Titel:
Verwaltungsgerichte, Rechtsschutzbedürfnis, Untätigkeitsklage, Erlass eines Widerspruchsbescheids, Hauptsacheerledigung, Klageabweisung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Widerspruchsverfahren, Ermessensentscheidung, Rechtsmittelbelehrung, Widerspruchsbehörde, Rechtsschutzinteresse, Festsetzungsbescheid, Säumniszuschlag, Bundsverwaltungsgericht, Sachentscheidung, Berechtigtes Interesse, Kostenentscheidung, Sportwettenvermittlung, Prozeßbevollmächtigter
Schlagworte:
Rechtsschutzbedürfnis, Untätigkeitsklage, Widerspruchsbescheid, Rechtsschutzinteresse, Ermessensentscheidung, Hauptsacheerledigung, Vorläufige Vollstreckbarkeit
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38545
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
II. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt eine Entscheidung über einen erhobenen Widerspruch.
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1. Der Kläger wird seit November 2016 für seine Wohnung unter der Anschrift „St.-W.-Str. 24, ... M1.“ zum Rundfunkbeitrag herangezogen (Beitragsnummer ...).
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2. Mit Bescheid vom 2. Januar 2023 setzte der Beklagte gegenüber dem Kläger rückständige Rundfunkbeiträge i.H.v. insgesamt EUR 39,61 inkl. eines Säumniszuschlags i.H.v. EUR 8,- fest (Zeitraum: 1.10.2022 – 31.12.2022).
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Mit Schreiben vom 10. Januar 2023 legte der Kläger gegen den Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 Widerspruch ein. Er begründete diesen u.a. damit, dass er den zugrundeliegenden Betrag von EUR 31,61 fristgerecht bezahlt habe. Allerdings habe der Beklagte sein bisheriges Bankkonto aufgelöst und es schuldhaft versäumt, ihn hierüber zu unterrichten. Daher könne auch kein Säumniszuschlag erhoben werden.
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Mit Schreiben vom 24. Januar 2023 teilte der Beklagte dem Kläger mit Blick auf seinen Widerspruch mit, dass der Zeitraum, den der Bescheid vom 2. Januar 2023 betreffe, vor der zum 1. Januar 2023 erfolgten Änderung der Bankverbindung liege. Der Erlass des Bescheids vom 2. Januar 2023 sei vielmehr erfolgt, weil die Rundfunkbeiträge nicht in voller Höhe entrichtet worden seien. Denn trotz der seit August 2021 bestehenden monatlichen Höhe des Rundfunkbeitrags von EUR 18,36 habe der Kläger monatlich nur EUR 15,- gezahlt. Nach alledem werde von einer Klärung des Sachverhalts ausgegangen, daher habe man zunächst von einer Bescheidung des Widerspruchs abgesehen. Sofern der Kläger auf einen rechtsmittelfähigen „Widerspruch“ bestehe, werde um entsprechende Mitteilung gebeten.
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3. Am 17. April 2023 hat der Kläger Klage erhoben. Beantragt wird (sinngemäß),
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den Beklagten zu verpflichten, über seinen Widerspruch vom 10. Januar 2023 zu entscheiden.
