aber nachweislich zu einer zumindest vorübergehenden Verhinderung der Verschlimmerung und einer verbesserten Lebensqualität des Patienten führen können.
39
a) Nach den plausiblen und in sich widerspruchsfreien Feststellungen des Sachverständigen Dr. M., denen sich die Kammer vollumfänglich anschließt, standen vorliegend wissenschaftlich bestätigte medizinische Maßnahmen zur Verfügung, welche in der Regel einen deutlichen Zuwachs der Lebensqualität sowie eine Verlängerung der Lebenserwartung mit sich bringen. An der fachlichen Eignung des Sachverständigen, welcher Facharzt für Pneumologie ist, bestehen keine Zweifel. Der Sachverständige erläuterte den derzeitigen Stand der Medizin bei einem metastasierenden Lungenkarzinom anschaulich und für die Kammer nachvollziehbar, wobei er zwischen verschiedenen sogenannten Mutationstreibern unterschied und zudem erläuterte, wie vorzugehen sei, wenn ein solcher Treiber nicht ermittelt werden kann.
40
Vorliegend war zunächst die zielgerichtete Behandlung mit Osimertinib als vorzugswürdig anzusehen. Ausweislich der Ausführungen des Sachverständigen Dr. M führt die Anwendung dieses Medikaments bei einem Lungenkarzinom mit EGFR-Mutation (Typ del19 oder L858R) im Gesamtmedian zu einer Gesamtüberlebenszeit von 38,6 Monaten. Der Sachverständige geht aufgrund der vorgelegten Unterlagen aus, dass beim Kläger eine entsprechende EGFR-Mutation des Typ del19 und L858R vorliegt, welche auf das Medikament anspricht. Tatsächlich wurde der Kläger ausweislich des unbestrittenen Vortrags der Beklagten (S. 1 des Schriftsatzes vom 22.11.2022) wohl auch mit diesem Medikament behandelt, wie sich auch aus der Anlage K5 ergibt.
41
Die Wirkweise des Medikamentes Osimertinib führt ausweislich der Ausführungen des Sachverständigen nicht nur zu einer Stagnation des Tumorwachstums, sondern zumindest zeitweilig zu einer Schrumpfung des Tumors. Daher verringern sich auch die aufgrund des Lungenkarzinoms auftretenden Symptome, wobei bei der Anwendung von Osimertinib regelmäßig allenfalls leichte Nebenwirkungen auftreten. Zwar kommt es bei der längeren Anwendung regelmäßig zu einer Resistenzbildung gegen das Medikament. Diese tritt jedoch entgegen der klägerischen Behauptung nicht regelmäßig innerhalb eines Jahres ein. Insoweit ergeben sich unterschiedliche Verläufe, wobei die Gesamtüberlebenszeit im Median ungefähr 38,6 Monate betrage.
42
Auch bei einer Resistenzentwicklung ist es nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen möglich, auf andere Medikamente umzusteigen oder eine Chemotherapie zu beginnen.
43
Selbst wenn die Mutation des Tumors des Klägers nicht des Typs del19 oder L858R sein sollte, ist eine erfolgreiche Therapie mit Osimertinib nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht von vornherein ausgeschlossen, da teilweise auch Patienten mit anderen Mutationstreibern auf das Medikament ansprechen.
44
Im Übrigen können andere Tyrosinkinaseinhibitoren für eine zielgerichtete Therapie gut wirksam sein.
45
Zuletzt ergibt sich die Möglichkeit eine kombinierte Chemo- und Immuntherapie zu beginnen, mit welcher sich in der Regel zumindest für einen begrenzten Zeitraum eine Tumorkontrolle und damit eine Verlängerung der Lebensdauer erzielen lässt.
46
b) Dahingegen gibt es nach den Feststellungen des Sachverständigen weder einen Beleg für die Wirksamkeit einer Behandlung mit Curcumin und Artesunat noch für die Therapieeffektivität der sog. Maintrac-Methode. Diese als experimentell anzusehenden Methoden finden dementsprechend auch keine Erwähnung in der aktuellen deutschen Lungenkarzinomleitlinie. Aus thoraxonkologischer Sicht sind die genannten Methoden nach Aussage des Sachverständigen letztlich in medizinischer Hinsicht nicht nachvollziehbar und dementsprechend medizinisch nicht als notwendig anzusehen.
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II. Mangels Hauptanspruch besteht weder ein Anspruch auf Verzugszinsen noch auf Erstattung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
48
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
49
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 ZPO.