Titel:
Auskunftsanspruch betreffend Prämienanpassungen
Normenketten:
BGB § 242, § 810
VVG § 3 Abs. 3, Abs. 4 S. 1
DS-GVO Art. 4 Nr. 1 Hs. 1, Art. 15
ZPO § 254
Leitsätze:
1. Der Versicherer ist nicht nach Treu und Glauben gehalten, dem Versicherungsnehmer gleichsam voraussetzungslos in seinem Besitz befindliche Dokumente erneut zur Verfügung zu stellen, damit dieser Ansprüche gegen ihn prüfen kann. Nur dann, wenn der Versicherungsnehmer nicht mehr über die im Auskunftsantrag bezeichneten Unterlagen verfügt, kann feststehen, dass er über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und sich die notwendigen Informationen nicht selbst auf zumutbare Weise beschaffen kann (Anschluss an BGH BeckRS 2023, 26057 Rn. 37 f.). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erst die Darlegung der Gründe des Verlusts durch den Versicherungsnehmer ermöglicht die Beurteilung, ob ihm unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausnahmsweise ein Auskunftsanspruch nach § 242 BGB zusteht (Anschluss an BGH BeckRS 2023, 26057 Rn. 40 mwN; hier verneint). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Auskunftsanspruch des Versicherungsnehmers aus § 242 BGB umfasst nicht die Verpflichtung zur Vorlage der einer Neukalkulation der Prämien zugrundeliegenden internen Bewertungen und Rechnungsgrundlagen. Bei diesen handelt es sich auch nicht um personenbezogene Daten iSd Art. 4 Nr. 1 Hs. 1 DS-GVO (Bestätigung von OLG München, 10.8.2022 – 25 U 3639/22; 16.8.2022 – 25 U 2655/22; 20.10.2022 – 25 U 1023/22; vgl. auch OLG Dresden BeckRS 2023, 10108; OLG Karlsruhe BeckRS 2023, 4564). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Krankenversicherung, Beitragsanpassung, Prämienanpassung, Stufenklage, Auskunftsanspruch
Vorinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 11.09.2023 – 25 U 3076/22
LG München I, Urteil vom 27.04.2022 – 23 O 11731/21
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 19.12.2023 – 25 U 3076/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38561
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 27.04.2022, Az. 23 O 11731/21, auch hinsichtlich des nunmehr nur noch anhängigen Berufungsantrags 1 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
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Auch mit Blick auf den Berufungsantrag zu 1 hat die zulässige Berufung der Klagepartei offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht insoweit weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Der Auskunftsantrag ist als unbegründet abzuweisen. Das Berufungsvorbringen ist nicht geeignet, zu einer abweichenden Beurteilung zu gelangen.
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1. Die Aussetzung des Verfahrens ist beendet durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 26. Oktober 2023 (C-307/22, ECLI:ECLI:EU:C:2023:811).
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2. Der Auskunftsantrag ist zulässig. Zwar ist das Rechtsschutzbegehren der Klagepartei insoweit als Stufenklage im Sinne des § 254 ZPO unzulässig. Der Senat hat aber eine Umdeutung in eine von der Stufung unabhängige objektive Klagehäufung vorgenommen (Ziffer 2 der Gründe des Beschlusses vom 09.08.2023; auf dieser Grundlage ist das Auskunftsbegehren zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2023 – IV ZR 177/22, zVb Rn. 23 ff).
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3. Der Klagepartei steht hinsichtlich möglicher Prämienanpassungen aus dem im Antrag bezeichneten Zeitraum kein Auskunftsanspruch aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nach § 242 BGB zu.
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a) Nach § 242 BGB trifft den Schuldner im Rahmen einer Rechtsbeziehung ausnahmsweise eine Auskunftspflicht, wenn der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann. Die Zubilligung des Auskunftsanspruchs hat unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu erfolgen (BGH, Urteil vom 27. September 2023 – IV ZR 177/22, zVb Rn. 30 mwN). Es kommt grundsätzlich in Betracht, dass der Versicherungsnehmer in der privaten Krankenversicherung nach diesen Grundsätzen vom Versicherer Auskunft über vergangene Beitragserhöhungen verlangen kann (BGH, aaO Rn. 31).