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Die Klage sei als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig, da seit der Erhebung des Widerspruchs mehr als drei Monate vergangen seien. Bei dem Schreiben des Beklagten vom 24. Januar 2023 handele es sich allenfalls um eine Auskunft zum Sach- bzw. Verfahrensstand, jedoch nicht um den Erlass eines Widerspruchsbescheids. Es könne auch nicht in einen solchen umgedeutet werden. Der Beklagte habe auch keinerlei Gründe für die Nichtentscheidung über den Widerspruch genannt. Es werde davon ausgegangen, dass der Beklagte gegenüber einem rechtsunkundigen Bürger den Klageweg erschweren bzw. gar verschließen wolle. Es sei auch nicht etwa so, dass § 75 VwGO in sämtlichen Fällen verlange, dass mit der Untätigkeitsklage eine abschließende Sachentscheidung begehrt werde. Lasse man im Falle von Ermessensentscheidungen bei der Verpflichtungsklage eine Bescheidungsklage zu (vgl. BVerwGE 48, 237), so könne auch der Klageantrag der Untätigkeitsklage auf Verpflichtung der Behörde zur Bescheidung des Antrags gerichtet werden (vgl. NK-VwGO, 5. Aufl. 2018, § 75 Rn. 20). Zudem liege ein Sonderfall vor, wenn der Behörde eine eigene Ermessens- oder Beurteilungsermächtigung zugeordnet sei; sodann bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis für eine isolierte Klage auf Erlass eines Widerspruchsbescheids (BeckOK VwGO, 65. Ed., 1.4.2023, § 75 Rn. 2). In diesem Zusammenhang gelte, dass durchaus die Auffassung vertreten werde, dass der Widerspruchsbehörde im Rundfunkbeitragsrecht ein Ermessen zukommt (siehe VG Neustadt a.d.W., U.v. 23.1.2019 – 5 K 391/17 – BeckRS 2019, 3827 – Rn. 22 unter Bezugnahme auf BVerwG, U.v. 15.6.2016 – 8 C 5.15 – NVwZ 2017, 326). Selbst wenn das Gericht zu der Auffassung gelangen sollte, dass vorliegend kein Sonderfall des § 75 VwGO aufgrund einer Ermessensentscheidung gegeben sei, und es die Klage abweisen sollte, seien gleichwohl die Verfahrenskosten dem Beklagten aufzuerlegen. Denn jedenfalls habe er mit einer Bescheidung seines Widerspruchs vor Klageerhebung rechnen dürfen, was im Rahmen der Entscheidung über die Verfahrenskosten nach § 161 Abs. 3 VwGO zu berücksichtigen sei (vgl. VG München, U.v. 16.6.2014 – 6 b K 14.2193 – BeckRS 2014, 54776).
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4. Der Beklagte beantragt,
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Die Klage sei bereits unzulässig, da kein Rechtsschutzbedürfnis bestehe. § 75 VwGO normiere letztlich nur, dass der Kläger auch ohne durchgeführtes Widerspruchsverfahren unmittelbar Klage erheben könne. Eine auf den bloßen Erlass eines Widerspruchsbescheids gerichtete Klage sei jedoch unzulässig (vgl. BayVGH, B.v. 1.7.2013 – 7 ZB 13.305; OVG LSA, B.v. 23.12.2015 – 2 O 171/15; vgl. auch NdsOVG, B.v. 24.4.2009 – 4 PA 276/09).
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5. Die Klage wurde ursprünglich zum Verwaltungsgericht München erhoben; mit Beschluss des dortigen Gerichts vom 27. September 2023 (Az. M 6 K 23.1823) wurde der Rechtsstreit an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht Augsburg verwiesen. Mit Beschluss des hiesigen Gerichts vom 13. Oktober 2023 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Mit Erklärungen bereits vom 25. Juli 2023 bzw. 2. August 2023 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt.
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Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage konnte durch das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
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Die als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO erhobene und auf Erlass eines Widerspruchsbescheids gerichtete Klage hat keinen Erfolg.
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1. Sie ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig (vgl. zum Nachfolgenden BayVGH, B.v. 1.7.2013 – 7 ZB 13.305 – juris Rn. 11 f.; Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 73 Rn. 16/18 und § 75 Rn. 4).
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Der Rechtsschutzsuchende kann Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO erheben, wenn über seinen Widerspruch ohne zureichenden Grund in angemessener Zeit sachlich nicht entschieden worden ist. Hierdurch wird verhindert, dass die Behörde dem Bürger durch Untätigbleiben die Möglichkeit wirksamen Rechtsschutzes nehmen kann (BVerfG, B.v. 6.2.1995 – 1 BvR 54/94 – juris Rn. 5). Es ist eine wesentliche Bedingung für die Wirksamkeit des durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) gewährleisteten Rechtsschutzes, dass das verwaltungsrechtliche Vorverfahren die Anrufung der Gerichte nicht zeitlich unzumutbar lange hinauszögert und der Rechtsschutzsuchende eine sachliche Entscheidung durch die Gerichte noch „zur rechten Zeit“ erlangen kann (BVerfG, B.v. 28.10.1975 – 2 BvR 883/73 – BVerfGE 40, 237/257).
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Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage auf Erlass eines Widerspruchsbescheids ist jedoch nur bei besonders gelagerten Fallgestaltungen anzunehmen. Ebenso wie einer isolierten Anfechtungsklage des Bescheidadressaten gegen einen ergangenen Widerspruchsbescheid das Rechtsschutzinteresse fehlt, wenn für die Entscheidung der Widerspruchsbehörde weder Ermessens- noch Zweckmäßigkeitserwägungen in Betracht kommen (BVerwG, U.v. 5.11.1975 – VI C 4.74 – BVerwGE 49, 307/308 f.; U.v. 7.10.1980 – 6 C 39.80 – BVerwGE 61, 45/47), ist das Rechtsschutzbedürfnis für eine isolierte Klage auf Erlass eines Widerspruchsbescheids in der Regel zu verneinen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Kläger ausnahmsweise ein berechtigtes Interesse an einer Sachentscheidung der Widerspruchsbehörde hat, etwa weil diese auch nach Zweckmäßigkeits- oder sonstigen Ermessensgesichtspunkten zu entscheiden hat, die dem Gericht verschlossen sind oder von ihm nur beschränkt auf ihre Fehlerhaftigkeit geprüft werden können.
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Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze fehlt dem Kläger vorliegend das Rechtsschutzbedürfnis für seine Klage mit dem Ziel, den Beklagten zu verpflichten, über seinen Anfechtungswiderspruch vom 10. Januar 2023 gegen den Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 zu entscheiden. Denn ein berechtigtes Interesse des Klägers an einer Sachentscheidung des Beklagten über seinen Widerspruch ist nicht ersichtlich. Insbesondere handelt es sich beim Vollzug des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags (RBStV) grundsätzlich um gebundenes Recht, bei dem keine Ermessens- oder Zweckmäßigkeitserwägungen eine Rolle spielen. Jedenfalls sind solche hinsichtlich des Festsetzungsbescheids vom 2. Januar 2023, mit dem die gemäß § 2 Abs. 1 RBStV vom Kläger als Wohnungsinhaber zu entrichtenden Rundfunkbeiträge festgesetzt worden sind, nicht von Relevanz.
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Auch aus der klägerseitig für eine Relevanz von Ermessenserwägungen im Rundfunkbeitragsrecht zitierten Rechtsprechung (VG Neustadt a.d.W., U.v. 23.1.2019 – 5 K 391/17 – BeckRS 2019, 3827 – Rn. 22 unter Bezugnahme auf BVerwG, U.v. 15.6.2016 – 8 C 5.15 – NVwZ 2017, 326) folgt nichts anderes. In der entsprechenden Passage hat das Verwaltungsgericht Neustadt a.d.W. ersichtlich lediglich allgemeine Ausführungen zur Entscheidungsbefugnis der Widerspruchsbehörde wiedergegeben, die das Bundesverwaltungsgericht in einem Fall zur Untersagung von Sportwettenvermittlung formuliert hatte. Das Verwaltungsgericht Neustadt a.d.W. hat jedoch im konkreten von ihm entschiedenen Fall nicht etwa die Auffassung vertreten, dass die behördliche Entscheidung über die Rundfunkbeitragspflicht an sich und die Festsetzung rückständiger Beiträge eine Ermessensentscheidung wäre.
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2. Nach alledem war die Klage abzuweisen.
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3. Die Kostenentscheidung zu Lasten des unterliegenden Klägers folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Vorschrift des § 161 Abs. 3 VwGO vorliegend bereits nicht anwendbar. Nach § 161 Abs. 3 VwGO hat die Beklagtenseite die Kosten im Fall der Hauptsacheerledigung stets dann zu tragen, wenn ein Fall des § 75 VwGO vorliegt, bei dem der Kläger mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte. Diese Voraussetzungen sind vorliegend jedoch nicht gegeben. Es fehlt insoweit bereits an einer Hauptsacheerledigung, denn die hiesige Klage wurde – wie aus dem Tenor ersichtlich – abgewiesen. Unabhängig davon setzt § 161 Abs. 3 VwGO voraus, dass ein Fall einer zulässigen Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO vorliegt. Ein solcher ist jedoch wie ausgeführt nicht gegeben, wenn der Kläger – wie hier – lediglich den Erlass eines Widerspruchbescheids schlechthin beantragt und sein Klageziel mithin auf die Bescheidung als solche gerichtet ist. Eine Klage mit dem Antrag, eine Entscheidung über den Widerspruch herbeizuführen, fällt nicht unter § 75 VwGO und eröffnet nicht den Anwendungsbericht von § 161 Abs. 3 VwGO (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 20.10.2014 – 7 C 14.520 – juris Rn. 10; Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 161 Rn. 23). Aus den genannten Gründen vermag die klägerseitig in diesem Zusammenhang zitierte Rechtsprechung (VG München, U.v. 16.6.2014 – 6 b K 14.2193 – BeckRS 2014, 54776) nicht zu überzeugen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).