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Daraus, dass das Versicherungsverhältnis besonders von Treu und Glauben geprägt ist, folgt nicht, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer gleichsam voraussetzungslos in seinem Besitz befindliche Dokumente erneut zur Verfügung stellen müsste, damit dieser Ansprüche gegen ihn prüfen kann (BGH, Urteil vom 27. September 2023, aaO Rn. 37). Treu und Glauben erfordern es nicht, dem Auskunftssuchenden Mühe auf Kosten des Auskunftsverpflichteten zu ersparen. Nur dann, wenn der Kläger nicht mehr über die im Auskunftsantrag bezeichneten Unterlagen verfügt, kann feststehen, dass er über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und sich die notwendigen Informationen nicht selbst auf zumutbare Weise beschaffen kann (vgl. BGH, aaO Rn. 38).
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Darüber hinaus ist der Versicherungsnehmer nicht schon dann entschuldbar über seine Rechte im Ungewissen, wenn er die Unterlagen über die Beitragsanpassungen nicht mehr besitzt und zu den Gründen des Verlusts nicht weiter vorträgt. Erst die Darlegung der Gründe des Verlusts durch den Versicherungsnehmer ermöglicht die Beurteilung, ob dem Versicherungsnehmer unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausnahmsweise ein Auskunftsanspruch nach § 242 BGB zusteht (BGH, Urteil vom 27. September 2023, aaO Rn. 40 mwN).
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b) Gemessen daran kann nicht angenommen werden, die Klagepartei befinde sich in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang ihres Rechts – hier von möglichen Rückforderungsansprüchen aufgrund von unwirksamen Beitragserhöhungen im Auskunftszeitraum – im Ungewissen.
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Die Klagepartei hat zwar behauptet, sie habe keine Kenntnis über die Höhe der Prämienanpassungen, weil ihr Nachträge zum Versicherungsschein nicht vorlägen. Dies hat die beklagte Partei aber bestritten (Seite 8 der Klageerwiderung, Bl. 84 d.A.). Die für die tatsächlichen Voraussetzungen ihres Anspruchs beweispflichtige Klagepartei hat schon im ersten Rechtszug keinen geeigneten Beweis für ihre Behauptung angeboten. Die als Anlage KGR Stn1 vorgelegte Verlusterklärung des Klägers ist insoweit kein geeignetes Beweismittel.
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Unabhängig davon ist das behauptete Fehlen von Unterlagen auch nicht ausreichend entschuldigt. Nur ergänzend ist deshalb darauf hinzuweisen, dass ein Versicherungsnehmer, der seine Unterlagen nicht aufbewahrt, es sich grundsätzlich selbst zuzuschreiben hat, dass sie ihm nicht mehr zur Verfügung stehen.
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4. Ein Auskunftsanspruch ergibt sich nicht aus § 3 Abs. 3 VVG, aus § 3 Abs. 4 Satz 1 VVG oder aus § 810 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2023 – IV ZR 177/22, zVb Rn. 42 ff).
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5. Der Anspruch, auf den der klägerische Antrag abzielt, folgt auch nicht aus Art. 15 Abs. 1 DS-GVO oder Art. 15 Abs. 1, Abs. 3 DS-GVO. Für einen Antrag, dessen Fassung der hier gestellten entspricht, hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass sich der damit geltend gemachte Anspruch nicht aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 3 DS-GVO herleiten lässt (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2023, aaO Rn. 45 ff). Auch in Ansehung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 26. Oktober 2023 (C-307/22, ECLI:ECLI:EU:C:2023:811) ändert sich hieran nichts.
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6. Soweit der Auskunftsantrag die jeweilige Höhe der auslösenden Faktoren für die Neukalkulation der Prämien betrifft, besteht auch aus weiteren Gründen kein Anspruch der Klagepartei. Ein Auskunftsanspruch des Versicherungsnehmers aus § 242 BGB umfasst nicht die Verpflichtung zur Vorlage der einer Neukalkulation der Prämien zugrundeliegenden internen Bewertungen und Rechnungsgrundlagen. Bei diesen handelt es sich auch nicht um personenbezogene Daten im Sinne des Art. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 DS-GVO (vgl. OLG München, Beschluss vom 10. August 2022 – 25 U 3639/22, unter 2; vom 16. August 2022 – 25 U 2655/22, unter 2; Urteil vom 20. Oktober 2022 – 25 U 1023/22, unter II.1; vgl. auch OLG Dresden, VersR 2023, 838, 839 f; OLG Karlsruhe, VersR 2023, 512, 515).
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7. Der Senat regt an, die Berufung hinsichtlich des Berufungsantrags 1 zurückzunehmen.